Bald werden die USA fast ihr ganzes Öl aus dem eigenen Boden holen - per 'Fracking'. Das hat weltpolitische Folgen.
Das erste Öl wurde in North Dakota vor gut 60Jahren gefunden. Viel war es nicht, was da im Norden der USA aus dem Boden zu holen war, in den Achtzigerjahren wurden in dem Bundesstaat nur etwa 53 Millionen Barrel pro Jahr gefördert (ein Barrel entspricht 159 Litern). North Dakota blieb erst einmal, was es war: ein etwas hinterwäldlerischer Präriestaat an der Grenze zu Kanada, wo auf endlosen Feldern Gerste, Weizen und Mais wachsen.
Vor allem in Europa ist Fracking umstritten.
Dann kam der Boom. Inzwischen werden aus dem Gestein unter der Prärie North Dakotas pro Tag fast 600000 Barrel Öl geholt, im Jahr sind es etwa 210 Millionen Fass. Wie viel Öl noch im Boden steckt und wie viel davon heute oder künftig förderbar ist, weiß niemand. Die Schätzungen schwanken wild - klar ist nur, dass es sich um etliche Milliarden Barrel handeln muss. In anderen Bundesstaaten - allen voran in Texas - und im Golf von Mexiko ist ein ähnlicher Boom bei der Ölförderung im Gange. Schon im Jahr 2020, so die Erwartung der International Energy Agency, (IEA) werden die USA Saudi-Arabien als weltgrößten Ölproduzenten ablösen.
Möglich wurde das vor allem durch eine neue Fördertechnologie, die als Hydraulic Fracturing (kurz: Fracking) bekannt ist. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und (zum Teil recht giftigen) Chemikalien unter so hohem Druck in den Boden gepumpt, dass tiefliegende Gesteinsschichten regelrecht aufgebrochen werden. So können Öl- und Gasvorkommen gelöst werden, die fest im Gestein eingeschlossen sind. Das ist aufwendig und deutlich teurer als die konventionelle Art der Förderung - lohnt sich aber bei einem Ölpreis von mehr als 70 oder 80 Dollar pro Barrel. Umweltschützer warnen zwar vor den schädlichen Nebenwirkungen dieser rabiaten Fördermethode. Doch durch das Fracking lassen sich nun Ölvorkommen wie die in North Dakota erschließen, die bisher unerreichbar waren.
Der Ölboom hat für die USA nicht nur enorme wirtschaftliche, sondern auch geopolitische Folgen. Denn die steigende einheimische Produktion bedeutet zugleich ein drastisches Absinken der Importe. Im Jahr 2005 kauften die USA noch 60 Prozent ihres Öls auf dem Weltmarkt ein. Heute sind es nur noch etwas mehr als 40 Prozent. Amerika, über Jahrzehnte einer der größten Ölimporteure der Welt, ist drauf und dran, einen Großteil des Bedarfs aus eigener Förderung decken zu können. Ähnlich sieht es beim Gas aus, das ebenfalls per Fracking aus dem Boden gelöst wird: Zwischen 2010 und 2035 würden die USA vom Importeur zum Exporteur von Gas werden, schreiben die IEA-Experten im 'World Energy Outlook 2012'.
Vor allem nimmt durch den heimischen Boom Amerikas Import von Öl aus einer Region ab: aus den Petromonarchien am Persischen Golf. Das Ölkartell Opec schätzt, dass bis 2035 der Export von nahöstlichem Öl nach Nordamerika auf praktisch null gefallen sein wird. Zum ersten Mal in ihrer jüngeren Geschichte werden die Vereinigten Staaten nicht mehr von Öl aus dem Nahen Osten abhängig sein.
Einige Beobachter vergleichen die geopolitische Bedeutung dieser Entwicklung mit dem Fall der Berliner Mauer, sie verändere die weltweite strategische Lage von Grund auf. Das mag übertrieben sein. Klar ist jedoch, dass mit dem Ende der Abhängigkeit von nahöstlichem Öl auch der wohl wichtigste Grund für die USA wegfällt, als - oft ungeliebte - Ordnungsmacht in der unruhigen Region aufzutreten. Diese Rolle hatte spätestens 1980 der damalige US-Präsident Jimmy Carter Amerika offiziell zugewiesen: In einer Rede vor dem Kongress schwor er unter ausdrücklichem Verweis auf die Ölreserven am Persischen Golf, dass die USA jeden Versuch einer fremden Macht, die Kontrolle über die Region an sich zu reißen, als Angriff auf ihre 'vitalen Interessen' werten und mit Gewalt beantworten würden.
Den freien Fluss von Öl in den Westen zu sichern war seitdem ein, wenn nicht das Leitmotiv der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik in der Region. Es war der Grund für die Unterstützung diktatorischer Regime wie zum Beispiel in Riad und für militärische Interventionen wie den ersten Golfkrieg gegen den Irak. Um die wichtigste Öltankerroute - die Meerenge von Hormus - zu schützen, durch die ein Großteil des saudischen Öls exportiert wird, haben die USA dauerhaft eine gewaltige Marinestreitmacht am Persischen Golf stationiert, die 5.Flotte in Bahrain, zu der ein Flugzeugträger-Verband gehört.
Amerikas Einmischung im Nahen Osten hat Tausende US-Soldaten und zahllose Araber das Leben sowie die amerikanischen Steuerzahler zig Milliarden gekostet. Schätzungen zufolge kostet die US-Militärpräsenz am Golf das Land jedes Jahr zwischen 20 und 70 Milliarden Dollar, je nach dem, welche Posten in der Rechnung enthalten sind. Roger Stern, ein Forscher von der Universität Princeton, beziffert die Summe, die Amerika von 1976 bis 2007 für die Sicherung von Ölförderung und -transport im Nahen Osten ausgegeben hat, sogar auf satte 7300Milliarden Dollar.
Und nicht zuletzt war Amerikas Rolle im Nahen Osten immer auch ein Grund für die Amerikafeindlichkeit in der Region - und den daraus resultierenden Terrorismus gegen die USA. Osama bin Laden begann seinen Feldzug gegen Amerika, weil im Zuge des Golfkriegs 1990 auf dem 'heiligen Boden' seines Heimatlandes Saudi-Arabien US-Truppen - mithin 'Ungläubige' - stationiert wurden.
Jahrzehntelang löste jede Eruption im Nahen Osten in Washington die Angst aus, das Schwarze Gold, der Lebenssaft der westlichen Wirtschaft, könnte nicht mehr fließen. 'Das hat sich geändert', sagte der für Energiepolitik zuständige Beamte im US-Außenministerium, Carlos Pascual, dem Wall Street Journal.
Das heißt nicht, dass Amerika sich über Nacht vom Nahen Osten abwenden wird. Was dort passiert, ist immer noch wichtig, weil es den Ölpreis beeinflussen kann. Erdöl wird - anders als Erdgas - frei auf dem Weltmarkt gehandelt, Förderunterbrechungen an einem Ort lassen daher rund um den Globus den Preis pro Barrel steigen. Doch Amerika ist nicht mehr auf Gedeih und Verderb gezwungen, sich im Nahen Osten einzumischen, weil die Ölversorgung weitgehend gesichert ist.
Kurzfristig werden die Amerikaner wohl weiter die Förderung und den Transport von Öl im Nahen Osten militärisch absichern. 'Niemand anderes kann das machen, und wenn wir nicht bereitstehen, steigen auch die US-Ölpreise', sagt der Verteidigungsexperte Michael O"Hanlon von der Washingtoner Denkfabrik Brookings. Ob das für ewig gilt, ist freilich offen. 'Wie viel Blut und Geld werden die USA auszugeben bereit sein, wenn ihre Ölexporte mit denen Saudi-Arabiens konkurrieren?', fragte jüngst Philip Stephens, der außenpolitische Kolumnist der Financial Times. Künftige US-Regierungen werden wohl sehr genau darüber nachdenken, ob sie weiter Steuermilliarden und Soldatenleben dafür ausgeben, die Ölrouten der Araber zu bewachen. Der Bundesnachrichtendienst sagt voraus, dass 'die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit' der USA im Nahen Osten erheblich steigen werde. Anders gesagt: Amerika kann sich weiter dort engagieren, muss es aber nicht.
Zumal das Öl der Region künftig vor allem für Amerikas Hauptrivalen gefördert werden wird: China. Das Land importiert nach Angaben der IEA derzeit etwa 55 Prozent seines Öls. Im Jahr 2035 werden es mehr als 80 Prozent sein. Fast das gesamte Öl aus dem Nahen Osten wird dann nach Asien fließen. Der chinesische Anteil an diesen Exporten wird laut IEA von heute drei auf fast sieben Millionen Barrel pro Tag steigen, der Anteil der US-Verbündeten Japan und Südkorea dürfte hingegen sinken. Bisher profitieren die Chinesen enorm davon, dass die Amerikaner ihnen quasi umsonst eine sichere Versorgung mit nahöstlichem Erdöl garantieren. Doch auch Peking stellt sich darauf ein, dass das nicht so bleiben wird: Seit einigen Jahren ist Chinas Marine am Horn von Afrika im Einsatz gegen Piraten. Beobachter sehen das als ersten Schritt Pekings, um sich in der Region Geltung zu verschaffen.
Das erste Öl wurde in North Dakota vor gut 60Jahren gefunden. Viel war es nicht, was da im Norden der USA aus dem Boden zu holen war, in den Achtzigerjahren wurden in dem Bundesstaat nur etwa 53 Millionen Barrel pro Jahr gefördert (ein Barrel entspricht 159 Litern). North Dakota blieb erst einmal, was es war: ein etwas hinterwäldlerischer Präriestaat an der Grenze zu Kanada, wo auf endlosen Feldern Gerste, Weizen und Mais wachsen.
Vor allem in Europa ist Fracking umstritten.
Dann kam der Boom. Inzwischen werden aus dem Gestein unter der Prärie North Dakotas pro Tag fast 600000 Barrel Öl geholt, im Jahr sind es etwa 210 Millionen Fass. Wie viel Öl noch im Boden steckt und wie viel davon heute oder künftig förderbar ist, weiß niemand. Die Schätzungen schwanken wild - klar ist nur, dass es sich um etliche Milliarden Barrel handeln muss. In anderen Bundesstaaten - allen voran in Texas - und im Golf von Mexiko ist ein ähnlicher Boom bei der Ölförderung im Gange. Schon im Jahr 2020, so die Erwartung der International Energy Agency, (IEA) werden die USA Saudi-Arabien als weltgrößten Ölproduzenten ablösen.
Möglich wurde das vor allem durch eine neue Fördertechnologie, die als Hydraulic Fracturing (kurz: Fracking) bekannt ist. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und (zum Teil recht giftigen) Chemikalien unter so hohem Druck in den Boden gepumpt, dass tiefliegende Gesteinsschichten regelrecht aufgebrochen werden. So können Öl- und Gasvorkommen gelöst werden, die fest im Gestein eingeschlossen sind. Das ist aufwendig und deutlich teurer als die konventionelle Art der Förderung - lohnt sich aber bei einem Ölpreis von mehr als 70 oder 80 Dollar pro Barrel. Umweltschützer warnen zwar vor den schädlichen Nebenwirkungen dieser rabiaten Fördermethode. Doch durch das Fracking lassen sich nun Ölvorkommen wie die in North Dakota erschließen, die bisher unerreichbar waren.
Der Ölboom hat für die USA nicht nur enorme wirtschaftliche, sondern auch geopolitische Folgen. Denn die steigende einheimische Produktion bedeutet zugleich ein drastisches Absinken der Importe. Im Jahr 2005 kauften die USA noch 60 Prozent ihres Öls auf dem Weltmarkt ein. Heute sind es nur noch etwas mehr als 40 Prozent. Amerika, über Jahrzehnte einer der größten Ölimporteure der Welt, ist drauf und dran, einen Großteil des Bedarfs aus eigener Förderung decken zu können. Ähnlich sieht es beim Gas aus, das ebenfalls per Fracking aus dem Boden gelöst wird: Zwischen 2010 und 2035 würden die USA vom Importeur zum Exporteur von Gas werden, schreiben die IEA-Experten im 'World Energy Outlook 2012'.
Vor allem nimmt durch den heimischen Boom Amerikas Import von Öl aus einer Region ab: aus den Petromonarchien am Persischen Golf. Das Ölkartell Opec schätzt, dass bis 2035 der Export von nahöstlichem Öl nach Nordamerika auf praktisch null gefallen sein wird. Zum ersten Mal in ihrer jüngeren Geschichte werden die Vereinigten Staaten nicht mehr von Öl aus dem Nahen Osten abhängig sein.
Einige Beobachter vergleichen die geopolitische Bedeutung dieser Entwicklung mit dem Fall der Berliner Mauer, sie verändere die weltweite strategische Lage von Grund auf. Das mag übertrieben sein. Klar ist jedoch, dass mit dem Ende der Abhängigkeit von nahöstlichem Öl auch der wohl wichtigste Grund für die USA wegfällt, als - oft ungeliebte - Ordnungsmacht in der unruhigen Region aufzutreten. Diese Rolle hatte spätestens 1980 der damalige US-Präsident Jimmy Carter Amerika offiziell zugewiesen: In einer Rede vor dem Kongress schwor er unter ausdrücklichem Verweis auf die Ölreserven am Persischen Golf, dass die USA jeden Versuch einer fremden Macht, die Kontrolle über die Region an sich zu reißen, als Angriff auf ihre 'vitalen Interessen' werten und mit Gewalt beantworten würden.
Den freien Fluss von Öl in den Westen zu sichern war seitdem ein, wenn nicht das Leitmotiv der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik in der Region. Es war der Grund für die Unterstützung diktatorischer Regime wie zum Beispiel in Riad und für militärische Interventionen wie den ersten Golfkrieg gegen den Irak. Um die wichtigste Öltankerroute - die Meerenge von Hormus - zu schützen, durch die ein Großteil des saudischen Öls exportiert wird, haben die USA dauerhaft eine gewaltige Marinestreitmacht am Persischen Golf stationiert, die 5.Flotte in Bahrain, zu der ein Flugzeugträger-Verband gehört.
Amerikas Einmischung im Nahen Osten hat Tausende US-Soldaten und zahllose Araber das Leben sowie die amerikanischen Steuerzahler zig Milliarden gekostet. Schätzungen zufolge kostet die US-Militärpräsenz am Golf das Land jedes Jahr zwischen 20 und 70 Milliarden Dollar, je nach dem, welche Posten in der Rechnung enthalten sind. Roger Stern, ein Forscher von der Universität Princeton, beziffert die Summe, die Amerika von 1976 bis 2007 für die Sicherung von Ölförderung und -transport im Nahen Osten ausgegeben hat, sogar auf satte 7300Milliarden Dollar.
Und nicht zuletzt war Amerikas Rolle im Nahen Osten immer auch ein Grund für die Amerikafeindlichkeit in der Region - und den daraus resultierenden Terrorismus gegen die USA. Osama bin Laden begann seinen Feldzug gegen Amerika, weil im Zuge des Golfkriegs 1990 auf dem 'heiligen Boden' seines Heimatlandes Saudi-Arabien US-Truppen - mithin 'Ungläubige' - stationiert wurden.
Jahrzehntelang löste jede Eruption im Nahen Osten in Washington die Angst aus, das Schwarze Gold, der Lebenssaft der westlichen Wirtschaft, könnte nicht mehr fließen. 'Das hat sich geändert', sagte der für Energiepolitik zuständige Beamte im US-Außenministerium, Carlos Pascual, dem Wall Street Journal.
Das heißt nicht, dass Amerika sich über Nacht vom Nahen Osten abwenden wird. Was dort passiert, ist immer noch wichtig, weil es den Ölpreis beeinflussen kann. Erdöl wird - anders als Erdgas - frei auf dem Weltmarkt gehandelt, Förderunterbrechungen an einem Ort lassen daher rund um den Globus den Preis pro Barrel steigen. Doch Amerika ist nicht mehr auf Gedeih und Verderb gezwungen, sich im Nahen Osten einzumischen, weil die Ölversorgung weitgehend gesichert ist.
Kurzfristig werden die Amerikaner wohl weiter die Förderung und den Transport von Öl im Nahen Osten militärisch absichern. 'Niemand anderes kann das machen, und wenn wir nicht bereitstehen, steigen auch die US-Ölpreise', sagt der Verteidigungsexperte Michael O"Hanlon von der Washingtoner Denkfabrik Brookings. Ob das für ewig gilt, ist freilich offen. 'Wie viel Blut und Geld werden die USA auszugeben bereit sein, wenn ihre Ölexporte mit denen Saudi-Arabiens konkurrieren?', fragte jüngst Philip Stephens, der außenpolitische Kolumnist der Financial Times. Künftige US-Regierungen werden wohl sehr genau darüber nachdenken, ob sie weiter Steuermilliarden und Soldatenleben dafür ausgeben, die Ölrouten der Araber zu bewachen. Der Bundesnachrichtendienst sagt voraus, dass 'die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit' der USA im Nahen Osten erheblich steigen werde. Anders gesagt: Amerika kann sich weiter dort engagieren, muss es aber nicht.
Zumal das Öl der Region künftig vor allem für Amerikas Hauptrivalen gefördert werden wird: China. Das Land importiert nach Angaben der IEA derzeit etwa 55 Prozent seines Öls. Im Jahr 2035 werden es mehr als 80 Prozent sein. Fast das gesamte Öl aus dem Nahen Osten wird dann nach Asien fließen. Der chinesische Anteil an diesen Exporten wird laut IEA von heute drei auf fast sieben Millionen Barrel pro Tag steigen, der Anteil der US-Verbündeten Japan und Südkorea dürfte hingegen sinken. Bisher profitieren die Chinesen enorm davon, dass die Amerikaner ihnen quasi umsonst eine sichere Versorgung mit nahöstlichem Erdöl garantieren. Doch auch Peking stellt sich darauf ein, dass das nicht so bleiben wird: Seit einigen Jahren ist Chinas Marine am Horn von Afrika im Einsatz gegen Piraten. Beobachter sehen das als ersten Schritt Pekings, um sich in der Region Geltung zu verschaffen.