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Am liebsten bunt

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Die Amerikaner warten schon lange auf Nachfolgerinnen für die Williams-Schwestern. Die 19-jährige Sloane Stephens könnte die Rolle ausfüllen.

Melbourne/München - Ausnahmetalente im Sport sind etwas Schönes, aber sie bringen eine Schattenseite mit sich. Denn auch ihre Klasse hat ein Verfallsdatum, und dann stellt sich die ebenso banale wie unbarmherzige Frage: Wer kommt danach? Und wann kommt er gefälligst? Das Schlimme daran ist: Je verwöhnter die Nationen waren, desto schneller werden die Fragen gestellt. Und desto ungeduldiger werden die Fragesteller. Nehmen wir nur mal Tennis. In Deutschland laborieren alle Beteiligten, sowohl die Zuschauer als auch die Athleten, immer noch am Becker/Graf/Stich-Syndrom. In Schweden wissen viele Jugendliche schon nicht mehr, dass Stefan Edberg und Mats Wilander zu den dominanten Persönlichkeiten der 1980er und 1990er Jahre gehörten. Und in Belgien träumen manche davon, Kim Clijsters und Justine Henin könnten sich im Vorruhestand so langweilen, dass sie eine dritte Karriere anstreben könnten.



Sloane Stephens, die neue Tennishoffnung der USA.

Keine Nation hat es aber so hart erwischt wie die USA. Bei den Männern ist immer noch niemand in Sicht, der ernsthaft und mit Charisma die Lücke schließen könnte, die durch Andy Roddicks Rücktritt entstanden ist - wobei dieser als Erbe von Pete Sampras und Andre Agassi und Jim Courier ja selbst schon jahrelang im Schatten von Federer, Nadal und zuletzt Djokovic gestanden hatte. Und bei den Frauen fragte man sich: Wieso kann ein derart großes Land keine Nachfolgerin für Lindsay Davenport, Jennifer Capriati und die Williams-Schwestern großziehen? Aber vielleicht steckt in dieser Frage schon ein Teil des Problems: Diese Vorbilder sind einfach eine Nummer zu groß. Mindestens. Denn das ist ja das Gemeine an Ausnahmetalenten: Die allermeisten von ihnen sind Unikate, deren Werdegang und Spielart nicht kopierbar sind. Viele Talente erwiesen sich als Sternschnuppen, die entweder doch nicht genug Talent mitbrachten oder mit dem Druck der großen Bühne nicht klar kamen.

Die Zeit des Wartens könnte in den USA nun aber vorbei sein. Denn der Vorhang öffnet sich für Sloane Stephens, Tochter zweier Sportler. 2011 wurde sie mit 18 als jüngste Spielerin unter den Top 100 notiert, im vergangenen Jahr fiel sie mehrfach durch spektakuläre einzelne Spiele auf, jetzt spielt sie konstanter, ist mit 19 die Jüngste unter den Top 50 und erstmals im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers gelandet. Wie jung die dunkelhäutige Teenagerin aus Florida noch ist, zeigt sich, wenn sie redet. Die Worte sprudeln dann oft nur so aus ihr raus, manchmal rattert sie im Tempo eines Maschinengewehrs runter, was ihr gerade so durch den Kopf geht, und das ist immer eine ganze Menge. 'Ich bin jetzt bereit, meine Spuren auf der Tour zu hinterlassen', sagte sie in Melbourne, noch bevor sie sich in ihrem Achtelfinale gegen die Serbin Bojana Jovanovski in drei Sätzen (6:1, 3:6, 7:5) durchbiss. 'Ich habe mich eingelebt und fühle mich auf den größeren Plätzen immer wohler. Ich mache mir keinen Stress mehr, wenn ich an das ganze Herumreisen denke, früher machte mich das immer ganz nervös, und ich dachte ,Oh Gott, jetzt muss ich wieder da hin", aber jetzt weiß ich, dass das dazu gehört.'

Stephens ist einerseits ein ganz normaler Teenager, der auf Facebook rumdaddelt und mehrere Tweets am Tag verschickt, in denen sie unter anderem zu Foto-Wettbewerben aufruft. Andererseits musste sie schon einiges verarbeiten. Ihr Stiefvater starb an Krebs, als sie 14 war. Ihr Vater, ein ehemaliger Football-Profi, starb 2009 bei einem Autounfall, gerade als Vater und Tochter zueinander gefunden hatten. Stephens findet, sie habe 'rasch einen Reifeprozess durchmachen müssen'. In Melbourne bestätigt sie das durch ihre souveränen Auftritte neben und auf dem Platz. Im vergangenen Jahr litt sie oft noch darunter, dass sie über viele, fast zu viele Möglichkeiten verfügt. Sie führte im richtigen Moment den falschen Schlag aus, wirkte verspielt, wenn sie konsequent hätte sein müssen. Inzwischen hat sie einen Plan, an den sie sich meistens hält - wenn ihr nicht etwas (noch) Besseres einfällt. Was Stephens, die gerne sehr bunt auftritt (am Montag gelbes Stirnband zum rosa Hemd), mit ihren 1,70Meter an Größe abgeht, macht sie durch ihre flinken Beine und ihren Spielwitz mehr als wett.

Am Mittwoch darf sie sich mit Serena Williams messen, ihrer Mentorin und guten Freundin. Mit ihr redet sie 'oft - aber weniger über Tennis oder Sachen, über die ältere Menschen reden, sondern über das Leben, über Jungs'. Für viele Profis wäre die anstehende Aufgabe ein Albtraum, schließlich ist Serena Williams durch ihre ersten Runden gefegt wie ein Wirbelsturm. Im Achtelfinale überließ sie Maria Kirilenko gerade mal zwei Spiele und sagte: 'Das war eine gute Aufwärmgegnerin für die nächste Runde', ohne despektierlich zu wirken. Und wie denkt Sloane Stephens über das Duell? 'Serena ist doch auch nur ein Mensch. Das wird ein großer Spaß.' Für Sloane. Und die USA.

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