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Jeder soll es wissen

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Pharmafirmen stehen oft in der Kritik, weil sie detaillierte Daten aus klinischen Studien unter Verschluss halten. Nun verspricht ein Konzern, künftig mehr Information herauszugeben - bringt das den Wandel zum Wohl der Patienten?


Die Nachricht war erst wenige Minuten alt, da fiel es den Kommentatoren im Netz bereits schwer, neue Worte der Begeisterung zu finden. 'Fantastisch'. 'Unglaublich.' 'Ein historischer Moment', staunten mehrere Twitter-Nutzer. Überraschend an dem Jubel war der Auslöser, der britische Pharmakonzern Glaxo Smith Kline (GSK). Wird eine Pharmafirma im Netz derart mit Lob überhäuft, muss sie schon etwas ganz Besonderes geleistet haben.

Im Fall von GSK war es die Ankündigung, künftig weniger geheimniskrämerisch mit eigenen Studien umzugehen. Berichte zu klinischen Studien für bereits zugelassene Arzneien würden öffentlich zugänglich gemacht, teilte der Konzern vor wenigen Tagen mit. Auch unterstütze GSK die im Internet entstandene Kampagne 'All trials'. Diese fordert, alle klinischen Tests (trials) zu aktuellen Medikamenten zu erfassen und für jeden Menschen vollständig einsehbar zu machen.





Das klingt lobenswert angesichts der traditionellen Weigerung der Pharmaindustrie, unternehmensferne Forscher die eigenen Resultate nachvollziehen zu lassen. Sie könne die Begeisterungsstürme verstehen, sagt Beate Wieseler, Leiterin des Ressorts Arzneimittel am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig), das ebenfalls die All-trial-Petition unterzeichnet hat. 'Das ist ein ganz wesentlicher Schritt. Es zeigt, was alles möglich ist. Andere Unternehmen werden begründen müssen, warum sie weniger transparent sind.'

Tatsächlich könnte die neue Politik dazu beitragen, ein großes Problem der Medizin zu lösen. Patienten vertrauen schließlich darauf, dass Ärzte die am besten geeignete Therapien empfehlen. Doch worauf verlassen sich Ärzte? Vielleicht auf die Behandlungsleitlinien ihrer Disziplin, vielleicht auch auf das, was in medizinischen Fachzeitschriften steht. Das Problem jedoch ist: Dort kommen oft nur jene Informationen an, die Pharma-Hersteller für angebracht halten.

Zwar legen Fachzeitschriften zum Teil strenge Qualitätskriterien an die von ihnen publizierten Studien an. Auch das kann aber nicht verhindern, dass in Fachblättern nur ein verzerrtes Bild von dem erscheint, was in der klinischen Forschung tatsächlich passiert. Statistisch ist längst nachgewiesen, dass etwa Studien mit einem positiven Resultat doppelt so große Chancen haben publik gemacht zu werden wie negative Ergebnisse. Arzt und Patient setzen daher womöglich auf eine Therapie, von deren Wirksamkeit beide mit guten Gründen überzeugt sind, weil es dem Stand des publizierten Wissens entspricht. Doch möglicherweise kennt der Hersteller Daten, die das Mittel weniger wirksam erscheinen lassen - berichtet aber nichts davon. Insgesamt wird nur jede zweite klinische Studie in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, so das Ergebnis einer Untersuchung von 2010.

Doch selbst wenn es eine klinische Studie in ein Fachmagazin geschafft hat, bleibt die Aussagekraft oft gering. Die Artikel sind meist nur wenige Seiten lang und können somit nicht alle Daten der oft tausenden Probanden aus mehreren Jahren wiedergeben. Auch detaillierte Angaben zu den Methoden, etwa wie die Ergebnisse ausgewertet wurden, fehlen oft - und sind doch mindestens ebenso wichtig wie die Ergebnisse selbst.

Vollständig enthalten sind diese Daten hingegen in den sogenannten internen Studienberichten, von denen Glaxo Smith Kline künftig mehr preisgeben will. Die Berichte umfassen oft Tausende Seiten und geben zum Beispiel genau wieder, wie viele Probanden wann und aus welchen Gründen aus der Analyse ausgeschlossen wurden. Dass mehr Teilnehmer eine Studie beginnen als beenden, ist zwar normal. Irreführend - und möglicherweise schädlich für künftige Patienten - ist es aber zum Beispiel, wenn die Auswertung am Ende ausgerechnet jene Probanden einschließt, die das getestete Medikament besonders gut vertragen haben. Um solche Verzerrungen zu entdecken, braucht man alle Daten - und nicht nur solche, die die Experimentatoren selbst für berichtenswert halten.

In welch unterschiedlichem Licht ein Medikament erscheinen kann, je nachdem ob es auf Grundlage des vollständigen Berichts oder einer verkürzten Fassung bewertet wird, zeigten im vergangenen Jahr Forscher um Lisa Bero von der University of California. Für verschiedene Medikamentengruppen verglichen sie die detaillierten Berichte - so sie verfügbar waren - mit den kürzeren Gutachten der US-Arzneimittelbehörde. Demnach bewerteten die Gutachten die Wirkung der Arzneien nur in sieben Prozent der Fälle gleich wie die ausführlichen wissenschaftlichen Studienberichte. Und vor wenigen Wochen berichteten Forscher der Johns Hopkins School of Public Health von Beispielen, in denen die Probandenzahlen in veröffentlichten Studien anders wiedergegeben wurden, als es laut den detaillierten Berichten der Industrie tatsächlich der Fall gewesen war (Plos Medicine, online). Die Forscher hatten Studien zum Wirkstoff Gabapentin untersucht. Die dazugehörigen detaillierten Berichte der Industrie konnten sie aufgrund vorangegangener Gerichtsprozesse einsehen.

Wird das nun alles besser? GSK sei Dank? Immerhin kündigt Glaxo seinen guten Willen zu einer Zeit an, in der die Rufe nach mehr Transparenz in klinischen Studien immer lauter werden, auch von Seiten der Fachzeitschriften und Behörden. So stellt die europäische Zulassungsbehörde Ema seit zwei Jahren alle ihr vorliegenden Daten auf Anfrage zur Verfügung. 455 Mal wurde sie in den ersten beiden Jahren darum gebeten, meist von der Industrie, berichteten Peter Doshi von der Johns Hopkins University und Tom Jefferson im Dezember in den Archives of Internal Medicine. Derzeit plant die Behörde, von 2014 an die Daten auch ohne ausdrückliche Anfrage jedem zugänglich zu machen - ähnlich wie Glaxo es nun angekündigt hat.

Die Ankündigung des Unternehmens enthält aber auch Einschränkungen, die aufmerken lassen. So will das Unternehmen doch keinen uneingeschränkten Einblick in seine Daten erlauben, sondern den 'Kern' der Berichte veröffentlichen, teilt Sprecherin Catherine Hartley mit. 'Der Knackpunkt ist auch, zu welchen Studien die Berichte veröffentlicht werden', sagt Beate Wieseler vom Iqwig. Glaxo nennt mehrere Kriterien, etwa dass das getestete Medikament bereits zugelassen ist oder seine Entwicklung abgebrochen wurde - und die Studien bereits in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Dies solle gewährleisten, dass die Wissenschaftlergemeinde zunächst in Ruhe die Ergebnisse diskutieren könnte. 'Das bedeutet eine unnötige Verzögerung', kritisiert Wieseler. 'Wissenschaftler sollten über die vollständigen Daten diskutieren, nicht nur über einen Ausschnitt.'

Noch kritischer beurteilt Peter Doshi die Ankündigung von Glaxo. Er bemängelt seit Jahren die Geheimniskrämerei der Pharmaindustrie. Glaxo habe keinen uneingeschränkten Einblick in seine Berichte zugesichert, sondern wiederum nur in einen Teil der Daten, kritisiert Doshi. 'Haben wir aber zum Beispiel keine Daten zu einzelnen Patienten, kann das zu erheblichen Problemen führen.' Wissenschaftler könnten tiefergehende Informationen auf Anfrage und nach einer konzerninternen Prüfung erhalten', teilt Konzernsprecherin Hartley mit. Ein ähnliches Vorgehen hatte Glaxo bereits im Oktober angekündigt - und damit Zweifel bei einigen Forschern hervorgerufen, ob der Konzern auf die Anfragen auch dann eingehen werde, wenn er Kritik fürchten müsse. Wie teuer die werden kann, weiß das Unternehmen gut. Im vergangenen Juli zahlte GSK drei Milliarden Dollar, woraufhin ein Verfahren beendet wurde, in dem es unter anderem um irreführende Angaben zum Diabetesmittel Rosiglitazon gegangen war.

Schwer nachvollziehen lässt sich die Euphorie um die Glaxo-Ankündigung auch aufgrund der Erfahrungen mit anderen, mehr oder weniger verbindlichen Transparenz-Regeln. So verlangt die amerikanische Zulassungsbehörde FDA seit 2007, dass Zusammenfassungen über klinische Studien binnen eines Jahres nach ihrem Abschluss in einer Datenbank aufgelistet sein müssen. Genutzt hat die Regel jedoch kaum etwas, wie das British Medical Journal im vergangenen Jahr berichtete: Nur jede fünfte Studie sei seitdem ordnungsgemäß registriert worden. Und die Versäumnisse der Fachzeitschriften sind nicht weniger beeindruckend. Im Jahr 2005 hatten sich mehrere Medizin-Journale geeinigt, keine klinischen Studien mehr zu veröffentlichen, wenn diese nicht zuvor in einer öffentlichen Datenbank registriert worden waren. Vier Jahre später belegte ein Artikel im Jama die magere Bilanz dieser Aktion: Mehr als die Hälfte der publizierten Studien war demnach nicht ordnungsgemäß eingetragen - und ein Viertel überhaupt nicht.

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