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"Ich verstehe die Aufregung nicht"

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Es gibt einige Aufregung um den Philosophie-Lehrstuhl an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität, den einst Martin Heidegger und Edmund Husserl innehatten. Der Freiburger Rektor Hans-Jochen Schiewer will aus der Stelle eine Juniorprofessur machen, also einen jüngeren Wissenschaftler berufen und keinen renommierten Heidegger- und Husserl-Forscher. Im Fach und in der interessierten Öffentlichkeit sehen das viele als Verrat am philosophischen Erbe. Nicht nur an dem der Freiburger Universität, sondern an dem der kontinentalen Philosophie.



Der Freiburger Rektor Hans-Jochen Schiewer will aus dem Philosophie-Lehrstuhl eine Junior-Professur schaffen - für Teile der Öffentlichkeit Verrat am Erbe Heideggers. 

SZ: Herr Schiewer, warum schätzen Sie das berühmte philosophische Erbe Husserls und Heideggers denn so gering?
Hans-Jochen Schiewer: Wir schätzen dieses Erbe überhaupt nicht gering. Wir gehen nur schlicht dazu über, auch hier eine Tenure-Professur zu etablieren. Das heißt, wir bieten einem jüngeren Forscher eine befristete Professur an, die bei entsprechender Forschungsleistung nach einer ersten Phase entfristet werden wird. Die Leistung wird bei uns von einem externen Experten-Gremium begutachtet. Der Grund für die Veränderung ist, dass wir etwas für die Planbarkeit von wissenschaftlichen Karrieren tun wollen. Das ist an unserer Universität inzwischen ein ganz normales Instrument.

Sie können die Aufregung also nicht verstehen? Immerhin unterstützen eine Online-Petition gegen Ihr Vorhaben mittlerweile mehr als 2000 Philosophen aus der ganzen Welt, darunter Jean-Luc Nancy, Judith Butler, Dieter Henrich, Rüdiger Safranski, Markus Gabriel und Ralf Konersmann, also eine stattliche Reihe bekannter Namen der deutschen und internationalen Gegenwartsphilosophie.
Nein, ich verstehe die Aufregung ganz und gar nicht. Weil wir die Professur ja auch nicht streichen, sondern mit dem Schwerpunkt Neuzeit und Moderne als Tenure-Professur wieder ausschreiben. Zudem wird sie so gut ausgestattet sein wie derzeit kaum eine andere Professur an unserem Philosophischen Seminar. Der künftige Stelleninhaber wird als Leiter einer Nachwuchsgruppe über bis zu zwei Mitarbeiterstellen und eine halbe Sekretariatsstelle verfügen können.

Sie könnten aber auch einen renommierten Husserl- und Heidegger-Forscher als herkömmlichen ordentlichen Professor berufen. Warum tun Sie das nicht? Warum sollten wir? Um das Signal zu senden, dass Freiburg weiterhin das Zentrum ist für die Philosophie, die Husserl und Heidegger weltberühmt gemacht haben.
Wir haben ja in Deutschland nun seit Jahren die Diskussion um das sogenannte akademische Prekariat, also herausragende junge Wissenschaftler, denen keine Perspektiven aufgezeigt werden. Die Tenure-Professur ist so eine Perspektive, weil sie schon in einer frühen Karrierephase den Weg zu einer Regelprofessur ebnet. Maßgeblich sind dafür die wissenschaftlichen Leistungen, die der Forscher in seiner Zeit als Juniorprofessor erbringt und die als gleichwertig zu einer Habilitation angesehen werden. Außerdem wird diese Juniorprofessur, wie gesagt, sehr gut ausgestattet sein.

Aber warum steht die Nachwuchsförderung gerade jetzt im Vordergrund?
Sie steht nicht aus heiterem Himmel im Vordergrund. Die Nachwuchsförderung ist seit Jahren eines der Grundanliegen unserer Universität. Wir wollen zunehmend mehr Stellen einrichten, auf die man früher berufen werden kann als auf die volle W-3-Regelprofessur.

Es gibt Kritiker, die sagen, dass gerade in Zeiten, in denen etwa Heidegger noch einmal neu gelesen werden muss, weil bislang unbekannte, antisemitische Notizen aufgetaucht sind, in Freiburg nicht philosophische Nachwuchsförderung, sondern Heidegger-Forschung auf höchstem Niveau stattfinden muss.
Aber warum sollte jemand, der zwischen 30 und 35 Jahren alt ist, nicht in der Lage dazu sein, auf diesem Feld exzellente Forschung zu betreiben? Wir werden den künftigen Inhaber der Juniorprofessur mit aller Sorgfalt aussuchen. Und gerade weil wir doch jetzt jemanden aus einer ganz anderen Generation berufen, verspreche ich mir ganz besonders viele gute Effekte und viele neue, auch unvoreingenommene Sichtweisen.

Die Hermeneutik und Phänomenologie, die Lehre von der Interpretation von Texten und eine an unmittelbaren Bewusstseinserfahrungen orientierte Philosophie, werden in Freiburg also gerade nicht geschwächt?
Gar nicht. Ganz im Gegenteil: Sie werden sogar gestärkt. Die Tenure-Professur wird mit der Nachwuchsgruppe ja besser ausgestattet sein als die Regelprofessur.

Sie sparen dabei natürlich auch Geld.
Nein, der aktuelle Inhaber des sogenannten Heidegger-Lehrstuhls, Günter Figal, hat nur einen einzigen Mitarbeiter.

Aber Sie könnten ja auch eine W-3-Stelle mit zwei Mitarbeitern einführen.
Das werden wir aber nicht tun. Warum soll man immer nur nach den längst Etablierten Ausschau halten, wenn auch Jüngere exzellente Forschung betreiben können?

Natürlich um mit dem Etablierten sichtbar den Forschungsschwerpunkt zu stärken. Abwegig ist der Gedanke ja nicht, einen renommierten Phänomenologie-Experten zu berufen und so klarzumachen, dass Freiburg Zentrum der Phänomenologie und Hermeneutik bleibt.
Ich brauche aber doch keinen renommierten Phänomenologie-Experten, um phänomenologische Grundlagenforschung zu gewährleisten.

Nein? Kann das jeder gleich gut?
Sehen Sie, wir bauen das Husserl-Archiv aus und haben das Bernhard-Waldenfels-Archiv eingeworben – es gibt wirklich keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die phänomenologische Forschung in Freiburg ein Schlüsselthema bleibt. Und wir haben nicht vor, auch diesen Vorwurf gab es ja, unser philosophisches Seminar zu einem Zentrum für angelsächsische analytische Philosophie zu machen.

Warum ist die Stelle dennoch nicht unmissverständlich als eine Professur für Phänomenologie und Hermeneutik ausgelegt, Logik und Sprachphilosophie soll der neue Tenure-Professor offenbar ja auch noch lehren?
Den ganz genauen Zuschnitt der Professur wird die Struktur- und Entwicklungskommission der Universität erst noch beschließen. Und wer wollte sagen, dass Logik und Sprache keine Themen der Phänomenologie und Hermeneutik sind. Fest steht bislang nur, dass es eine sehr gut ausgestattete Tenure-Professur für die Philosophie der Neuzeit und Moderne sein wird. Das war, ist und bleibt der Forschungsschwerpunkt dieser Professur.

Was halten Sie eigentlich von der Online-Petition gegen Ihre Pläne, die auch an die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer gerichtet ist? Offenbar scheinen Ihre Argumente einer großen Zahl von Kollegen überhaupt nicht einzuleuchten.
Der Initiator Markus Gabriel, der in Bonn Philosophie-Professor ist, hat nie mit mir gesprochen. Keiner, der dort unterschrieben hat, hat sich mit mir bislang unterhalten. Aus unserer Sicht ist viel mehr Gewicht hinter dieser neu konzipierten Professur, wenn ein herausragender Nachwuchswissenschaftler exzellent ausgestattet loslegen kann.

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