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Todesursache: Geldverbrennung

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Die Köpfe sind vernebelt. Abends vom Alkohol, tags von der Zukunft, an der sich die Besucher der „South-by-Southwest Interactive“ in Austin, Texas, berauschen. Eine Überzeugung scheint die 30000 Teilnehmer des gerade zu Ende gegangenen Digitalparts der „SXSW“ zu einen: Die nächsten Jahrzehnte sind ein wunderbares Versprechen für die Menschheit. Kein Problem scheint unlösbar, vertraut man nur auf den menschlichen Erfindungsreichtum, Gründergeist und die Kraft der Technologie.

Diese Sichtweise galt einmal als kalifornisch, doch der ebenso unerschütterliche wie unreflektierte Optimismus des Silicon Valley gewinnt überall neue Anhänger. Das liegt nicht nur am Potenzial der Technologisierung. Es hängt auch mit der Aussicht zusammen, in einer globalisierten Welt mit einem Stück Software etablierte Branchen umkrempeln und steinreich werden zu können. Was dazu führt, dass eben auch diese etablierte Branchen inzwischen ihre Vertreter nach Austin entsenden, um dies zu verhindern. McDonald’s etwa ruft Startups auf der SXSW auf, Ideen zur „Zukunft der Restaurants“ vorzustellen.


Auf dem Digital Festival SXSWin Austin, Texas, haben Gründer und Investoren die Möglichkeit, über die neuesten technologischen Entwicklungen zu reden
Diese Hoffnung auf Boom unterscheidet die Besucher der „Interactive“ von denen des gleichzeitig stattfindenden SXSW-Festivals für Musik- und Film, deren Teilnehmer noch mit den Folgen der Digitalisierung ringen. Anders das „Interactive“: Man gewinnt den Eindruck, dass hier fast jeder Idee oder Vision eine Chance eingeräumt wird. Dass viele Auftritte nur freundlich verpackte Produktpräsentationen sind, macht das Festival nicht gerade zum Hort kritischen Denkens.

Was soll man auch erwarten, wenn Investoren die Gründer von Start-ups interviewen, die sie selbst finanziert haben? Oder wenn Google-Diplomat Eric Schmidt Folkloresätze von sich gibt wie „Innovation und Gründergeist sind die Lösung für fast jedes Problem. Und natürlich das Breitbandinternet.“

Doch verdeckt die umfassende Euphorie jene Felder, in denen wirklich erstaunliche Fortschritte zu erkennen sind. Virtual Reality (VR), also die Anmutung lebensechter 3-D-Umgebungen per Helm, wird demnächst den Massenmarkt erreichen. MIT-Professor Robert Langer, ein führender Kopf der biomedizinischen Technik, skizziert auf der SXSW bereits Systeme intelligenter Medikamente, die mithilfe verträglicher Nanoteilchen wirken könnten.

Cynthias Breazeal vom MIT Media Lab beschreibt, wie Roboter mit klugen Algorithmen und der Fähigkeit zu Gesichts- und Spracherkennung von unseren Gesichtsausdrücken lernen, um sie zu imitieren. In Zukunft, so Breazeal in ihrer äußerst enthusiastisch vorgetragenen Vision, werden Roboter zu Fitness-Coaches für Erwachsene und Sprachlehrern für Kinder werden. „Wir werden neue Beziehungen erleben“, verspricht sie. Keine Nähe wie zu Menschen, aber auch keine Kälte wie zu aktuellen Maschinen werde man diesen Robotern entgegenbringen. Dass am Tag nach Breazeals Auftritt die vermutlich erste Anti-Roboter-Demonstration weltweit stattfindet, in der gut zwei Dutzend Menschen gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze durch kluge Maschinen protestieren, zeigt die Kehrseite der Utopie.

Trotz der überwiegenden Glückswallungen wirkt der Investor Bill Gurley von der Firma Benchmark Capital dann aber doch wie ein Spielverderber: „Es gibt keine Angst im Silicon Valley“, sagt er, und das versteht er nicht als Kompliment. „Wir nehmen Risiken in einer Größenordnung auf uns, die bislang unbekannt war“, behauptet er und prognostiziert, dass in diesem Jahr einige „Einhörner“ – gemeint sind Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet sind – das Zeitliche segnen werden. Todesursache: Geldverbrennung.

Dass der menschliche Tod dagegen kein Muss, sondern nur „eine Option ist“, glaubt Martine Rothblatt, die transsexuelle Chefin von United Therapeutics. Die bestbezahlte Chefin der USA und Begründerin einer Tech-Sekte glaubt an den Transhumanismus, an die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Sie träumt von digitalen Klonen und dem unendlichen Leben in der Cloud. „Identität wird unseren Körper überschreiten, das wird für die ältere Generation schwer zu verstehen sein“, prophezeit sie vor Tausenden Zuhörern.

In gewisser Weise vollendet sich in diesem Transhumanismus auch die Vision des Tech-Optimismus: Was gäbe es Gewaltigeres als eine niemals endende Zukunft?


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