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Modernisierer gesucht

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Auch kurz vor Beginn des Konklaves gibt es keinen klaren Favoriten. Doch die Aussprache im Vorfeld hat gezeigt: Viele Kardinäle wünschen sich offenbar einen durchsetzungsstarken Verwalter, der den Reformstau im Vatikan auflöst

Rom - Gian Lorenzo Bernini, der berühmte Baumeister, hat sie geplant, die ovale und reich geschmückte Sankt-Andreas-Kirche unweit des Trevi-Brunnens, wo der großgewachsene Mann mit den weißen Haaren unter der Bischofsmütze jetzt einzieht, unter dem Applaus der Gläubigen, wobei man nicht weiß, ob es mehr Kameraleute, Fotografen, schreibende Journalisten in der Kirche gibt als Beter, aber hier tritt nun mal einer derjenigen auf, die am nächsten Sonntag Papst sein könnten. Odilo Scherer aus São Paulo hat freundlich und in pastoraler Routine ein paar alte Bekannte aus Brasilien und einige Mitglieder der Gemeinde begrüßt, beim Gottesdienst bleibt er unbrasilianisch sparsam mit den Gesten, ein Gitarrensänger und ein Trommler bringen ein bisschen Exotik in den Marmorbau aus dem 17. Jahrhundert. Il Tedesco, sagen die Italiener über ihn, weil er deutsche Wurzeln hat und eben als organisiert, aber wenig emotional gilt. Zwischendurch kommen die Reporter und gehen auch wieder - nur ein paar Minuten von hier entfernt, an der Piazza Venezia, feiert der andere Favorit seinen Gottesdienst, der Mailänder Kardinal Angelo Scola, so wie alle Kardinäle an diesem letzten Sonntag vor dem Konklave.

Die Leseordnung der katholischen Kirche hat sich ein wunderbares Evangelium ausgesucht für den Testlauf der drei, die an diesem Morgen so viele in die Kirche gelockt hat: das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der das Erbe des Vaters verprasst, reuig zurückkommt - und mit Freude wieder aufgenommen wird. Da ließe sich einiges sagen, auch zum Thema Kirche und Umkehr, so wie Joseph Ratzinger vor acht Jahren seinen Gottesdienst nutzte, um mit einer programmatischen Rede die Wähler für sich zu gewinnen. Doch diesmal wagt sich keiner der Kandidaten nach vorn, sie predigen ungefähr das Gleiche: Wir alle brauchen immer wieder Umkehr, manche Verlockung erweist sich als Falle, und Jesus liebt die Sünder, wenn auch nicht die Sünde. Zu viel Risiko dürfte diesmal eher bestraft werden, als dass es dem Betreffenden helfen würde.

Denn es wird sich wohl erst am Dienstagabend im Konklave im ersten Wahlgang zeigen, wohin die Kardinäle tendieren. Es fehlt der alles überragende Kandidat, es hat aber auch keiner in den vergangenen zehn Tagen die Herzen oder Hirne der anderen erobert; am ehesten noch der Kapuzinermönch O'Melley, der aber als US-Amerikaner als schwer in der Welt vermittelbar gilt. "Viele Kardinäle sind bis jetzt nicht entschieden", sagt ein Insider, der mit vielen Papstwählern gesprochen hat. Auch der Mainzer Kardinal Karl Lehmann hat Radio Vatikan gesagt, er habe sich noch nicht für einen Kandidaten entschieden, und gestand eine gewisse Ängstlichkeit angesichts der Frage, "ob man wirklich den Richtigen findet".



Die Papstwahl wird international wie noch nie zuvor: 115 Kardinäle aus 52 Ländern haben sich zum Konklave versammelt. Am Dienstagabend findt der erste Wahlgang statt.
 
Vielleicht bringt dieser Montag mehr Klarheit, wenn das Kardinalskollegium zum letzten Mal tagt und darüber reden soll, welches Anforderungsprofil ein künftiger Pontifex haben sollte. Die Freude über die Sitzungen hat aber offenbar bei vielen Kardinälen stark nachgelassen: Es haben sich zwar viele von ihnen in den vergangenen Tagen zu Wort gemeldet, eine echte Zukunftsdebatte ist aber ausgeblieben, auch weil die Regie der Kurienkardinäle Tarcisio Bertone und Angelo Sodano das geschickt verhindert hat.

Jeder Kardinal durfte, nach Eingang seiner Wortmeldung, fünf Minuten reden, egal zu welchem Thema. Und so redete der eine über die Kurienreform, der andere über die Liturgie, der dritte über Frauen in der Kirche, der vierte über die Vatileaks-Affäre. Der Tagungsraum im Audienzsaal war auf den Vorstandstisch hin ausgerichtet, spontane Reaktionen auf einen Redner waren schwer möglich, so wurde zwar alles irgendwie angesprochen, aber nichts wirklich diskutiert, schon gar nicht tiefergehend inhaltlich.

Den nordamerikanischen Kardinälen verboten Bertone und Sodano eigene Pressegespräche - die Informationshoheit wollten sie schon selber behalten. So setzte sich am vergangenen Donnerstag auch bei denen, die gerne länger geredet hätten, die Einsicht durch, dass nun genug geredet sei. Mit mehr als 80 Prozent Zustimmung beschlossen sie, das Konklave am Dienstag beginnen zu lassen.

Es war vielleicht das letzte Mal, dass die Mächtigen der Kurie in dieser Weise das Vorkonklave organisierten: Der Ruf nach einer Kurienreform durchzog als roter Faden die Debatten. Selbst Kardinäle aus der Kirchenverwaltung gaben zu, dass es erheblichen Reformbedarf gebe - nur einzelne klagten, niemand würde die viele Arbeit würdigen, die sie hätten. Zu offensichtlich sind die Probleme nach der Amtszeit des politischen Visionärs Johannes Paul II. und des Theologen Benedikt XVI., denen beide die Verwaltung fremd blieb. Außer der Glaubenskongregation und dem Staatssekretariat hat keine Abteilung feste Besprechungstermine mit dem Papst, Kabinettsberatungen sind im Vatikan völlig fremd, Entscheidungen bleiben intransparent. Immer wieder sollen, wenn einer die Defizite ansprach, die anderen Kardinäle zu Kardinalstaatssekretär Bertone hingeschaut haben, der als Ursache und Verstärker der Übel gilt.

"Wer sich als Kandidat der Kurie zu erkennen gibt, hat keine Chance", sagt ein Beobachter. Viele Kardinäle wünschen sich offenbar einen durchsetzungsstarken Verwalter, der den Modernisierungsstau im Vatikan auflöst. Auch deshalb gelten Scola und Scherer als Favoriten - sie leiten die beiden größten Bistümer der Weltkirche, ihnen werden Managerqualitäten nachgesagt, wobei Scherer eher den Kurienkardinälen vermittelbar wäre, er ist mit Sodano, dem ehemaligen Kardinalstaatssekretär, eng verbunden. Und er stünde für das gewachsene Gewicht der Weltkirche: Die Kardinäle aus Afrika, Asien, Lateinamerika traten selbstbewusst wie klug auf. Die Zeit des Eurozentrismus ist vorbei, auch wenn der künftige Papst noch einmal aus Europa kommen sollte.

Scola oder Scherer, das dürfte die Frage der ersten Wahlgänge sein - sammelt der konservativ-solide Mailänder die meisten Stimmen oder der wenig brasilianische Gottesmann aus São Paulo? Beobachter vermuten, dass, wer in den ersten Wahlgängen mehr als 40 Stimmen erhält, auch bald Papst ist. Ist das nicht der Fall, schlägt die Stunde der anderen Kandidaten: Von Wahlgang zu Wahlgang dürfte dann zum Beispiel weniger wichtig werden, dass O'Melley Amerikaner ist - oder der Wiener Kardinal Christoph Schönborn Deutsch spricht, wobei der eher als Papstmacher gilt denn als künftiger Papst.

"Beten wir, dass der Heilige Geist seiner Kirche den Mann schenkt, der sie leiten kann", hat Angelo Scola in seinem Gottesdienst gesagt. Ob er dabei an sich gedacht hat - das hat er den Gläubigen und Journalisten natürlich nicht verraten.

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