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25 Gäste, Tausende Polizisten

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Die Europäische Zentralbank weiht am Mittwoch offiziell ihr neues Refugium ein, jene zwei ineinander verdrehten Türme im Frankfurter Ostend. Dass EZB-Präsident Mario Draghi in Feierlaune ist, kann man wahrlich nicht behaupten. Jede Eckkneipe würde eine pompösere Einweihungsparty geben als die größte und bedeutsamste Bank des Kontinents.



Bestgeschütztes Gebäude am Main: Polizisten rüsten sich für die Demonstration von Blockupy – so wie im vergangenen November.

Gerade einmal 25 Gäste sind geladen, auch für die allermeisten Journalisten bleiben die Türen geschlossen. Ganz kleiner protokollarischer Bahnhof. Draghis Zurückhaltung hat gute Gründe: Es steht nicht besonders gut um den Euro und Europa, die Auseinandersetzungen in der Griechenland-Krise erreichen immer neue wirtschaftlich und politische Tiefpunkte.

Eine große Sause mit Musik, Perlwein und Häppchen für Banker und Staatsführer passt nicht wirklich in die Zeit. Und da sind dann noch die Kapitalismuskritiker von Blockupy, die seit Jahren eine große Demonstration zur offiziellen Eröffnung planen und die Bank an diesem Ehrentag am liebsten lahmlegen würden.

Falls Draghi glaubte, mit der Mini-Zeremonie die EZB-Skeptiker zu besänftigen, ist er enttäuscht worden. Polizei und Behörden erwarten zehntausend Demonstranten aus ganz Deutschland und etlichen anderen europäischen Ländern, von denen die meisten erfahrungsgemäß zwar laut und keck, aber grundsätzlich friedliebend sein dürften.

Aber es werden sich, das weiß man aus Erfahrung, auch Rabauken auf den Weg machen. Und sie alle werden in der Innenstadt empfangen von etlichen tausend Polizisten, zusammengezogen aus Hessen und anderen Bundesländern. Frankfurt wird spätestens von Mittwoch an eine belagerte Stadt sein, in der bestenfalls ein Großteil des öffentlichen Leben zum Stillstand kommt. Schlimmstenfalls gibt es Randale, zerbrochene Scheiben, verletzte Demonstranten und Polizisten, Provokationen auf beiden Seiten. Alles schon passiert in der Banken-Stadt.

Blockupy hat zu Protestveranstaltungen in der gesamten City aufgerufen, „Mahnwachen“ nennen sie das. Gern hätten sie auch direkt vor dem Eingang der EZB demonstriert, das aber haben die Behörden verboten, 100 Meter Abstand verordnet. Vor dem hohen Stahlzaun zum EZB-Gelände werden zusätzlich Absperrgitter mitsamt Stacheldraht installiert. Polizeibusse parken seit dem Wochenende vor der EZB und in der gesamten Innenstadt, man will für allfällige Sponti-Aktionen gewappnet sein. In den Depots stehen Wasserwerfer bereit. Die Zugänge zum EZB-Viertel, Wohn- und Arbeitsort Tausender Menschen, werden gesperrt, nur mit Personalausweis kommen die Anwohner durch.

Die Blockupy-Aktivisten zeigen sich empört über die robusten Sicherheitsvorkehrungen. Ihr Sprecher Frederic Wester sagt, die Behörden wollten den Demonstranten Angst einjagen mit dem ganzen „Bürgerkriegsarsenal“. Polizeipräsident Gerhard Bereswill, erst seit einem knappen halben Jahr im Amt, hatte angekündigt, dass die Polizei friedliche Versammlungen, darunter eine Großdemonstration auf dem Römer und einen Protestmarsch durch die Innenstadt, schützen und kreative Proteste zulassen werde, bei Straftaten aber schnell einschreiten werde.


Auf dem als besonnen und erfahren geltenden Bereswill ruhen die Hoffnungen auch der schwarz-grünen Landesregierung. Denn vor knapp eineinhalb Jahren hatte sich die Frankfurter Polizei mit einer Einkesselung von Demonstranten einer Blockupy-Aktion viel Kritik eingehandelt, auch von den Grünen, die damals allerdings noch in der Opposition waren.

Nach dem Regierungswechsel haben sich die Sicherheitsexperten von CDU und Grünen dafür starkgemacht, dass die Polizei Großeinsätze professioneller absolviert und Deeskalation übt. Der Mittwoch wird zur Nagelprobe dieses neuen Umgangs, insbesondere die Öko-Partei hofft, dass die Sicherheitskräfte die Nerven behalten.

Ein Grüner hat im Übrigen die Ehre, an der seltsamen EZB-Eröffnung teilzunehmen. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir gehört zu den wenigen Rednern, er muss Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) vertreten, der in Bundesratsangelegenheiten im Ausland weilt. Er hat dem Vernehmen nach Draghi bitten lassen, doch wenigstens den in Frankfurt ansässigen Finanz- und Wirtschaftsexperten der großen Zeitungen am Mittwoch die Türen zu öffnen. Bislang ist mit Verweis auf die Sicherheitslage nur einigen Journalisten von Nachrichtenagenturen sowie des Hessischen Rundfunks der Zutritt gestattet. An einen Erfolg der Demarche glaubt allerdings kein Mensch.

Eine offizielle Einweihung ohne fröhliche Gästeschar, dafür mit jeder Menge Blaulicht und Protestgebrüll – nicht sonderlich schön, weder für Draghi und die EZB noch für Frankfurt und die deutsche Politik. Der Präsident muss sich den Vorwurf des Duckmäusertums anhören. Im Kreis der Blockupy-Aktivisten wird die Nicht-Feier als erster Erfolg der Proteste gewertet: „Die Europäische Zentralbank reagiert auf unseren politischen Druck.“ Und in der Montagausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung konnte Draghi lesen, die Bank sei vor Randalierern zurückgewichen, sie habe nicht genügend Selbstbewusstsein, sich mit einer hochrangigen Veranstaltung den Kritikern entgegenzustellen.

Aber wer, bitte schön, wäre gern zu einer hochrangigen Veranstaltung gekommen, zu der die Gäste allenfalls mit Hilfe eines Polizeikordons gelangen oder per Hubschrauber einfliegen müssen? In der Bundesregierung gab es, wie es heißt, jedenfalls keine Enttäuschung über ausgebliebene Einladungen aus Frankfurt.

Kein Wunder, der Regierung steht alsbald eine Veranstaltung bevor, bei der es weit größere Herausforderungen an die Sicherheit geben dürfte: Anfang Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industriestaaten im bayerischen Schloss Elmau.

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