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Nach dem Filmriss

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Der Fotograf Giles Duley trat in Afghanistan auf eine Mine. Mittlerweile hat er 30 Operationen hinter sich - und arbeitet weiter.

Giles Duley weiß noch genau, wie blau der Himmel war, wie normal dieser Himmel aussah. Und er erinnert sich an die Äste der Bäume, in denen Stofffetzen hingen. Fetzen seiner eigenen Kleidung. 'Dann blickte ich auf meinen linken Arm', sagt Duley. 'Er rauchte. Und es fehlte etwas. Ich wollte mich aufrichten, konnte es aber nicht, und dachte nur: Ich bin gelähmt.' Manche Menschen, die eine schwere Explosion überleben, erinnern sich danach an nichts. Giles Duley erinnert sich an alles: An das Klicken der Sprengvorrichtung. An die unglaubliche Hitze. An das Gefühl, zu schweben. An den Aufprall auf schlammigem Boden, und den Schock, der ihm den Atem aus der Lunge quetschte, als wäre er in Eiswasser gefallen.



30 Operationen hat Giles Duley hinter sich, seit er auf eine Mine getreten ist.

Wenn man Giles Duley heute trifft, fällt vor allem auf, wie gelassen hier jemand über ein Ereignis berichtet, dass ihn beide Beine, einen Arm und beinahe das Leben kostete. Seine Befürchtung, gelähmt zu sein, hat sich nicht bewahrheitet. Ohne Gehhilfe kommt er zum Gespräch in einem kleinen Süd-Londoner Café nahe seiner Wohnung in Clapham. Aber an seinem Humpeln und an der eher funktionellen als schönen Armprothese, die er seine 'fist of fury' nennt, ist die Schwere seiner Verletzungen deutlich abzulesen.

Im Plauderton erzählt Duley, wie er im Januar 2011 in die afghanische Provinz Kandahar reiste, um über zivile Opfer des Konflikts westlicher Truppen mit den Taliban zu berichten. Dieses Ziel verfolgt er seit Jahren mit seinen Fotoreihen: Menschen zu zeigen, die unter unmenschlichen Bedingungen leben. 'Aber während ich in Afghanistan war, begann ich, mich auch für den Alltag der dort stationierten amerikanischen Soldaten zu interessieren', sagt er. 'Ich habe bei meiner Arbeit als Fotograf in Krisengebieten viele Soldaten kennen gelernt. Ich hasse das, was sie tun. Aber die meisten von ihnen sind ganz sympathische Typen. Der Krieg hat auch auf sie eine unauslöschliche Wirkung.'

Er war also zu einem amerikanischen Vorposten in Kandahar gefahren, unweit des Dorfes, aus dem der Talibanführer Mullah Omar stammt. Jeden Morgen hörte man den Ruf des Muezzins aus der Moschee, in der Mullah Omar früher gebetet hatte. Bei einer Patrouille zu einem verlassenen Taliban-Stützpunkt trat Duley auf eine Mine. Die Explosion riss ihm beide Unterschenkel und den linken Arm ab. Ohne die Aderpresse, die einer der Soldaten ihm sofort anlegte, wäre er binnen Minuten verblutet. 'Ein Sergeant steckte mir eine Zigarette in den Mund', erzählt er. 'Ich fragte, werde ich sterben? Er antwortete: Wirst Du nicht. Und ich dachte: Was soll er auch sagen? Dann kamen die Blackhawk-Helikopter über den Horizont und warfen gelbe Rauchbomben, um den Landeplatz zu tarnen. Es war wie in einem Vietnam-Film.'

Die erste Assoziation - eine Filmszene. Wir sind so konditioniert, dass Bilder noch in den extremsten Situationen unsere Wahrnehmung prägen. Giles Duley ist sich dieses erstaunlichen Einflusses einer spezifischen Bildsprache auf das westliche Auge, geformt von Hollywoodästhetik und Internet-Bilderflut, zutiefst bewusst. Vor allem, weil die Menschen, die er fotografiert, ob in Süd-Sudan, Indien oder Angola, oft nicht mal wissen, was ein Foto ist: 'Ihr Leben findet in einem völlig anderen Kontext statt als unseres, da sind eben auch die visuellen Referenzen andere.'

Aber seit seiner Verwundung gibt es einen wichtigeren Berührungspunkt als eine gemeinsame Bildsprache. 'Wenn du Fotos von Kranken, Versehrten, Menschen in Not machst und dich nicht ein bisschen wie ein Aasgeier dabei fühlst, dann stimmt irgendetwas nicht mit dir', sagt Giles Duley. 'Meine Amputationen geben mir sicher keine größere Berechtigung, solche Bilder zu machen, als früher. Ich musste auch nicht auf eine Mine treten, um zu wissen, dass Tretminen nichts Gutes sind. Aber ich glaube, die Menschen, die ich aufnehme, fühlen jetzt eine größere Verbundenheit mit mir - das macht alles leichter.'

Fotografen sind oft kamerascheu. Auch Giles Duley wollte nie im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dass es nun durch seine spektakuläre Verletzung anders gekommen ist, hat an seiner Berufseinstellung nicht viel geändert: 'Ich liebe die Fotografie, weil sie dir Gelegenheit verschafft, dich einer Gruppe anzuschließen - ob das nun eine Band ist, oder eine Bande ukrainischer Straßenkinder. Man hat eine Rolle.'

Die Landminenexplosion war nicht das erste Trauma, das die Biografie des 41-Jährigen entscheidend prägte. Die Laufbahn des gebürtigen Londoners als Fotograf begann, als er mit 18 in den USA einen Autounfall hatte, der seine Beine stark beschädigte und seine Hoffnungen auf eine American-Football-Karriere zunichte machte. Im Krankenhaus las er ein Buch über Fotografie. Es faszinierte ihn. Sobald er wieder laufen konnte, besorgte er sich eine Ausrüstung, und schon ein Jahr später bekam er erste Aufträge als Mode- und Musikfotograf. Er liebte diesen Job, arbeitete für Rolling Stone, für Vogue und GQ. 'Ich traf wunderschöne Frauen, flog um die Welt, ging zu tollen Partys. Der Traum jedes Jungen!'

Aber im Laufe der Zeit wurden die Leute, die er fotografierte, für ihn immer uninteressanter. Es gab immer mehr PR-Typen und einstündige Zeitfenster für die Foto-Sessions. Irgendwann hatte er keine Lust mehr: 'Was das Fass zum überlaufen brachte, war ein Termin mit einer Big-Brother-Teilnehmerin. Es gab Streit darüber, ob sie Oben-Ohne-Fotos machen sollte oder nicht. Als ich die Kamera frustriert auf ein Bett warf, titschte sie von der Matratze aus dem Fenster auf die Straße. Das war für mich ein Zeichen.'

Er verabschiedete sich erst einmal von der Fotografie und wurde Pfleger eines jungen Mannes mit Autismus. Das sei befriedigend gewesen, sagt Duley, weil man sofort die Ergebnisse der eigenen Arbeit sah. Aber der junge Mann, Nick, brachte sich ständig schwere Verletzungen bei; es war die einzige Möglichkeit für ihn, mit dem ständigen Gefühl der Isolierung umzugehen. 'Ich begann, diese Verletzungen fotografisch zu dokumentieren. Um dem Sozialdienst zu zeigen, dass Nick noch mehr Unterstützung brauchte. Und um seine Geschichte zu erzählen.'

Giles Duley wiederholt das im Laufe des Gesprächs immer wieder: Sein Ziel sei es, die Geschichten derer erzählen, die es selbst nicht können oder keine Öffentlichkeit haben. Obwohl er seit 2007 vor allem in Krisengebieten arbeitet, sieht er sich nicht als Kriegsfotograf: 'Ich beschäftige mich eher mit den Folgen von Krieg', sagt er. 'Es macht mich wütend, wenn etwas passiert, in Gaza oder Mali, und dann sind plötzlich 500 Fotografen da, machen Bilder, und rasen zum nächsten Schauplatz.' Eine machohafte Paparazzi-Mentalität, mit der er nichts zu tun haben möchte.

Nachdem er mit der Bilderreihe über Nick wieder zur Fotografie zurückgefunden hatte, reiste Duley 2007, angeregt von einem Freund, der bei der UN arbeitete, auf eigene Rechnung nach Angola, um dort die Arbeit von Minen-Räumungsteams zu dokumentieren. Zurück in England erwies es sich als sehr schwierig, diese Fotos zu veröffentlichen. Der Redakteur eines Magazins meinte: 'Ich habe gehört, dass sie Schweine zum Aufspüren von Minen benutzten. Hast Du nicht ein schönes Bild von einem Schwein? Damit können die Leser sich glaube ich besser identifizieren als mit den Leuten da unten.' Duley begann am Wert seiner Arbeit zu zweifeln.

Ein Wendepunkt kam 2009, beim Besuch eines Lagers in Bangladesch, in dem Flüchtlinge aus der burmesischen Minderheit der Rohingya unter unsäglichen Umständen lebten: 'Da war ein Junge mit einer Augenentzündung, die sein Gesicht hatte anschwellen lassen', erzählt Duley. 'Antibiotika hätten ihn geheilt. Aber die Rohingya hatten keine Versorgung, weil sie nicht als Flüchtlinge anerkannt werden. Die Entzündung war lebensgefährlich.' Die Leute drängten sich um ihn, als sei er ein Retter: 'Ich bat den Dorfältesten, ihnen zu erklären, dass ich kein Arzt sei, dass ich nicht helfen könne. Er antwortete: Das wissen sie. Sie wollen nur, das jemand der Welt zeigt, wie wir hier leben.' Giles Duleys eindringliche Porträts der Rohingya wurden 2010 für einen Amnesty-International-Medienpreis nominiert. Ein Jahr später reiste er nach Afghanistan.

An dem Tag, der alles verändert, ist er schon morgens nervös: 'Wir gehen raus, um das Lager zu untersuchen. Sechs Amerikaner, sechs Afghanen und ich.' In einer breit gestaffelten Reihe stapfen sie über das matschige Feld. Er sei 'nicht besonders mutig', beteuert Duley. 'Ich war schon vorher in Situationen gewesen, in denen es plötzlich einen Gewaltausbruch gab. Aber das passierte spontan. An diesem Tag waren wir lebende Zielscheiben. Man wusste, dass die Taliban jederzeit anfangen könnten, zu schießen.'

Als sie bei dem Lager ankommen, ist alles ruhig. Nach langer Diskussion geht der jüngste afghanische Soldat widerwillig mit einem Metalldetektor in das Lager, um es nach Minen abzusuchen. Duley wendet sich einem der Amerikaner zu, er will um eine Zigarette bitten. Im nächsten Moment fliegt er durch die Luft. 'Ich habe ein Foto von einem Soldaten, der gegen die Lehmumgrenzung des Lagers tritt', sagt Duley. 'Er steht nur ein winziges Stück von der Stelle entfernt, an der ich zwei Minuten später auf die Mine trat. Ich habe es mir immer wieder angeschaut. Man sieht nichts.'

Nach ein paar Tagen in Kandahar wurde er zurück nach England geflogen. Mittlerweile hat er mehr als 30 Operationen hinter sich. Der Gleichgewichtssinn ist gestört, weil die Explosion sein Innenohr schädigte. Und da er auch keine Füße mehr hat, ist er bei der Balance nun ganz auf die Augen angewiesen: 'Meine Freundin findet es noch immer sehr lustig, dass sie mir nur ein Handtuch über den Kopf werfen muss, und ich falle sofort um.'

Trotz dieser starken Beeinträchtigung habe er immer gewusst, dass er wieder arbeiten würde: 'Anscheinend war das erste, was ich zu meiner Schwester sagte, als ich sie wiedersah: Ich bin noch immer Fotograf. Ich kann mich daran nicht erinnern, zu der Zeit stand ich unter Schmerzmitteln. Aber die Identität als Fotograf war und ist mir wichtig.' Doch zu seiner Identität gehört nun eben die Versehrung durch die Mine. Er wollte immer zeigen, was der Krieg Menschen antun kann. Jetzt, so sagt er, tue er das eben nicht mehr nur mit seinen Fotos, sondern auch mit seinem Körper. Irgendwann richtete er die Kamera auf sich selbst. Das so entstandene Bild zeigt ihn auf einem Sockel in schwarzem T-Shirt und schwarzen Shorts, aus denen die Amputationsstümpfe hervorlugen. Duley nennt es 'meine griechische Statue'.

Ende 2012 kehrte er nach Afghanistan zurück, um das Projekt in Angriff zu nehmen, das ihn 2011 ursprünglich dorthin geführt hatte. Die Bilder, die er in einem Lazarett für verwundete Zivilisten machte, sind frei von jedem Kitsch. Aber sie zeugen von grenzenloser Empathie. 'Ich will auf keinen Fall als behinderter Fotograf in Erinnerung bleiben', sagt Giles Duley. 'Sondern einfach als ein guter Fotograf.'

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