In der Militärakademie von Caracas hat Hugo Chávez Karriere begonnen, jetzt liegt er dort aufgebahrt. Hunderttausende Menschen nehmen Abschied vom Staatschef, den 'das Volk für immer' behalten soll.
Caracas - Da liegt nun der Heiland, der Venezuela 14 Jahre lang leibhaftig beherrscht hat. Als ob er schliefe. Hugo Chávez ist in der Militärakademie von Caracas aufgebahrt - dort, wo sein Mythos begann. An der weiß getünchten Armeeschule wurde er einst zum Offizier ausgebildet. Davor, an der Allee der Volkshelden, hielt er am 2. Februar 1999 seine erste Rede als Präsident: 'Heute ist der Tag des Vaterlandes von Simón Bolívar!', rief Chávez damals. 14 Jahre später wird seine Leiche hier ausgesegnet. Eine Hälfte des Sarges ist mit einer venezolanischen Flagge bedeckt, die andere gibt durch eine Glasscheibe Kopf und Rumpf frei. Chávez trägt olivgrüne Uniform, schwarze Krawatte und das rote Barrett des Fallschirmjägers. Manche finden, sein Gesicht wirke jünger als 58 und gesünder als während der Krebskrankheit. Ist er wirklich tot?
Hunderttausende Menschen nehmen Abschied von Hugo Chávez.
Wer einen flüchtigen Blick auf ihn wirft, der muss vorher halbe Tage lang in kilometerlangen Schlangen ausgehalten haben. Hunderttausende meist rot gekleideter Verehrer stehen an, seit Chávez am Mittwoch in diesen Saal getragen wurde. Angesichts des Andrangs beschloss die Regierung, die Ehrenwache auf sieben Tage auszudehnen. 'Wir wollen, dass ihn jeder sehen kann, der ihn sehen will', verkündete Chávez" geschäftsführender Nachfolger Nicolás Maduro. Und selbst danach soll der Comandante in keiner Gruft verschwinden. Erst hieß es, er werde auf dem Nationalfriedhof oder dem neuen Mausoleum neben seinem Idol Bolívar beigesetzt. Doch Maduro gab am Donnerstag bekannt, dass Chávez einbalsamiert und ins Revolutionsmuseum im hügeligen Armenviertel 23 de enero gebracht wird. 'Damit ihn das Volk für immer hat. Wie Mao, Lenin, Ho-Chi-Minh.'
Deshalb gab es am Freitag auch kein Staatsbegräbnis, sondern einen Staatsakt ohne Bestattung. Der allerdings war beachtlich. Wahrscheinlich hat es in Lateinamerika seit Evita und später Juan Domingo Perón in Buenos Aires keine solche Trauerfeier mehr gegeben. Mehr als 50 Politgrößen sind an der Karibikküste eingeschwebt, darunter Raúl Castro aus Kuba, die Brasilianer Dilma Rousseff und Luiz Inácio Lula da Silva, Prinz Felipe aus Spanien und Mahmud Ahmadinedschad aus Iran. Am Abend sollte dann gleich der Vize Maduro zum Präsidenten vereidigt werden, obwohl laut Verfassung bis zu Neuwahlen in 30 Tagen eigentlich der Parlamentsvorsitzende Diosdado Cabello übernehmen müsste. Bei seinem Abschied hatte sich der Comandante Hugo Chávez seinen Statthalter Maduro als Erbe gewünscht. Und der Comandante geht gerade in den Zustand des Nationalheiligen über.
'Chávez war unser Führer, unser zweiter Jesus', schluchzt eine Frau in der Menschenmenge. 'Yo soy Chávez', steht auf ihrem roten T-Shirt, 'ich bin Chávez'. Sie heißt Cora Cerena, ist 42 Jahre alte Gemeindefunktionärin und bewegt sich seit acht Stunden im Gänsemarsch auf ihr verstorbenes Idol zu. Das sei ja das mindeste, was man für ihn tun könne. 'Ich will ihn sehen, und wenn es nur eine Sekunde ist.' Sie habe den Herrn gebeten, Chávez möge sich schonen, 'er wird sonst krank', doch Chávez habe nicht einmal Urlaub genommen. 'Er ist für uns gestorben.' Denn, 'schauen Sie: Chávez war etwas Übernatürliches. Es gibt diese übernatürlichen Wesen. Er war ein Prophet Gottes, und jetzt ist er zu Gott hinauf gefahren', klagt die staatliche Aangestelte.
Über dieser Prozession leuchtet ein Kreuz am hauptstädtischen Hausberg Ávila, das gewöhnlich nur in der Adventszeit abgeknipst wird. Der klare Tag hat sich mit rosafarbenen Streifen in eine Nacht der Sterne verwandelt, morgens wird die Sonne unter einem orangefarbenen Band von Smog aufgehen. Caracas ist zwar ein verstopfter und gefährlicher Moloch, besitzt aber ein prima Klima. Das kommt dem Ereignis entgegen. 'Unser Venezuela ist gesegnet', sagt Cora Cerena, meint jedoch eher Chávez als das Wetter. 'Er hat unser Gewissen erweckt.' Sie schwärmt von Erziehung, subventionierten Lebensmitteln und kubanischen Ärzten in den Slums, wo früher kaum eine Krankenstation zu finden war. 'Wir verschenken unser Öl nicht, wie manche behaupten. Wir bekommen etwas dafür. Das ist wie ein Warentausch.'
Vor ihr steht ein junger Techniker des staatlichen Ölkonzerns PdVSA, er reibt sich die müden Augen. 'Chávez hat Venezuela verändert, er hat PdVSA von einem kapitalistischen zu einem sozialen Unternehmen gemacht', sagt er mit erschöpfter Stimme. Das Öl ist das Schmiermittel dieser sozialistischen Revolution, es spült dank seines hohen Preises Milliarden in die Staatskasse. Die beiden Anhänger setzen auf den neuen Staatschef Nicolás Maduro, der die Wahl gewinnen wird, auch wenn ihm das verführerische Talent seines Vorgängers fehlt. 'Nicolás wird nicht tanzen und nicht singen, und ich werde dieses Lächeln vermissen', klagt sie. 'Doch wir verlieren nicht die Illusion. Wir kämpfen weiter.' Ihr Messias wird ja nicht zu Asche oder Staub.
Chávez vive, la lucha sigue, lautet ein Gassenhauer dieser Tage - Chávez lebt, der Kampf geht weiter. Chávez vive, el pueblo está contigo - Chávez lebt, das Volk ist mit dir. Man kann sich pausenlos Parolen und Lobeshymnen auf den Kommandanten anhören, dessen Körper dieser verdammte Tumor dahin gerafft hat. Am Ende war es ein Herzinfarkt, verriet der Chef der Präsidentengarde. 'Ich will nicht sterben, bitte lasst mich nicht sterben', sollen Chávez" seine Lippen gefleht haben. Sprechen konnte er nicht mehr. Auch heißt es, die künstliche Beatmung sei auf Wunsch der Familie abgestellt worden, Chávez litt nach der vierten Operation an diesem Geschwür an der Hüfte auch an einer Lungenentzündung. Aber was spielen medizinische Details noch für eine Rolle. Das Staatsfernsehen spricht von 'physischem Verschwinden' und überträgt das Gedenken in Endlosschleife.
Plötzlich steigen weiße Tauben auf. 'Ein Signal', kreischt eine ältere Dame. Zwischendurch werden Kollabierte zu Krankenwägen getragen. Kinder klettern auf Panzer, die als Dekoration am Wegesrand stehen. Es wird gesungen und doziert, die riesige Landesflagge hängt schlapp auf Halbmast. 'Hier gibt es nur eine Stimme, und das ist die Stimme des Comandante', brüllt ein Mann. Devotionalienverkäufer haben ihr Sortiment dabei. Zu den Hits gehören rote T- Shirts und Käppis, die nur die charakteristische Augenpartie des Verblichenen zeigen. Es gibt Chávez-Puppen und Chávez-Fotos, darunter das allerletzte vom Krankenbett in Havanna mit zweien seiner Töchter. Kostenlos verteilt wird ein Plakat mit seinem Porträt und dem Titel: 'Hasta la victoria siempre, comandante' - Immer bis zum Sieg, Kommandant. Der Spruch ist seit der kubanischen Revolution zum Schlachtruf der Linken geworden. Eine Zeitung hat Chávez" letzte Rede vom 8. Dezember vergangenen Jahres nachgedruckt: 'Patrioten Venezuelas, die Knie auf der Erde.'
Die Chavisten haben enorme Erfahrung mit PR und Großveranstaltungen, der Caudillo brachte zu Lebzeiten immer wieder ein rotes Menschenmeer auf die Straßen. Er gewann abgesehen von einem Referendum alle Wahlen und Plebiszite. Unter ihm wuchs der Staatsapparat zwischen 1999 und 2012 von 1,24 auf 2,63 Millionen Angestellten, auch sind Zehntausende Venezolaner in Armee und Milizen und Kommunen organisiert. Die Pflicht allein allerdings erklärt das Phänomen dieser überbordenden Pilgerfahrt nicht. Die Arbeitslosigkeit sank in seiner Regierungszeit von 14,9 auf 8,7 Prozent, die Armut von 43,9 auf 26,9 Prozent. Die Slums erheben sich auch im Hintergrund der Militärakademie, jahrzehntelang wurde der Reichtum der Republik skandalös ungerecht verteilt. Selbst Kritiker müssen anerkennen, dass Chávez das zumindest ansatzweise verändert hat.
Selbst die Opposition ist derzeit still. Und überlegt sich, ob sie tatsächlich ihren jungdynamischen Henrique Cardiles gegen Maduro verheizen soll. Eine feierliche Starre hat sich über das sonst so laute und geteilte Land gelegt. Der Dank spottbilligen Sprits meistens höllische Verkehr ist ausnahmsweise erträglich. Vorübergehend wird nicht mal Alkohol ausgeschenkt - ein Härtetest für das Heer der venezolanischen Whiskeytrinker. Fürs erste wird obendrein weniger gemordet. Doch die Inflation wuchert weiter, der Schwarzkurs der Währung Bolívar ist trotz Abwertung viermal so hoch wie der offizielle Wechselkurs. 'Bald essen wir nur noch Kartoffeln', fürchtet ein Finanzunternehmer - und entschwindet während der Feiertage ins Ferienhaus am Strand, wo sich die Elite trifft.
Sogar Privatmedien verhalten sich pietätvoll. Die Zeitung El Universal druckt auch eine eigene Todesanzeige. El Nacional titelt: 'Acht Kilometer Liebesbeweise, um Chávez zu verabschieden.' Mehrere Länder haben Staatstrauer ausgerufen, Bolivien und Nigeria wie Venezuela eine ganze Woche lang. Die Region steht geschlossen Spalier, dahinter war tatsächlich so etwas wie Einheit zu erkennen. Bloß mit dem erweiterten Imperium gibt es das übliche Gezeter. 'Chávez" verrottetes Erbe', schreibt der britische Economist: 'Hinter der Propaganda ist Venezuelas hässliche Realität die eines korrupten, zynischen und inkompetenten Regimes.' Maduro wiederum verdächtig Washington, Chávez" Krebs provoziert zu haben, eine bizarre Idee. Zwei US-Diplomaten wurden ausgewiesen. Und Kanadas Regierungschef Stephen Harper gilt als unverschämt, weil er Venezuela 'eine bessere Zukunft' wünscht.
Die Staatsgäste verneigen sich am Freitag vor Hugo Chávez. Brasiliens Dilma Rousseff und Lula, die ihren Krebs besiegt haben. Kubas Castros, Boliviens Evo Morales, Nicaraguas Daniel Ortega, Ecuadors Rafael Correa, Weißrusslands Alexander Lukaschenko, Irans Ahmadinedschad, Äquatorialguineas Diktator Teodoro Obiang. Viele verlieren einen Freund und Verbündeten. 'Er beobachtet uns aus den Himmel', berichtet Ahmadinedschad. 'Umarme Allende und den Che für uns', bat Maduro den toten Chávez. Der chilenische Sozialist Allende und der argentinisch-kubanische Rebell Guevara sind ihm längst vorausgeeilt. Nur ein besonders religiöser Bewunderer hat eine eigene Vorstellung von dieser irdischen Himmelfahrt: Malvin Rodríguez stellt sich als früherer Guerillero vor. Er trägt ein Schild mit Bildern von Jesus Christus und Hugo Chávez und predigt: 'Chávez wird unser himmlischer Krieger, aber erst muss er durchs Fegefeuer. Da müssen wir alle durch.'
Caracas - Da liegt nun der Heiland, der Venezuela 14 Jahre lang leibhaftig beherrscht hat. Als ob er schliefe. Hugo Chávez ist in der Militärakademie von Caracas aufgebahrt - dort, wo sein Mythos begann. An der weiß getünchten Armeeschule wurde er einst zum Offizier ausgebildet. Davor, an der Allee der Volkshelden, hielt er am 2. Februar 1999 seine erste Rede als Präsident: 'Heute ist der Tag des Vaterlandes von Simón Bolívar!', rief Chávez damals. 14 Jahre später wird seine Leiche hier ausgesegnet. Eine Hälfte des Sarges ist mit einer venezolanischen Flagge bedeckt, die andere gibt durch eine Glasscheibe Kopf und Rumpf frei. Chávez trägt olivgrüne Uniform, schwarze Krawatte und das rote Barrett des Fallschirmjägers. Manche finden, sein Gesicht wirke jünger als 58 und gesünder als während der Krebskrankheit. Ist er wirklich tot?
Hunderttausende Menschen nehmen Abschied von Hugo Chávez.
Wer einen flüchtigen Blick auf ihn wirft, der muss vorher halbe Tage lang in kilometerlangen Schlangen ausgehalten haben. Hunderttausende meist rot gekleideter Verehrer stehen an, seit Chávez am Mittwoch in diesen Saal getragen wurde. Angesichts des Andrangs beschloss die Regierung, die Ehrenwache auf sieben Tage auszudehnen. 'Wir wollen, dass ihn jeder sehen kann, der ihn sehen will', verkündete Chávez" geschäftsführender Nachfolger Nicolás Maduro. Und selbst danach soll der Comandante in keiner Gruft verschwinden. Erst hieß es, er werde auf dem Nationalfriedhof oder dem neuen Mausoleum neben seinem Idol Bolívar beigesetzt. Doch Maduro gab am Donnerstag bekannt, dass Chávez einbalsamiert und ins Revolutionsmuseum im hügeligen Armenviertel 23 de enero gebracht wird. 'Damit ihn das Volk für immer hat. Wie Mao, Lenin, Ho-Chi-Minh.'
Deshalb gab es am Freitag auch kein Staatsbegräbnis, sondern einen Staatsakt ohne Bestattung. Der allerdings war beachtlich. Wahrscheinlich hat es in Lateinamerika seit Evita und später Juan Domingo Perón in Buenos Aires keine solche Trauerfeier mehr gegeben. Mehr als 50 Politgrößen sind an der Karibikküste eingeschwebt, darunter Raúl Castro aus Kuba, die Brasilianer Dilma Rousseff und Luiz Inácio Lula da Silva, Prinz Felipe aus Spanien und Mahmud Ahmadinedschad aus Iran. Am Abend sollte dann gleich der Vize Maduro zum Präsidenten vereidigt werden, obwohl laut Verfassung bis zu Neuwahlen in 30 Tagen eigentlich der Parlamentsvorsitzende Diosdado Cabello übernehmen müsste. Bei seinem Abschied hatte sich der Comandante Hugo Chávez seinen Statthalter Maduro als Erbe gewünscht. Und der Comandante geht gerade in den Zustand des Nationalheiligen über.
'Chávez war unser Führer, unser zweiter Jesus', schluchzt eine Frau in der Menschenmenge. 'Yo soy Chávez', steht auf ihrem roten T-Shirt, 'ich bin Chávez'. Sie heißt Cora Cerena, ist 42 Jahre alte Gemeindefunktionärin und bewegt sich seit acht Stunden im Gänsemarsch auf ihr verstorbenes Idol zu. Das sei ja das mindeste, was man für ihn tun könne. 'Ich will ihn sehen, und wenn es nur eine Sekunde ist.' Sie habe den Herrn gebeten, Chávez möge sich schonen, 'er wird sonst krank', doch Chávez habe nicht einmal Urlaub genommen. 'Er ist für uns gestorben.' Denn, 'schauen Sie: Chávez war etwas Übernatürliches. Es gibt diese übernatürlichen Wesen. Er war ein Prophet Gottes, und jetzt ist er zu Gott hinauf gefahren', klagt die staatliche Aangestelte.
Über dieser Prozession leuchtet ein Kreuz am hauptstädtischen Hausberg Ávila, das gewöhnlich nur in der Adventszeit abgeknipst wird. Der klare Tag hat sich mit rosafarbenen Streifen in eine Nacht der Sterne verwandelt, morgens wird die Sonne unter einem orangefarbenen Band von Smog aufgehen. Caracas ist zwar ein verstopfter und gefährlicher Moloch, besitzt aber ein prima Klima. Das kommt dem Ereignis entgegen. 'Unser Venezuela ist gesegnet', sagt Cora Cerena, meint jedoch eher Chávez als das Wetter. 'Er hat unser Gewissen erweckt.' Sie schwärmt von Erziehung, subventionierten Lebensmitteln und kubanischen Ärzten in den Slums, wo früher kaum eine Krankenstation zu finden war. 'Wir verschenken unser Öl nicht, wie manche behaupten. Wir bekommen etwas dafür. Das ist wie ein Warentausch.'
Vor ihr steht ein junger Techniker des staatlichen Ölkonzerns PdVSA, er reibt sich die müden Augen. 'Chávez hat Venezuela verändert, er hat PdVSA von einem kapitalistischen zu einem sozialen Unternehmen gemacht', sagt er mit erschöpfter Stimme. Das Öl ist das Schmiermittel dieser sozialistischen Revolution, es spült dank seines hohen Preises Milliarden in die Staatskasse. Die beiden Anhänger setzen auf den neuen Staatschef Nicolás Maduro, der die Wahl gewinnen wird, auch wenn ihm das verführerische Talent seines Vorgängers fehlt. 'Nicolás wird nicht tanzen und nicht singen, und ich werde dieses Lächeln vermissen', klagt sie. 'Doch wir verlieren nicht die Illusion. Wir kämpfen weiter.' Ihr Messias wird ja nicht zu Asche oder Staub.
Chávez vive, la lucha sigue, lautet ein Gassenhauer dieser Tage - Chávez lebt, der Kampf geht weiter. Chávez vive, el pueblo está contigo - Chávez lebt, das Volk ist mit dir. Man kann sich pausenlos Parolen und Lobeshymnen auf den Kommandanten anhören, dessen Körper dieser verdammte Tumor dahin gerafft hat. Am Ende war es ein Herzinfarkt, verriet der Chef der Präsidentengarde. 'Ich will nicht sterben, bitte lasst mich nicht sterben', sollen Chávez" seine Lippen gefleht haben. Sprechen konnte er nicht mehr. Auch heißt es, die künstliche Beatmung sei auf Wunsch der Familie abgestellt worden, Chávez litt nach der vierten Operation an diesem Geschwür an der Hüfte auch an einer Lungenentzündung. Aber was spielen medizinische Details noch für eine Rolle. Das Staatsfernsehen spricht von 'physischem Verschwinden' und überträgt das Gedenken in Endlosschleife.
Plötzlich steigen weiße Tauben auf. 'Ein Signal', kreischt eine ältere Dame. Zwischendurch werden Kollabierte zu Krankenwägen getragen. Kinder klettern auf Panzer, die als Dekoration am Wegesrand stehen. Es wird gesungen und doziert, die riesige Landesflagge hängt schlapp auf Halbmast. 'Hier gibt es nur eine Stimme, und das ist die Stimme des Comandante', brüllt ein Mann. Devotionalienverkäufer haben ihr Sortiment dabei. Zu den Hits gehören rote T- Shirts und Käppis, die nur die charakteristische Augenpartie des Verblichenen zeigen. Es gibt Chávez-Puppen und Chávez-Fotos, darunter das allerletzte vom Krankenbett in Havanna mit zweien seiner Töchter. Kostenlos verteilt wird ein Plakat mit seinem Porträt und dem Titel: 'Hasta la victoria siempre, comandante' - Immer bis zum Sieg, Kommandant. Der Spruch ist seit der kubanischen Revolution zum Schlachtruf der Linken geworden. Eine Zeitung hat Chávez" letzte Rede vom 8. Dezember vergangenen Jahres nachgedruckt: 'Patrioten Venezuelas, die Knie auf der Erde.'
Die Chavisten haben enorme Erfahrung mit PR und Großveranstaltungen, der Caudillo brachte zu Lebzeiten immer wieder ein rotes Menschenmeer auf die Straßen. Er gewann abgesehen von einem Referendum alle Wahlen und Plebiszite. Unter ihm wuchs der Staatsapparat zwischen 1999 und 2012 von 1,24 auf 2,63 Millionen Angestellten, auch sind Zehntausende Venezolaner in Armee und Milizen und Kommunen organisiert. Die Pflicht allein allerdings erklärt das Phänomen dieser überbordenden Pilgerfahrt nicht. Die Arbeitslosigkeit sank in seiner Regierungszeit von 14,9 auf 8,7 Prozent, die Armut von 43,9 auf 26,9 Prozent. Die Slums erheben sich auch im Hintergrund der Militärakademie, jahrzehntelang wurde der Reichtum der Republik skandalös ungerecht verteilt. Selbst Kritiker müssen anerkennen, dass Chávez das zumindest ansatzweise verändert hat.
Selbst die Opposition ist derzeit still. Und überlegt sich, ob sie tatsächlich ihren jungdynamischen Henrique Cardiles gegen Maduro verheizen soll. Eine feierliche Starre hat sich über das sonst so laute und geteilte Land gelegt. Der Dank spottbilligen Sprits meistens höllische Verkehr ist ausnahmsweise erträglich. Vorübergehend wird nicht mal Alkohol ausgeschenkt - ein Härtetest für das Heer der venezolanischen Whiskeytrinker. Fürs erste wird obendrein weniger gemordet. Doch die Inflation wuchert weiter, der Schwarzkurs der Währung Bolívar ist trotz Abwertung viermal so hoch wie der offizielle Wechselkurs. 'Bald essen wir nur noch Kartoffeln', fürchtet ein Finanzunternehmer - und entschwindet während der Feiertage ins Ferienhaus am Strand, wo sich die Elite trifft.
Sogar Privatmedien verhalten sich pietätvoll. Die Zeitung El Universal druckt auch eine eigene Todesanzeige. El Nacional titelt: 'Acht Kilometer Liebesbeweise, um Chávez zu verabschieden.' Mehrere Länder haben Staatstrauer ausgerufen, Bolivien und Nigeria wie Venezuela eine ganze Woche lang. Die Region steht geschlossen Spalier, dahinter war tatsächlich so etwas wie Einheit zu erkennen. Bloß mit dem erweiterten Imperium gibt es das übliche Gezeter. 'Chávez" verrottetes Erbe', schreibt der britische Economist: 'Hinter der Propaganda ist Venezuelas hässliche Realität die eines korrupten, zynischen und inkompetenten Regimes.' Maduro wiederum verdächtig Washington, Chávez" Krebs provoziert zu haben, eine bizarre Idee. Zwei US-Diplomaten wurden ausgewiesen. Und Kanadas Regierungschef Stephen Harper gilt als unverschämt, weil er Venezuela 'eine bessere Zukunft' wünscht.
Die Staatsgäste verneigen sich am Freitag vor Hugo Chávez. Brasiliens Dilma Rousseff und Lula, die ihren Krebs besiegt haben. Kubas Castros, Boliviens Evo Morales, Nicaraguas Daniel Ortega, Ecuadors Rafael Correa, Weißrusslands Alexander Lukaschenko, Irans Ahmadinedschad, Äquatorialguineas Diktator Teodoro Obiang. Viele verlieren einen Freund und Verbündeten. 'Er beobachtet uns aus den Himmel', berichtet Ahmadinedschad. 'Umarme Allende und den Che für uns', bat Maduro den toten Chávez. Der chilenische Sozialist Allende und der argentinisch-kubanische Rebell Guevara sind ihm längst vorausgeeilt. Nur ein besonders religiöser Bewunderer hat eine eigene Vorstellung von dieser irdischen Himmelfahrt: Malvin Rodríguez stellt sich als früherer Guerillero vor. Er trägt ein Schild mit Bildern von Jesus Christus und Hugo Chávez und predigt: 'Chávez wird unser himmlischer Krieger, aber erst muss er durchs Fegefeuer. Da müssen wir alle durch.'