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Eine schrecklich perfekte Familie

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Mal wieder einen Abend nur für mich, das wäre was. Aber ich will meinen Mann nicht alleine mit dem Kind zu Hause lassen.“ Nein, dieser Seufzer stammt nicht aus dem Jahr 1952, sondern ist erst wenige Monate alt. Die Mutter: eine selbstbewusst wirkende Frau Mitte dreißig. Das Paar: ein gleichberechtigt wirkendes Team. Das Problem: total überzogene Vorstellungen davon, wie gute Eltern heute sein sollen.



Wie viel Kind-Zentrierung ist gesund für die Mutter und welche Rolle spielt der Vater?

Dass dieses Phänomen weit verbreitet ist, beweist nun eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden, das die Vorstellungen der Deutschen zu Partnerschaft, Elternschaft und Familie untersucht hat. Befragt wurden 5000 zufällig ausgewählte Personen zwischen 20 und 39 Jahren, die 2012, 2013 und 2014 immer wieder kontaktiert wurden.

Demnach setzen sich gerade junge Erwachsene mit einer Überhöhung des Elterndaseins unter Druck: So glauben mehr als 80 Prozent der Befragten, dass man bei der Erziehung von Kindern viel falsch machen kann, und ein Viertel ist der Überzeugung, dass Eltern ihre Bedürfnisse komplett denen ihrer Kinder unterordnen sollten. Eltern, findet die Mehrheit, müssten sich gut über Erziehungsfragen aller Art informieren – das erklärt wohl die Vielfalt an Kursen, die viele Deutsche vor und nach der Schwangerschaft belegen. Zudem glaubt die Hälfte der Befragten, dass eine Familiengründung materielle Absicherung und die berufliche Etablierung der Frau voraussetzt. „Perfekte Eltern“, weniger geht nicht, so die Annahme.

„In Deutschland dominiert eine Kultur des Bedenkens, Zweifelns, Sorgens im Hinblick auf Elternschaft, obwohl der Wunsch nach einem Kind groß ist“, sagt BiB-Direktor Prof. Norbert F. Schneider. Elternsein gilt als schwer zu bewältigende Aufgabe, die viele Anforderungen mit sich bringt. Die Forschungsgruppe „Familienleitbilder“ des BiB möchte aus ihrer Arbeit Empfehlungen für die Politik ableiten und deshalb wissen: Warum scheint es für viele Menschen nicht mehr so erstrebenswert zu sein, Kinder zu bekommen? Und warum hängen manche ihren Job zugunsten der Familie an den Nagel?

Auslöser der Unsicherheiten sind offenbar nicht zuletzt die Vorstellungen von Familie, die von klein auf durch Beobachtungen entstehen – bei den Eltern, bei Bekannten, in Schule und Arbeit, oder in den Medien. Mit der Zeit erscheint das, was man sieht, als selbstverständlich. Überzeugungen wie „Bevor man heiratet, sollte man eine Weile zusammengewohnt haben“ oder „Ideal sind zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen“ tragen viele unbewusst in sich, ohne sie je zu hinterfragen.

Dr. Sabine Diabaté, die Leiterin der Forschungsreihe am BiB, hat noch eine weitere vermeintlich eherne Regel ausgemacht: „Viele denken, dass das Kindeswohl nur gewährleistet werden kann, wenn Eltern ihre Bedürfnisse zurückschrauben und das Kind in den absoluten Mittelpunkt stellen.“ Das zeige sich schon während der Schwangerschaft. „Was ist in Sachen Ernährung förderlich, auf was muss ich unbedingt verzichten? Die Menschen, sogar diejenigen, die noch gar keine Familie planen, sind aufgrund der Vielfalt an Informationen rund um den Kosmos Kind überfordert. Sie fühlen sich unter Druck gesetzt.“ Die persönlichen Vorstellungen, so die Untersuchung, sind dabei häufig liberaler als das gesellschaftliche Stimmungsbild, dem sich die Eltern dann doch unterwerfen.

Die Studie deckt noch einen weiteren Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit auf. So lehnen knapp 30 Prozent der Eltern das männliche Alleinverdienermodell ab – und leben es zu Hause doch. „Wir beobachten eine Retraditionalisierung“, so Sabine Diabaté. Tatsächlich sind mehr als drei Viertel der Befragten der Meinung, dass Mütter nachmittags zu Hause sein sollten, um Zeit für ihre Kinder zu haben. „Menschen, die bis zu der Geburt des Kindes eine gleichberechtigte Partnerschaft geführt haben, fallen danach zurück in klassische Rollen,“ sagt Diabaté. Das sei für Mütter wie Väter unbefriedigend. Zu den Ursachen zählt Diabaté auch den Mangel an Kleinkindbetreuung, widrige Bedingungen für den Wiedereinstieg von Frauen in den Job, sowie die aktuelle Familienpolitik, die immer noch auf das Alleinverdienermodell abzielt.

Die Mutter, die gern mal einen Abend für sich hätte und trotzdem nicht loslassen kann, mag auch dem Phänomen des „maternal gatekeeping“ unterliegen. Damit beschreibt man Mütter, die ihren Mann in Sachen Kind nicht als kompetent empfinden – und deshalb alles selbst machen. „Das liegt neben dem weit verbreiteten Muttermythos in der Natur der Sache: Wenn Frauen nicht arbeiten gehen, sehen sie die Familienarbeit als ihren Job an. Den wollen sie ungern hergeben, wenn der Mann abends übernehmen will“, so Diabaté. Der „neue Vater“, der Vollzeit arbeitet und gleichberechtigt miterziehen will, sollte das jedoch nicht als Einladung zum Nichtstun sehen. „ Väter müssen sich ihren Anteil eben erkämpfen. Und Mütter müssen sich fragen, wie viel Kind-Zentrierung gesund ist.“

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