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Geheimakte Mundlos

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Militärischer Abschirmdienst verschwieg, dass er den späteren Terroristen anwerben wollte.

Als Uwe Mundlos 1994 nach Bad Frankenhausen kam, um seinen Wehrdienst abzuleisten, war er bereits auf einem ideologischen Pfad. Als Jugendlicher hatte er begonnen, Musik von Neonazi-Bands zu hören, beispielsweise von einer Gruppe mit dem Namen 'Rabauken'. In der DDR war ihm die Mitgliedschaft in der FDJ nur ein 'notwendiges Übel' gewesen, erzählte er im März 1995 den Beamten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Der MAD war auf Mundlos und fünf seiner Kameraden aufmerksam geworden, weil sie 'Skin-Musik' gehört und auch sonst ein 'rechtsextremistisches Verhalten' an den Tag gelegt hätten. Zu den Aufgaben des MAD gehört es, die Bundeswehr vor Extremisten zu schützen.



Uwe Mundlos (hier auf einem Fahndungsbild der Ostthüringer Zeitung aus dem Jahr 1998) sollte anscheinend als V-Mann angeworben werden.

Der MAD führt selbst Informanten; und der intelligent wirkende Uwe Mundlos erschien den Nachrichtendienstlern offenbar ebenfalls geeignet, um als V-Mann Geheimnisse der Neonazi-Szene an die Behörden zu verraten. Mundlos wirkte damals noch nicht so, als sei er schon hoffnungslos versunken im braunen Sumpf. Vermutlich war er auch schlau genug, seine Aussagen gegenüber den Männern, die ihn 1995 befragten, etwas zu mäßigen. Die Musik, die er höre, werte er nach eigenem Bekunden nicht als 'ausländerfeindlich', protokollierten die MAD-Leute, sondern als 'Provokation gegenüber dem Staat'. Kontakte zu Parteien habe er nicht, die NPD soll Mundlos als 'Aso-Partei', also als Partei von Asozialen bezeichnet haben. Er könne sich nicht mit den Zielen und der Ideologie der NPD identifizieren.

Mundlos, der sich dann später in der Neonazi-Kameradschaft 'Thüringer Heimatschutz' zum Bombenbauer und nach seinem Untertauchen 1998 zum Terroristen entwickelte, behauptete noch 1995 laut MAD-Akte: 'Er sei politisch unmotiviert und nicht an einer Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Partei/Organisation interessiert.' In der Ausländer- und Asylpolitik seien ihm diese 'zu radikal'. Asylbewerber, die sich in Deutschland nur ein schönes Leben machen wollten, solle man sofort ausweisen, soll Mundlos gesagt haben. Doch gegen diejenigen, die hierzulande Schutz suchten, habe er nichts. Und dann sagte Mundlos laut MAD-Bericht noch, er wolle die Gewalttaten der Nationalsozialisten keinesfalls verharmlosen. Damals seien die Soldaten für eine unrechte Sache missbraucht worden, und sie hätten keine andere Wahl gehabt.

Das war der Moment, an dem die Männer vom MAD nun ihrerseits Mundlos vor eine Wahl stellten: 'Zu diesem Zeitpunkt', so heißt es in der Akte, 'wurde Mundlos, Uwe gefragt, ob er sich vorstellen könne, ihm bekannt gewordene Termine für Anschläge auf Asylantenheime der Polizei oder den Verfassungsschutzbehörden zu melden.' Das Ergebnis: 'Diese Frage wurde verneint. Er selbst würde zwar an solchen Aktionen nicht teilnehmen, könne sich jedoch nicht vorstellen, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren.' Spätestens seit diesem Anwerbeversuch wusste Mundlos, dass Neonazis vor Spitzeln ständig auf der Hut sein mussten, um ihre Aktionen vor der Polizei geheim zu halten.

Für die Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschusses brachte der am Dienstag öffentlich gewordene Vorgang die ärgerliche Erkenntnis, dass die Behörden weiterhin nur schleppend ihr Material zum NSU bereitstellen. Schon vor Monaten kursierte der Verdacht, NSU-Mitglieder könnten als Spitzel angeworben worden sein. Als dann die bis heute noch nicht vollständig aufgeklärte Vernichtung von Akten beim Verfassungsschutz aufflog, erhielten solche Spekulationen neue Nahrung - und wurden damals vehement vom Verfassungsschutz und vom Innenministerium zurückgewiesen. Nun stehen auch diese Behörden blamiert da. Die Informationspolitik des MAD und des Verteidigungsministeriums, der für den MAD zuständig sind, hat die Abgeordneten sehr erzürnt - parteiübergreifend.

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