Ein russischer Pensionär versteht es als seine patriotische Pflicht, einen Buchstaben im kyrillischen Alphabet zu retten.
München - Sprache ist ein Träger nationaler Identität. Das ist bekannt. Dass ein regelrechter Kult um einen einzelnen Buchstaben gepflegt wird, ist allerdings eher selten. Eine Gruppe russischer Sprachpfleger hat sich zur Aufgabe gemacht, das 'Jo' vor dem Aussterben zu retten. Ignoranten würden sagen, es gehe nur um zwei Punkte. Doch in den Augen der 'Jofikatoren' - der Verteidiger des 'Jo' - geht es um das Wohl der Kulturnation. Zwei Punkte auf dem 'E' machen im kyrillischen Alphabet das 'Je' zum 'Jo', so wie im Deutschen das 'A' zum 'Ä' wird. Der Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow hieße streng genommen 'Gorbatschew', würde man die Punkte weglassen. Doch genau das tun viele Russen im Alltag, weil ohnehin jeder Muttersprachler weiß, wann das eine odere andere gesprochen wird.
Moskauer Harry-Potter-Fans vor Werbung in kyrillischer Schrift
Eine Nachlässigkeit, die Wiktor Tschumakow nicht duldet. Seit Jahren kämpft der pensionierte Ingenieur an der Spitze der Jofikatoren. Sogar ein Buch hat er veröffentlicht: 'Der Gebrauch des Buchstabens Jo'. Zeitungsredakteure und Unternehmen bekommen Post von ihm, wenn sie die Punkte vergessen. In einem Ordner hat er Verpackungen und Etiketten gesammelt, die auf seine Ermahnung hin korrigiert wurden. In einem Video auf der Internetseite der Bewegung singen Fans dem 80-Jährigen als Ständchen ein Loblied des 'Jo'. Computerspezialisten haben Programme entwickelt, die die Punkte in Texten nachtragen. Das 'Jo' als Ausdruck von Nationalstolz ziert auch das erste russische Auto mit Hybridantrieb, das ab kommendem Jahr produziert werden soll. Es heißt nicht 'E-Mobil', sondern 'Jo-Mobil'.
Der Kult um das 'Jo' klingt für russische Ohren allerdings auch etwas schlüpfrigen, zumal der Laut in den schlimmsten Mutterflüchen eine tragende Rolle spielt - das russische F-Wort ist ein Jo-Wort.
Für Tschumakow rührt das Thema dagegen an den Kern dessen, was falsch läuft in Russland: 'Nach Stalins Tod gab es einen Niedergang der Disziplin', sagte er jetzt einem Reporter des Wall Street Journal, 'Die russische Nachlässigkeit und Schlamperei hat überhand genommen.' Doch es gibt Grund zur Hoffnung: Im September bekannte sich Russlands Minister für Bildung und Wissenschaft, Wiktor Liwanow, zum 'Jo' und erwog, die beiden Punkte notfalls per Gesetz wieder an den ihnen zustehenden Platz zu bringen: 'Wir sollten dieses Problem unbedingt angehen. Millionen leiden darunter', sagte er.
Die Wissenschaftler vom Institut für Russische Sprache sehen das gelassener. Die Punkte seien optional und hätten nur den Zweck, Klarheit zu schaffen, wo ein Wort sonst eine andere Bedeutung bekäme, sagten sie. Doch Tschumakow wittert eine Verschwörung und legt nahe, der amerikanische Geheimdienst CIA habe das staatliche Institut unterwandert. Schließlich sei das Alphabet ein Instrument, um Ordnung herzustellen: 'Wenn es nicht geachtet wird, fällt alles auseinander.' Dem Wall Street Journal erklärte ein CIA-Sprecher per Email: 'An diesem Vorwurf ist nichts wahr. Unsere Behörde unterstützt den Gebrauch korrekter Grammatik und Aussprache in jeder Sprache.' Ein Dementi, dass Verschwörungstheoretiker aufhorchen lassen sollte.
München - Sprache ist ein Träger nationaler Identität. Das ist bekannt. Dass ein regelrechter Kult um einen einzelnen Buchstaben gepflegt wird, ist allerdings eher selten. Eine Gruppe russischer Sprachpfleger hat sich zur Aufgabe gemacht, das 'Jo' vor dem Aussterben zu retten. Ignoranten würden sagen, es gehe nur um zwei Punkte. Doch in den Augen der 'Jofikatoren' - der Verteidiger des 'Jo' - geht es um das Wohl der Kulturnation. Zwei Punkte auf dem 'E' machen im kyrillischen Alphabet das 'Je' zum 'Jo', so wie im Deutschen das 'A' zum 'Ä' wird. Der Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow hieße streng genommen 'Gorbatschew', würde man die Punkte weglassen. Doch genau das tun viele Russen im Alltag, weil ohnehin jeder Muttersprachler weiß, wann das eine odere andere gesprochen wird.
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Eine Nachlässigkeit, die Wiktor Tschumakow nicht duldet. Seit Jahren kämpft der pensionierte Ingenieur an der Spitze der Jofikatoren. Sogar ein Buch hat er veröffentlicht: 'Der Gebrauch des Buchstabens Jo'. Zeitungsredakteure und Unternehmen bekommen Post von ihm, wenn sie die Punkte vergessen. In einem Ordner hat er Verpackungen und Etiketten gesammelt, die auf seine Ermahnung hin korrigiert wurden. In einem Video auf der Internetseite der Bewegung singen Fans dem 80-Jährigen als Ständchen ein Loblied des 'Jo'. Computerspezialisten haben Programme entwickelt, die die Punkte in Texten nachtragen. Das 'Jo' als Ausdruck von Nationalstolz ziert auch das erste russische Auto mit Hybridantrieb, das ab kommendem Jahr produziert werden soll. Es heißt nicht 'E-Mobil', sondern 'Jo-Mobil'.
Der Kult um das 'Jo' klingt für russische Ohren allerdings auch etwas schlüpfrigen, zumal der Laut in den schlimmsten Mutterflüchen eine tragende Rolle spielt - das russische F-Wort ist ein Jo-Wort.
Für Tschumakow rührt das Thema dagegen an den Kern dessen, was falsch läuft in Russland: 'Nach Stalins Tod gab es einen Niedergang der Disziplin', sagte er jetzt einem Reporter des Wall Street Journal, 'Die russische Nachlässigkeit und Schlamperei hat überhand genommen.' Doch es gibt Grund zur Hoffnung: Im September bekannte sich Russlands Minister für Bildung und Wissenschaft, Wiktor Liwanow, zum 'Jo' und erwog, die beiden Punkte notfalls per Gesetz wieder an den ihnen zustehenden Platz zu bringen: 'Wir sollten dieses Problem unbedingt angehen. Millionen leiden darunter', sagte er.
Die Wissenschaftler vom Institut für Russische Sprache sehen das gelassener. Die Punkte seien optional und hätten nur den Zweck, Klarheit zu schaffen, wo ein Wort sonst eine andere Bedeutung bekäme, sagten sie. Doch Tschumakow wittert eine Verschwörung und legt nahe, der amerikanische Geheimdienst CIA habe das staatliche Institut unterwandert. Schließlich sei das Alphabet ein Instrument, um Ordnung herzustellen: 'Wenn es nicht geachtet wird, fällt alles auseinander.' Dem Wall Street Journal erklärte ein CIA-Sprecher per Email: 'An diesem Vorwurf ist nichts wahr. Unsere Behörde unterstützt den Gebrauch korrekter Grammatik und Aussprache in jeder Sprache.' Ein Dementi, dass Verschwörungstheoretiker aufhorchen lassen sollte.