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Unschweizerischer Ärger

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Am Sonntag haben die Schweizer darüber abgestimmt, ob allzu üppige Manager-Saläre verboten werden sollen.


Er ist ein europaweites Phänomen, und er jagt etablierten Politikern Angst und Schrecken ein: der Wutbürger. Ob in Berlin, Barcelona, Bordeaux oder Bologna - er agitiert, er protestiert, er demonstriert. Doch letztlich darf er sich nur echauffieren. Konkret bewegt er wenig, er schmort im Saft seines ohnmächtigen Zorns. Entscheiden tun sicherheitshalber jene, gegen die er anschreit: die Kaste der gewählten Politiker. Vox populi, vox bovis, spotteten schon die alten Römer. Das Volk hat den Verstand eines Ochsen.



Passanten gehen in Basel an einem Plakat zum Volksentscheid über die sogenannte Minder-Initiatve vorbei.

Auch die vermeintlich ruhigen Schweizer sind zu Wutausbrüchen fähig, nur mit dem Unterschied, dass ihr politisches System ihnen trotzdem zugesteht, vernunftbegabte Wesen zu sein, die in der Lage sind, Entscheidungen selbst zu treffen. Dass dies manchmal riskant sein kann, haben Volksabstimmungen in der Vergangenheit gezeigt - etwa beim Minarett-Verbot oder bei der 'Ausschaffungsinitiative' gegen die Zuwanderung.

Aber zur Demokratie gehört nun mal auch Vertrauen in den Souverän, den Wähler. Der hat nun seinen Zorn auf üppig entlohnte Manager und Aufsichtsräte abreagiert. Mit einer Mehrheit von mehr als 60 Prozent nahmen die gemeinhin als wertkonservativ und wirtschaftsgläubig geltenden Eidgenossen die sogenannte Abzocker-Initiative an und bescherten ihrem Land so potenziell eines der schärfsten Aktionärsrechte der Welt. Im Rest Europas gesellt sich zum Staunen über das merkwürdige Bergvolk nun auch mal wieder der Neid: Über Abzocker im Nadelstreifen würden auch Deutsche, Franzosen oder Briten liebend gerne mal höchstpersönlich den Daumen senken, anstatt dies einer Gruppe demokratisch nicht legitimierter Kommissare zu überlassen.

Wird die Initiative vom Parlament nun vollinhaltlich umgesetzt, werden künftig die Aktionäre alljährlich bindend die Höhe der Management-Bezüge festlegen. Großzügige Begrüßungsgelder oder Abschiedsentschädigungen sind komplett verboten. Und die Mitglieder des Aufsichtsrates sind nur für ein Jahr im Amt, dann müssen sie sich der Wiederwahl stellen. Bei Verstößen drohen keine Rügen oder läppische Geldbußen, sondern Haft bis zu drei Jahren.

Der Ärger über die Absahner muss sehr groß gewesen sein, sonst wären die Schweizer wohl nicht Thomas Minder gefolgt, der einen fast heiligen ideologischen Eifer ausstrahlt, wie er gar nicht helvetischem Naturell entspricht. Der Zahnpasta-Fabrikant aus Neuhausen am Rheinfall hatte die Initiative praktisch im Alleingang angestoßen und mit einer an Besessenheit grenzenden Hartnäckigkeit durch alle Instanzen und gegen alle Widerstände vorangetrieben.

Eigentlich sehen Schweizer es auch nicht gern, wenn der Staat sich mit Vorschriften in private Belange einmischt. Anders als in der deutschen Neidgesellschaft billigen sie auch anderen Reichtum zu - vorausgesetzt, er wurde redlich verdient und wird nicht protzig herumgezeigt. Doch die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft versagten bei den Manager-Gehältern, und die Vergütungen ebenso wie das Verhalten der Bosse erschienen den Schweizern zunehmend als unverschämt. Anders gesagt: als schlicht nicht schweizerisch.

Im Parlament unterstützten nur Sozialdemokraten und Grüne die Initiative. Die bürgerlichen Parteien könnten nun der Versuchung erliegen, bei der rechtlichen Umsetzung die harten Kanten der Vorlage abzuschleifen und sie zu verwässern. Doch im Herbst stehen weitere Abstimmungen an: Die eine will einen Mindestlohn von 4000 Franken im Monat durchsetzen, die andere Spitzengehälter auf das Zwölffache des Mindestlohnes festschreiben. Würde das Parlament nun die Bürger um die Früchte ihres Sieges betrügen, würden diese sich im Herbst rächen. Denn Wut lässt sich nicht nur schüren, sondern auch konservieren.

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