Das war so nicht geplant. Eigentlich sollte die Bühne dem Nationalen Volkskongresses gehören, jenem Schauparlament, das an diesem Donnerstag mit viel Pomp in Peking zusammentritt. Es sollte die Woche sein, in der Partei und Regierung dem Volk ihre Erfolge präsentieren. Und dann kommt eine 39-jährige Journalistin und stiehlt allen die Schau. Chai Jing, ehemals Reporterin beim Staatssender CCTV, hat etwas Erstaunliches geschafft: Sie beherrscht die öffentliche Debatte. Mit einem Dokumentarfilm, den sie auf eigene Faust gedreht hat. Ein Film über den Smog.
„Unterm Firmament“ heißt der Film. Er ist 104 Minuten lang, kostete mehr als eine Million Yuan, umgerechnet 143000 Euro, die Chai Jing aus eigener Tasche bezahlt hat. Das im Internet veröffentlichte Video ist ein Ausnahmewerk: ein Stück unabhängiger investigativer Journalismus in einem Staat, der unabhängigen Journalismus eigentlich nicht duldet. Es wurde am vergangenen Wochenende veröffentlicht im Netz, – und die Reaktion ist spektakulär. Schon in den ersten beiden Tagen wurde das Video mehr als 120 Millionen Mal angeschaut. Es behandelt das Thema Nummer eins in China. Der Smog treibt die Menschen um. Und von den Staatsmedien fühlen sie sich nicht umfassend informiert, oft auch betrogen.
Smog wird in der chinesischen Regierung meist totgeschwiegen
Smog ist ein großes Problem in China, das von der Regierung meist kaum angesprochen wird Chai Jing ist keine Unbekannte. Sie drehte für ihren Arbeitgeber CCTV schon in der Vergangenheit Filme über heikle Themen. Über die Lungenseuche Sars, über die menschenfressenden Kohleminen ihrer Heimatprovinz Shanxi. Sie gewann Preise. Sie schrieb Bestseller. Und vor einem Jahr gebar sie ein Kind, damals verließ sie CCTV. Ihre Tochter wurde mit einem Tumor geboren, gutartig zwar, aber sie musste operiert werden, und verbrachte ihr erstes Lebensjahr „wie eine Gefangene“ zu Hause; weggesperrt aus Angst vor der Luftverschmutzung, die im Jahr in China eine halbe Million Menschen tötet, die Zahl stammt von einem früheren Gesundheitsminister.
Die Geburt ihrer Tochter, sagt Chai Jing, sei für sie der Anstoß gewesen. „Ich wollte drei Fragen auf den Grund gehen“, sagte sie der Volkszeitung: „Was ist Smog? Wo kommt er her? Und was können wir tun?“ Der Film ist nicht nur deshalb so erfolgreich, weil er tiefer bohrt als das in China sonst üblich ist. Chai Jing erzählt die Geschichte auch persönlich und emotional. Sie interviewt eine Sechsjährige in der Kohleprovinz Shanxi. „Hast du schon einmal Sterne gesehen?“ – „Nein“, antwortet das Mädchen. „Und Wolken?“ – „Nein.“
Dabei ist das Video alles andere als ein Rührstück. In der Machart ist der Film angelehnt an Al Gores „An Inconvenient Truth“: Eine in schlichte Jeans und weiße Bluse gekleidete Chai Jing präsentiert Zahlen, Fakten, Zitate, Clips. Die Regierung kommt nicht allzu gut weg. Ein Experte berichtet, wie die Ölindustrie in dem Komitee das Sagen hat, das die Schadstoffwerte für Benzin festlegt. Die Journalistin begleitet einen staatlichen Umweltinspektor zu einer stahlproduzierenden Dreckschleuder in Zentralchina. Nach ein paar Monaten forscht sie erneut nach und entdeckt, dass die Firma die von dem Inspektor auferlegte Strafe nie bezahlt hat. Als sie bei der Provinz nachfragt, warum die schlimmsten Umweltverschmutzer nicht stillgelegt werden, ist die Antwort: „Arbeitsplätze für die Umwelt opfern, das geht nicht.“ Selbst staatliche Medien applaudierten. „Die Regierung muss die Sorgen der Öffentlichkeit endlich ernst nehmen“, schrieb die Südliche Metropolenzeitung. Der neue Umweltminister, Chen Jining, schickte ihr eine SMS, um ihr zu gratulieren. „Meine Heldin“, nennt sie der bekannte Immobilienunternehmer Pan Shiyi. Es gab auch zornige Attacken. Nationalistische Kreise schimpfen sie eine „Verräterin“, weil Chai Jing, seit jeher eine liberale Vorzeigejournalistin, ihr Kind in den USA zur Welt gebracht hatte.
Es ist nicht so, dass die Offiziellen im Voraus nichts gewusst hätten von der Produktion: Ex-Kollegen von CCTV hatten ihr geholfen, die Webseite der Volkszeitung kooperierte gar bei der Veröffentlichung des Films – aber dass er so einschlagen würde, damit hatte wohl keiner gerechnet. Die überrumpelten Zensoren schauten der Debatte ein paar Tage lang zu, dann wurde es ihnen zu bunt: Am Dienstag verschickten die Propagandabehörden Zensuranweisungen an Webportale und soziale Medien. „Um nicht abzulenken von den wichtigen Themen des Volkskongresses“ müsse auf der Stelle sämtliche Berichterstattung über den Film und seine Schöpferin eingestellt werden, heißt es in einem Rundschreiben der Shanghaier Zensurbehörde, das vom Portal China Digital Times veröffentlich wurde: „Sämtliche Äußerungen, die geeignet sind, Zweifel an der Regierung zu säen oder diese zu attackieren, müssen blockiert und gelöscht werden.“ Wichtig dabei: „Diese Anweisungen müssen geheim bleiben.“
„Unterm Firmament“ heißt der Film. Er ist 104 Minuten lang, kostete mehr als eine Million Yuan, umgerechnet 143000 Euro, die Chai Jing aus eigener Tasche bezahlt hat. Das im Internet veröffentlichte Video ist ein Ausnahmewerk: ein Stück unabhängiger investigativer Journalismus in einem Staat, der unabhängigen Journalismus eigentlich nicht duldet. Es wurde am vergangenen Wochenende veröffentlicht im Netz, – und die Reaktion ist spektakulär. Schon in den ersten beiden Tagen wurde das Video mehr als 120 Millionen Mal angeschaut. Es behandelt das Thema Nummer eins in China. Der Smog treibt die Menschen um. Und von den Staatsmedien fühlen sie sich nicht umfassend informiert, oft auch betrogen.
Smog wird in der chinesischen Regierung meist totgeschwiegen
Smog ist ein großes Problem in China, das von der Regierung meist kaum angesprochen wird Chai Jing ist keine Unbekannte. Sie drehte für ihren Arbeitgeber CCTV schon in der Vergangenheit Filme über heikle Themen. Über die Lungenseuche Sars, über die menschenfressenden Kohleminen ihrer Heimatprovinz Shanxi. Sie gewann Preise. Sie schrieb Bestseller. Und vor einem Jahr gebar sie ein Kind, damals verließ sie CCTV. Ihre Tochter wurde mit einem Tumor geboren, gutartig zwar, aber sie musste operiert werden, und verbrachte ihr erstes Lebensjahr „wie eine Gefangene“ zu Hause; weggesperrt aus Angst vor der Luftverschmutzung, die im Jahr in China eine halbe Million Menschen tötet, die Zahl stammt von einem früheren Gesundheitsminister.
Die Geburt ihrer Tochter, sagt Chai Jing, sei für sie der Anstoß gewesen. „Ich wollte drei Fragen auf den Grund gehen“, sagte sie der Volkszeitung: „Was ist Smog? Wo kommt er her? Und was können wir tun?“ Der Film ist nicht nur deshalb so erfolgreich, weil er tiefer bohrt als das in China sonst üblich ist. Chai Jing erzählt die Geschichte auch persönlich und emotional. Sie interviewt eine Sechsjährige in der Kohleprovinz Shanxi. „Hast du schon einmal Sterne gesehen?“ – „Nein“, antwortet das Mädchen. „Und Wolken?“ – „Nein.“
Dabei ist das Video alles andere als ein Rührstück. In der Machart ist der Film angelehnt an Al Gores „An Inconvenient Truth“: Eine in schlichte Jeans und weiße Bluse gekleidete Chai Jing präsentiert Zahlen, Fakten, Zitate, Clips. Die Regierung kommt nicht allzu gut weg. Ein Experte berichtet, wie die Ölindustrie in dem Komitee das Sagen hat, das die Schadstoffwerte für Benzin festlegt. Die Journalistin begleitet einen staatlichen Umweltinspektor zu einer stahlproduzierenden Dreckschleuder in Zentralchina. Nach ein paar Monaten forscht sie erneut nach und entdeckt, dass die Firma die von dem Inspektor auferlegte Strafe nie bezahlt hat. Als sie bei der Provinz nachfragt, warum die schlimmsten Umweltverschmutzer nicht stillgelegt werden, ist die Antwort: „Arbeitsplätze für die Umwelt opfern, das geht nicht.“ Selbst staatliche Medien applaudierten. „Die Regierung muss die Sorgen der Öffentlichkeit endlich ernst nehmen“, schrieb die Südliche Metropolenzeitung. Der neue Umweltminister, Chen Jining, schickte ihr eine SMS, um ihr zu gratulieren. „Meine Heldin“, nennt sie der bekannte Immobilienunternehmer Pan Shiyi. Es gab auch zornige Attacken. Nationalistische Kreise schimpfen sie eine „Verräterin“, weil Chai Jing, seit jeher eine liberale Vorzeigejournalistin, ihr Kind in den USA zur Welt gebracht hatte.
Es ist nicht so, dass die Offiziellen im Voraus nichts gewusst hätten von der Produktion: Ex-Kollegen von CCTV hatten ihr geholfen, die Webseite der Volkszeitung kooperierte gar bei der Veröffentlichung des Films – aber dass er so einschlagen würde, damit hatte wohl keiner gerechnet. Die überrumpelten Zensoren schauten der Debatte ein paar Tage lang zu, dann wurde es ihnen zu bunt: Am Dienstag verschickten die Propagandabehörden Zensuranweisungen an Webportale und soziale Medien. „Um nicht abzulenken von den wichtigen Themen des Volkskongresses“ müsse auf der Stelle sämtliche Berichterstattung über den Film und seine Schöpferin eingestellt werden, heißt es in einem Rundschreiben der Shanghaier Zensurbehörde, das vom Portal China Digital Times veröffentlich wurde: „Sämtliche Äußerungen, die geeignet sind, Zweifel an der Regierung zu säen oder diese zu attackieren, müssen blockiert und gelöscht werden.“ Wichtig dabei: „Diese Anweisungen müssen geheim bleiben.“