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Buckeln und treten

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Lance Armstrong gibt sich bei der Aufzeichnung seines Doping-Geständnisses angeblich reuig. Seine Aussagen, die Ende der Woche ausgestrahlt werden, belasten offenbar auch Radsportfunktionäre.

Austin/München - Vergeblich belauerten die Kamerateams das dick ummauerte Anwesen von Lance Armstrong. Der Dopingsünder hatte seinen öffentlichen Bußgang am Montag kurzfristig in ein Hotel seiner Heimatstadt Austin verlegt. Dort empfing er US-Talkmasterin Oprah Winfrey, die nach dem zweieinhalbstündigen Interview twitterte, Armstrong sei gut präpariert gewesen. In dem Gespräch, das in den USA am Donnerstag und Freitag in Winfreys Kabelsender OWN und in Deutschland auf dem über Sky empfangbaren Discovery Channel ausgestrahlt wird (jeweils 3 Uhr MEZ), soll der Texaner gestanden haben, was ihm die Fahnder der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada längst nachgewiesen hatten: Er hat seine sieben Tour-de-France-Siege umfassende Karriere auf schmutzige Tricks und verbotene Substanzen gegründet. Armstrong hatte dies anderthalb Jahrzehnte lang abgestritten, sogar unter Eid.



Eigentlich wussten alle schon Bescheid, jetzt endlich liefert Armstrong sein Doping-Geständnis.

Die New York Times und die USA Today ließen sich nach eigenen Angaben gleich nach dem Interview von Beteiligten über Inhalte informieren. Demnach soll Armstrong nicht nur ein grundsätzliches Doping-Bekenntnis abgelegt, sondern deutlich gemacht haben, dass er auspacken wolle zu Beteiligten und Hintergründen des 'ausgeklügeltsten und professionellsten Dopingprogramms, das die Welt jemals gesehen hat', wie es im Usada-Urteil heißt.

Sollte der 41-jährige die neue Strategie, die dem Druck des US-Justizministeriums geschuldet ist, ernsthaft durchziehen, muss seine Offenbarung zwangsläufig die Rolle des Radweltverbandes UCI einschließen. Auch das habe Armstrong nun erkennen lassen. Die UCI steht im Verdacht, das Treiben rund um die Teams ihres Branchengrößten abgesichert zu haben; im Raum steht gar der Verdacht, dass die UCI-Spitze einen Dopingbefund Armstrongs bei der Tour de Suisse 2001 vertuscht haben soll. Armstrong hatte der UCI, damals unter Regie des ihm freundschaftlich verbundenen Niederländers Hein Verbruggen, insgesamt 125000 Dollar gespendet, deren Verwendung nie überzeugend dargelegt wurde. Auch nicht von Verbruggens Vertrauten Pat McQuaid, der die UCI-Führung 2005 übernahm.

Zwar musste die UCI im Herbst die lebenslange Sperre der Usada gegen Armstrong akzeptieren. Die Agentur hatte ihr Beweismaterial ins Internet gestellt; der Faktendruck ließ keinen Ausweg. Auch erklärte McQuaid tapfer, der enttarnte Texaner verdiene es, 'vergessen zu werden'. Zugleich aber bezeichnete er die Kronzeugen gegen Armstrong als 'Drecksäcke'. Die Aussagen drohen dem Verbandschef nun auf die Füße zu fallen. McQuaid und UCI-Ehrenpräsident Verbruggen bestritten stets, in Armstrongs Dopingsystem verstrickt gewesen zu sein. Sollte der sie nun im Zug einer Generalbeichte belasten, würde das den Radsport kurz vor dem Saisonstart in die Zerreißprobe führen.

US-Medien berichten weiter übereinstimmend, dass sich das US-Justizministerium der 2010 angestrengten Betrugsklage von Armstrongs früherem Teamkollegen Floyd Landis anschließen werde. Auch den Ministeriellen bleibt nach Aktenlage kaum etwas anderes übrig. Verhindern lässt sich der anstehende 'Whistleblower'-Prozess ohnehin nicht, Kronzeuge Landis könnte ihn nach US-Gesetz auch allein im Namen der US-Regierung führen. Sollte er gewinnen, wofür die Beweislage deutlich spricht, wäre dies - zumindest - eine enorme politische Peinlichkeit für Washington: Im Verfahren geht es ja um die missbräuchliche Verwendung von rund 30 Millionen Dollar Steuergeldern, die Armstrongs Rennstall US Postal über die Sponsorschiene zugeflossen waren. Landis, selbst völlig überschuldet nach diversen Dopingverfahren, stünde aus einem siegreichen Whistleblower-Prozess eine Millionenprämie zu.

Als gesichert gilt, dass Armstrong in so einem Verfahren vereidigt würde. Lügen unter Eid wird in den USA scharf geahndet, schon die dreifache US-Olympiasiegerin Marion Jones musste nach ihrem Dopingprozess dafür ins Gefängnis. Zwar hat auch Armstrong schon unter Eid Doping bestritten, in einem Schiedsverfahren mit der US-Versicherungsfirma SCA, die ihn des Dopings bezichtigt und ihm deshalb Tour-Prämien in Millionenhöhe vorenthalten hatte. SCA-Anwalt Jeff Tillotson erklärte allerdings auf SZ-Anfrage, dass dieser Tatbestand nach fünf Jahren verjährt sei; das Schiedsverfahren fand 2006 statt.

Gerade eine Kooperation mit der Justiz aber setzt ein umfassendes Geständnis voraus. Deshalb, heißt es, wolle Armstrong auch gegen Anteilseigner seines früheren Teams aussagen. Auch darin läge hohe Brisanz. Zu Armstrongs engsten Partnern zählt der einflussreiche Investmentbanker Thom Weisel aus San Francisco, Zentral- figur hinter der nach dem Pharmakonzern Amgen benannten Kalifornien-Rundfahrt. Über Weisel wiederum könnten sich Links auf hohe Radsportebene ergeben.

Andere Fahrer will Armstrong offenbar nicht belasten. Das wäre ohnehin unbedeutend. Und just im Sportler-Lager hat der Mann viel gut zu machen, der bei Winfrey nun angeblich gesteht, er habe Mitte der Neunzigerjahre mit dem Dopen begonnen. Das würde sich mit Angaben des befreundeten Ex-Kollegen George Hincapie decken - und Fragen zu seiner schweren Krebserkrankung aufwerfen, die bald darauf diagnostiziert wurde. Am Hauptsitz seiner Krebsstiftung Livestrong hat sich Armstrong vor dem Interview persönlich bei 100 Mitarbeitern entschuldigt. Er sei, so Stiftungssprecherin Rae Bazzarre, für einen Moment 'den Tränen nah' gewesen.

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