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Schön ist die Zeit

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Auf der Fernsehmesse Mipcom geht es um die Trends der Branche. Alle wissen, was wichtig wird - nur der alte Kontinent nicht


Der Werbespot ist auch eine Unverschämtheit. 'Hat das irgendwas mit Internet zu tun?', fragt der grauhaarige Mann, wohl Programmdirektor einer Sendeanstalt, ziemlich dusselig. Ja, hat es. Doch es ist zu spät. Hulu hat die Anstalt bereits weggeputzt. Der ältere Herr fragt verständnislos: 'Wer zum Teufel ist Hulu?' Der Clip ist damit zu Ende, und Hulu-Chef Jason Kilar steht auf der Bühne. Das kostenlose Video-on-Demand-Portal Hulu aus Kalifornien gehört zum Spannendsten, was die Fernsehindustrie derzeit zu bieten hat - und zum Erfolgreichsten. Hinter Kilar werden auf eine Leinwand sechs Einnahme-Säulen projiziert: Allein 2011 stiegen die Umsätze um 59 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Vor vier Jahren kam Kilar das erste Mal nach Cannes. Damals tendierte der Umsatz noch gegen null. Jetzt feiert ihn die Branche auf Europas größter Fernsehmesse 'Mipcom' wie einen Champion.




Video-on-Demand-Portal Hulu ist der Hit auf der Fernsehmesse 'Mipcom'

Andere aber ignorieren ihn - wie das Internet-Fernsehen insgesamt. Dass da im Zeitraffer etwas heranwächst, was die Geschäftsgrundlage mancher Etablierten untergraben könnte, ist den Arrivierten nicht unbedingt bewusst. 'Man muss das Phänomen und die Fakten erst einmal anerkennen und darf es nicht von vornherein gering schätzen', sagt ein hochrangiger deutscher TV-Manager. 'Aber da sind wir noch nicht.' Jedenfalls nicht in Deutschland.

In den USA hingegen herrscht Goldgräberstimmung. Schauspieler wie Kevin Spacey (American Beauty) sind ab Februar auf dem Online-Portal Netflix zu sehen, zwei Jahre lang in der US-Adaption der britischen Serie House of Cards. Spacey spricht von einem 'neuen Paradigma'. 'Wer will, kann sich an einem Wochenende alle Episoden der ersten Staffel ansehen.' US-Kinofilmproduzent Harvey Weinstein (Shakespeare in Love, Der englische Patient) konvertierte in Cannes offiziell zum TV-Fan. Fernsehen sei heute so wichtig wie nie. Es sei eine 'aufregende Zeit', weil das Internet neue Vertriebswege öffne. Alle schwärmen sie von den neuen Möglichkeiten, auch die Geschäftsführer von Google-YouTube, Sony und Warner Bros.

'Wird das Internet-TV das klassische Fernsehen ablösen?', fragt der Moderator die Präsidentin des US-Medienhauses Condé Nast Entertainment, Dawn Ostroff. Die elegante Managerin antwortet optimistisch. Sie ist überzeugt, dass dem Online-Fernsehen die Zukunft gehört. Deswegen will ihr Unternehmen künftig Geschichten aus dem hauseigenen Zeitschriftenverlag (New Yorker, Vanity Fair) verfilmen. Blockbuster wie Brokeback Mountain, Shattered Glass oder demnächst Argo seien durch Publikationen des Verlags inspiriert worden. Jetzt wolle der Konzern die besten Geschichten selbst umsetzen. Im Kern gehe es doch um das Gleiche, um das Storytelling, das Handwerk des Geschichtenerzählens. Das beherrschten ihre Mitarbeiter. 'Noch nie war die Zeit so gut wie jetzt.' Diesen Satz wiederholen sie hier alle. Nach beschwerlichen Jahren reiche die Technik nun zum Datenversenden aus, die Produktionskosten seien vergleichsweise gering; ein Publikum sei nun herangewachsen, für welches das Internet eine Selbstverständlichkeit sei; inzwischen lasse sich mit den Videoportalen Geld verdienen. Das liegt auch an den neuen Modellen für Werbespots. Bei YouTube, der Tochterfirma von Google, die in wenigen Wochen mit eigenen Lowbudget-Angeboten in Deutschland an den Start geht, kann man sie noch wegklicken. Doch der verantwortliche Manager Robert Kyncl gibt sich zuversichtlich, dass Werbefirmen bereit sind, zusätzlich zu zahlen, wenn sie wissen, dass ihr Spot bewusst angeschaut wird. Hulu fragt seine Zuschauer sogar, welche Werbung sie interessiert. Oder ob sie statt des Nike-Spots lieber den McDonald"s-Clip sehen wollen. Werbung, so die Geschäftsidee, soll vom Zuschauer nicht mehr zum Wegzappen oder Bierholen genutzt werden.

Alle reden sie von Innovation, vom Ungewöhnlichen und Neuen. Gewiss gehört Klappern zum Geschäft, und die in Cannes allseits dominanten Amerikaner beherrschen es wohl nicht am schlechtesten. Aber sie könnten die etablierten Mutlosen und Risikoscheuen damit tatsächlich an einer empfindlichen Stelle treffen.

Expertisen anerkannter Wirtschaftsberater wie Pricewaterhouse-Coopers (PwC) bestätigen, dass jetzt 'das Ende vom Anfang des Onlinefernsehens gekommen ist'. Fernsehmacher dürften keinen Unterschied mehr machen zwischen herkömmlichem und Online-TV, rät PwC- Medienchef Marcel Fenez. Es komme auf die Inhalte an und nicht auf die Vertriebskanäle. Denn es fällt auf, dass die Zahl der Menschen, die sich Videos im Internet anschauen, rapide steigt - auch weil immer mehr netzfähige Geräte verkauft werden.

Allein in Deutschland wurden binnen eines Jahres 74 Prozent mehr sogenannter Smart-TVs verkauft, Smartphones und Tablets. Viele schauen sich die Clips an, weil andere darauf hingewiesen haben. 'Das Social TV', sagt Warner-Bros-Fernsehchef Bruce Rosenblum, 'wachse mit den sozialen Netzwerken. Fernsehen hat die Wohn- und Schlafzimmer verlassen. Das ist unsere Chance.' Wird diese Chance auch in Europa ergriffen? EU-Kommissarin Neelie Kroes meinte in Cannes, dass Europa Gefahr laufe, uneinholbar von den USA abgehängt zu werden. Könnte sein. Denn auf unserem Kontinent müssen die Videoportale von vielen Machern ja erst noch ernst genommen werden. 

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