In Europas Städten ist Parkour schon wieder aus der Mode. Nicht so in Gaza: Dort schenkt der Sport den Jugendlichen ein echtes Gefühl von Freiheit.
Gaza-Stadt - Das Training liegt hinter ihnen, schweißtreibend war es und schmerzhaft sowieso. Nun kann der Tag ausklingen mit einem Glas Tee und einem Gespräch unter Männern. Mohammed berichtet, wie er sich den Wirbel angeknackst hat und wochenlang mit diesem lästigen Stützding rumlaufen musste, Dschihad erzählt vom Schulterbruch und Abdullah sagt: 'Man muss verrückt sein, um das zu machen. Also sind wir verrückt.' Dann grinst er, weil er ja jetzt neue Zähne hat.
Mohammed al-Jakhbir und seine beiden Freunde Dschihad Abu Sultan und Abdullah Enschasy springen im Gaza-Streifen von Dach zu Dach, sie hechten über Hindernisse, laufen Mauern hoch und landen nach halsbrecherischen Saltos im Sand. Zum Training treffen sie sich auf einem Friedhof außerhalb des Flüchtlingslagers Khan Junis oder in den Ruinen der 2005 aufgegebenen jüdischen Siedlung Gusch Katif. Parkour heißt ihr Sport, und der ganze Gazastreifen ist ihr Abenteuerspielplatz. Als ob es hier nicht schon genug Gefahren gäbe.
Parkour bietet Jugendlichen in Gaza ein Gefühl von Freiheit
In Europa ist Parkour schon wieder der neueste Trend von vorgestern. In den französischen Banlieues hat er sich in den neunziger Jahren entwickelt und über die urbanen Dschungellandschaften des Kontinents ausgebreitet. Ziel der Anhänger, die sich 'Traceurs' nennen, ist es, allen Hürden zum Trotz auf dem kürzesten geraden Wege durch die Stadt zu kommen - möglichst effizient und möglichst elegant. Doch mittlerweile sind die Gründerväter um David Belle um die Vierzig, und ihr Sport ist vom James-Bond-Film bis zu Werbeclips breit und bunt vermarktet. Als Lebensgefühl einer wagemutigen Avantgarde taugt Parkour deshalb im schnelllebigen Westen längst nicht.
Im Gazastreifen aber ist das anders. Zum einen, weil es in dem von Israel seit Jahren mit einer Blockade belegten Gebiet sowieso immer länger dauert, bis ein Trend einmal durchsickert. Vielleicht aber auch, weil Parkour die perfekte Metapher ist für das Leben und Überleben in dem von hohen Mauern umgebenen Küstenstreifen. Alles ist hier ein Hindernislauf, für den es Kraft braucht und Kreativität - und den Mut, sich die Freiheit dafür zu nehmen.
Auf dem Elternhaus von Mohammed al-Jakhbir in Khan Junis prangt in großen Lettern ein Graffito: 'Gaza Parkour - die Besten der Besten', steht darauf, und dieses Selbstbewusstsein hat er sich hart erarbeiten müssen. Khan Junis ist eine Hochburg der Hamas, wer hier aufwächst, dem stehen grundsätzlich zwei Wege offen: Der eine führt unter Tage als Arbeiter in die Schmuggeltunnel an der Grenze zu Ägypten, der andere zu den Milizen des bewaffneten Widerstands - und damit bestenfalls als Märtyrer ins Paradies. Auf die Barrikaden zu gehen aber hat vor Mohammed und seinen Freunden noch keiner gewagt.
'Wir haben etwas angefangen, von dem niemand im Gazastreifen auch nur eine Idee hatte', sagt er und lächelt zufrieden, 'die Leute haben uns für verrückt gehalten - oder für Diebe, die über die Dächer einsteigen.' Übers Internet hatte er zusammen mit Abdullah und Dschihad den Dokumentarfilm 'Jump London' gesehen, der drei französischen Traceurs durch die britische Hauptstadt folgt. Sie waren fasziniert, auch weil es so schwer und so leicht zugleich aussieht. 'Man braucht vor allem Mauern und Muskeln', meint Mohammed. Mauern hatten sie genug im Gazastreifen, mehr als sie sich wünschen sogar. Die Muskeln haben sie sich antrainiert, auch wenn sie darüber klagen, dass ihnen die dafür notwendigen Geräte fehlen. Heute dreht sich ihr ganzes Leben um Parkour. Sie sind 23 und 24 Jahre alt - ein Alter, in dem andere im Gazastreifen längst eine Familie gründen. 'Wir sind mit dem Sport verheiratet', sagt Abdullah. Sie leben bei ihren Eltern, ab und an verdienen sie sich ein bisschen Geld durch Jobs in irgendwelchen Läden, die meiste Zeit aber trainieren sie. Sie hören Hip-Hop-Musik, tragen coole Trainingsanzüge und Wollmützen auf dem Kopf. Sie sind anders, sie wollen es auch sein und wollen es zeigen.
'In die Moschee gehen wir nicht', sagen sie, 'das passt nicht zu unserem Stil.' Auch das erfordert Mut unter der Herrschaft der sittenstrengen Hamas. Die Kraft dafür ziehen sie aus ihrer Leidenschaft für Parkour, der Hindernislauf führt schnurstraks in ihr Refugium: 'Im Training fühlen wir uns weit weg von Gaza, von all den Problemen und Konflikten', sagt Mohammed, 'von ganz tief drinnen gibt uns das ein Gefühl von Freiheit'. Von 'Stolz und Würde' sprechen sie auch und von einer Mission, der sie sich verschrieben haben: 'Wir wollen zeigen, dass es im Gazastreifen mehr gibt als nur Schießereien und Tote.'
Sie zeigen das in kleinen Videoclips, die sie mit einer Handykamera aufnehmen und ins Netz stellen. So sind sie mit der Welt verbunden, wenigstens virtuell. Doch die wirkliche Welt ist weit weg von Gaza - und normalerweise unerreichbar. Vor einem Jahr aber haben sich für Mohammed, Dschihad und Abdullah plötzlich einmal die Tore geöffnet für eine Reise nach Italien. Eine in Gaza tätige Hilfsorganisation hat das für sie organisiert, '17 Tage lang', sagen sie im Chor, 'Roma, Milano ...', fünf Städte insgesamt. Gründerväter des Parkours haben sie getroffen, und auf einigen Festivals sind sie aufgetreten. 'Wir haben erklärt, wie das in Gaza so ist', sagt Mohammed, und auf dieser Reise war es auch, wo Abdullah zwischendurch noch schnell neue Schneidezähne bekommen hat.
Für alle drei war es die erste Reise ihres Lebens. 'Es war toller als alles, was wir erwartet haben, und besser als alles, was wir je im Fernsehen gesehen haben', sagt Abdullah. 'Wenn du in Gaza lebst und die größte Entfernung von Norden nach Süden in 45 Minuten zurücklegst, ist es eine unglaubliche Erfahrung, wenn du plötzlich vier Stunden im Zug sitzt', meint er und fügt an - 'und all das, ohne dass dich jemand an einem Checkpoint anhält und fragt, wo du hinwillst.'
Unterwegs waren sie endlich einmal angekommen. Die Rückkehr war dann umso schwerer. 'Niemand hier unterstützt uns', klagt Mohammed, 'in jedem andern Land würden sie uns wenigstens gut behandeln, aber hier werden die Fähigkeiten abgetötet statt sie zu entwickeln.' Einen Job als Trainer in einem Sportclub könnte er sich vorstellen, aber solche Clubs existieren nicht im Gazastreifen. Auch als Stuntmen könnten sie sicher gutes Geld verdienen, doch niemand dreht Filme in Gaza und schon gar keine Werbeclips. In dunklen Momenten denkt Mohammed ans Aufgeben. Aber es gibt ja nicht einmal eine Alternative.
Statt aufzugeben haben sie angefangen, die Jungs aus der Nachbarschaft zu trainieren. Mittlerweile hat die 'Gaza Parkour'-Truppe mehr als 30 Mitglieder. 'Wenn wir aufhören müssen, dann hinterlassen wir wenigstens eine neue Generation, die vielleicht einmal eine bessere Chance hat als wir', meint Mohammed. Doch dass auch beim Parkour längst nicht jedes Hindernis zu überwinden ist, das ist auf einem ihrer letzten Videos zu sehen. Es ist aufgenommen im November, in den Tagen des jüngsten Kriegs. Es zeigt ein Training auf braunem Wüstensand , zu sehen sind akrobatisch-verwegene Sprünge - und hinten am Horizont, da explodieren die Bomben.
Gaza-Stadt - Das Training liegt hinter ihnen, schweißtreibend war es und schmerzhaft sowieso. Nun kann der Tag ausklingen mit einem Glas Tee und einem Gespräch unter Männern. Mohammed berichtet, wie er sich den Wirbel angeknackst hat und wochenlang mit diesem lästigen Stützding rumlaufen musste, Dschihad erzählt vom Schulterbruch und Abdullah sagt: 'Man muss verrückt sein, um das zu machen. Also sind wir verrückt.' Dann grinst er, weil er ja jetzt neue Zähne hat.
Mohammed al-Jakhbir und seine beiden Freunde Dschihad Abu Sultan und Abdullah Enschasy springen im Gaza-Streifen von Dach zu Dach, sie hechten über Hindernisse, laufen Mauern hoch und landen nach halsbrecherischen Saltos im Sand. Zum Training treffen sie sich auf einem Friedhof außerhalb des Flüchtlingslagers Khan Junis oder in den Ruinen der 2005 aufgegebenen jüdischen Siedlung Gusch Katif. Parkour heißt ihr Sport, und der ganze Gazastreifen ist ihr Abenteuerspielplatz. Als ob es hier nicht schon genug Gefahren gäbe.
Parkour bietet Jugendlichen in Gaza ein Gefühl von Freiheit
In Europa ist Parkour schon wieder der neueste Trend von vorgestern. In den französischen Banlieues hat er sich in den neunziger Jahren entwickelt und über die urbanen Dschungellandschaften des Kontinents ausgebreitet. Ziel der Anhänger, die sich 'Traceurs' nennen, ist es, allen Hürden zum Trotz auf dem kürzesten geraden Wege durch die Stadt zu kommen - möglichst effizient und möglichst elegant. Doch mittlerweile sind die Gründerväter um David Belle um die Vierzig, und ihr Sport ist vom James-Bond-Film bis zu Werbeclips breit und bunt vermarktet. Als Lebensgefühl einer wagemutigen Avantgarde taugt Parkour deshalb im schnelllebigen Westen längst nicht.
Im Gazastreifen aber ist das anders. Zum einen, weil es in dem von Israel seit Jahren mit einer Blockade belegten Gebiet sowieso immer länger dauert, bis ein Trend einmal durchsickert. Vielleicht aber auch, weil Parkour die perfekte Metapher ist für das Leben und Überleben in dem von hohen Mauern umgebenen Küstenstreifen. Alles ist hier ein Hindernislauf, für den es Kraft braucht und Kreativität - und den Mut, sich die Freiheit dafür zu nehmen.
Auf dem Elternhaus von Mohammed al-Jakhbir in Khan Junis prangt in großen Lettern ein Graffito: 'Gaza Parkour - die Besten der Besten', steht darauf, und dieses Selbstbewusstsein hat er sich hart erarbeiten müssen. Khan Junis ist eine Hochburg der Hamas, wer hier aufwächst, dem stehen grundsätzlich zwei Wege offen: Der eine führt unter Tage als Arbeiter in die Schmuggeltunnel an der Grenze zu Ägypten, der andere zu den Milizen des bewaffneten Widerstands - und damit bestenfalls als Märtyrer ins Paradies. Auf die Barrikaden zu gehen aber hat vor Mohammed und seinen Freunden noch keiner gewagt.
'Wir haben etwas angefangen, von dem niemand im Gazastreifen auch nur eine Idee hatte', sagt er und lächelt zufrieden, 'die Leute haben uns für verrückt gehalten - oder für Diebe, die über die Dächer einsteigen.' Übers Internet hatte er zusammen mit Abdullah und Dschihad den Dokumentarfilm 'Jump London' gesehen, der drei französischen Traceurs durch die britische Hauptstadt folgt. Sie waren fasziniert, auch weil es so schwer und so leicht zugleich aussieht. 'Man braucht vor allem Mauern und Muskeln', meint Mohammed. Mauern hatten sie genug im Gazastreifen, mehr als sie sich wünschen sogar. Die Muskeln haben sie sich antrainiert, auch wenn sie darüber klagen, dass ihnen die dafür notwendigen Geräte fehlen. Heute dreht sich ihr ganzes Leben um Parkour. Sie sind 23 und 24 Jahre alt - ein Alter, in dem andere im Gazastreifen längst eine Familie gründen. 'Wir sind mit dem Sport verheiratet', sagt Abdullah. Sie leben bei ihren Eltern, ab und an verdienen sie sich ein bisschen Geld durch Jobs in irgendwelchen Läden, die meiste Zeit aber trainieren sie. Sie hören Hip-Hop-Musik, tragen coole Trainingsanzüge und Wollmützen auf dem Kopf. Sie sind anders, sie wollen es auch sein und wollen es zeigen.
'In die Moschee gehen wir nicht', sagen sie, 'das passt nicht zu unserem Stil.' Auch das erfordert Mut unter der Herrschaft der sittenstrengen Hamas. Die Kraft dafür ziehen sie aus ihrer Leidenschaft für Parkour, der Hindernislauf führt schnurstraks in ihr Refugium: 'Im Training fühlen wir uns weit weg von Gaza, von all den Problemen und Konflikten', sagt Mohammed, 'von ganz tief drinnen gibt uns das ein Gefühl von Freiheit'. Von 'Stolz und Würde' sprechen sie auch und von einer Mission, der sie sich verschrieben haben: 'Wir wollen zeigen, dass es im Gazastreifen mehr gibt als nur Schießereien und Tote.'
Sie zeigen das in kleinen Videoclips, die sie mit einer Handykamera aufnehmen und ins Netz stellen. So sind sie mit der Welt verbunden, wenigstens virtuell. Doch die wirkliche Welt ist weit weg von Gaza - und normalerweise unerreichbar. Vor einem Jahr aber haben sich für Mohammed, Dschihad und Abdullah plötzlich einmal die Tore geöffnet für eine Reise nach Italien. Eine in Gaza tätige Hilfsorganisation hat das für sie organisiert, '17 Tage lang', sagen sie im Chor, 'Roma, Milano ...', fünf Städte insgesamt. Gründerväter des Parkours haben sie getroffen, und auf einigen Festivals sind sie aufgetreten. 'Wir haben erklärt, wie das in Gaza so ist', sagt Mohammed, und auf dieser Reise war es auch, wo Abdullah zwischendurch noch schnell neue Schneidezähne bekommen hat.
Für alle drei war es die erste Reise ihres Lebens. 'Es war toller als alles, was wir erwartet haben, und besser als alles, was wir je im Fernsehen gesehen haben', sagt Abdullah. 'Wenn du in Gaza lebst und die größte Entfernung von Norden nach Süden in 45 Minuten zurücklegst, ist es eine unglaubliche Erfahrung, wenn du plötzlich vier Stunden im Zug sitzt', meint er und fügt an - 'und all das, ohne dass dich jemand an einem Checkpoint anhält und fragt, wo du hinwillst.'
Unterwegs waren sie endlich einmal angekommen. Die Rückkehr war dann umso schwerer. 'Niemand hier unterstützt uns', klagt Mohammed, 'in jedem andern Land würden sie uns wenigstens gut behandeln, aber hier werden die Fähigkeiten abgetötet statt sie zu entwickeln.' Einen Job als Trainer in einem Sportclub könnte er sich vorstellen, aber solche Clubs existieren nicht im Gazastreifen. Auch als Stuntmen könnten sie sicher gutes Geld verdienen, doch niemand dreht Filme in Gaza und schon gar keine Werbeclips. In dunklen Momenten denkt Mohammed ans Aufgeben. Aber es gibt ja nicht einmal eine Alternative.
Statt aufzugeben haben sie angefangen, die Jungs aus der Nachbarschaft zu trainieren. Mittlerweile hat die 'Gaza Parkour'-Truppe mehr als 30 Mitglieder. 'Wenn wir aufhören müssen, dann hinterlassen wir wenigstens eine neue Generation, die vielleicht einmal eine bessere Chance hat als wir', meint Mohammed. Doch dass auch beim Parkour längst nicht jedes Hindernis zu überwinden ist, das ist auf einem ihrer letzten Videos zu sehen. Es ist aufgenommen im November, in den Tagen des jüngsten Kriegs. Es zeigt ein Training auf braunem Wüstensand , zu sehen sind akrobatisch-verwegene Sprünge - und hinten am Horizont, da explodieren die Bomben.