Dickrandige Brille, farbloser Pulli, graue Turnschuhe. Ungestutzter Vollbart, unfrisierte Haare, ein kommodes Bäuchlein. Der Mann sieht so unauffällig aus, dass er schon wieder auffällt. In jedem Film wäre er mit so einem Auftritt eine höchst verdächtige Figur. Tatsächlich hat der Stuttgarter Robert Schwentke – 1968 in Bad Cannstatt geboren, aufgewachsen in Hedelfingen, heute wohnhaft in Los Angeles – eine drehbuchreife Biografie. Weil er aber ehrgeizig im Hintergrund bleibt und untergeht in der breiten Masse, für die er mittlerweile Filme macht, wird er nicht als der Weltstar wahrgenommen, der er eigentlich sein müsste – immerhin ist er Deutschlands derzeit erfolgreichster Regisseur in den USA.
Robert Schwentke hat schwere Zeiten in Deutschland hinter sich, ist aber in Hollywood ein gefeierter Blockbuster-Regisseur.
Schwentke ist in Berlin, um zünftig über Hollywood, sehr offen über sich und nebenbei noch über den 3-D-Blockbuster „Die Bestimmung – Insurgent“ zu sprechen, der gerade im Kino läuft. Der futuristische Science-Fiction-Film basiert auf einer Jugendbuchreihe der US-Autorin Veronica Roth, 26. Es geht um eine hübsch und doch auf Krawall gebürstete Auserwählte, die gegen Folter und Unterdrückung und Pubertät ankämpft. Der Film ist der zweite von vier Teilen.
Schwentke wird auch den dritten Teil drehen, der in einem Jahr anlaufen soll. Damit wird er 2016 wohl eine irre Marke knacken: Seine dann erst sechs Hollywood-Filme werden eine Milliarde Dollar eingespielt haben – und das, obwohl er kürzlich eines der größten Kassendesaster überhaupt fabriziert hat („R.I.P.D.“). Ein Treffen im Hotel, bei Sandwiches und Drinks.
SZ: Ich habe Ihnen schon mal ein Glas Wasser hingestellt. Natürlich mit Wahrheitsserum drin, wie in Ihrem Film.
Schwentke: Danke, aber ich bleibe beim Tee. Ich sage sowieso immer die Wahrheit.
Wenn das so ist, reden wir doch gleich mal über Geld. Wie viel hat Ihr Film gekostet?
Puh, 120? 126?
126 Millionen Dollar Budget sind viel Geld für einen Regisseur, dessen vorheriger Film zig Millionen Miese gemacht hat.
Bei „R.I.P.D.“ ist vieles schiefgelaufen. Ich glaube, dass das Studio und ich uns nie einigen konnten, was für ein Film das werden soll. Ab einem gewissen Punkt macht man dann nicht mehr, was einen reizt oder inspiriert, sondern womit alle leben können. Schade um die Lebenszeit. Aber in der Branche wird der Film zum Glück als Ausnahme wahrgenommen, alles andere hat ja gut funktioniert.
Wie Ihr Stuttgarter Kollege Roland Emmerich gelten Sie in dieser Branche als günstiger und effizienter Regisseur.
Sie meinen das alte Schwaben-Klischee? Ich glaube eher, dass es entscheidend ist, wie man mit dem Filmemachen begonnen hat. Wer schon mal mit wenig Geld kreativ viel versucht hat, arbeitet vielleicht sparsamer und schneller als jemand, der mit Werbespots angefangen hat und dabei gleich über obszön viel Geld verfügen konnte.
Wie haben Sie denn angefangen?
Ich habe eine Super-8-Kamera auf dem Speicher gefunden, da war ich vielleicht sechs oder sieben. Der Speicher war für mich damals ein ganz besonderer Ort, da gab’s die Eisenbahn von meinem älteren Bruder, die ich nicht anfassen durfte, und einen Schrank voller Comics, für die mich meine Eltern für zu jung hielten. Und eben die Kamera vom Opa. Ich habe damit meine ersten Filme gedreht, meine Freunde waren die Schauspieler.
Wann wurde daraus was Ernsthaftes?
Ich hab das lange gar nicht als Beruf wahrgenommen. Ich komme aus einer relativ akademischen Familie, und mit meinen Studienfächern – Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften – war klar, dass ich an der Uni bleibe, sonst kann man damit ja nichts machen.
Viele werden mit so einem Studium zum Journalisten.
(Lacht schallend) Genau, auch nicht schlecht. Das Lachen klang jetzt fast ein wenig fies.
(Lacht schallender) War nicht fies gemeint. Jedenfalls habe ich dann erlebt, wie Emmerich in Stuttgart Filme gemacht hat, bevor er nach Hollywood ging. Irgendwie ist damals bei mir was aufgebrochen. Ich dachte: Mensch, der macht das wirklich. Da ist mir das als Möglichkeit erst richtig bewusst geworden.
Hat Ihr akademisches Elternhaus das auch so gesehen?
Meine Mutter hat Filme geliebt, die ist als Kind stundenlang zum nächsten Ort geradelt, um dort ins Kino zu gehen. Aber als klar wurde, dass ich das beruflich machen wollte, hielt sie das für keine gute Idee. Für meine Eltern waren Filmschaffende noch eine Stufe unter den Zirkusleuten.
Sie wurden trotzdem Filmstudent.
Ich habe Regie studiert. Aber nicht an einer deutschen Filmhochschule, sondern in den USA, am American Film Institute.
Wie kam es dazu?
Mich hat damals Hollywood sehr gereizt. Ich mochte zwar die amerikanischen Filme gar nicht so gerne, aber da war zumindest noch eine Erzählwut zu spüren. Für den deutschen Film waren die 80er ja keine gute Zeit, da gab es gar nichts, nicht mal Komödien. Meine Eltern haben also herausfordernd gesagt: Gut, wenn du das machen willst, dann musst du aber auch nach Amerika gehen. Zu ihrer großen Überraschung habe ich gesagt: Ja, das mach ich.
In Amerika wurden Sie dann krank.
Im dritten Jahr bekam ich Krebs. Ich war eigentlich schon fertig mit der Ausbildung, aber an der Zeugnisvergabe konnte ich schon nicht mehr teilnehmen.
Wie haben Sie gemerkt, dass da etwas nicht stimmt?
Ich hatte Schmerzen, was sehr ungewöhnlich ist für Hodenkrebs. Deswegen wurde ich in Amerika falsch diagnostiziert. Man hat mir dort Antibiotika verschrieben, die natürlich nicht gewirkt haben. Ich bin dann nach Deutschland gekommen, um meinem Bruder beim Umzug zu helfen, und als ich was Schweres gehoben habe, ist es mir richtig reingefahren. Ich dachte, jetzt hast du dir einen Bruch gehoben. Ich habe also einen Freund angerufen, einen Schauspieler, der aber auch Gefängnisarzt war. Der hat mich angewiesen: Tut das weh, wenn du das Bein so und so hebst?
Er hat Sie übers Telefon untersucht?
Ja, ein Bruch ist das nicht, hat er gemeint. Ich sagte ihm, dass mein Hoden riesengroß ist. Da hat er mich gezwungen, ihm zu versprechen, dass ich gleich am nächsten Morgen zum Urologen gehe. Damit hat er mir das Leben gerettet. Beim Urologen war ich dann morgens der erste Patient, und abends war ich als letzter immer noch in der Praxis. Da wusste ich schon: Irgendwas ist da. Am nächsten Tag war ich im Krankenhaus. Hodenkrebs ist ja eigentlich kein Ding, aber bei mir hatte der Krebs gestreut. Ich musste sofort operiert werden. Weitere Operationen habe ich aber verweigert. Im Krankenbett dachte ich: Ich bin doch viel zu jung für diese Schnipselschneiderei. Ich war Anfang 30 und wollte noch Kinder. Also habe ich stattdessen eine Chemo gemacht, und das hat funktioniert.
Sie haben heute Kinder?
Ja. Aber die Chemo hat mir schon extrem zugesetzt. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich wieder auf den Beinen war.
Sie haben danach, noch in Deutschland, einen Film über die Therapie gemacht: „Eierdiebe“. Es ist eine Komödie geworden.
Im Krankenhaus muss man sich mit Sterblichkeit und Verfall auseinandersetzen, egal, ob man sich dafür jetzt zu jung fühlt oder nicht. Dort wird ja andauernd gestorben, da rollen sie nachts die Leute raus. Humor hat in der Situation extrem geholfen. Meine Zimmergenossen und ich haben die schlimmsten Witze gerissen, das war eine Waffe, mit der man dem Elend beikommen konnte. Beim Karneval lacht man ja auch über den Tod. Eine Komödie war für mich die natürlichste Art, mich dem Thema zu nähern. Das hatte etwas zutiefst Therapeutisches für mich.
Hatten Sie damals keine Bedenken, dass der Film zu persönlich gerät?
Überhaupt nicht. Ich spreche zwar generell nicht so gern über mich und gebe für den neuen Film jetzt auch nur in Deutschland Interviews. In Amerika habe ich überhaupt gar keine Pressearbeit gemacht. Ich würde liebend gerne in absoluter Anonymität arbeiten. Aber ich habe keine Probleme, gewisse Teile meines Lebens ganz exhibitionistisch zu zeigen.
Ihre Verwandten werden in dem Film ebenfalls porträtiert.
Deswegen sage ich immer: Eltern sollten vorsichtig sein, wie sie mit ihren Kindern umgehen. Weil die vielleicht später Autoren werden oder Filme machen.
„Eierdiebe“ war allerdings kein Erfolg. Genauso wenig „Tattoo“, der andere Film, den Sie noch in Deutschland drehten.
Stimmt. Niemand hat an meine Tür geklopft und gefragt: Was willst du als dritten Film machen? Aber „Tattoo“ lief noch lange auf Filmfestivals und hat einige Preise gewonnen. So wurde meine heutige Managerin auf mich aufmerksam. Die hat mir dann mehrere Drehbücher zugeschickt.
Ihr erster Hollywood-Film war gleich mit Jodie Foster: „Flightplan“. Lässt die sich was sagen von einem Neuling aus Europa?
Sie hat das gleich zur Sprache gebracht: Mach dir keine Sorgen, wir machen den Film, den du machen willst. Die ist super.
Bei „R.E.D. – Älter , Härter, Besser“ hatten Sie dann mit gleich mehreren Superstars zu tun: Bruce Willis, Helen Mirren, Morgan Freeman, John Malkovich. Ist das wie in Familien: Ob jetzt zwei oder vier Kinder ist auch schon egal, die laufen halt mit?
Na ja, mit dem Unterschied, dass Schauspieler keine Kinder sind, sondern gute Arbeit leisten wollen und abends auch gern pünktlich heimgehen. Und jeder ist anders, mit jedem muss man anders umgehen. Man merkt das schnell, oder man redet mit den Schauspielern direkt und fragt sie: Wie arbeitest du gerne? Magst du gerne proben, oder drehst du lieber gleich? Aber ganz wichtig: Ich liebe Schauspieler, und die merken das ganz schnell.
Es gibt Regisseure, die keine Schauspieler mögen?
Ja natürlich.
Ist Bruce Willis wirklich der komplizierteste Schauspieler in Hollywood?
Sagen wir es so: Ich glaube, es ist nach so vielen Jahren, in denen man oft und auch gerne einen spezifischen Charakter gespielt hat, keine leichte Aufgabe, noch neue Facetten herauszuarbeiten und die eigene Fantasie anzufeuern. Da ist es für den Regisseur dann schwierig, wenn einer denkt: Diese Szene habe ich doch schon 38 Mal gespielt.
Schwierig, weil der Schauspieler diese eine Rolle satt hat? Oder schwierig, weil er besser zu wissen glaubt als der Regisseur, wie man diese eine Szene nun spielt?
Oder vielleicht beides.
Sie leben in Los Angeles. Haben Sie viel zu tun mit den anderen Deutschen, die dort arbeiten?
Eigentlich nicht. So eine deutsche Connection wie einst bei Feuchtwanger, wo dann die Manns und Brecht zum Tee gekommen sind, die hat sich hier nicht entwickelt.
Zumindest drehen Sie immer mit Florian Ballhaus, dem Sohn von Kameramann Michael Ballhaus. Einer der wenigen großen deutschen Namen in Hollywood.
Aber nur wegen seines Namens würde Florian dort auch keinen Job kriegen.
Während Sie trotz Ihres Namens Jobs bekommen.
Ja, Schwentke kann dort wirklich kein Schwein aussprechen.
Robert Schwentke hat schwere Zeiten in Deutschland hinter sich, ist aber in Hollywood ein gefeierter Blockbuster-Regisseur.
Schwentke ist in Berlin, um zünftig über Hollywood, sehr offen über sich und nebenbei noch über den 3-D-Blockbuster „Die Bestimmung – Insurgent“ zu sprechen, der gerade im Kino läuft. Der futuristische Science-Fiction-Film basiert auf einer Jugendbuchreihe der US-Autorin Veronica Roth, 26. Es geht um eine hübsch und doch auf Krawall gebürstete Auserwählte, die gegen Folter und Unterdrückung und Pubertät ankämpft. Der Film ist der zweite von vier Teilen.
Schwentke wird auch den dritten Teil drehen, der in einem Jahr anlaufen soll. Damit wird er 2016 wohl eine irre Marke knacken: Seine dann erst sechs Hollywood-Filme werden eine Milliarde Dollar eingespielt haben – und das, obwohl er kürzlich eines der größten Kassendesaster überhaupt fabriziert hat („R.I.P.D.“). Ein Treffen im Hotel, bei Sandwiches und Drinks.
SZ: Ich habe Ihnen schon mal ein Glas Wasser hingestellt. Natürlich mit Wahrheitsserum drin, wie in Ihrem Film.
Schwentke: Danke, aber ich bleibe beim Tee. Ich sage sowieso immer die Wahrheit.
Wenn das so ist, reden wir doch gleich mal über Geld. Wie viel hat Ihr Film gekostet?
Puh, 120? 126?
126 Millionen Dollar Budget sind viel Geld für einen Regisseur, dessen vorheriger Film zig Millionen Miese gemacht hat.
Bei „R.I.P.D.“ ist vieles schiefgelaufen. Ich glaube, dass das Studio und ich uns nie einigen konnten, was für ein Film das werden soll. Ab einem gewissen Punkt macht man dann nicht mehr, was einen reizt oder inspiriert, sondern womit alle leben können. Schade um die Lebenszeit. Aber in der Branche wird der Film zum Glück als Ausnahme wahrgenommen, alles andere hat ja gut funktioniert.
Wie Ihr Stuttgarter Kollege Roland Emmerich gelten Sie in dieser Branche als günstiger und effizienter Regisseur.
Sie meinen das alte Schwaben-Klischee? Ich glaube eher, dass es entscheidend ist, wie man mit dem Filmemachen begonnen hat. Wer schon mal mit wenig Geld kreativ viel versucht hat, arbeitet vielleicht sparsamer und schneller als jemand, der mit Werbespots angefangen hat und dabei gleich über obszön viel Geld verfügen konnte.
Wie haben Sie denn angefangen?
Ich habe eine Super-8-Kamera auf dem Speicher gefunden, da war ich vielleicht sechs oder sieben. Der Speicher war für mich damals ein ganz besonderer Ort, da gab’s die Eisenbahn von meinem älteren Bruder, die ich nicht anfassen durfte, und einen Schrank voller Comics, für die mich meine Eltern für zu jung hielten. Und eben die Kamera vom Opa. Ich habe damit meine ersten Filme gedreht, meine Freunde waren die Schauspieler.
Wann wurde daraus was Ernsthaftes?
Ich hab das lange gar nicht als Beruf wahrgenommen. Ich komme aus einer relativ akademischen Familie, und mit meinen Studienfächern – Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften – war klar, dass ich an der Uni bleibe, sonst kann man damit ja nichts machen.
Viele werden mit so einem Studium zum Journalisten.
(Lacht schallend) Genau, auch nicht schlecht. Das Lachen klang jetzt fast ein wenig fies.
(Lacht schallender) War nicht fies gemeint. Jedenfalls habe ich dann erlebt, wie Emmerich in Stuttgart Filme gemacht hat, bevor er nach Hollywood ging. Irgendwie ist damals bei mir was aufgebrochen. Ich dachte: Mensch, der macht das wirklich. Da ist mir das als Möglichkeit erst richtig bewusst geworden.
Hat Ihr akademisches Elternhaus das auch so gesehen?
Meine Mutter hat Filme geliebt, die ist als Kind stundenlang zum nächsten Ort geradelt, um dort ins Kino zu gehen. Aber als klar wurde, dass ich das beruflich machen wollte, hielt sie das für keine gute Idee. Für meine Eltern waren Filmschaffende noch eine Stufe unter den Zirkusleuten.
Sie wurden trotzdem Filmstudent.
Ich habe Regie studiert. Aber nicht an einer deutschen Filmhochschule, sondern in den USA, am American Film Institute.
Wie kam es dazu?
Mich hat damals Hollywood sehr gereizt. Ich mochte zwar die amerikanischen Filme gar nicht so gerne, aber da war zumindest noch eine Erzählwut zu spüren. Für den deutschen Film waren die 80er ja keine gute Zeit, da gab es gar nichts, nicht mal Komödien. Meine Eltern haben also herausfordernd gesagt: Gut, wenn du das machen willst, dann musst du aber auch nach Amerika gehen. Zu ihrer großen Überraschung habe ich gesagt: Ja, das mach ich.
In Amerika wurden Sie dann krank.
Im dritten Jahr bekam ich Krebs. Ich war eigentlich schon fertig mit der Ausbildung, aber an der Zeugnisvergabe konnte ich schon nicht mehr teilnehmen.
Wie haben Sie gemerkt, dass da etwas nicht stimmt?
Ich hatte Schmerzen, was sehr ungewöhnlich ist für Hodenkrebs. Deswegen wurde ich in Amerika falsch diagnostiziert. Man hat mir dort Antibiotika verschrieben, die natürlich nicht gewirkt haben. Ich bin dann nach Deutschland gekommen, um meinem Bruder beim Umzug zu helfen, und als ich was Schweres gehoben habe, ist es mir richtig reingefahren. Ich dachte, jetzt hast du dir einen Bruch gehoben. Ich habe also einen Freund angerufen, einen Schauspieler, der aber auch Gefängnisarzt war. Der hat mich angewiesen: Tut das weh, wenn du das Bein so und so hebst?
Er hat Sie übers Telefon untersucht?
Ja, ein Bruch ist das nicht, hat er gemeint. Ich sagte ihm, dass mein Hoden riesengroß ist. Da hat er mich gezwungen, ihm zu versprechen, dass ich gleich am nächsten Morgen zum Urologen gehe. Damit hat er mir das Leben gerettet. Beim Urologen war ich dann morgens der erste Patient, und abends war ich als letzter immer noch in der Praxis. Da wusste ich schon: Irgendwas ist da. Am nächsten Tag war ich im Krankenhaus. Hodenkrebs ist ja eigentlich kein Ding, aber bei mir hatte der Krebs gestreut. Ich musste sofort operiert werden. Weitere Operationen habe ich aber verweigert. Im Krankenbett dachte ich: Ich bin doch viel zu jung für diese Schnipselschneiderei. Ich war Anfang 30 und wollte noch Kinder. Also habe ich stattdessen eine Chemo gemacht, und das hat funktioniert.
Sie haben heute Kinder?
Ja. Aber die Chemo hat mir schon extrem zugesetzt. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich wieder auf den Beinen war.
Sie haben danach, noch in Deutschland, einen Film über die Therapie gemacht: „Eierdiebe“. Es ist eine Komödie geworden.
Im Krankenhaus muss man sich mit Sterblichkeit und Verfall auseinandersetzen, egal, ob man sich dafür jetzt zu jung fühlt oder nicht. Dort wird ja andauernd gestorben, da rollen sie nachts die Leute raus. Humor hat in der Situation extrem geholfen. Meine Zimmergenossen und ich haben die schlimmsten Witze gerissen, das war eine Waffe, mit der man dem Elend beikommen konnte. Beim Karneval lacht man ja auch über den Tod. Eine Komödie war für mich die natürlichste Art, mich dem Thema zu nähern. Das hatte etwas zutiefst Therapeutisches für mich.
Hatten Sie damals keine Bedenken, dass der Film zu persönlich gerät?
Überhaupt nicht. Ich spreche zwar generell nicht so gern über mich und gebe für den neuen Film jetzt auch nur in Deutschland Interviews. In Amerika habe ich überhaupt gar keine Pressearbeit gemacht. Ich würde liebend gerne in absoluter Anonymität arbeiten. Aber ich habe keine Probleme, gewisse Teile meines Lebens ganz exhibitionistisch zu zeigen.
Ihre Verwandten werden in dem Film ebenfalls porträtiert.
Deswegen sage ich immer: Eltern sollten vorsichtig sein, wie sie mit ihren Kindern umgehen. Weil die vielleicht später Autoren werden oder Filme machen.
„Eierdiebe“ war allerdings kein Erfolg. Genauso wenig „Tattoo“, der andere Film, den Sie noch in Deutschland drehten.
Stimmt. Niemand hat an meine Tür geklopft und gefragt: Was willst du als dritten Film machen? Aber „Tattoo“ lief noch lange auf Filmfestivals und hat einige Preise gewonnen. So wurde meine heutige Managerin auf mich aufmerksam. Die hat mir dann mehrere Drehbücher zugeschickt.
Ihr erster Hollywood-Film war gleich mit Jodie Foster: „Flightplan“. Lässt die sich was sagen von einem Neuling aus Europa?
Sie hat das gleich zur Sprache gebracht: Mach dir keine Sorgen, wir machen den Film, den du machen willst. Die ist super.
Bei „R.E.D. – Älter , Härter, Besser“ hatten Sie dann mit gleich mehreren Superstars zu tun: Bruce Willis, Helen Mirren, Morgan Freeman, John Malkovich. Ist das wie in Familien: Ob jetzt zwei oder vier Kinder ist auch schon egal, die laufen halt mit?
Na ja, mit dem Unterschied, dass Schauspieler keine Kinder sind, sondern gute Arbeit leisten wollen und abends auch gern pünktlich heimgehen. Und jeder ist anders, mit jedem muss man anders umgehen. Man merkt das schnell, oder man redet mit den Schauspielern direkt und fragt sie: Wie arbeitest du gerne? Magst du gerne proben, oder drehst du lieber gleich? Aber ganz wichtig: Ich liebe Schauspieler, und die merken das ganz schnell.
Es gibt Regisseure, die keine Schauspieler mögen?
Ja natürlich.
Ist Bruce Willis wirklich der komplizierteste Schauspieler in Hollywood?
Sagen wir es so: Ich glaube, es ist nach so vielen Jahren, in denen man oft und auch gerne einen spezifischen Charakter gespielt hat, keine leichte Aufgabe, noch neue Facetten herauszuarbeiten und die eigene Fantasie anzufeuern. Da ist es für den Regisseur dann schwierig, wenn einer denkt: Diese Szene habe ich doch schon 38 Mal gespielt.
Schwierig, weil der Schauspieler diese eine Rolle satt hat? Oder schwierig, weil er besser zu wissen glaubt als der Regisseur, wie man diese eine Szene nun spielt?
Oder vielleicht beides.
Sie leben in Los Angeles. Haben Sie viel zu tun mit den anderen Deutschen, die dort arbeiten?
Eigentlich nicht. So eine deutsche Connection wie einst bei Feuchtwanger, wo dann die Manns und Brecht zum Tee gekommen sind, die hat sich hier nicht entwickelt.
Zumindest drehen Sie immer mit Florian Ballhaus, dem Sohn von Kameramann Michael Ballhaus. Einer der wenigen großen deutschen Namen in Hollywood.
Aber nur wegen seines Namens würde Florian dort auch keinen Job kriegen.
Während Sie trotz Ihres Namens Jobs bekommen.
Ja, Schwentke kann dort wirklich kein Schwein aussprechen.