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Zappeln als Distinktion

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Wie der Harlem Shake zum Ausdruck einer neuen kulturellen Ordnung wurde.

Man muss genau hinschauen, denn zu sehen gibt es zunächst nur einen dreißigsekündigen Zappeltanz. Seit Anfang Februar ist er zur Kopiervorlage für unzählige Nachtänzer überall auf der Welt geworden. Man spricht bei dem Gezappel von einem Internet-Mem. Damit werden Phänomene beschrieben, die auf der Kraft des Teilens und Verbreitens basieren, die im digitalen Raum viel wirkmächtiger ist, als in der analogen Welt. Denn im Netz können nicht nur Dateien verlustfrei dupliziert werden, es werden auch Moden, Tänze und Bewegungen adaptiert und weitergereicht. Genau das passiert gerade mit dem sogenannten Harlem Shake. Wer die jeweils dreißig Sekunden dauernden Clips dazu genau anschaut, sieht mehr als einen Zappeltanz: Man kann dabei beobachten, wie das Internet gerade im Moment unsere Kultur verändert.



Bunt kostümierte Menschen tanzen am 03.03.2013 an der Leibniz Universität in Hannover den 'Harlem Shake'.

Bis Ende Januar 2013 war der Harlem Shake ein Tanzstil, der ursprünglich als Hip-Hop-Move in den achtziger Jahren im New Yorker Stadtteil Harlem erfunden wurde. Der Musikproduzent Harry Rodrigues, der selber jünger ist als dieser Tanz und aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn stammt, benannte im Mai 2012 einen Song nach den ruckartigen Bewegungen. Der 22-Jährige veröffentlichte seinen 'Harlem Shake' unter dem Künstlernamen Baauer. Anfang des Jahres 2013 hatte dann der 19-jährige Komiker und Video-Blogger Filthy Frank, der ebenfalls in New York zu Hause ist, die Idee, diesen Sound neu in Szene zu setzen. Dazu stellte er einen Video-Clip ins Netz, in dem vier Personen sich in einem Muster zur Musik von Baauer bewegen, das man fortan in Abertausenden Kopier-Clips in unterschiedlichen Kontexten immer gleich zu sehen bekommt: Zunächst wird eine gewöhnliche Situation gezeigt, in der eine Gruppe zu sehen ist. Sobald die Musik beginnt, fängt eine Person aus dieser Gruppe an, sich alleine zu dem Sound zu bewegen. 'Nach exakt 15 Sekunden setzt mit der Textzeile "Do the Harlem Shake" der Bass ein', beschreibt die Internet-Enzyklopädie Wikipedia das Prinzip des Phänomens so treffend, dass man es sich im Zitat erklären lassen sollte: 'Gleichzeitig steigen von einem Moment auf den anderen alle anderen Personen (auch neue) mit unkontrollierten Bewegungen wie Zappeln und Hüpfen in den Harlem Shake ein. Ihr Äußeres ist nun ebenfalls schrill und kontrastierend zur Umgebung. Häufig sind Ganzkörperkostüme, Halbnacktheit und Arbeitskleidung. Der Übergang ist wegen des Videoschnitts hart, seltener auch fließend. Nach weiteren 15 Sekunden ist das Video zu Ende.'

Doch was dann beginnt, ist die Funktionsweise einer neuen kulturellen Ordnung, die auf Menschen, die mit dem Prinzip der Netz-Meme nicht so vertraut sind, ähnlich verstörend wirken muss, wie der Beginn der Popmusik in der Nachkriegszeit. Der Harlem Shake ist nämlich weit mehr als ein Zappeltanz. Menschen überall auf der Welt stellen die beschriebene Szene in ihrem Umfeld nach und laden den Clip ins Netz. In Redaktionen, Büros und Sporthallen wird im immer gleichen Muster gezappelt. Das ist mehr als eine alberne Spielerei, es ist die globale Teilhabe an einem Phänomen, das Sprach- und Landesgrenzen überschritten hat und wie ein geheimer Witz über den Code des gemeinsamen Verstehens funktioniert.

Wer heute am Harlem Shake teilnimmt, agiert wie ein Nerd, der früher eine seltene Vinyl-Pressung eines Popsongs aus Japan importierte: Er schreibt sich in eine Gruppe ein, die sich von den Nicht-Wissenden abgrenzt. Das Besondere daran: es geschieht alles öffentlich, was die Abgrenzungsmuster aber nicht zu beeinträchtigen scheint. Zappeln als Distinktion steht nicht nur als globale Gruppendynamik für eine neue kulturelle Ordnung. Der Harlem Shake verschiebt auch die gelernten Muster von Popularität und Wertschöpfung.

Denn dass so viele Menschen an der Bewegung teilnehmen, gründet sich zunächst darauf, dass sie sich ihrer Masse versichern wollen. Jeder Clip ist wie ein gerecktes Feuerzeug auf einem Popkonzert. Die Fußballer von Hertha BSC, zahlreiche Radio-Redaktionen oder unlängst sogar die Figuren aus der Serie 'The Simpsons' - sie alle strecken ihr Licht in die Wellen des Web. Erst in der Addition entsteht ein Lichtermeer, erst von außen sehen alle, wie viele sie sind. So macht jeder ein bisschen mit und alle profitieren.

Einer hingegen profitiert besonders. Und das liegt vor allem daran, dass Musikproduzent Harry Rodrigues der Versuchung widerstand, sich gegen die Welle zu stellen. Baauer hat nicht gegen die vielfache urheberrechtlich unerlaubte Verwendung seines Harlem Shake geklagt und darf deshalb jetzt auf der Welle surfen, die ihn trägt. Baauer profitiert so sehr von der rechtlich fragwürdigen Nutzung seines geistigen Eigentums, dass er sich schon fragen lassen muss, ob das überhaupt fair sei. Der amerikanische Blogger Mike Masnick rechnete auf seiner Plattform Techdirt vor, dass der erste Youtube-Nutzer Frank Filthy und im Prinzip jeder, der dem Harlem Shake zu Ruhm verholfen hat, Anteil an diesem Erfolg habe. Und natürlich auch diejenigen, die Baauer selber in dem Song gesampelt hat - die Band Plastic Little zum Beispiel, aus deren Song 'Miller Time' die titelgebende Aufforderung 'Do the Harlem Shake' stammt. Oder die Erfinder und Nutzer des charakteristischen 'con los terroristas', das Baauer bei DJ Gregory and Gregor Salto entliehen hat, die es für ihr 'Con Alegria' aus dem Jahr 2010 wiederum bei dem kolumbianischen Reggaeton-Musiker Hector Delgado alias El Father kopiert hatten: der hatte schon 2006 in 'Los Terroristas' gerufen, was heute alle singen.

Baauers zu teilender Erfolg ist in der Tat erstaunlich: 'Sein Harlem Shake ist der erste Song in der Geschichte der Billboard Hot 100, der von einem weitestgehend unbekannten Künstler stammt und auf Platz eins eingestiegen ist', rechnet der Netzautor Andy Baio vor. Der Grund dafür liegt in einer Umstellung der Chartauswertung. Nach dem überwältigenden Erfolg des letzten großen Internet-Mems 'Gangnam Style' aus dem Jahr 2012 entschieden sich die Billboard-Macher dafür, ab diesem Jahr auch die Aufrufe von Youtube-Songs in die Bewertung einfließen zu lassen. Davon profitiert Baauer ebenso wie vom Verkauf seines Songs - um aber wirklich zu verstehen, wie die Geschäfte in diesen Aufmerksamkeitsgipfeln gemacht werden, lohnt sich ein Blick auf Baauers Vorgänger Gangnam Style.

Das Lied des südkoreanischen Rappers Psy schaffte es mit dem passenden Tanz- und Videoclip ins Guinness-Buch der Rekorde und wurde sogar bei 'Wetten dass...?' nachgetanzt. Der nach dem Seouler Stadtteil Gangnam benannte Song wurde so das bekannteste musikalische Mem des Jahres. Der Original-Clip ist heute das populärste Youtube-Video aller Zeiten - bis heute wurde er mehr als 1,3Milliarden Mal angeschaut. In Deutschland ist er allerdings wegen urheberrechtlicher Vergütungsfragen gesperrt. Mehr als acht Millionen Dollar wurden 2012 allein durch die Werbung rund um das Video verdient - nicht vom südkoreanischen Rapper oder einer Plattenfirma, sondern von Youtube. Diese Zahl nannte ein Google-Manager Anfang des Jahres.

Youtube, das zu Google gehört, profitiert von den Erfolgen der Internet-Meme nämlich noch mehr als die vermeintlichen Original-Schöpfer. Das Portal stellt die Plattform zur Verfügung und verdient an der Aufmerksamkeit, die sich dort schlagartig durch die sogenannte virale Verbreitung bündeln lässt. Google fragt nicht danach, wie man die Aufmerksamkeitswellen steuern oder nach klassischen Geschäftsmustern vergüten kann. Google surft einfach mit auf den Wellen, die an Land gespült werden.

Beim Aufkommen der Popmusik gab es im Klischee überzeichnete Plattenbosse, die an den Erfolgen und der Hysterie um ihre plötzlich populären Stars verdient haben. Es ist nicht so, dass heute nichts verdient würde, die Muster und die Nutznießer sind allerdings mittlerweile andere. Der Harlem Shake zeigt auch das.

Der Autor bloggt auf sz.de über 'Phänomeme'. Das Wort ist eine Neuschöpfung aus Phänomen und den sogenannten Internet-Memen, deren derzeit bekanntestes Beispiel der Harlem Shake ist.

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