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Ruckelnder Bildungsfahrstuhl

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Durch die flächendeckende Abschaffung der Studiengebühren bricht eine neue Ära an. Zur "Bildungsrepublik" wird Deutschland dadurch aber noch nicht. Ein Kommentar von Johann Osel

Im Idealfall wird das Bildungssystem zum Fahrstuhl: So ersann es der Soziologe Ralf Dahrendorf vor gut 50 Jahren. Beim Fahrstuhl-Prinzip steigen alle Kinder zum Schulbeginn ein und verlassen die Kabine nach einer bestimmten Anzahl von Jahren genau auf der Etage, die schulisch und beruflich ihren Begabungen entspricht. Und da wäre es - jetzt frei nach Dahrendorf - egal, ob die Eltern dem Kind nur eine Brotdose mitgeben können oder unbegrenzten Proviant, ob längere Aufzugfahrten für die Familie ungewohnt sind oder seit Generationen üblich. Doch der Bildungsfahrstuhl lief damals eben nicht wie geschmiert; er tut es bis heute nicht. Er wirft Kinder, die das Potenzial zur Fahrt nach oben hätten, auf Zwischenetagen hinaus - auch weil der Proviant nicht reicht. Studiengebühren belasten da zusätzlich.



Das Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern war erfolgreich.

Mit dieser Ungerechtigkeit ist es bald vorbei, in Deutschland endet gerade eine Ära. Der Regierungswechsel in Niedersachsen und das erfolgreiche Volksbegehren in Bayern werden die Gebühren wohl zum historisches Kapitel machen, die letzten beiden Kassierer-Länder fallen dann weg. In München wird dies noch von der Furcht der CSU beschleunigt, im Wahljahr als herzlos dazustehen.

Nachdem dies das Bundesverfassungsgericht 2005 erlaubt hatte, setzten sieben Länder auf Gebühren. Das entsprach dem neoliberalen Zeitgeist in Teilen der Politik: Bildung ist demnach eine Art Ware, für die der studentische Kunde gefälligst beim Konzern Hochschule investiert. Dieser Gedanke war jedoch nie gesellschaftlich mehrheitsfähig - so wurden mit dem Thema in Nordrhein-Westfalen und andernorts Wahlkämpfe gewonnen, deswegen haben auch 1,3 Millionen Bayern für das Ende der Gebühren unterschrieben.

Die Abschaffung der Studienbeiträge ist ein wichtiger Baustein zur Bildungsgerechtigkeit - wenn auch nur ein kleiner; denn natürlich steigen Kinder schon völlig verschieden in den Bildungsfahrstuhl ein oder werden längst auf unteren Etagen hinausgetrieben. Gebührenfreiheit macht die akademische Welt aber einladender. Zwar ist das Bild vom Malochersohn oder der Bauerstochter, denen Bildung generell verwehrt bleibt, heute zu pauschal. Als Dahrendorf vom Aufstieg für breitere Schichten träumte, studierte nur jedes zwanzigste Arbeiterkind, obwohl diese Familien die Hälfte der Bevölkerung stellten. Doch das Kind eines Schlossers, das an die Uni geht, ist immer noch eher die Ausnahme. Für den Arztsohn ist dieser Weg quasi vorbestimmt, eine Metzgerlehre würde Häme auslösen in seinem bildungsbürgerlichen Milieu.

1000 Euro Gebühren pro Jahr - das kann viel Geld sein, man muss die Summe nur im Vergleich zum Bafög-Höchstsatz von 670 Euro im Monat sehen. Haben sich Arbeiterkinder bis zum Abitur gekämpft, wird es - trotz einiger Sozialkomponenten in den Gebührengesetzen - schnell unwirtlich. Studien zeigen, dass sich ärmere Abiturienten oft gegen ein Studium entscheiden: Weil sie die Kosten fürchten und den Lohn benötigen, den eine Lehre bietet. Ohne den Wert der Berufsausbildung kleinzureden: Hier werden Chancen vertan. Gebühren machen das Studium auch für Kinder der Mittelschicht beschwerlicher - gerade in Zeiten, in denen das verschulte Bachelor-Studium Nebenjobs verhindert und die Wohnungsmärkte ins Perverse driften.

Gebührenbefürworter versuchen die Bürger gegeneinander aufzuhetzen. Die Krankenschwester, die das Studium des später gut verdienenden Chefarztes finanziert, wird als Beispiel bemüht. Dabei wird zweierlei vergessen: Erstens kommt nicht jeder Akademiker zu Wohlstand, man denke an die vielen Absolventen, die über Jahre nur befristete oder Honorarverträge erhalten. Zweitens profitiert, wenn ein Akademiker gut verdient, die ganze Gesellschaft von dessen Steuern, auch besagte Krankenschwester. Und angenommen diese hat zwei Kinder, die gern Chefarzt werden wollen. Die Gebühren für zwei Mal zwölf Semester Medizin könnte sie nicht stemmen.

Studienbeiträge mögen die Studienbedingungen teils verbessert haben, es gibt neue Dozenten und Gerätschaften, Bibliotheken öffnen länger. Sie sind allerdings auch das Eingeständnis der Politik, vor der Einführung fahrlässig nur ein mittelprächtiges Studium geboten zu haben. Beste Ausstattung - etwa genügend Dozenten - sind ureigenste Aufgabe des Staates. Miserabel finanzierte Hochschulen passen nicht zu den hehren Worten, wonach das Land mehr Akademiker brauche, Bildung Priorität habe und wir in einer 'Bildungsrepublik' lebten. Ein Staat, dessen Rohstoff der Geist ist, muss in die Köpfe investieren. Beim Ersatz der entfallenen Gebühren für die Hochschulen könnte die Politik gleich beweisen, wie ernst sie die Bildungsrepublik nimmt.

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