Auf dem Bildschirm sind sie unsterblich. Jede Viertelstunde zeigt das französische Fernsehen, wie Camille Muffat, 25, die Schwimm-Olympiasiegerin mit dem schüchternen Lächeln, aus dem Becken steigt. Wie Florence Arthaud, 57, Frankreichs Segelikone, auf ihrem Boot Wind und Wetter trotzt. Und wie Alexis Vastine, der Boxer, verzweifelt: Wieder und wieder können die Franzosen auf der Mattscheibe erleben, wie sich der 28-Jährige wütend zu Boden wirft, nachdem ihn die Ringrichter 2012 bei Olympia in London um seine Medaille brachten.
Alle drei leben virtuell fort – weil sie fürs Reality-TV gestorben sind. Bei der Produktion einer Survival-Show im Westen Argentiniens sind die drei französischen Sport-Stars in der Nacht zum Dienstag verunglückt. Zwei Hubschrauber sollten die Sportler sowie fünf Mitarbeiter der neuen Abenteuer-Serie „Dropped“ („Ausgesetzt“) in die hohen, kargen Berge bringen. Doch kurz nach dem Start kollidierten die beiden Helikopter in der Luft. Das ist in einem Video zu sehen. Für die acht Franzosen und die beiden argentinischen Piloten kam jede Hilfe zu spät.
Unfälle in Reality Shows regen eine neue Debatte über das Konzept des Formats an
Nun trauert Frankreich. Noch in der tiefsten Nacht hatte der Élysée-Palast per präsidentieller Verlautbarung den Angehörigen kondoliert. Am Vormittag tritt François Hollande dann persönlich vor die Kameras: „Sie sind gestorben, weil sie Grenzen sprengen wollten.“
Das klang, als habe der Präsident das Skript von „Dropped“ gelesen. Frankreichs größter Privatkanal TF1 hatte die neue, noch nicht gesendete Reality-Show in Auftrag gegeben, das Drehbuch versprach puren Überlebenskampf: Zwei Teams von anfangs vier Heroen sollten – ohne Karte, ohne Kompass – innerhalb von zwei bis drei Tagen und Nächten den Weg aus der Wildnis zurück in die Zivilisation finden. Dabei würden sie von einer TV-Crew am Boden sowie von Drohnen aus der Luft gefilmt. Mit dabei: ein Survival-Experte und (hinter den Kulissen) ein Arzt. Gewonnen hätte jeweils die Mannschaft, die als erste eine Steckdose findet, um ihr Handy aufzuladen – und beim Sender anruft. Die Verlierer-Equipe sollte vor laufender Kamera Selbstkritik üben und jeweils das schwächste Teammitglied aussortieren.
Diese Regel hat sehr wahrscheinlich Sylvain Wiltord, 40, das Leben gerettet. Der frühere Fußballstar, der im Jahr 2000 mit Frankreichs „Blauen“ Europameister wurde, befand sich bereits wieder daheim in Paris, als er von dem tragischen Unglück erfuhr. „Ich trauere um meine Freunde, ich zittere, ich bin entsetzt“, twitterte der Kicker. Auch Alain Bernard, 31, durfte sich als Überlebender fühlen. Der mehrfach dekorierte Schwimm-Olympionike in Peking und London sollte von der „Dropped“-Crew ebenfalls am Montag ausgesetzt werden. In letzter Minute entschied man aber, Bernard solle wegen drohender Überlast der ersten beiden Hubschrauber lieber in einen dritten Helikopter steigen.
Glücklich zeigte sich ebenso Amaury Leveaux. Auch der 29-jährige Franzose ist ein ehemaliger Held des Wassers: Bei den Olympischen Spielen in Peking schwamm er mit Bernard, vier Jahre später in London war er mit Camille Muffat in einem Team. Und wie viele Ex-Hochleistungssportler verbringt auch er seine Zeit seither in der medialen Welt zwischen Sport und Spiel, meist als Kommentator beim Radiosender RMC. „Ich sollte bei ‚Dropped‘ mitmachen“, sagte Leveaux in einem Interview, „aber ich hab’s abgelehnt. Dann haben die jemand anderes gefragt.“ Camille.
„Die“, das ist die auf Abenteuer-Shows spezialisierte französische Produktionsfirma „Adventure Line Productions“ (ALP). Sie war bereits vor zwei Jahren in die Schlagzeilen geraten. Damals hatte der um den Hauptpreis von 100 000 Euro wetteifernde Kandidat Gérald Babin, 25, während der Aufnahmen zu der ALP-Überlebensshow „Koh Lanta“ einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Kurz darauf beging ein die Kandidaten betreuender Arzt Selbstmord. „Koh Lanta“ war die Vorlage für „Dropped“, und ein Geschäftsmodell. Nach einer Studie der Medienagentur Vivaki spielte „Koh Lanta“ 2014 – im ersten Jahr nach der vom Unfall erzwungenen Sendepause – bei sieben Millionen Zuschauern Werbeeinnahmen in Höhe von 12,7 Millionen Euro ein. Bei Produktionskosten von 500000 bis 600000 Euro pro Episode habe die Survival-Show dem Sender TF1 an jedem Sendeabend mindestens 600000 Euro Reingewinn beschert.
Tödliche Unglücksfälle wie diese geben aber auch einer alten moralischen Diskussion neue Nahrung: Sind Reality-Shows, in denen sich Menschen beweisen, bewähren, erniedrigen, überhaupt noch tragbar? Natürlich: Das Publikum liebt derartige Sendungen, die – wie das deutlich harmlosere RTL-„Dschungelcamp“ – trotz oder gerade wegen ihres Voyeurismus und der Präsentation von Prominenten in finanziellen Schwierigkeiten Beachtung finden. Aber auch Todesfälle, wie sie schon 1970 in Wolfgang Menges’ TV-Drama „Das Millionenspiel“ vorausgeahnt wurden, hat es immer wieder bei Sendungen dieser Art gegeben. So ertrank im Jahr 2009 ein 32 Jahre alter Kandidat einer pakistanischen „Survivor“-Show während einer Prüfung: Er sollte einen See mit sieben Kilo Zusatzballast durchschwimmen. In der bulgarischen Version von „Survivor“ war kurz zuvor ein 53 Jahre alter Kandidat nach einem Herzanfall gestorben. Als erstes Reality-Show-Opfer überhaupt gilt der 23 Jahre alte amerikanische Boxer Najai Turpin, der sich vor zehn Jahren gegen 15 andere Boxer in der NBC-Serie „The Contender“ bewähren wollte, sich dann aber während der Dreharbeiten das Leben nahm. Sein Manager erklärte, seine vertraglichen Verpflichtungen hätten Turpin in den Tod getrieben. Zwischen 2005 und 2010 begingen mindestens neun Teilnehmer von Reality-Shows in Frankreich, Schweden, Australien, Indien und den USA Selbstmord. In der Öffentlichkeit gerieten ihre Namen bald in Vergessenheit.
Alle drei leben virtuell fort – weil sie fürs Reality-TV gestorben sind. Bei der Produktion einer Survival-Show im Westen Argentiniens sind die drei französischen Sport-Stars in der Nacht zum Dienstag verunglückt. Zwei Hubschrauber sollten die Sportler sowie fünf Mitarbeiter der neuen Abenteuer-Serie „Dropped“ („Ausgesetzt“) in die hohen, kargen Berge bringen. Doch kurz nach dem Start kollidierten die beiden Helikopter in der Luft. Das ist in einem Video zu sehen. Für die acht Franzosen und die beiden argentinischen Piloten kam jede Hilfe zu spät.
Unfälle in Reality Shows regen eine neue Debatte über das Konzept des Formats an
Nun trauert Frankreich. Noch in der tiefsten Nacht hatte der Élysée-Palast per präsidentieller Verlautbarung den Angehörigen kondoliert. Am Vormittag tritt François Hollande dann persönlich vor die Kameras: „Sie sind gestorben, weil sie Grenzen sprengen wollten.“
Das klang, als habe der Präsident das Skript von „Dropped“ gelesen. Frankreichs größter Privatkanal TF1 hatte die neue, noch nicht gesendete Reality-Show in Auftrag gegeben, das Drehbuch versprach puren Überlebenskampf: Zwei Teams von anfangs vier Heroen sollten – ohne Karte, ohne Kompass – innerhalb von zwei bis drei Tagen und Nächten den Weg aus der Wildnis zurück in die Zivilisation finden. Dabei würden sie von einer TV-Crew am Boden sowie von Drohnen aus der Luft gefilmt. Mit dabei: ein Survival-Experte und (hinter den Kulissen) ein Arzt. Gewonnen hätte jeweils die Mannschaft, die als erste eine Steckdose findet, um ihr Handy aufzuladen – und beim Sender anruft. Die Verlierer-Equipe sollte vor laufender Kamera Selbstkritik üben und jeweils das schwächste Teammitglied aussortieren.
Diese Regel hat sehr wahrscheinlich Sylvain Wiltord, 40, das Leben gerettet. Der frühere Fußballstar, der im Jahr 2000 mit Frankreichs „Blauen“ Europameister wurde, befand sich bereits wieder daheim in Paris, als er von dem tragischen Unglück erfuhr. „Ich trauere um meine Freunde, ich zittere, ich bin entsetzt“, twitterte der Kicker. Auch Alain Bernard, 31, durfte sich als Überlebender fühlen. Der mehrfach dekorierte Schwimm-Olympionike in Peking und London sollte von der „Dropped“-Crew ebenfalls am Montag ausgesetzt werden. In letzter Minute entschied man aber, Bernard solle wegen drohender Überlast der ersten beiden Hubschrauber lieber in einen dritten Helikopter steigen.
Glücklich zeigte sich ebenso Amaury Leveaux. Auch der 29-jährige Franzose ist ein ehemaliger Held des Wassers: Bei den Olympischen Spielen in Peking schwamm er mit Bernard, vier Jahre später in London war er mit Camille Muffat in einem Team. Und wie viele Ex-Hochleistungssportler verbringt auch er seine Zeit seither in der medialen Welt zwischen Sport und Spiel, meist als Kommentator beim Radiosender RMC. „Ich sollte bei ‚Dropped‘ mitmachen“, sagte Leveaux in einem Interview, „aber ich hab’s abgelehnt. Dann haben die jemand anderes gefragt.“ Camille.
„Die“, das ist die auf Abenteuer-Shows spezialisierte französische Produktionsfirma „Adventure Line Productions“ (ALP). Sie war bereits vor zwei Jahren in die Schlagzeilen geraten. Damals hatte der um den Hauptpreis von 100 000 Euro wetteifernde Kandidat Gérald Babin, 25, während der Aufnahmen zu der ALP-Überlebensshow „Koh Lanta“ einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Kurz darauf beging ein die Kandidaten betreuender Arzt Selbstmord. „Koh Lanta“ war die Vorlage für „Dropped“, und ein Geschäftsmodell. Nach einer Studie der Medienagentur Vivaki spielte „Koh Lanta“ 2014 – im ersten Jahr nach der vom Unfall erzwungenen Sendepause – bei sieben Millionen Zuschauern Werbeeinnahmen in Höhe von 12,7 Millionen Euro ein. Bei Produktionskosten von 500000 bis 600000 Euro pro Episode habe die Survival-Show dem Sender TF1 an jedem Sendeabend mindestens 600000 Euro Reingewinn beschert.
Tödliche Unglücksfälle wie diese geben aber auch einer alten moralischen Diskussion neue Nahrung: Sind Reality-Shows, in denen sich Menschen beweisen, bewähren, erniedrigen, überhaupt noch tragbar? Natürlich: Das Publikum liebt derartige Sendungen, die – wie das deutlich harmlosere RTL-„Dschungelcamp“ – trotz oder gerade wegen ihres Voyeurismus und der Präsentation von Prominenten in finanziellen Schwierigkeiten Beachtung finden. Aber auch Todesfälle, wie sie schon 1970 in Wolfgang Menges’ TV-Drama „Das Millionenspiel“ vorausgeahnt wurden, hat es immer wieder bei Sendungen dieser Art gegeben. So ertrank im Jahr 2009 ein 32 Jahre alter Kandidat einer pakistanischen „Survivor“-Show während einer Prüfung: Er sollte einen See mit sieben Kilo Zusatzballast durchschwimmen. In der bulgarischen Version von „Survivor“ war kurz zuvor ein 53 Jahre alter Kandidat nach einem Herzanfall gestorben. Als erstes Reality-Show-Opfer überhaupt gilt der 23 Jahre alte amerikanische Boxer Najai Turpin, der sich vor zehn Jahren gegen 15 andere Boxer in der NBC-Serie „The Contender“ bewähren wollte, sich dann aber während der Dreharbeiten das Leben nahm. Sein Manager erklärte, seine vertraglichen Verpflichtungen hätten Turpin in den Tod getrieben. Zwischen 2005 und 2010 begingen mindestens neun Teilnehmer von Reality-Shows in Frankreich, Schweden, Australien, Indien und den USA Selbstmord. In der Öffentlichkeit gerieten ihre Namen bald in Vergessenheit.