Der Film des israelischen Regisseurs Tom Shoval ist der Geheimtipp auf der Berlinale. Seine Eltern konnten sich nicht leisten, ihrem Sohn auf dem Festival zuzujubeln.
Tom Shoval steht im Foyer des Kino International und weiß nicht, wohin mit seinen Händen. Gleich wird er auf die Bühne gerufen und ein paar Worte über seinen ersten Spielfilm sagen. Das Kino ist ausverkauft, 551 Sitzplätze, und an der Kasse drängen noch immer Berlinale-Besucher, die hoffen, dass die Platzanweiser freie Plätze entdecken. Sein Film ist der Geheimtipp auf der Berlinale. Dann wird Shoval ans Mikrofon gerufen. Er ist so nervös, dass er auf die Leinwand zurennt. Sein Leben spielt sich gerade in einer Geschwindigkeit ab, die ihm den Atem nimmt.
Auf der Berlinale kommen die emotionalsten Filme längst nicht mehr aus Hollywood.
Tom Shoval stammt aus Petach Tikva, einer kleinen armen Stadt bei Tel Aviv. In Petach Tikva gibt es keine großen Kinos, aber Shoval liefert gerade den Beweis, dass von dort großes Kino kommen kann. Der 1981 geborene Regisseur und Autor, der an der Sam-Spiegel-Filmhochschule in Jerusalem lehrt, ist an diesem Abend überwältigt - von sich selbst. 'Mein Leben', wird er am nächsten Tag in einem Berliner Restaurant sagen, 'ist gerade wie ein Film.' Ein Film, in dem er die Hauptrolle spielt.
Am Abend, bei der Filmpremiere, gewinnt er das Publikum für sich mit Wärme: 'Danke, dass Ihr alle gekommen seid. Ich würde Euch jetzt gerne alle umarmen!' Alle lachen, applaudieren. Er sagt dann noch: 'Ich hoffe, mein Film geht Euch unter die Haut.' Augenblicke später setzt kalte, laute Metal-Musik ein, dass die Ohren dröhnen, und weiße Buchstaben auf schwarzem Hintergrund tauchen auf: 'Youth'.
Jugend. Das ist, in Israel, ein Mantra, dem alle verfallen. Ein Zustand der Glückseligkeit, der mit 18 Jahren ein abruptes Ende hat: Dann ziehen Jungs und Mädchen ins Militär. Dann ist (erstmal) Schluss mit Partys, dann wird die Waffe umgeschnallt. Sie verleiht Macht. Und sie bedeutet das Ende der Sorglosigkeit. In seinem Erstlingsfilm, der vom Saarländischen Rundfunk und von Arte ko-produziert worden ist, zeigt Shoval junge Soldaten, die ihre Waffenmacht missbrauchen.
Sein Film schafft, was auch der israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev mit ihren Büchern gelingt: Von einem Israel zu erzählen jenseits der Nahost-Konflikthäppchen in der 'Tagesschau'. Ein ganz normales Israel, in dem die Menschen ihre Arbeit und ihren Lebensmut verlieren, ein Israel, in dem die Mittelklasse verarmt und Kredite nicht mehr bezahlt werden können, ein Israel, in dem man nach iPods giert und Schüler abends auf Spielplätzen kiffen. Seit zwei Jahren protestieren Israelis gegen steigende Lebensmittelpreise und Mieten. Regierungschef Benjamin Netanjahu hat zwar versprochen, neue Wohnungen bauen zu lassen, und er hat die Benzinpreiserhöhung zurückgenommen. Er hat auch die Wahl gewonnen, aber er hat sie irgendwie auch verloren: Denn die Überraschung der jüngsten Wahl ist Yair Lapid, ein charmanter TV-Moderator, dessen 'Es gibt eine Zukunft'-Partei auf Anhieb zur zweitstärksten Fraktion ins Parlament gewählt wurde. Lapids Mantra: Die Kluft zwischen arm und reich zu schließen.
Was machen Menschen, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können? Tom Shovals atmosphärisch dichter Film zeigt, wie die Verzweiflung die Brüder Yaki und Shaul dazu treibt, mit einer wahnwitzigen Idee die Wohnung der Eltern doch noch behalten zu können. Die Eltern können den Kredit nicht mehr abbezahlen, nachdem der Vater arbeitslos geworden ist. 'Ohne Geld bist Du nichts', sagt der Vater einmal im Film. Er wird gespielt von Moshe Ivgy, einem der besten Charakterdarsteller Israels. Die Brüder wollen nicht nichts sein, und sie wollen die Welt retten - die eigene und die ihrer Eltern.
Wochenlang folgt Shaul einer Mitschülerin, nach Unterrichtsende bis zu ihr nach Hause, um auszuchecken, wo sie sich am besten entführen lasse. In größenwahnsinnigem Übermut kidnappen die Jungs dann das Mädchen - doch alles geht schief. Vor allem: Erreichen sie deren Eltern nicht, die, weil Schabbat ist, nicht ans Telefon gehen. Alles hat der Film, 90 Minuten lang: Spannung, tiefe Traurigkeit, den Humor von Quentin Tarantino und eine Wucht, die beweist: Die emotionalsten Filme kommen zur Zeit aus Israel, längst nicht mehr aus Hollywood.
Tom Shoval sitzt in einem Berliner Restaurant, das iPhone im Blick. Die Party gestern Abend nach der Vorführung im Kino International war lang. Um drei Uhr war er erst im Hotel. Er hat seinen Bruder mitgebracht, Dan, der ihn auf seine Erfolgstour nach Berlin begleitet. Zwischen Tom Shoval und seinem Bruder Dan liegen vier Jahre, aber Tom Shoval sagt: 'Wenn wir nicht im Kontakt sind, fehlt mir was.' Die Beziehung der beiden ist auch Motivation gewesen für die Film-Brüder Yaki und Shaul. Und noch etwas, sagt er und nippt am Espresso, sei so anders, wenn man jung und 18 Jahre alt ist: 'Du denkst, Du könntest die Welt ändern, wenn Du jung bist. So denken auch die Brüder in meinem Film.' Shoval zeigt deren Beziehung, unheimlich symbiotisch. Morgens stehen sie zu zweit vor der Kloschüssel und pinkeln hinein. Wenn sie ihre Wut ablassen müssen, boxen sie auf sich ein. Wenn sie trauern, ringen sie, als klebten sie aneinander fest. Im wahren Leben sind die Darsteller von Yaki und Shaul (David und Eitan Cunio) keine Schauspieler - sondern Soldaten. Tom Shoval sie nach einem langen Casting in einem Kibbutz im Süden von Israel gefunden. Für ihre Rollen haben sie monatelangen Schauspiel- und Improvisationsunterricht genommen - und sogar die Einberufung in die Armee verschoben.
Tom Shoval kann den Auftritt auf der Berlinale noch nicht richtig fassen: 'Wir laufen auf roten Teppichen wie Hollywoodstars, wir werden in schwarzen Limousinen von Aufführung zu Aufführung gefahren, es ist alles wie im Traum.'
Von seinem Traum kriegen Shovals Eltern gerade nichts mit. Er und sein Bruder finden das 'sehr schade'. Die Eltern leben bis heute in Petach Tikva. Bis vor ein paar Monaten hat Tom Shovals Vater noch in der Anzeigenabteilung der Zeitung Maariv gearbeitet, jetzt hat man ihm gekündigt. Seine Eltern sind nicht nach Berlin mitgekommen, ihren Sohn in Rampenlicht und Applausbrandung zu sehen.
Warum nicht? Tom Shoval schaut seinen Bruder Dan an und sagt: 'Auch aus finanziellen Gründen.'
Tom Shoval steht im Foyer des Kino International und weiß nicht, wohin mit seinen Händen. Gleich wird er auf die Bühne gerufen und ein paar Worte über seinen ersten Spielfilm sagen. Das Kino ist ausverkauft, 551 Sitzplätze, und an der Kasse drängen noch immer Berlinale-Besucher, die hoffen, dass die Platzanweiser freie Plätze entdecken. Sein Film ist der Geheimtipp auf der Berlinale. Dann wird Shoval ans Mikrofon gerufen. Er ist so nervös, dass er auf die Leinwand zurennt. Sein Leben spielt sich gerade in einer Geschwindigkeit ab, die ihm den Atem nimmt.
Auf der Berlinale kommen die emotionalsten Filme längst nicht mehr aus Hollywood.
Tom Shoval stammt aus Petach Tikva, einer kleinen armen Stadt bei Tel Aviv. In Petach Tikva gibt es keine großen Kinos, aber Shoval liefert gerade den Beweis, dass von dort großes Kino kommen kann. Der 1981 geborene Regisseur und Autor, der an der Sam-Spiegel-Filmhochschule in Jerusalem lehrt, ist an diesem Abend überwältigt - von sich selbst. 'Mein Leben', wird er am nächsten Tag in einem Berliner Restaurant sagen, 'ist gerade wie ein Film.' Ein Film, in dem er die Hauptrolle spielt.
Am Abend, bei der Filmpremiere, gewinnt er das Publikum für sich mit Wärme: 'Danke, dass Ihr alle gekommen seid. Ich würde Euch jetzt gerne alle umarmen!' Alle lachen, applaudieren. Er sagt dann noch: 'Ich hoffe, mein Film geht Euch unter die Haut.' Augenblicke später setzt kalte, laute Metal-Musik ein, dass die Ohren dröhnen, und weiße Buchstaben auf schwarzem Hintergrund tauchen auf: 'Youth'.
Jugend. Das ist, in Israel, ein Mantra, dem alle verfallen. Ein Zustand der Glückseligkeit, der mit 18 Jahren ein abruptes Ende hat: Dann ziehen Jungs und Mädchen ins Militär. Dann ist (erstmal) Schluss mit Partys, dann wird die Waffe umgeschnallt. Sie verleiht Macht. Und sie bedeutet das Ende der Sorglosigkeit. In seinem Erstlingsfilm, der vom Saarländischen Rundfunk und von Arte ko-produziert worden ist, zeigt Shoval junge Soldaten, die ihre Waffenmacht missbrauchen.
Sein Film schafft, was auch der israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev mit ihren Büchern gelingt: Von einem Israel zu erzählen jenseits der Nahost-Konflikthäppchen in der 'Tagesschau'. Ein ganz normales Israel, in dem die Menschen ihre Arbeit und ihren Lebensmut verlieren, ein Israel, in dem die Mittelklasse verarmt und Kredite nicht mehr bezahlt werden können, ein Israel, in dem man nach iPods giert und Schüler abends auf Spielplätzen kiffen. Seit zwei Jahren protestieren Israelis gegen steigende Lebensmittelpreise und Mieten. Regierungschef Benjamin Netanjahu hat zwar versprochen, neue Wohnungen bauen zu lassen, und er hat die Benzinpreiserhöhung zurückgenommen. Er hat auch die Wahl gewonnen, aber er hat sie irgendwie auch verloren: Denn die Überraschung der jüngsten Wahl ist Yair Lapid, ein charmanter TV-Moderator, dessen 'Es gibt eine Zukunft'-Partei auf Anhieb zur zweitstärksten Fraktion ins Parlament gewählt wurde. Lapids Mantra: Die Kluft zwischen arm und reich zu schließen.
Was machen Menschen, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können? Tom Shovals atmosphärisch dichter Film zeigt, wie die Verzweiflung die Brüder Yaki und Shaul dazu treibt, mit einer wahnwitzigen Idee die Wohnung der Eltern doch noch behalten zu können. Die Eltern können den Kredit nicht mehr abbezahlen, nachdem der Vater arbeitslos geworden ist. 'Ohne Geld bist Du nichts', sagt der Vater einmal im Film. Er wird gespielt von Moshe Ivgy, einem der besten Charakterdarsteller Israels. Die Brüder wollen nicht nichts sein, und sie wollen die Welt retten - die eigene und die ihrer Eltern.
Wochenlang folgt Shaul einer Mitschülerin, nach Unterrichtsende bis zu ihr nach Hause, um auszuchecken, wo sie sich am besten entführen lasse. In größenwahnsinnigem Übermut kidnappen die Jungs dann das Mädchen - doch alles geht schief. Vor allem: Erreichen sie deren Eltern nicht, die, weil Schabbat ist, nicht ans Telefon gehen. Alles hat der Film, 90 Minuten lang: Spannung, tiefe Traurigkeit, den Humor von Quentin Tarantino und eine Wucht, die beweist: Die emotionalsten Filme kommen zur Zeit aus Israel, längst nicht mehr aus Hollywood.
Tom Shoval sitzt in einem Berliner Restaurant, das iPhone im Blick. Die Party gestern Abend nach der Vorführung im Kino International war lang. Um drei Uhr war er erst im Hotel. Er hat seinen Bruder mitgebracht, Dan, der ihn auf seine Erfolgstour nach Berlin begleitet. Zwischen Tom Shoval und seinem Bruder Dan liegen vier Jahre, aber Tom Shoval sagt: 'Wenn wir nicht im Kontakt sind, fehlt mir was.' Die Beziehung der beiden ist auch Motivation gewesen für die Film-Brüder Yaki und Shaul. Und noch etwas, sagt er und nippt am Espresso, sei so anders, wenn man jung und 18 Jahre alt ist: 'Du denkst, Du könntest die Welt ändern, wenn Du jung bist. So denken auch die Brüder in meinem Film.' Shoval zeigt deren Beziehung, unheimlich symbiotisch. Morgens stehen sie zu zweit vor der Kloschüssel und pinkeln hinein. Wenn sie ihre Wut ablassen müssen, boxen sie auf sich ein. Wenn sie trauern, ringen sie, als klebten sie aneinander fest. Im wahren Leben sind die Darsteller von Yaki und Shaul (David und Eitan Cunio) keine Schauspieler - sondern Soldaten. Tom Shoval sie nach einem langen Casting in einem Kibbutz im Süden von Israel gefunden. Für ihre Rollen haben sie monatelangen Schauspiel- und Improvisationsunterricht genommen - und sogar die Einberufung in die Armee verschoben.
Tom Shoval kann den Auftritt auf der Berlinale noch nicht richtig fassen: 'Wir laufen auf roten Teppichen wie Hollywoodstars, wir werden in schwarzen Limousinen von Aufführung zu Aufführung gefahren, es ist alles wie im Traum.'
Von seinem Traum kriegen Shovals Eltern gerade nichts mit. Er und sein Bruder finden das 'sehr schade'. Die Eltern leben bis heute in Petach Tikva. Bis vor ein paar Monaten hat Tom Shovals Vater noch in der Anzeigenabteilung der Zeitung Maariv gearbeitet, jetzt hat man ihm gekündigt. Seine Eltern sind nicht nach Berlin mitgekommen, ihren Sohn in Rampenlicht und Applausbrandung zu sehen.
Warum nicht? Tom Shoval schaut seinen Bruder Dan an und sagt: 'Auch aus finanziellen Gründen.'