Groß-Rosen war ein wenig bekanntes KZ in Polen - und ein wichtiger Steinbruch. Nun entsteht hier ein Mahnmal.
Man wird sich winzig fühlen vor dieser Wand. Man wird kaum anders können als zu frösteln, wenn man die lang gestreckte Treppe hinunterkommt und sich dem Spalt nähert, der diese 30 Meter hohe Wand teilt. Hier haben die Gefangenen sich damals entlanggequält, Granitblöcke geschultert, hungernd, frierend, schwitzend, blutend, von der SS vorangetrieben. Aus den Tiefen der Imagination wird man Vorstellungen hervorzuholen haben, Erinnerungen an etwas, was man selber nie erlebt hat: an die Schmerzen, an die Gehässigkeit der Bewacher, an die Angst und an den hellen Granitstaub, der über allem lag.
Das KZ in Auschwitz ist viel bekannter als das in Groß-Rosen.
Der Ort hieß früher, als Niederschlesien noch zu Deutschland gehörte, Groß-Rosen. Heute heißt er Rogoznica, denn Niederschlesien ist seit 1945 ein Teil Polens. Der Steinbruch und das frühere KZ liegen zwei Kilometer außerhalb des Dorfes. Nun entsteht dort ein einschüchternd monumentales Mahnmal.
Es geht um den Steinbruch, und es geht um die deutsche Hölle. Groß-Rosen wäre nie zu einem jener mehr als 1000 Orte geworden, an denen die Nazis ein Konzentrationslager errichtet haben, wenn es den Steinbruch nicht gegeben hätte. Man baute dort Granit ab, und dafür interessierten sich die Deutschen Erd- und Steinwerke, ein 1938 gegründetes Unternehmen der SS, das Heinrich Himmler unterstand.
Himmler ließ nach abbaubaren Bodenschätzen suchen, um in deren Nähe Konzentrationslager zu errichten. Die Häftlinge sollten in Steinbrüchen, Kieswerken oder Ziegeleien schuften. So entstanden die KZs Buchenwald, Mauthausen, Auschwitz oder Flossenbürg. Und eben auch Groß-Rosen. Den dortigen Steinbruch ließ Himmler erwerben und das umliegende Land pachten, am 2. August 1940 überstellte das KZ Sachsenhausen bei Berlin die ersten 100 Häftlinge. Neun Monate verfuhr man weiter so, am 1. Mai 1941 wurde Groß-Rosen ein eigenständiges KZ. 1944 unterhielt es an die 100 Außenstellen in der Region, hauptsächlich in Rüstungsbetrieben.
Rund 125000 Häftlinge hat die SS hier durchgeschleust, ehe am 13. Februar 1945 die Rote Armee das Lager befreite. Etwa 40000 von ihnen haben nicht überlebt. Selbst für ein KZ, in dem die Vernichtung durch Arbeit zum Geschäftsplan gehörte, war hier die Unfall- und Todesrate überdurchschnittlich hoch. Die Insassen kamen aus mehr als 20 Ländern Europas, und sie gehörten all jenen Gruppen an, die die Nazis verfolgten: Juden verschiedener Nationalitäten, sowjetische Kriegsgefangene, missliebige Polen, Ukrainer. Auch Deutsche waren dabei.
Dass Groß-Rosen nach dem Krieg im neuen, nach Westen verschobenen Polen nicht gleich in ähnlicher Weise zur Gedenkstätte ausgebaut wurde wie andere KZs, hat viele Gründe. Unter anderem den, dass es zu viele solche Orte des Grauens gab. Jedenfalls wurde 1953 ein Mausoleum eröffnet, in dem man die Asche toter Häftlinge barg. 1958 entstand beim Lagertor ein Ausstellungsraum, später wurde ein staatliches Museum eröffnet. Man bemühte sich um Restaurierung und sammelte Dokumente, derweil im Steinbruch wieder Granit gebrochen wurde.
Der Kollaps des Kommunismus führte dazu, dass US-Präsident George Bush 1989 den Polish-American Enterprise Fund gründen ließ, der in Polen investierte, um der Marktwirtschaft auf die Beine zu helfen. 1994 kaufte dieser Fonds, ohne vom historischen Hintergrund zu wissen, für zwei Millionen Dollar Anteile an der Firma, die den Steinbruch in Rogoznica betrieb. Es kam der Tag, an dem Stefan Wysocki, ein Überlebender des Lagers Groß-Rosen und Redakteur von Radio Free Europe, das Museum besuchte und bemerkte, dass nebenan noch immer Granit abgebaut wurde, als wäre dies ein kommerzieller Steinbruch. Zornentbrannt schrieb er einen Brief an Prof. Zbigniew Brzezinski, den einstigen Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, der als gebürtiger Warschauer dem Aufsichtsrat des Polish-American Enterprise Fund angehörte.
Brzezinski und seine Kollegen reagierten rasch. Zwei leitende Herren fuhren nach Groß-Rosen, das Management ließ die Arbeit im Steinbruch einstellen und das Gelände säubern, einzäunen und beleuchten. Ferner gründete der Fonds eine Stiftung mit 150000 Dollar Grundkapital, die für ein würdiges Gedenken sorgen soll. Sie residiert in einem der neuen Hochhäuser im Zentrum Warschaus in den Räumen von Enterprise Investors, des größten Private-Equity-Fonds in Mittel- und Osteuropa, der als Förderer das Projekt übernommen hat. Und sie berief an ihre Spitze den Historiker und Manager Piotr Koral.
Koral hütet in seinem Laptop eine Präsentation, die zeigt, wie die nächste Phase des Projektes aussehen soll. Untermalt von den Gesängen eines Trauerchores, ersteht vor dem Betrachter eine gigantische Konfiguration, die von natürlichen wie von bildhauerischen und architektonischen Elementen geprägt ist und die aus dem Steinbruch von Groß-Rosen eine neue Art von KZ-Gedenkstätte machen soll.
Das Terrain, auf dem die Häftlinge schufteten und starben, ist heute von einem Teich bedeckt, den eine Wand aus Granit umsteht. Aus dem Wasser ragt ein schwarzer Block, aus dem eine Flamme züngelt. Die 30 Meter hohe Wand aus rostigem Stahl trennt diese Kernzone des Gedenkens von jenem Teil, in dem man auch nach dem Krieg Steine gebrochen hat. Ein schmaler Durchlass markiert die Schwelle vom Leben zum Tod, vom Unwissen zum Verbrechen. Alles ist Symbol, alles gewaltig, einfach und modern.
Den Entwurf hat einer der kreativsten polnischen Designer geliefert, Miroslaw Nizio. Ausgebildet als Architekt und Bildhauer in Warschau und New York, hat er schon durch die Mitwirkung am Museum des Warschauer Aufstandes Maßstäbe für museale Innovation gesetzt. Ebenso wie der Historiker Koral arbeitet er auch am Muse-um zur Geschichte der polnischen Juden mit, das in Jahresfrist eröffnet wird und ebenfalls ein Meilenstein zu werden verspricht. Nizio hat auch am Ort des NS-Todeslagers Belzec in Ostpolen eine Gedenkstätte erbaut, die heute wie ein Vorspiel für Groß-Rosen wirkt. Auch dort die große Wand, auch dort die Monumentalität als Mittel der Vergegenwärtigung.
Dass einer da fürs Memorieren eine neue Formensprache entwickelt, ist hochwillkommen in einer Zeit, die eine neue Phase des Erinnerns förmlich erzwingt. In Auschwitz und anderswo, wo man Baracken, Mordvorrichtungen, Haftzellen und Besitztümer der Häftlinge aufbewahrt hat, sind all diese Dinge vom Verfall bedroht. Was tut man dagegen? Restaurieren? Nachbilden? Woher das Geld dafür nehmen?
Gleichzeitig ist der Zeitpunkt erreicht, da die allermeisten der Überlebenden verstorben sind. Auch deshalb kommt dem Projekt Groß-Rosen besondere Bedeutung zu - es markiert den Übergang. Der Historiker Piotr Koral und seine Mitstreiter planen Präsentationen in Berlin, New York und Israel sowie im EU-Parlament, und sie möchten mit jenen Spezialisten in Deutschland in Kontakt kommen, die in vergleichbaren Gedenkstätten schon moderne Bildungsprogramme entwickelt haben. Geld ist fürs erste da, die EU hat beträchtliche Mittel bereitgestellt. Das Projekt soll im Ganzen etwa siebeneinhalb Millionen Euro kosten.
'Jedes Opfer und jeder Tropfen Märtyrerblut stellt überall die gleiche Verpflichtung dar', sagte der frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, einst selber KZ-Insasse, bei einer Feier in Groß-Rosen 2005, als der Steinbruch ans Museum angegliedert und in die Obhut der Wojewodschaft Niederschlesien übergeben wurde. Die Neugestaltung des Terrains, die nun beginnt, wird diesen Ort gewiss dem Vergessen entreißen. Auch der Name des Projekts trägt dazu bei. Man hat es Kamienne Pieklo genannt. Es bedeutet: Steinerne Hölle.
Man wird sich winzig fühlen vor dieser Wand. Man wird kaum anders können als zu frösteln, wenn man die lang gestreckte Treppe hinunterkommt und sich dem Spalt nähert, der diese 30 Meter hohe Wand teilt. Hier haben die Gefangenen sich damals entlanggequält, Granitblöcke geschultert, hungernd, frierend, schwitzend, blutend, von der SS vorangetrieben. Aus den Tiefen der Imagination wird man Vorstellungen hervorzuholen haben, Erinnerungen an etwas, was man selber nie erlebt hat: an die Schmerzen, an die Gehässigkeit der Bewacher, an die Angst und an den hellen Granitstaub, der über allem lag.
Das KZ in Auschwitz ist viel bekannter als das in Groß-Rosen.
Der Ort hieß früher, als Niederschlesien noch zu Deutschland gehörte, Groß-Rosen. Heute heißt er Rogoznica, denn Niederschlesien ist seit 1945 ein Teil Polens. Der Steinbruch und das frühere KZ liegen zwei Kilometer außerhalb des Dorfes. Nun entsteht dort ein einschüchternd monumentales Mahnmal.
Es geht um den Steinbruch, und es geht um die deutsche Hölle. Groß-Rosen wäre nie zu einem jener mehr als 1000 Orte geworden, an denen die Nazis ein Konzentrationslager errichtet haben, wenn es den Steinbruch nicht gegeben hätte. Man baute dort Granit ab, und dafür interessierten sich die Deutschen Erd- und Steinwerke, ein 1938 gegründetes Unternehmen der SS, das Heinrich Himmler unterstand.
Himmler ließ nach abbaubaren Bodenschätzen suchen, um in deren Nähe Konzentrationslager zu errichten. Die Häftlinge sollten in Steinbrüchen, Kieswerken oder Ziegeleien schuften. So entstanden die KZs Buchenwald, Mauthausen, Auschwitz oder Flossenbürg. Und eben auch Groß-Rosen. Den dortigen Steinbruch ließ Himmler erwerben und das umliegende Land pachten, am 2. August 1940 überstellte das KZ Sachsenhausen bei Berlin die ersten 100 Häftlinge. Neun Monate verfuhr man weiter so, am 1. Mai 1941 wurde Groß-Rosen ein eigenständiges KZ. 1944 unterhielt es an die 100 Außenstellen in der Region, hauptsächlich in Rüstungsbetrieben.
Rund 125000 Häftlinge hat die SS hier durchgeschleust, ehe am 13. Februar 1945 die Rote Armee das Lager befreite. Etwa 40000 von ihnen haben nicht überlebt. Selbst für ein KZ, in dem die Vernichtung durch Arbeit zum Geschäftsplan gehörte, war hier die Unfall- und Todesrate überdurchschnittlich hoch. Die Insassen kamen aus mehr als 20 Ländern Europas, und sie gehörten all jenen Gruppen an, die die Nazis verfolgten: Juden verschiedener Nationalitäten, sowjetische Kriegsgefangene, missliebige Polen, Ukrainer. Auch Deutsche waren dabei.
Dass Groß-Rosen nach dem Krieg im neuen, nach Westen verschobenen Polen nicht gleich in ähnlicher Weise zur Gedenkstätte ausgebaut wurde wie andere KZs, hat viele Gründe. Unter anderem den, dass es zu viele solche Orte des Grauens gab. Jedenfalls wurde 1953 ein Mausoleum eröffnet, in dem man die Asche toter Häftlinge barg. 1958 entstand beim Lagertor ein Ausstellungsraum, später wurde ein staatliches Museum eröffnet. Man bemühte sich um Restaurierung und sammelte Dokumente, derweil im Steinbruch wieder Granit gebrochen wurde.
Der Kollaps des Kommunismus führte dazu, dass US-Präsident George Bush 1989 den Polish-American Enterprise Fund gründen ließ, der in Polen investierte, um der Marktwirtschaft auf die Beine zu helfen. 1994 kaufte dieser Fonds, ohne vom historischen Hintergrund zu wissen, für zwei Millionen Dollar Anteile an der Firma, die den Steinbruch in Rogoznica betrieb. Es kam der Tag, an dem Stefan Wysocki, ein Überlebender des Lagers Groß-Rosen und Redakteur von Radio Free Europe, das Museum besuchte und bemerkte, dass nebenan noch immer Granit abgebaut wurde, als wäre dies ein kommerzieller Steinbruch. Zornentbrannt schrieb er einen Brief an Prof. Zbigniew Brzezinski, den einstigen Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, der als gebürtiger Warschauer dem Aufsichtsrat des Polish-American Enterprise Fund angehörte.
Brzezinski und seine Kollegen reagierten rasch. Zwei leitende Herren fuhren nach Groß-Rosen, das Management ließ die Arbeit im Steinbruch einstellen und das Gelände säubern, einzäunen und beleuchten. Ferner gründete der Fonds eine Stiftung mit 150000 Dollar Grundkapital, die für ein würdiges Gedenken sorgen soll. Sie residiert in einem der neuen Hochhäuser im Zentrum Warschaus in den Räumen von Enterprise Investors, des größten Private-Equity-Fonds in Mittel- und Osteuropa, der als Förderer das Projekt übernommen hat. Und sie berief an ihre Spitze den Historiker und Manager Piotr Koral.
Koral hütet in seinem Laptop eine Präsentation, die zeigt, wie die nächste Phase des Projektes aussehen soll. Untermalt von den Gesängen eines Trauerchores, ersteht vor dem Betrachter eine gigantische Konfiguration, die von natürlichen wie von bildhauerischen und architektonischen Elementen geprägt ist und die aus dem Steinbruch von Groß-Rosen eine neue Art von KZ-Gedenkstätte machen soll.
Das Terrain, auf dem die Häftlinge schufteten und starben, ist heute von einem Teich bedeckt, den eine Wand aus Granit umsteht. Aus dem Wasser ragt ein schwarzer Block, aus dem eine Flamme züngelt. Die 30 Meter hohe Wand aus rostigem Stahl trennt diese Kernzone des Gedenkens von jenem Teil, in dem man auch nach dem Krieg Steine gebrochen hat. Ein schmaler Durchlass markiert die Schwelle vom Leben zum Tod, vom Unwissen zum Verbrechen. Alles ist Symbol, alles gewaltig, einfach und modern.
Den Entwurf hat einer der kreativsten polnischen Designer geliefert, Miroslaw Nizio. Ausgebildet als Architekt und Bildhauer in Warschau und New York, hat er schon durch die Mitwirkung am Museum des Warschauer Aufstandes Maßstäbe für museale Innovation gesetzt. Ebenso wie der Historiker Koral arbeitet er auch am Muse-um zur Geschichte der polnischen Juden mit, das in Jahresfrist eröffnet wird und ebenfalls ein Meilenstein zu werden verspricht. Nizio hat auch am Ort des NS-Todeslagers Belzec in Ostpolen eine Gedenkstätte erbaut, die heute wie ein Vorspiel für Groß-Rosen wirkt. Auch dort die große Wand, auch dort die Monumentalität als Mittel der Vergegenwärtigung.
Dass einer da fürs Memorieren eine neue Formensprache entwickelt, ist hochwillkommen in einer Zeit, die eine neue Phase des Erinnerns förmlich erzwingt. In Auschwitz und anderswo, wo man Baracken, Mordvorrichtungen, Haftzellen und Besitztümer der Häftlinge aufbewahrt hat, sind all diese Dinge vom Verfall bedroht. Was tut man dagegen? Restaurieren? Nachbilden? Woher das Geld dafür nehmen?
Gleichzeitig ist der Zeitpunkt erreicht, da die allermeisten der Überlebenden verstorben sind. Auch deshalb kommt dem Projekt Groß-Rosen besondere Bedeutung zu - es markiert den Übergang. Der Historiker Piotr Koral und seine Mitstreiter planen Präsentationen in Berlin, New York und Israel sowie im EU-Parlament, und sie möchten mit jenen Spezialisten in Deutschland in Kontakt kommen, die in vergleichbaren Gedenkstätten schon moderne Bildungsprogramme entwickelt haben. Geld ist fürs erste da, die EU hat beträchtliche Mittel bereitgestellt. Das Projekt soll im Ganzen etwa siebeneinhalb Millionen Euro kosten.
'Jedes Opfer und jeder Tropfen Märtyrerblut stellt überall die gleiche Verpflichtung dar', sagte der frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, einst selber KZ-Insasse, bei einer Feier in Groß-Rosen 2005, als der Steinbruch ans Museum angegliedert und in die Obhut der Wojewodschaft Niederschlesien übergeben wurde. Die Neugestaltung des Terrains, die nun beginnt, wird diesen Ort gewiss dem Vergessen entreißen. Auch der Name des Projekts trägt dazu bei. Man hat es Kamienne Pieklo genannt. Es bedeutet: Steinerne Hölle.