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37 Körperverletzungen am Tag

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Als am vergangenen Freitagabend am Stuttgarter Bahnhof Bad Cannstatt die S 1 aus Herrenberg einfuhr, war es bereits zu spät. In dem Zug saßen Fans des VfB Stuttgart, die zum Spiel gegen Hertha BSC fuhren. Auf dem Bahnsteig standen Hertha-Fans und mit ihnen befreundete Anhänger des Karlsruher SC. Als sie von der Polizei in den Zug gedrängt wurden, stießen sie dort auf die Stuttgart-Fans – eine Begegnung, bei der man nicht dabei gewesen sein will. Die Stimmung im Wagen sei „extrem aggressiv“ gewesen, berichten Fahrgäste hinterher. Das Ergebnis der kurzen Fahrt zum nächsten Bahnhof: ein verdreckter und demolierter S-Bahn-Wagen – sowie mehrere völlig verängstigte Pendler, die so eine Situation nie wieder erleben wollen. Ihr einziges Glück dabei: Die wirklich gewalttätigen Ausschreitungen rund um dieses Spiel fanden an diesem Abend nicht in der S-Bahn statt, sondern auf offener Straße.



Besprühte S-Bahn in Berlin: Die Zahl der Graffiti-Sprühereien ist vor allem während des Lokführerstreiks im Herbst 2014 gestiegen.

Für Gerd Neubeck, Sicherheitschef der Deutschen Bahn, ist das jedoch nur ein schwacher Trost. Insgesamt sei Bahnfahren zwar eine sehr sichere Angelegenheit, sagte er am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des jährlichen Sicherheitsberichts des Konzerns. So sei die Wahrscheinlichkeit, im Zug oder am Bahnhof Opfer einer Körperverletzung zu werden, deutlich geringer als im allgemeinen öffentlichen Raum. Trotzdem ärgert sich Neubeck natürlich über jede einzelne Tat. Vor allem über die immer wieder eskalierende Randale von Fußballfans – und noch mehr über die zum Teil nonchalante Haltung der dazugehörigen Clubs. „Dabei wäre das Problem ganz leicht zu lösen“, sagt Neubeck. Wer auch immer eine Großveranstaltung initiiere, bei der in der Regel viel Alkohol im Spiel sei, etwa ein Fußballspiel, ein Volksfest oder ein Popkonzert, der könnte Busse chartern oder spezielle Züge und so dafür sorgen, dass die Besucherströme getrennt von anderen Fahrgästen anreisen könnten. „Dann wäre alles kanalisiert und sicher.“ Doch häufig sehen sich die Veranstalter gar nicht in der Verantwortung.

Insgesamt ist die Zahl der Körperverletzungen, die in Zügen oder an Bahnhöfen begangen wurden, 2014 erneut um sieben Prozent auf 13650 Fälle zurückgegangen. Im Schnitt kam es täglich 37 mal zu einer Körperverletzung – und das bei 7,5 Millionen Fahrgästen pro Tag. Zum Vergleich: In Niedersachsen mit seinen ebenfalls 7,5 Millionen Einwohnern gebe es täglich 145 Körperverletzungsdelikte, sagte Neubeck. Auch die Buntmetalldiebstähle und der Vandalismus gingen im vergangenen Jahr zurück. Angestiegen dagegen ist die Zahl der Graffiti-Sprühereien, und zwar vor allem im Oktober und November, als viele Züge wegen mehrerer Streiks der Lokomotivführer längere Zeit stillstanden. „Beim ersten Streik hat es ganze zehn Minuten gedauert, da hatten wir schon das erste Graffiti“, sagte Neubeck. Insgesamt entstand der Bahn durch die Sprayer ein Schaden von gut acht Millionen Euro.

Mit Sorge sieht Neubeck auch, dass die Zahl der Übergriffe gegen das Bahnpersonal erneut gestiegen ist. 1500 Mal kam es im vergangenen Jahr zu einer Aggression gegenüber Mitarbeitern der Deutschen Bahn – ein Anstieg um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Meist seien die Kollegen von DB Sicherheit betroffen oder Zugbegleiter, die die Fahrkarten kontrollierten. Sie würden angespuckt, geschlagen oder gestoßen. Das sei ein Phänomen, das auch die Polizei, Mitarbeiter von Jobcentern oder Bürgerämtern zunehmend beobachteten: „dass ein Mensch völlig unvermittelt ausrastet und gewalttätig wird“. Neubeck hält es für eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, dieses Problem in den Griff zu bekommen. „Wir müssen uns fragen, warum ist das so und was können wir dagegen tun?“

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