Ausdruck einer sich wandelnden Arbeitswelt: Firmenhymnen sind bei Unternehmen derzeit besonders beliebt. Der Kulturwissenschaftler Rudi Maier über dieses Phänomen, Kundenorientierung und Mitarbeiterbindung
Bei einem Unternehmen werden Pioniergeist und Ideenreichtum der Mitarbeiter besungen, bei einem anderen Lächeln und Freundlichkeit der Verkäufer: Viele Konzerne haben sich in den vergangenen Jahren firmeneigene Hymnen komponieren lassen, mit denen sie ihre Vorzüge preisen. Der Kulturwissenschaftler Rudi Maier hat mehr als 400 solcher Lieder gesammelt und analysiert. Er ist der Meinung, dass Unternehmenshymnen vor allem in Zeiten von Umbruch und Krisen zum Einsatz kommen.
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Wenn sie singen, sind sie alle gleich...
SZ: 'Mein Chef, der steht zu mir, weil ich bin, wie ich bin' - warum wollte die Supermarktkette Kaufland, dass ihre Mitarbeiter diesen Text singen?
Rudi Maier: Mit solchen Firmenhymnen wollen Unternehmen die Motivation der Belegschaft fördern und die Mitarbeiter zu mehr Leistung anspornen. In den Liedern wird eine ideale Arbeitswelt besungen, da geht es oft um Themen wie Zusammenhalt, Teamwork und Vertrauen.
Klingt ein bisschen nach Wunschdenken der Unternehmensführung.
In gewisser Weise ist es das auch. Man kann viele der Lieder als direkte Verhaltensanweisung für Mitarbeiter lesen. In dem Song von Kaufland etwa heißt es auch 'ein Lächeln ist Gold, das du verschenkst'. Inzwischen hat die Handelskette noch eine neue Hymne: 'Ein Land, deine Welt - wo der Mensch noch zählt'. Freundlichkeit, Service, Kundenorientierung, das findet man häufig in Liedern von Unternehmen mit direktem Kundenkontakt.
Und in anderen Branchen?
Die großen Prüfungsgesellschaften - McKinsey oder Ernst & Young - haben auch alle eine Hymne. Da geht es aber eher darum, das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen zu stärken, weil es dort eine hohe Fluktuation unter den Beschäftigten gibt. Da ist es als Impuls für die Corporate Identity gedacht.
Über welchen Musikstil sprechen wir hier eigentlich?
Die Mehrheit der Firmenhymnen ist dem Schlager sehr ähnlich. Das ist eine recht einfache, dem allgemeinen Geschmack entsprechende Musik zum Mitsingen und Mitklatschen. Die Lieder werden ja nur zu wenigen Gelegenheiten gespielt - bei Betriebsfeiern, Sommerfesten, Jubiläen -, deswegen müssen sie einen hohen Wiedererkennungseffekt haben. Ausnahmen gibt es natürlich. Im IT-Bereich kenne ich zwei Hymnen, bei denen psychedelisch angehauchte E-Gitarren-Soli auftauchen.
Wer denkt sich eigentlich all diese Lieder aus?
Es gibt in Deutschland eine wachsende Anzahl Agenturen dafür, die nach eigenen Angaben auch ganz gut zu tun haben. Man muss die Hymnen unterscheiden von Corporate Songs, die ein Unternehmen zum Beispiel in der Werbung und für die Kommunikation nach außen nutzt. Firmenhymnen sind für den internen Gebrauch gedacht. Manchmal wollen Unternehmen gar nicht, dass die Hymnen nach draußen dringen, aber früher oder später landen die Lieder dann doch bei Youtube.
Firmenhymnen breiten sich seit ein paar Jahren in Deutschland aus. Warum gerade jetzt?
Für mich sind Firmenhymnen Ausdruck einer sich wandelnden Arbeitswelt, ein Symptom einer Krise. Das Umfeld für viele Beschäftigte hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Heute gibt es viel mehr Leiharbeit und befristete Jobs. Die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen hat sehr gelitten und die Lieder sind ein Versuch, das zu kitten. Leiharbeiter, Angestellter, Manager - beim Singen sind alle gleich, für die Länge des Liedes tritt die Hierarchie in den Hintergrund.
Funktioniert das eigentlich Ihrer Meinung nach?
Das ist eine zweischneidige Sache. Wenn sich der Song mit der Realität in dem Unternehmen deckt, dann singen die Beschäftigten begeistert mit. Wenn das Lied an der Realität vorbeigeht, kann sich auch kein Angestellter damit identifizieren. Im schlimmsten Fall fühlen sich die Mitarbeiter verspottet. Die Zeile 'mein Chef, der steht zu mir' aus dem alten Kaufland-Lied ist Zynismus pur, wenn man weiß, dass bei Lidl, das zu derselben Unternehmensgruppe gehört, Mitarbeiter bespitzelt wurden.
Mal abgesehen von solchen offenkundigen Diskrepanzen - tun sich die Deutschen nicht allgemein schwer mit jeglichem Pathos bezüglich ihres Arbeitgebers?
Verallgemeinern würde ich das so nicht. Es ist aber schon so, dass Firmenhymnen in anderen Ländern einen anderen Stellenwert haben. In Japan etwa wird sie in vielen Unternehmen täglich vor Arbeitsbeginn gesungen, deswegen glauben viele, dass Firmenhymnen aus Japan kommen, das stimmt aber nicht.
Sondern?
Bei der Arbeit gesungen wurde eigentlich schon immer. Denken Sie an die Zunftlieder im Mittelalter oder an die Lieder der Arbeiter auf Baumwollplantagen. In den Zwanzigerjahren hat dann das US-Unternehmen IBM ein Buch mit 80 Songs veröffentlicht. Nach meinen Recherchen war es das erste Mal, dass Lieder als Lob für eine Firma gedacht waren. Auch IBM war damals in einer Zeit des Umbruchs. Neben dem Kerngeschäft, den Schreibgeräten, entwickelte es sich damals hin zu dem Beratungsunternehmen, das es heute noch ist.
Sie haben mehr als 400 Firmenhymnen gesammelt. Haben Sie eine Lieblingshymne?
Eine meiner liebsten Hymnen ist die von der Firma Henkel, die gibt es inzwischen in 13 Sprachen. In keinem anderen Song werden die Anforderungen an den heutigen Wissensarbeiter so gut beschrieben: 'Die Gedanken stehen nie still, wenn man Träume wahr machen will, an die Zukunft glauben wir, in jedem steckt ein Pionier.' Aus der Sicht der Forschung zu Arbeitskulturen ist das eine ganz interessante Hymne. Und sie, finde ich, ist auch musikalisch sehr gelungen.
Bei einem Unternehmen werden Pioniergeist und Ideenreichtum der Mitarbeiter besungen, bei einem anderen Lächeln und Freundlichkeit der Verkäufer: Viele Konzerne haben sich in den vergangenen Jahren firmeneigene Hymnen komponieren lassen, mit denen sie ihre Vorzüge preisen. Der Kulturwissenschaftler Rudi Maier hat mehr als 400 solcher Lieder gesammelt und analysiert. Er ist der Meinung, dass Unternehmenshymnen vor allem in Zeiten von Umbruch und Krisen zum Einsatz kommen.

Wenn sie singen, sind sie alle gleich...
SZ: 'Mein Chef, der steht zu mir, weil ich bin, wie ich bin' - warum wollte die Supermarktkette Kaufland, dass ihre Mitarbeiter diesen Text singen?
Rudi Maier: Mit solchen Firmenhymnen wollen Unternehmen die Motivation der Belegschaft fördern und die Mitarbeiter zu mehr Leistung anspornen. In den Liedern wird eine ideale Arbeitswelt besungen, da geht es oft um Themen wie Zusammenhalt, Teamwork und Vertrauen.
Klingt ein bisschen nach Wunschdenken der Unternehmensführung.
In gewisser Weise ist es das auch. Man kann viele der Lieder als direkte Verhaltensanweisung für Mitarbeiter lesen. In dem Song von Kaufland etwa heißt es auch 'ein Lächeln ist Gold, das du verschenkst'. Inzwischen hat die Handelskette noch eine neue Hymne: 'Ein Land, deine Welt - wo der Mensch noch zählt'. Freundlichkeit, Service, Kundenorientierung, das findet man häufig in Liedern von Unternehmen mit direktem Kundenkontakt.
Und in anderen Branchen?
Die großen Prüfungsgesellschaften - McKinsey oder Ernst & Young - haben auch alle eine Hymne. Da geht es aber eher darum, das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen zu stärken, weil es dort eine hohe Fluktuation unter den Beschäftigten gibt. Da ist es als Impuls für die Corporate Identity gedacht.
Über welchen Musikstil sprechen wir hier eigentlich?
Die Mehrheit der Firmenhymnen ist dem Schlager sehr ähnlich. Das ist eine recht einfache, dem allgemeinen Geschmack entsprechende Musik zum Mitsingen und Mitklatschen. Die Lieder werden ja nur zu wenigen Gelegenheiten gespielt - bei Betriebsfeiern, Sommerfesten, Jubiläen -, deswegen müssen sie einen hohen Wiedererkennungseffekt haben. Ausnahmen gibt es natürlich. Im IT-Bereich kenne ich zwei Hymnen, bei denen psychedelisch angehauchte E-Gitarren-Soli auftauchen.
Wer denkt sich eigentlich all diese Lieder aus?
Es gibt in Deutschland eine wachsende Anzahl Agenturen dafür, die nach eigenen Angaben auch ganz gut zu tun haben. Man muss die Hymnen unterscheiden von Corporate Songs, die ein Unternehmen zum Beispiel in der Werbung und für die Kommunikation nach außen nutzt. Firmenhymnen sind für den internen Gebrauch gedacht. Manchmal wollen Unternehmen gar nicht, dass die Hymnen nach draußen dringen, aber früher oder später landen die Lieder dann doch bei Youtube.
Firmenhymnen breiten sich seit ein paar Jahren in Deutschland aus. Warum gerade jetzt?
Für mich sind Firmenhymnen Ausdruck einer sich wandelnden Arbeitswelt, ein Symptom einer Krise. Das Umfeld für viele Beschäftigte hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Heute gibt es viel mehr Leiharbeit und befristete Jobs. Die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen hat sehr gelitten und die Lieder sind ein Versuch, das zu kitten. Leiharbeiter, Angestellter, Manager - beim Singen sind alle gleich, für die Länge des Liedes tritt die Hierarchie in den Hintergrund.
Funktioniert das eigentlich Ihrer Meinung nach?
Das ist eine zweischneidige Sache. Wenn sich der Song mit der Realität in dem Unternehmen deckt, dann singen die Beschäftigten begeistert mit. Wenn das Lied an der Realität vorbeigeht, kann sich auch kein Angestellter damit identifizieren. Im schlimmsten Fall fühlen sich die Mitarbeiter verspottet. Die Zeile 'mein Chef, der steht zu mir' aus dem alten Kaufland-Lied ist Zynismus pur, wenn man weiß, dass bei Lidl, das zu derselben Unternehmensgruppe gehört, Mitarbeiter bespitzelt wurden.
Mal abgesehen von solchen offenkundigen Diskrepanzen - tun sich die Deutschen nicht allgemein schwer mit jeglichem Pathos bezüglich ihres Arbeitgebers?
Verallgemeinern würde ich das so nicht. Es ist aber schon so, dass Firmenhymnen in anderen Ländern einen anderen Stellenwert haben. In Japan etwa wird sie in vielen Unternehmen täglich vor Arbeitsbeginn gesungen, deswegen glauben viele, dass Firmenhymnen aus Japan kommen, das stimmt aber nicht.
Sondern?
Bei der Arbeit gesungen wurde eigentlich schon immer. Denken Sie an die Zunftlieder im Mittelalter oder an die Lieder der Arbeiter auf Baumwollplantagen. In den Zwanzigerjahren hat dann das US-Unternehmen IBM ein Buch mit 80 Songs veröffentlicht. Nach meinen Recherchen war es das erste Mal, dass Lieder als Lob für eine Firma gedacht waren. Auch IBM war damals in einer Zeit des Umbruchs. Neben dem Kerngeschäft, den Schreibgeräten, entwickelte es sich damals hin zu dem Beratungsunternehmen, das es heute noch ist.
Sie haben mehr als 400 Firmenhymnen gesammelt. Haben Sie eine Lieblingshymne?
Eine meiner liebsten Hymnen ist die von der Firma Henkel, die gibt es inzwischen in 13 Sprachen. In keinem anderen Song werden die Anforderungen an den heutigen Wissensarbeiter so gut beschrieben: 'Die Gedanken stehen nie still, wenn man Träume wahr machen will, an die Zukunft glauben wir, in jedem steckt ein Pionier.' Aus der Sicht der Forschung zu Arbeitskulturen ist das eine ganz interessante Hymne. Und sie, finde ich, ist auch musikalisch sehr gelungen.