Die Nischen der parallelen Internetwelt Dark Web finden nicht einmal Suchmaschinen - das nutzen Dissidenten, aber auch Verbrecher.
Wenn vom Internet als 'rechtsfreiem Raum' gesprochen wird, dann geht es in den meisten Fällen um Internetseiten, die unerlaubt urheberrechtlich geschütztes Material zum Download anbieten. Deren Betreiber begehen Delikte, für die sie auch strafrechtlich verfolgt werden. Das gelingt nicht immer. Doch die Tatsache, dass illegale Filmbörsen wie beispielsweise kino.to zum Teil für einen langen Zeitraum verfügbar bleiben, täuscht manchmal darüber hinweg, dass das World Wide Web mit seinen klar identifizierbaren IP-Adressen im Grunde über eine Infrastruktur verfügt, die den Strafverfolgungsbehörden im Bedarfsfall Instrumentarien liefert, mit denen man Straftäter aufspüren kann, um nationales Recht und Gesetz innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen auch digital durchsetzen zu können.
Dissidenten aber auch Verbrecher nutzen das Dark Web.
So wenig, wie der immer mal wieder anzutreffende Schwarzfahrer die öffentlichen Verkehrsmittel zu einem allgemeinen Hort der Anarchie verkommen lässt, so wenig kann also allein aufgrund des Vorhandenseins solcher Webseiten das gesamte Internet als gesetzlose Zone bezeichnet werden: In beiden Fällen gibt es ja Gesetze und Mittel zu ihrer Durchsetzung. Doch sowohl der öffentliche Verkehr als auch das Internet sind eben so beschaffen, dass sich individuelle Verstöße dagegen nicht in jedem Fall unmittelbar bemerkbar machen.
In mancherlei Hinsicht problematisch wird es erst, wenn sich innerhalb dieses Kosmos im Netz ein Bereich ausbildet, in dem nicht mehr anhand der Verbindungsdaten bestimmt werden kann, wer wann am anderen Ende der Leitung saß. Wenn - in Analogie zum öffentlichen Verkehr - jeder 'Fahrgast' eine Maske trägt, die eine Identifikation und Strafverfolgung unmöglich macht, unabhängig davon, ob der Betreffende vielleicht sogar ein gut sichtbares Schild hochhält mit der Aufschrift: 'Achtung: Schwarzfahrer!'
So funktioniert das Dark Web, in dem sich zum Beispiel politische Aktivisten bewegen, die ihre Kommunikation vor autoritären Regimes verbergen wollen, oder auch Journalisten, die sensible Informationen mit Dissidenten austauschen. In diesem digital verdunkelten Teil des Internets, der durch keine Google-Suche ausfindig gemacht werden kann, verschwinden Zensurschranken und offene Foren können zur freien Meinungsäußerung genutzt werden.
Als die ägyptische Regierung etwa zu Beginn des arabischen Frühlings am 26. Januar 2011 anfing, Internetverbindungen zu Facebook und Twitter zu blockieren, verachtfachte sich die Zahl der Ägypter, die den Umweg über das Dark Web nahmen - worauf das Mubarak-Regime kurzerhand mit einer kompletten Netzsperre reagierte. Der Vorfall zeigt: Anders als das allgemein bekannte World Wide Web entzieht sich das nur mit entsprechender Software zugängliche Dark Web jeder staatlichen Kontrolle.
Doch es gibt natürlich auch eine buchstäblich dunkle Seite des Dark Web. Die schier grenzenlosen Möglichkeiten einer allumfassenden Anonymität wussten schnell auch Drogenhändler, Pädophile und andere Kriminelle für sich zu nutzen. Das Dark Web ist heute der eigentlich 'rechtsfreie Raum des Internets', in dem neben Meinungen eben auch Gesetzesbrüche unverhohlen und ungestraft zur Schau getragen werden können. Eine Garantie auf unbedingte Privatsphäre - egal, ob digital oder analog - kann und will eben auch gar nicht zwischen 'guter' und 'schlechter' Verwendung unterscheiden.
Möglich wird das Ganze durch eine Technik, die ursprünglich vom Forschungslabor der US-Navy zum Schutz staatlicher Kommunikation entwickelt wurde. Die schützt nun auch vermehrt private Kommunikation vor staatlichem Zugriff: das sogenannte Onion Routing. Dabei wird der Internetverkehr verschlüsselt über mehrere weltweit verteilte Knotenpunkte umgeleitet. Die Rückverfolgung wird dadurch, bei richtiger Konfiguration, unmöglich gemacht.
2006 beschlagnahmten deutsche Behörden im Rahmen von Ermittlungen gegen die Betreiber einer Kinderporno-Website zehn deutsche Server, die solche Knotenpunkte beherbergten - jedoch ohne etwa anhand dessen die Identität der Täter feststellen zu können. Das Problem liegt in der Struktur des Onion Routings: Jeder Computer mit DSL-Anschluss kann potenziell als Knotenpunkt fungieren. Es gibt keine zentrale Stelle, die die willkürlichen und häufig wechselnden Verbindungsgeflechte über beispielsweise Schweden, Malaysia oder Russland protokolliert. Nur der letzte Knoten gibt sich zu erkennen - dessen Inhaber hat aber keinerlei Kontrolle oder Wissen darüber, was in seinem Namen abgerufen wird.
Welche Folgen es hat, wenn man im Internet völlig unerkannt bleiben kann, zeigt das vielleicht bekannteste Phänomen des Dark Webs: der Online-Schwarzmarkt Silk Road, wo Drogenhändler aus aller Welt offen ihre Waren anbieten - mit Produktbildern, detaillierten Beschreibungen und Kundenbewertungen. Die Professionalität der Webseite, die sich nach der sagenumwobenen Seidenstraße benannt hat, überrascht auf den ersten Blick. Die Navigation erinnert an Ebay. Händler werben mit kostenlosem Versand.
In der rechten oberen Ecke befindet sich das Bild eines kleinen Einkaufswagens. Produkte sind fein säuberlich in verschiedene Kategorien sortiert - Cannabis, Opioide, Psychedelika. Ein deutscher Händler bietet dort beispielsweise ein Gramm seines Kokains zum Preis von 90 Euro an. 97Prozent der Kunden bewerten sein Produkt positiv, die Mehrheit vergibt fünf von fünf möglichen Sternen. Was früher noch auf persönlichem Vertrauen in einen Dealer basierte, dem man von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, erledigt heute die globale Crowd.
Ganz uferlos ist die Freiheit bei Silk Road nicht. Es herrscht dort ein anarchokapitalistischer Ethos, der zumindest den Verkauf von Waffen, Diebesgut und Kinderpornografie verbietet. Das erinnert ein wenig an das bizarre Ehrgefühl des organisierten Verbrechens, das sich hin und wieder selbst Grenzen setzt.
Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt den monatlichen Umsatz der Website auf etwa 1,9 Millionen US-Dollar. Die Kommissionserträge der Betreiber sollen bei mehr als 6000 US-Dollar täglich liegen - Tendenz steigend. Dabei ist die Existenz von Silk Road keineswegs ein Geheimnis: Schon 2011 bezeichnete der demokratische New Yorker Senator Charles Schumer die Seite auf einer Pressekonferenz etwas ungelenk als 'den seit Lichtjahren dreistesten Vorstoß, online Drogen zu verkaufen'. Das Angebot besteht trotzdem weiter. Alle Versuche, die Seite abzuschalten, scheiterten bislang; weder Betreiber noch Verkäufer lassen sich in irgendeiner Form ausfindig machen.
Websites wie Silk Road, die sich an ein selbst gewähltes Regelwerk halten, stellen im Dark Web jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Längst nicht alle Nutzer fühlen sich irgendwelchen ethischen oder moralischen Grenzen verpflichtet. Im 'Black Market Reloaded' beispielsweise kann jeder Interessierte durchaus auch Schusswaffen bestellen: Die vollautomatische Glock-18- Pistole eines niederländischen Anbieters kostet hier 440 Euro, Lieferung frei Haus. Dazu kommen Hunderte offensichtlich gestohlene Handys, Laptops und andere Elektronikartikel, die für weniger als die Hälfte des Ladenpreises inseriert werden. Auf der Infoseite 'LiberaTor' dagegen finden sich kostenlose Bastelanleitungen für allerlei Sprengstoffe und bewegungsempfindliche Claymore-Minen, immerhin mit der Bitte, die dort beschriebenen Techniken nur 'zur legitimen Selbstverteidigung' zu nutzen.
Je weiter man in diese Untiefen des Webs einsteigt, desto tiefer ist auch der Einblick, den man in die Abgründe der menschlichen Seele bekommt: Nicht wenige Seiten haben das dezidierte Ziel, Menschen zu töten. Ein Auftragsmörder bietet seine Dienste für 20 000 Euro an. Für 'normale Personen'. Die Ermordung eines unliebsamen Journalisten kostet 65000 Euro, hochrangige Politiker werden von 100000 Euro an liquidiert. Wo früher noch ein Gesicht, eine Telefonnummer oder Fingerabdrücke als Anhaltspunkte für die Identifikation von Straftätern und ihren Auftraggebern vorhanden waren, herrscht heute, im Dark Web, eine nie da gewesene Anonymität.
Selbst die Zahlungen lassen sich nicht nachverfolgen. Die vorherrschende Währung sind Bitcoins, digitale Geldeinheiten, die man als Micropayment oder auch für größere Summen bei unzähligen legalen Anbietern verwenden kann, ohne dass Banken am Geldverkehr beteiligt werden. Versteckte Dienste wie 'CoinTumbler' waschen das Geld jedoch digital und verschleiern die Herkunft unwiderruflich.
Was bleibt, ist die Dystopie eines perfekten, internationalen Schwarzmarkts, den sich vermutlich jeder Interessierte innerhalb kürzester Zeit auf den heimischen Bildschirm holen kann. So schockierend diese Tatsachen zunächst sein mögen, so sehr man vielleicht auch unvorsichtig ein Verbot als mögliche Lösung des Problems in Betracht ziehen könnte: Onion Routing bleibt trotz aller negativen Aspekte ein wesentlicher Bestandteil der freien Kommunikation. Allein in Syrien nutzen heute 30Mal so viele Bürger Onion Routing wie noch zu Zeiten vor der arabischen Revolution. Auch in den anderen arabischen Ländern hat sich die Nutzung seither vervielfacht.
Aber die Methode ist nicht nur für Dissidenten in Diktaturen wichtig. Nur über das Dark Web können Whistleblower unerkannt Dokumente auf Wikieaks oder ähnlichen Plattformen veröffentlichen. Nur hier kann man auch über eine chinesische Leitung ansonsten gesperrte Informationen über das Tian"anmen-Massaker oder die Falun Gong abrufen. Will man das nicht aufs Spiel setzen, so bleibt fraglich, wie man der damit auch aus dem Schatten der Gesellschaft getretenen Kriminalität begegnen möchte - einer Kriminalität, die sich unabhängig von Herkunft, sozialem Milieu oder vorhandenem Hintergrundwissen jedem anbietet, der nur einen Internetzugang hat.
Sowohl der Online-Drogenhandel als auch die uneingeschränkte Meinungsfreiheit leben von der Voraussetzung einer vollständigen Anonymität. Die Gesellschaft ist nun gefordert, in diesem Spannungsfeld aus Freiheit und Missbrauch Lösungen zu finden.
Wenn vom Internet als 'rechtsfreiem Raum' gesprochen wird, dann geht es in den meisten Fällen um Internetseiten, die unerlaubt urheberrechtlich geschütztes Material zum Download anbieten. Deren Betreiber begehen Delikte, für die sie auch strafrechtlich verfolgt werden. Das gelingt nicht immer. Doch die Tatsache, dass illegale Filmbörsen wie beispielsweise kino.to zum Teil für einen langen Zeitraum verfügbar bleiben, täuscht manchmal darüber hinweg, dass das World Wide Web mit seinen klar identifizierbaren IP-Adressen im Grunde über eine Infrastruktur verfügt, die den Strafverfolgungsbehörden im Bedarfsfall Instrumentarien liefert, mit denen man Straftäter aufspüren kann, um nationales Recht und Gesetz innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen auch digital durchsetzen zu können.
Dissidenten aber auch Verbrecher nutzen das Dark Web.
So wenig, wie der immer mal wieder anzutreffende Schwarzfahrer die öffentlichen Verkehrsmittel zu einem allgemeinen Hort der Anarchie verkommen lässt, so wenig kann also allein aufgrund des Vorhandenseins solcher Webseiten das gesamte Internet als gesetzlose Zone bezeichnet werden: In beiden Fällen gibt es ja Gesetze und Mittel zu ihrer Durchsetzung. Doch sowohl der öffentliche Verkehr als auch das Internet sind eben so beschaffen, dass sich individuelle Verstöße dagegen nicht in jedem Fall unmittelbar bemerkbar machen.
In mancherlei Hinsicht problematisch wird es erst, wenn sich innerhalb dieses Kosmos im Netz ein Bereich ausbildet, in dem nicht mehr anhand der Verbindungsdaten bestimmt werden kann, wer wann am anderen Ende der Leitung saß. Wenn - in Analogie zum öffentlichen Verkehr - jeder 'Fahrgast' eine Maske trägt, die eine Identifikation und Strafverfolgung unmöglich macht, unabhängig davon, ob der Betreffende vielleicht sogar ein gut sichtbares Schild hochhält mit der Aufschrift: 'Achtung: Schwarzfahrer!'
So funktioniert das Dark Web, in dem sich zum Beispiel politische Aktivisten bewegen, die ihre Kommunikation vor autoritären Regimes verbergen wollen, oder auch Journalisten, die sensible Informationen mit Dissidenten austauschen. In diesem digital verdunkelten Teil des Internets, der durch keine Google-Suche ausfindig gemacht werden kann, verschwinden Zensurschranken und offene Foren können zur freien Meinungsäußerung genutzt werden.
Als die ägyptische Regierung etwa zu Beginn des arabischen Frühlings am 26. Januar 2011 anfing, Internetverbindungen zu Facebook und Twitter zu blockieren, verachtfachte sich die Zahl der Ägypter, die den Umweg über das Dark Web nahmen - worauf das Mubarak-Regime kurzerhand mit einer kompletten Netzsperre reagierte. Der Vorfall zeigt: Anders als das allgemein bekannte World Wide Web entzieht sich das nur mit entsprechender Software zugängliche Dark Web jeder staatlichen Kontrolle.
Doch es gibt natürlich auch eine buchstäblich dunkle Seite des Dark Web. Die schier grenzenlosen Möglichkeiten einer allumfassenden Anonymität wussten schnell auch Drogenhändler, Pädophile und andere Kriminelle für sich zu nutzen. Das Dark Web ist heute der eigentlich 'rechtsfreie Raum des Internets', in dem neben Meinungen eben auch Gesetzesbrüche unverhohlen und ungestraft zur Schau getragen werden können. Eine Garantie auf unbedingte Privatsphäre - egal, ob digital oder analog - kann und will eben auch gar nicht zwischen 'guter' und 'schlechter' Verwendung unterscheiden.
Möglich wird das Ganze durch eine Technik, die ursprünglich vom Forschungslabor der US-Navy zum Schutz staatlicher Kommunikation entwickelt wurde. Die schützt nun auch vermehrt private Kommunikation vor staatlichem Zugriff: das sogenannte Onion Routing. Dabei wird der Internetverkehr verschlüsselt über mehrere weltweit verteilte Knotenpunkte umgeleitet. Die Rückverfolgung wird dadurch, bei richtiger Konfiguration, unmöglich gemacht.
2006 beschlagnahmten deutsche Behörden im Rahmen von Ermittlungen gegen die Betreiber einer Kinderporno-Website zehn deutsche Server, die solche Knotenpunkte beherbergten - jedoch ohne etwa anhand dessen die Identität der Täter feststellen zu können. Das Problem liegt in der Struktur des Onion Routings: Jeder Computer mit DSL-Anschluss kann potenziell als Knotenpunkt fungieren. Es gibt keine zentrale Stelle, die die willkürlichen und häufig wechselnden Verbindungsgeflechte über beispielsweise Schweden, Malaysia oder Russland protokolliert. Nur der letzte Knoten gibt sich zu erkennen - dessen Inhaber hat aber keinerlei Kontrolle oder Wissen darüber, was in seinem Namen abgerufen wird.
Welche Folgen es hat, wenn man im Internet völlig unerkannt bleiben kann, zeigt das vielleicht bekannteste Phänomen des Dark Webs: der Online-Schwarzmarkt Silk Road, wo Drogenhändler aus aller Welt offen ihre Waren anbieten - mit Produktbildern, detaillierten Beschreibungen und Kundenbewertungen. Die Professionalität der Webseite, die sich nach der sagenumwobenen Seidenstraße benannt hat, überrascht auf den ersten Blick. Die Navigation erinnert an Ebay. Händler werben mit kostenlosem Versand.
In der rechten oberen Ecke befindet sich das Bild eines kleinen Einkaufswagens. Produkte sind fein säuberlich in verschiedene Kategorien sortiert - Cannabis, Opioide, Psychedelika. Ein deutscher Händler bietet dort beispielsweise ein Gramm seines Kokains zum Preis von 90 Euro an. 97Prozent der Kunden bewerten sein Produkt positiv, die Mehrheit vergibt fünf von fünf möglichen Sternen. Was früher noch auf persönlichem Vertrauen in einen Dealer basierte, dem man von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, erledigt heute die globale Crowd.
Ganz uferlos ist die Freiheit bei Silk Road nicht. Es herrscht dort ein anarchokapitalistischer Ethos, der zumindest den Verkauf von Waffen, Diebesgut und Kinderpornografie verbietet. Das erinnert ein wenig an das bizarre Ehrgefühl des organisierten Verbrechens, das sich hin und wieder selbst Grenzen setzt.
Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt den monatlichen Umsatz der Website auf etwa 1,9 Millionen US-Dollar. Die Kommissionserträge der Betreiber sollen bei mehr als 6000 US-Dollar täglich liegen - Tendenz steigend. Dabei ist die Existenz von Silk Road keineswegs ein Geheimnis: Schon 2011 bezeichnete der demokratische New Yorker Senator Charles Schumer die Seite auf einer Pressekonferenz etwas ungelenk als 'den seit Lichtjahren dreistesten Vorstoß, online Drogen zu verkaufen'. Das Angebot besteht trotzdem weiter. Alle Versuche, die Seite abzuschalten, scheiterten bislang; weder Betreiber noch Verkäufer lassen sich in irgendeiner Form ausfindig machen.
Websites wie Silk Road, die sich an ein selbst gewähltes Regelwerk halten, stellen im Dark Web jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Längst nicht alle Nutzer fühlen sich irgendwelchen ethischen oder moralischen Grenzen verpflichtet. Im 'Black Market Reloaded' beispielsweise kann jeder Interessierte durchaus auch Schusswaffen bestellen: Die vollautomatische Glock-18- Pistole eines niederländischen Anbieters kostet hier 440 Euro, Lieferung frei Haus. Dazu kommen Hunderte offensichtlich gestohlene Handys, Laptops und andere Elektronikartikel, die für weniger als die Hälfte des Ladenpreises inseriert werden. Auf der Infoseite 'LiberaTor' dagegen finden sich kostenlose Bastelanleitungen für allerlei Sprengstoffe und bewegungsempfindliche Claymore-Minen, immerhin mit der Bitte, die dort beschriebenen Techniken nur 'zur legitimen Selbstverteidigung' zu nutzen.
Je weiter man in diese Untiefen des Webs einsteigt, desto tiefer ist auch der Einblick, den man in die Abgründe der menschlichen Seele bekommt: Nicht wenige Seiten haben das dezidierte Ziel, Menschen zu töten. Ein Auftragsmörder bietet seine Dienste für 20 000 Euro an. Für 'normale Personen'. Die Ermordung eines unliebsamen Journalisten kostet 65000 Euro, hochrangige Politiker werden von 100000 Euro an liquidiert. Wo früher noch ein Gesicht, eine Telefonnummer oder Fingerabdrücke als Anhaltspunkte für die Identifikation von Straftätern und ihren Auftraggebern vorhanden waren, herrscht heute, im Dark Web, eine nie da gewesene Anonymität.
Selbst die Zahlungen lassen sich nicht nachverfolgen. Die vorherrschende Währung sind Bitcoins, digitale Geldeinheiten, die man als Micropayment oder auch für größere Summen bei unzähligen legalen Anbietern verwenden kann, ohne dass Banken am Geldverkehr beteiligt werden. Versteckte Dienste wie 'CoinTumbler' waschen das Geld jedoch digital und verschleiern die Herkunft unwiderruflich.
Was bleibt, ist die Dystopie eines perfekten, internationalen Schwarzmarkts, den sich vermutlich jeder Interessierte innerhalb kürzester Zeit auf den heimischen Bildschirm holen kann. So schockierend diese Tatsachen zunächst sein mögen, so sehr man vielleicht auch unvorsichtig ein Verbot als mögliche Lösung des Problems in Betracht ziehen könnte: Onion Routing bleibt trotz aller negativen Aspekte ein wesentlicher Bestandteil der freien Kommunikation. Allein in Syrien nutzen heute 30Mal so viele Bürger Onion Routing wie noch zu Zeiten vor der arabischen Revolution. Auch in den anderen arabischen Ländern hat sich die Nutzung seither vervielfacht.
Aber die Methode ist nicht nur für Dissidenten in Diktaturen wichtig. Nur über das Dark Web können Whistleblower unerkannt Dokumente auf Wikieaks oder ähnlichen Plattformen veröffentlichen. Nur hier kann man auch über eine chinesische Leitung ansonsten gesperrte Informationen über das Tian"anmen-Massaker oder die Falun Gong abrufen. Will man das nicht aufs Spiel setzen, so bleibt fraglich, wie man der damit auch aus dem Schatten der Gesellschaft getretenen Kriminalität begegnen möchte - einer Kriminalität, die sich unabhängig von Herkunft, sozialem Milieu oder vorhandenem Hintergrundwissen jedem anbietet, der nur einen Internetzugang hat.
Sowohl der Online-Drogenhandel als auch die uneingeschränkte Meinungsfreiheit leben von der Voraussetzung einer vollständigen Anonymität. Die Gesellschaft ist nun gefordert, in diesem Spannungsfeld aus Freiheit und Missbrauch Lösungen zu finden.