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Halbe Ärzte

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Lucia Benzinger ist eine junge Frau, die weiß, was sie will. Die 23-Jährige möchte Ärztin werden. Gut zwei Jahre hat sie an der Universität Frankfurt am Main Medizin studiert. Das Physikum, die Hürde zwischen dem vorklinischen und dem klinischen Studienabschnitt, konnte sie nach vier Semestern meistern. All der Fleiß hat jedoch eines nicht verhindern können: Zum 31.März wird sie exmatrikuliert. Der Grund: Benzinger hat einen „Teilstudienplatz“ und darf damit nur die ersten vier Semester Humanmedizin studieren, bis zum sogenannten Physikum. Und die junge Frau ist nicht alleine mit diesem Problem. Mit ihr stehen knapp 20 Studenten ihres Semesters vor der Exmatrikulation – aus dem gleichen Grund.



Ärzteverbände erwarten mit Sorge eine Ruhestandswelle - auf den Nachwuchs im Hörsaal kommt es an.

Teilstudienplätze sind ein Konstrukt, das sich ausschließlich an den humanmedizinischen Fakultäten der Universitäten findet. In Zeiten des Ärztemangels erscheint es aberwitzig, Nachwuchs auf halber Strecke auszubremsen. Jährlich sind mehrere hundert Studenten davon betroffen. Die Berufsverbände der Ärzte sehen mit bangem Blick einer anstehenden Ruhestandswelle entgegen. Zum Beispiel der Marburger Bund fordert in einem aktuellen Positionspapier zur Reform des Medizinstudiums zehn Prozent mehr Studienplätze, erst vor Kurzem hat der Verband in Berlin zur Pressekonferenz geladen. „Ganze“ Studienplätze statt halber wären hinsichtlich der Lage schon mal ein Anfang.

Die „halben“ Plätze kommen durch einen Fehler im System zustande. Ulf Bade, als Geschäftsführer der Stiftung für Hochschulzulassung (der früheren ZVS) auch zuständig für die Verteilung der Medizin-Studienplätze, erklärt die Sachlage: „Es gibt für den vorklinischen Teil des Studiums ein höheres Studienplatzangebot als für den zweiten Studienabschnitt, den klinischen Teil.“ Der Unterschied wurzelt in den Kriterien für die Berechnung der Plätze. Während in den ersten vier Semestern die Anzahl an Lehrpersonal ausschlaggebend ist, berechnet sich die Kapazität für den zweiten Abschnitt, der „Klinik“, zusätzlich an den vorhandenen Betten in den an die Universitäten angeschlossenen Krankenhäusern. Das Ungleichgewicht würde sich unter Umständen selbst auffangen; denn nicht jeder, der ein Studium anfängt, beendet es auch erfolgreich – viele scheitern an der ersten großen Zwischenprüfung.

Doch es gibt da einen weiteren Faktor, genau genommen ist es der wichtigste: der Gesetzgeber. 1981 sprach das Bundesverfassungsgericht ein richtungsweisendes Urteil zur Kapazitätsverordnung. Darin heißt es: Das durch das Grundgesetz „gewährleistete Zulassungsrecht von Studienbewerbern wird verletzt, wenn ihre Anträge auf Zuteilung eines vorhandenen Studienplatzes für den vorklinischen Abschnitt des Medizinstudiums deshalb abgewiesen werden, weil die Möglichkeit eines Weiterstudiums bis zum berufsqualifizierenden Abschluß ungewiß ist.“ Das heißt konkret: Seitdem müssen alle Studienplatzkapazitäten ausgenützt werden – ohne Rücksicht darauf, ob jeder, der ein Medizinstudium begonnen hat, es zu Ende führen kann.

Nur zwei medizinische Fakultäten in Deutschland folgen der Vorlage des Gesetzgebers und bieten von Haus aus auch Teilstudienplätze an: Göttingen und Marburg. Diese Plätze werden ganz regulär im Vergabeverfahren über die Stiftung Hochschulzulassung ausgelost. Alle anderen Teilstudienplätze entstehen durch Gerichtsverfahren, in denen Studienbewerber einen Platz einklagen. Vor Gericht geht es in solchen Fällen nicht darum, dass die Note des Bewerbers nicht ausreicht – sondern die Kläger ziehen die Zahl der angebotenen Plätze in Zweifel. In jedem Fall ist aber von vorneherein klar: Der Studienplatz gilt nur bis zum Physikum. Wie viele eingeklagte Teilstudienplätze es an deutschen Universitäten gibt, lässt sich schwer beziffern. Neben dem Frankfurter Fall berichteten die Universitäten Halle-Wittenberg, Hamburg und Leipzig von eingeklagten Plätzen.

Die Zahl derer, die über die reguläre Vergabe einen Teilstudienplatz bekommen, kann Stiftungsvertreter Ulf Bade hingegen genau benennen: 254 pro Erstsemester. Sie erscheint vergleichsweise gering, wenn man die Gesamtzahl betrachtet: 8999 Studienplätze wurden im klassischen Verfahren im Wintersemester 2014/15 vergeben. Auf jeden Platz kommen ungefähr fünf Bewerber. 20 Prozent der regulären Plätze gehen nach Auskunft der Stiftung an die Abitur-Besten, weitere 20 Prozent werden nach der Wartezeit vergeben. Über die restlichen 60 Prozent entscheiden die Universitäten selbst in eigenen Auswahlverfahren, bei denen zusätzlich zur Note weitere Kriterien einfließen. Bade sieht sich bezüglich des Andrangs und der knappen Zahl an Plätzen als „Verwalter eines Mangels“.

Anwaltskanzleien haben sich seit dem Karlsruher Urteil auf sogenannte Kapazitätsklagen spezialisiert, machen mit ihren Diensten Reklame. Auch die Frankfurter Studentin Benzinger verdankt ihren Studienplatz einem Gerichtsurteil. Nach ihrem Abitur mit Note 2,2 hatte sie sich zunächst zur Rettungsassistentin ausbilden lassen – und so vier Wartesemester gesammelt. Als diese nicht ausreichten, um direkt ins Studium zu wechseln, entschloss sie sich zur Klage. Gut 10000 Euro investierte sie dafür, hatte aber Erfolg. Nun ist die Ernüchterung groß. Mit „viel Elan“ sagt sie, habe sie sich in ihr Studium gestürzt – von der Hochschule fühlt sie sich alleinegelassen.

Die Uni Frankfurt verweist die Studentin und ihre exmatrikulierten Kommilitonen auf das übliche Procedere: Der Teilplatz sei nun mal zu Ende – entweder man bewerbe sich bei anderen Unis direkt für die klinischen Fachsemester oder man nehme über die Stiftung erneut am Vergabeverfahren für einen Vollstudienplatz teil.

Doch: Hier würde ja wieder ihre Abiturnote zählen, viele Bewerber müssten wohl wieder Wartesemester erwerben. Robert Sader, Dekan für den klinischen Studienabschnitt in Frankfurt, spricht von einer „unguten Situation“. Er habe Verständnis für die Lage der Betroffenen. Tun könne er aber nichts. Darüber hinaus sei die Situation ja „nicht von heute auf morgen entstanden“. Vielmehr hätten die Studenten das Risiko von Anfang an gekannt. Er sieht vor allem die Anwälte in der Pflicht, ihre Mandanten umfassender aufzuklären. Doch ob eingeklagt oder per regulären Teilstudienplatz: Jahr für Jahr stehen junge, motivierte Menschen vor zugesperrten Türen ihrer Fakultäten, machen ein Studium als halber Arzt und müssen dann bangen, warten – oder kreativ sein. Ein Teil der ehemaligen Teilstudenten, so hört man, wechselt zum klinischen Abschnitt an Universitäten im Ausland. Die Universität Göttingen, an der aktuell 64 Studenten mit Teilstudienplatz exmatrikuliert sind, hat eigens eine Beratung für Betroffene eingerichtet.

Andreas Botzlar, Vize-Vorsitzender des Marburger Bundes, sieht in den Teilstudienplätzen „eine Sackgasse, die niemandem hilft“. Der Verband fordert eine Reform des Medizinstudiums, die nicht nur mehr Plätze schafft, sondern auch einheitliche Kapazitäten für beide Abschnitte gewährleistet, die klinischen Lehrkapazitäten also ausbaut. „Jeder, der ein Medizinstudium anfängt“, so Botzlar, „muss auch die Chance haben, es zu Ende zu führen.“

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