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Ein Kuss für den Belgier

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Die Staats- und Regierungschefs der EU erteilen Ratspräsident Van Rompuy diskrete Ratschläge. Ansonsten wurde auf dem letzten Gipfel des Jahres nicht viel entschieden, die geplanten Reformen sind bis 2013 verschoben worden.

Brüssel - Aus. Vorbei. Kein Gipfel mehr 2012. Bundeskanzlerin Angela Merkel wünschte am Freitagmittag vorsorglich einen guten Rutsch ins neue Jahr, bevor sie zügig aus dem Brüsseler Ratsgebäude rauschte. Ein paar Minuten später verschwand Frankreichs Staatspräsident Francois Holland, und Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte es besonders eilig - sein Sohn heiratete an diesem Freitag, die Familie wartete auf ihn.



EU-Kommissions-Präsident Barroso mit Herman Van Rompuy

Womöglich wollte er auch deshalb weg, weil er gerade den zweiten Gipfel in Folge hinter sich gebracht hatte, der - vorsichtig gesagt - anders verlaufen war als geplant. Ende November hatte der politisch erfahrene Belgier erleben müssen, dass seine sorgfältig ausgetüftelte Choreografie, um 27 Staats- und Regierungschefs in schwierigen Zeiten auf den großen Haushalt der Jahre 2014 bis 2020 einzuschwören, regelrecht in sich zusammenfiel. Und das als großer Reformgipfel gedachte Dezember-Treffen konnte er nur retten, weil er kurz vor dessen Beginn den ursprünglich ambitionierten Plan zum Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion einer veränderten Stimmung unter den 27 Ländern anpasste - und kurzerhand zu einem Arbeitspapier umschreiben ließ.

Es war ein ungewöhnlicher Vorgang, aber er passte ins Bild dieses letzten Gipfels des Jahres 2012, auf dem sich alle irgendwie wohlfühlen wollten. Spanische Diplomaten sagten, dass sie mit Van Rompuy hochzufrieden seien. Er habe 'die spanischen Positionen voll übernommen'. Aber das sagen die Spanier recht häufig. Selbst dann, wenn es nicht stimmt. Der heimliche Protagonist des Treffens, der Italiener Mario Monti, attestierte Van Rompuy, das Beste aus einer verfahrenen Situation gemacht zu haben. Van Rompuy habe 'großen Gestaltungswillen, Geduld und Zähigkeit bei der Suche nach eine tragfähigen Kompromiss' bewiesen, der im Vorfeld alles andere als festgestanden habe. Ihm sei es zu verdanken, dass Ende des Jahres noch einmal bewiesen werden konnte: 'Die EU kann liefern'. Und selbst der britische Premier David Cameron hatte einen guten Tag erwischt - obwohl er in der Nacht zuvor eher Zaungast war, als die Chefs der Euro-Zone über die Zukunft der Währungsunion diskutierten. 'Niemand sollte den Willen der Euro-Länder unterschätzen, ihre Währung zu verteidigen', sagte der Brite. Und auch wenn Großbritannien nicht in der Euro-Zone sei, so stehe sein Land doch 'im Zentrum eines Europas, zu dem der Binnenmarkt und Außenpolitik gehören'.

Auch Merkel sagte am Ende, sie sei mit dem Gipfel zufrieden - was bei ihr praktisch immer so ist. Europa habe einen Schritt gemacht. Der Weg für 2013 sei klar. Bis Juni müsse Van Rompuy einen 'Fahrplan mit Terminen' vorlegen, wie die Euro-Länder enger wirtschaftlich kooperieren könnten. Und sich 'eng mit den Mitgliedsstaaten abstimmen', fügte sie hinzu. Diplomaten erzählten später, die Chefs hätten auf dem Gipfel auch über die Arbeitsmethoden Van Rompuys gesprochen. Man sei ein bisschen enttäuscht. Van Rompuy habe 'einen guten Vortrag in Oslo gehalten', sagten sie. Aber der Gipfelvorbereitung mochten sie 'keine Noten geben'. Dafür bekam der Belgier ein paar Ratschläge. Im Gipfelbeschluss ist nachzulesen, der Ratspräsident solle seinen neuen Fahrplan erst 'nach Konsultationen mit dem Mitgliedsstaaten' vorlegen - und nur einige genau eingrenzte Bereiche in der Wirtschaftspolitik betrachten. Die Länder haben ihren Präsidenten an die Leine genommen.

Dem konservativen Belgier hat das spürbar zugesetzt. Es ist kurz nach eins am Freitag, als der zyprische Präsident Giorgos Christofias sich ihm nähert und ihm durch Gesten - Englisch spricht er ja nicht - zu verstehen gibt, dass er ihn gerne küssen würde. Der hagere Van Rompuy beugt sich zu dem gedrungenen Zyprer hinunter. Ungelenk und peinlich berührt. Dann bearbeitet der Zyprer noch die Wangen des Kommissionschefs José Manuel Barroso: Der Gipfel ist vorbei. Zuvor hatte sich Van Rompuy selbst noch ein bisschen Mut gemacht, der Gipfel sei ein krönender Abschluss eines Jahres, in dem die EU sehr viele Felder beackert habe. Barroso hatte dazu genickt. Zwanzig Minuten lang standen der Belgier, der Portugiese und der Zyprer noch gemeinsam vor der Presse. Und dabei wirkten sie so, als hätten sie nichts anderes im Kopf, als endlich unter den grauen Dezemberhimmel zu flüchten. Barroso sieht gar so aus, als würde er beten, Van Rompuy möge seinen emotionslosen Vortrag beenden. Alle waren mit ihrer Kraft am Ende.

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