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Rauf oder runter?

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Deutschland nähert sich gerade wieder der magischen Grenze. Rutscht die Zahl der Arbeitslosen unter drei Millionen, gilt das als gute Nachricht. Denn der Wert soll sagen: Sehr viele Menschen in Deutschland haben einen Job, können ihre Familien ernähren, das Leben genießen. Der Wert ist vor Kurzem wieder gefallen: im Februar auf 3017000 Arbeitslose. Schon nächsten Monat könnte wieder eine Zwei ganz vorne stehen, wenn das Wetter mitspielt.

Also alles gut? „Das ist absolut verharmlosend“, sagt Gerd Bosbach. Er ist Professor für Mathematik, Statistik und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz und gilt als einer der bekanntesten Kritiker der Arbeitslosenzahlen, wie sie die Bundesagentur für Arbeit monatlich veröffentlicht. Zwar würden die aktuellen Zahlen natürlich zeigen, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nun viel besser sei als 2005 – damals war die Arbeitslosenquote etwas doppelt so hoch wie derzeit. „Trotzdem sind drei Millionen Menschen, die offiziell als arbeitslos gezählt werden, viel zu viele Schicksale“. Er fordert, dass die Arbeitsagentur die Werte „kritischer präsentiert“. Stattdessen passiere das Gegenteil: „Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, wird das euphorisch gefeiert.“



Die Berechnung der Arbeitslosenzahl weist oft Lücken auf. Viele Arbeitslose werden gar nicht in die Statistik miteinberechnet

Was Bosbach am meisten stört: Die Zahl, die die Arbeitsagentur als wichtigste kommuniziert, stelle die Situation verzerrt dar. Die Zahl der Arbeitssuchenden liege deutlich höher als 3017000. Tatsächlich waren im Februar 3887862 Menschen arbeitslos – wenn man die verdeckte Arbeitslosigkeit und die Altersteilzeit mit einberechnet.

So waren etwa 175000 Menschen in einer „Aktivierungs- oder Eingliederungsmaßnahme“. Beispielsweise schulen private Anbieter Arbeitslose, wie sie sich richtig bewerben. Fast genauso viele Arbeitslose bildeten sich weiter. Zur verdeckten Arbeitslosigkeit zählen des Weiteren Personen, die älter als 58 Jahre sind und seit mehr als einem Jahr keinen Job mehr angeboten bekommen haben; außerdem Ein-Euro-Jobber und Arbeitslose, die länger krank sind.

Geheim sind diese Daten nicht. Sie stehen ebenfalls auf der Internetseite der Arbeitsagentur. Sie sollten auch in die offizielle Arbeitslosenstatistik einfließen, fordert Bosbach. „Arbeitslose nicht zu zählen, die an private Vermittler weitergegeben wurden, bezeichne ich als Schönfärberei“, sagt der Statistiker.
Die Bundesagentur weist diese Kritik zurück. Sie würde auch den Stand der verdeckten Arbeitslosigkeit kommunizieren. Tatsächlich spricht sie in ihren Veröffentlichungen von „Unterbeschäftigung“, wenn sie die rund 3888000 Menschen meint, die wegen „Eingliederungsmaßnahmen“, Altersteilzeit oder aus anderen Gründen bei der offiziellen Arbeitslosenzahl nicht mitgezählt werden.

Zuerst würde die Behörde aber die niedrigere Zahl nennen, entgegnet Bosbach. Das bleibe in den Köpfen hängen. Wer in Vierteln lebe, die stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind, der könne zwar erkennen, dass die Zahlen schöner seien als die Wirklichkeit. Bessergestellte Menschen dagegen würden die Zahlen gerne glauben. „Die denken wirklich, dass die wirtschaftliche Entwicklung fast allen Menschen zugute kommt“, so Bosbach.

Das ist auch aus Sicht der Arbeitsagentur eine Fehlinterpretation, dem die Behörde entgegenwirken möchte. Arbeitslose profitierten ungenügend davon, dass die Zahl der Beschäftigten wächst, sagt eine Sprecherin. Die Agentur betont regelmäßig, dass die Profile der Arbeitslosen – also ihre Fähig- und Fertigkeiten – nicht zu den Anforderungen der zu besetzenden Stellen passten.

Die Politik verändert häufig den rechtlichen Rahmen der Arbeitslosenstatistik. Bosbach zählt 17 Änderungen in den vergangenen 20 Jahren in der Berechnung der Arbeitslosenzahlen. „Davon haben 16dazu beigetragen, die Zahlen zu verringern“, sagt er. Die Bundesagentur verweist darauf, dass die Behörde an die gesetzlichen Vorschriften gebunden ist. Die Änderungen hätten nicht immer zu einer Verringerung der Arbeitslosenzahlen geführt, sagt eine Sprecherin. Eine hätte beispielsweise zu einer Zunahme der älteren Arbeitslosen geführt. Die Behörde habe zudem manchen Reformen widersprochen, sich aber nicht gegen die Politik durchsetzen können.

Die Arbeitslosigkeit schwankt im Laufe des Jahres. Wenn die Sonne scheint, können beispielsweise auf Baustellen mehr Leute beschäftigt werden. Deswegen sinken die Arbeitslosenzahlen im Frühjahr und Sommer meist. Im Winter ziehen sie sprunghaft an. Das nutze die Arbeitsagentur aus, um bessere Nachrichten veröffentlichen zu können, behauptet Bosbach: Denn die Behörde melde prominent den Rückgang zum Vormonat. Sinnvoller wäre ein Vergleich mit dem Vorjahr. Diese Zahl veröffentlicht die Agentur auch – aber nur an zweiter Stelle. Somit kreist die öffentliche Debatte um die schwerer verständlichen Monatswerte.

Die Aufgabe der Arbeitsagentur ist es, Menschen Jobs zu vermitteln. Bosbach hält die Behörde deswegen für die falsche Institution, um die Arbeitslosenstatistik zu führen – weil Erfolgsmeldungen im eigenen Interesse liegen würden. „Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft möchten ein positives Bild. Das sollen die Schicksale der Arbeitslosen nicht trüben.“

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