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Eingeknickt

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Wann gelingt türkischen Zeitungen schon mal eine Exklusivgeschichte, die um die Welt geht? Milliyet, ein Blatt mit liberaler Tradition, hatte 2013 einen solchen Scoop. Einem Reporter war ein hochbrisantes Gesprächsprotokoll zugespielt worden: von einem Treffen auf der Gefängnisinsel Imralı, zwischen Abdullah Öcalan, dem Chef der verbotenen Kurden-Guerilla PKK und Politikern. Recep Tayyip Erdoğan, nun Staatspräsident und damals noch Premier, hatte die spektakuläre Begegnung mit dem seit 1999 isolierten Öcalan selbst gestattet, wollte aber keine Details in den Medien lesen. Nach der Veröffentlichung stauchte Erdoğan persönlich den Milliyet-Verleger am Telefon so zusammen, dass dieser, wie er später zugab, „das erste Mal im Leben weinte“.

Der Chefredakteur der Zeitung musste wenig später gehen, und ihr prominentester Kolumnist, der in einem Kommentar die Pressefreiheit hochhielt und auf historische US-Vorbilder („Watergate-Skandal, Pentagon Papers“) verwies.Milliyet knickte ein vor der Macht. Heute, zwei Jahre später, ist der Hofknicks vor Erdoğan für türkische Medien Alltag.

Yavuz Baydar, einer der bekanntesten Journalisten des Landes, liefert dafür viele Belege in seiner aktuellen Studie: „Der türkische Newsroom als Open-Air-Gefängnis“ (http://shorensteincenter.org/corruption-and-self-censorship-in-turkish-journalism). 2014 nennt Baydar ein „Horrorjahr“ für türkische Medien. Da setzte sich fort, was schon nach den Gezi-Park-Protesten 2013 begonnen hatte: massenhafte, politisch motivierte Entlassungen. Baydar spricht von fast 1000 gefeuerten Medienleuten. Der 58-Jährige gehört selbst dazu. Die Regierung der konservativ-islamischen AK-Partei verhängte zudem immer wieder Nachrichtensperren, wenn sie meinte, ein Ereignis berühre die nationale Sicherheit. Die Folge, so Baydar: Selbstzensur und Korruption. Unter seinen Kollegen vermisst Baydar Solidarität für die Geschassten. „Astronomische Gehälter“ in den Chefetagen sieht er als eine Art Bestechungsgeld.  



Die türkischen Medien scheinen vor Erdgans Zensurvorschriften zu kapitulieren

Wie das geht? Erdoğan lädt Verleger und Medienchefs gern zu vertraulichen Runden. Aus einer solchen Begegnung berichtete ein schockierter Teilnehmer Baydar, einige Teilnehmer hätten gar versucht, Erdoğan mit Zensurvorschlägen zu übertreffen. Den Grund für solche Liebedienerei sieht auch die EU in ihrem jüngsten Türkei-Bericht in der Struktur der Medienkonzerne. Wenige Konglomerate kontrollieren den Sektor. Deren Besitzer haben viele Geschäftsinteressen, im Bausektor, in Bergwerken, im Tourismus. Sie sind abhängig von Staatsaufträgen.

85 Prozent der Türken nutzen vor allem das Fernsehen als Nachrichtenquelle, zitiert die Studie die Istanbuler Medienwissenschaftlerin Ceren Sözeri. Auf die 18 privaten TV-Stationen und den staatlichen Sender TRT ist der Druck der Regierung daher besonders hoch. Aber die Zeitungen sind ihr keineswegs egal. Selbst wenn ein Blatt den Besitzer wechselt, zieht Erdoğan die Fäden, wie Baydar am Beispiel von Sabah schildert. Das einst liberale Massenblatt geriet in die Hände eines regierungsnahen Konzerns, der auch am neuen Istanbuler Riesenflughafen mitbaut.

Baydar arbeitete selbst lange für Sabah, auch als Medien-Ombudsmann, der Leserinteressen vertritt. Während der Gezi-Park-Proteste, die 2013 das ganze Land aufwühlten, gab er Leserpost wieder. Die richtete sich gegen alle regierungsnahen Medien, die versuchten, den Gezi-Konflikt zu ignorieren. Gleichzeitig beschimpfte die Regierung ausländische Korrespondenten als Agenten und Verschwörer, was Baydar ebenfalls anprangerte. Kurz darauf war er seinen Job los.

Als Ende 2013 dann massive Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung auftauchten, begann die nächste Entlassungswelle. Seitdem richtet sich Erdoğans Furor auch gegen Kritiker aus dem konservativen Lager: gegen Medien wie die Zeitung Zaman und den Sender Samanyolu TV, die dem in den USA lebenden türkischen Prediger Fethullah Gülen nahestehen, der sich zu einem der schärfsten Regierungskritiker entwickelt hat. Der Leiter von Samanyolu TV, Hidayet Karaca, wurde im Dezember 2014 gar wegen Terrorverdacht inhaftiert. Aus dem Gefängnis hat er jetzt einen offenen Brief veröffentlicht, in dem er beklagt, in der Türkei seien Demokratie, Recht und Gesetz außer Kraft gesetzt.

Ein anderer prominenter Erdoğan-Kritiker, der für Investigativrecherchen bekannte Mehmet Baransu, wurde vor wenigen Tagen festgenommen. Erdoğan hatte ihn öffentlich als „Verräter“ bezeichnet, nachdem er wiederholt über Korruption im Regierungsumfeld geschrieben hatte.

Baydars Verdienst ist es, dass er keine Seite schont. Journalisten der oppositionellen Medien wirft er vor, sich zu oft als Teil eines politischen Kampfes zu begreifen, Baydar vermisst professionelle Standards. Das Einzige, was ihm Hoffnung macht: Heute sitzen viel weniger Journalisten hinter Gittern als noch 2010. Da war deren Zahl auf 104 gestiegen, ein trauriger Rekord. Die meisten waren Kurden, die unter einem weit gefassten Terrorbegriff inhaftiert waren.

Im November 2014 zählte das Committee to Protect Journalists noch sieben Häftlinge. Die positive Veränderung hat wohl einerseits mit dem Bemühen der Regierung zu tun, den Kurdenkonflikt zu entschärfen. Aber auch mit Kritik aus dem Ausland an jahrelangen Inhaftierungen ohne Urteile, wie der erfahrene türkische Medienbeobachter Erol Önderoğlu meint. Baydar kommentiert bitter: Wo Selbstzensur regiert, ist Haft als Disziplinierungsmittel gar nicht mehr nötig. Rettung, so Baydar, böten nur digitale Medien. Entlassene Journalisten betreiben inzwischen teils recht erfolgreiche Internetzeitungen, wie T24 oder diken. Aber das sind Nischen-Medien. „Die moderne Türkei hat, abgesehen von einer kurzen Periode in den 50er-Jahren, keine solche Konzentration von Macht in einer Partei, und zuletzt in einer Person, erlebt“, schreibt Baydar. Der harte Griff nach den Medien ist dabei Teil der Machterhaltung. Von einer „Glasnost alla turca“, wie zu Beginn der Erdoğan-Herrschaft vor zwölf Jahren, als die Medien neue Luft zum Atmen genossen, ist heute nichts mehr zu spüren.

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