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Hochschulen mit Herz

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Stiller wurde es in der Gegend, das fiel Viktoria Schmidt damals auf. Und die Kirschbäume trugen im Sommer keine Kirschen mehr, ihr Großvater hatte zuvor aus Altersgründen seine Bienenstöcke aufgegeben. Die junge Frau ist mittlerweile selbst Imkerin, Designerin, soziale Firmengründerin. Sie kann viel erzählen darüber, dass Bienen nicht nur Honig liefern; sondern Blüten bestäuben, die Natur gedeihen lassen, die Artenvielfalt. „Bei mir häufte sich der Honig im Keller, vielen meiner Imkerkollegen geht es ähnlich. Dabei ist das naturnahe Hobby sinnvoll und im Kommen.“ Um Imkern beim Verkaufen zu helfen, hat Schmidt die Firma „Nearbees“ ins Leben gerufen, zusammen mit dem Wirtschaftsstudenten Michael Gelhaus. Ihr gleichnamiges Webportal hilft Bienenhaltern beim Vertrieb, bietet eine spezielle Verpackung für den Versand. Kunden sollen bewusst Honig von nebenan kaufen, vielleicht von den Tieren, die beim Frühstück am Balkon das Honigbrot anfliegen.

Kennengelernt haben sich Schmidt und Gelhaus an der Münchner Social-Entrepreneurship-Akademie. Bei dem Modell – zu Deutsch: soziales Unternehmertum – soll Geld erwirtschaftet und dabei auch noch Gutes getan werden. Den Trend befördern auch die Hochschulen. Und nirgendwo in der Republik dürfte das so professionell laufen wie in München. Die beiden großen Universitäten LMU und TU, die Fachhochschule und die Bundeswehr-Uni haben sich verbündet und 2010 die Akademie gegründet. Viele Firmen und Stiftungen fördern sie mit Geld, mit Kontakten, bringen auch regelmäßig Gründer mit Investoren an einen Tisch. Das Kernstück der Akademie: Ein Studienprogramm „Gesellschaftliche Innovationen“, ein Jahr Theorieblock, ein Jahr Praxis und die Entwicklung einer Idee. Alles ganz breit angelegt. „Ob Designer, Wirtschafts-, Geisteswissenschaftler oder Ingenieure – Herausforderungen unserer Zeit können oft am besten interdisziplinär gelöst werden“, sagt Oliver Beckmann, Leiter des Programms. So kam die Designstudentin Schmidt an Gelhaus, der im Bachelor „Management Sozialer Innovationen“ studierte und jetzt bald den Masterabschluss macht.

Der soziale Gedanke muss nicht gleich Mutter-Teresa-Assoziationen wecken. Bei „Nearbees“: Honig wird zu 80 Prozent importiert, die Bestäubungsleistung der Bienen lässt sich jedoch nicht einführen.
Schmidts erster Ansatz war der Honighandel – wo doch das Porto schon teuer wäre im Vergleich zum Honig, wo ein Glas für den Postweg zu sperrig ist, zerbrechlich auch. Sie entwickelte einen flachen Kunststoffbeutel, dem man sein Volumen kaum ansieht, der in Briefkästen passt. Die Beutel werden nun an Imker verkauft, von jedem Honig, der über die Plattform verkauft wird, bleibt zudem eine Provision. Reklame brauchte es, die Kunden sollen das Gefühl haben, als äßen sie „quasi Honig von eigenen Bienen“, wie Schmidt sagt. 

 

Um dem Vorwurf der "Verschulung" zurückweisen zu können, übernehmen Universitäten mit neuen Projekten Verantwortung gegenüber der Gesellschaft

Alles in allem: Produktdesign, Zielgruppenanalyse, Kalkulation. Das Umfeld dafür bot die Akademie. Gut 60 Sozialunternehmer wurden seit 2010 dort ausgebildet, 80 Prozent sind Studenten, überwiegend von Münchner Hochschulen; aber auch Berufstätige können sich bewerben.

Zugleich ist die Akademie Teil eines neuen Ziels von Hochschulbildung, das zunehmend bei deutschen Wissenschaftlern verfängt: die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Unter dem Schlagwort „Service Learning“ sollen Studenten mit dem, was sie lernen, die Gesellschaft weiterbringen – sich dabei persönlich entwickeln, aber auch die Welt ein Stückchen besser machen. Angehende Juristen beraten Arbeitslose rechtlich, Lehrämter geben Nachhilfe in Brennpunkten, Betriebswirte basteln Konzepte etwa fürs Tierheim, in Museen, Kliniken, Sozialkaufhäusern und Kindergärten bringen sich heutige Studenten ein. Meist wird der Einsatz mit Seminaren begleitet und kann als benotete Leistung für den Bachelor zählen.
Und die Hochschulen? Sie können so ihre Lehre aufpeppen.

 Der Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, Holger Burckhart, spricht von „originellen Maßnahmen gegen die häufig kritisierte Verschulung“ im Bachelor. Er nennt aber auch die „Suche der Hochschulen nach einem zeitgemäßen Selbstverständnis“. Denn: „Früher waren wir vor allem ein Elfenbeinturm, vor dem die Gesellschaft ehrfürchtig stand. Jetzt aber ändert sich das, nicht zuletzt wegen der steigenden Studierendenzahlen. Vor 30Jahren haben noch 20 Prozent eines Jahrgangs studiert, heute sind es über 50 Prozent.“ Nach Umfragen ist an mindestens jeder fünften Hochschule eine Art „Service Learning“ im Angebot. Auch konkrete Initiativen für Sozialunternehmer werden üblich. Der Münchner Programmchef Beckmann war zuletzt oft auf Reisen, um über das Modell zu berichten.

Im Erdgeschoss der Akademie ist ein offener Arbeitsraum. Die Szenerie hier tendiert zwischen Lerngruppe und Studentenparty, in Grüppchen beugen sich Studenten über Bildschirme, daneben fläzt auch mal einer im Sessel. 25 Teilnehmer nimmt die Akademie jedes Jahr, es gebe ein Vielfaches an Bewerbern, so Beckmann. Sie nehmen auch die Gebühren in Kauf. Gut 2000 Euro sind jährlich für die Zusatzausbildung fällig, das wird laut Beckmann teils mit Stipendien aufgefangen. Es seien Leute mit festem Willen: „Das passt zum Social Entrepreneurship. Es erfordert mehr Zeit, Einsatz, Leidenskraft, Kreativität als viele normale Gründungen. Sonst wären ja alle Unternehmer Sozialunternehmer.“

Viktoria Schmidt und Michael Gelhaus sind auf dem Weg zu dieser Art Karriere. Noch sind im Portal nur Bienenvölker aus dem Raum München vermerkt. Das soll sich ändern, aus der sozialen Geschäftsidee soll ein Geschäft werden. Ein „gutes“ Geschäft im doppelten Wortsinn. Gelhaus sagt: „Es gab lange ehrenamtlich Soziales auf der einen und Unternehmen auf der anderen Seite. Ich sehe, dass immer mehr Gründungen in die Mitte passen.“ Vor zehn, 15 Jahren hätte man einen solchen Kurs wohl kaum vollgekriegt, glaubt Beckmann. Die Hochschulen reagierten eben auf den Bedarf. „Die heutige Generation fragt und sucht eher nach Werten.“ Auf Partys höre man längst öfters die Frage, was man schon Sinnvolles gemacht habe. Und nicht mehr, wie viel man denn verdiene.
 

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