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Am Rande einer Ohnmacht

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Just in dem Moment, als alles darauf hindeutet, dass das Land auf dem richtigen Weg ist, kommt es in Italien zur Führungskrise

Dreizehn lange Monate sind mittlerweile vergangen, doch den Italienern ist das unangenehme Gefühl von damals noch bestens vertraut. Die Akteure an den Finanzmärkten nahmen an diesem Montag ihre Arbeit wieder auf, und im Land mit dem viertgrößten Schuldenberg der Welt schaute man wie im Krisenjahr 2011 angstvoll auf die Zahlenlawine von Zinsen, Kursen und Preisen. Und wie damals ist es die Zinsdifferenz zwischen italienischen Staatstiteln und deutschen Bundesanleihen, die jetzt alle wieder nervös macht.



Schon aus der Tür: Macht Monti Platz für Berlusconi und die Staatsverschuldung?

Am Freitagabend lag der sogenannte Spread noch bei 3,25 Prozentpunkten. Am Montagmorgen stieg die Fieberkurve, die das Misstrauen in Italiens Zahlungsfähigkeit misst, dann stetig an. Am Mittag musste das Euro-Land schon 3,6 Prozentpunkte mehr Zinsen auf seine zehnjährigen Schuldverschreibungen zahlen als der deutsche Staat. Die Antwort der Anleger auf die Rücktrittsankündigung von Übergangspremier Mario Monti war also sehr deutlich.

Just eine Woche zuvor sah die Welt noch anders aus. Da war der Risikoaufschlag unter die psychologische Marke von 300 Punkten gerutscht. In Rom hatte man schnell errechnet, dass der Rückgang den gebeutelten Steuerzahlern eine Ersparnis von 50 Milliarden Euro in drei Jahren einbringen würde. Pro Kopf immerhin 2700 Euro. Monti jubelte und strebte nach Höherem: 'Mein Ziel sind 287 Punkte'. Das sei exakt die Hälfte des Werts, den er bei seinem Amtsantritt am 16. November 2011 vorgefunden habe. Damals taumelte Italien am Rand des Staatsbankrotts. Nun herrscht nach der Rücktrittsankündigung Montis am Finanzmarkt Ungläubigkeit. 'Alle hatten an einen definitiven Abgang Berlusconis aus der Politik geglaubt', sagte ein Händler zu Reuters. Die Prognosen erfüllten sich aber nicht. Es gab ein böses Erwachen.

Schlagartig wurde den Europäern wieder das spezifische Gewicht Italiens in der Eurozone vor Augen geführt. Es sah aus, als hätte man verdrängt, dass die Zeit des römischen Interimspremiers ohnehin fast abgelaufen ist und Neuwahlen vor der Tür stehen. Der Urnengang war für März geplant. Nun wird der Überraschungscoup den Wahlkampf um einen Monat verkürzen. Das heißt: Vier Wochen weniger Ungewissheit. Das könne sich durchaus auch positiv für die Marktstabilität auswirken.

Und alle fragen sich jetzt wieder, welches Risiko geht von Italien aus? 2011 war das Mittelmeerland mit seinen knapp 2000 Milliarden Euro Staatsschulden die gefährlichste Sprengladung für den Euro. Monti hat sie rasch und zuverlässig entschärft.

Die Credit Suisse erklärt die negative Reaktion der Finanzmärkte vor allem damit, dass die Unsicherheit gestiegen sei. Die Volkswirte des Schweizer Bankkonzerns halten das Risiko dabei allerdings für überschaubar. Es werde begrenzt durch die Umfrageergebnisse, die der sozialdemokratischen PD einen Wahlsieg voraussagen und eine Fortführung der Konsolidierungspolitik erwarten lassen. Außerdem könnte eine aktive Rolle Montis in der Politik das zersplitterte Zentrum stärken. 'Darin liegt sogar eine Chance, auf die Italien lange gewartet hat', heißt es bei der Bank.

Ihre wirtschaftspolitischen Erfolge errang die Notregierung Montis zu Beginn ihrer Amtszeit. In den ersten Wochen genoss der Professor uneingeschränkte Unterstützung seiner 'seltsamen' Koalition, wie Monti seine bizarre Gefolgschaft im Parlament nannte. Man verabschiedete in Rom eine Rentenreform, die das Adjektiv epochal verdient. Sie gilt in ganz Europa als vorbildlich. Auch die ersten drastischen Steuererhöhungen riefen kaum Reaktionen hervor. Sie sollen bis 2013 den ausgeglichenen Haushalt garantieren. Italiens Parteien standen unter Schock. Sie litten still, verabschiedeten aber diszipliniert die Gesetzesvorlagen der Regierung.

Die Disziplin währte nicht lange. Als das Schlimmste an den Finanzmärkten vorbei war, wünschte man eine 'Rückkehr der Politik'. Nur noch murrend ließ das Parlament die Regierungsentwürfe passieren. Monti wurden die Zügel angelegt. In den Ausschüssen von Abgeordnetenhaus und Senat wurde eifrig zurechtgestutzt, entschärft und zuweilen sogar entkernt. Die Liberalisierungen höhlte man nach und nach aus. Wichtige Marktöffnungen, die für mehr Wettbewerb gesorgt hätten, strandeten.

Besonders krass offenbarte sich die Ohnmacht der Regierung bei der Verabschiedung eines Anti-Korruptionsgesetzes. Berlusconi verhinderte, dass Bilanzfälschung zum Straftatbestand wurde. Die Ursachen der Korruption konnte Monti nicht einmal streifen, und so wurde eine Chance vertan, ein entscheidendes Wachstumshemmnis aus dem Weg zu räumen. Auch die wichtige Arbeitsmarktreform verließ das Parlament arg gerupft. Gescheitert ist nun wohl auch der neuerliche Anlauf, durch eine Begrenzung der Provinzen den aufgeblähten Staatsapparat zu verkleinern. Die übrig gebliebene Minimalreform der Regierung, die Einsparungen in Höhe von 500 Millionen Euro gebracht hätte, verfällt am 5. Januar.

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