Eine Witwe und die Stimme ihres Verstorbenen, die aus dem Lautsprecher hallt: Die Londoner U-Bahn hat eine ganz eigene Romanze hervorgebracht.
In Londons Tube herrschen andere Töne als im kontinentalen Underground. Die berühmte U-Bahn ist, anders als unsere Nahverkehrssysteme auf dem Festland mit ihrem Dreiklang von Verspätung, Verstopfung, Verstörung, nachgerade ein Hort der Meditation, der Intimität, ja, der Poesie. Vor ein paar Jahren gab man den Fahrern der Piccadilly Line ein Büchlein in die Hand. Darin standen kluge Sätze, die sie in ihre Durchsagen einbauen sollten, zur Erbauung der Fahrgäste. Sätze von Shakespeare natürlich, aber auch von Goethe oder von Friedrich Engels: 'Ein Gramm Handeln ersetzt eine ganze Tonne Theorie.' Ein wohlklingender Versuch, das Poetische mit dem Praktischen zu verbinden.
U-Bahn-Fahren kann auch romantisch sein!
Ein weiteres Beispiel für diese Praxis macht nun in den britischen Blättern die Runde: die bewegende Romanze von Margaret und Oswald, eine kleine Parabel vom Ausstieg, wörtlich genommen. Margaret McCollum ist tatsächlich ausgestiegen, viele Jahre lang, und zwar an der Londoner U-Bahn-Station Embankment. Sie setzte sich am Bahnsteig hin, wartete auf den nächsten Zug und träumte. Der Zug kam und die Passagiere wurden freundlich, aber entschieden gewarnt, sie sollten Obacht geben beim Einsteigen. Der Spalt zwischen Bahnsteig und Waggon: Mind the gap! Es war Oswald Laurence, der die Passagiere seit 1969 über Lautsprecher darauf hinwies, und die wartende Margaret ganz besonders. Oswald war nämlich Margarets Ehemann. Er war 2007 gestorben, aber seine Stimme lebte fort, lange auf der Northern Line nordwärts, schließlich nur noch an der Station Embankment. Die Tube überlistet den Tod, eine alte Geschichte, neu erzählt, mit vertauschten Vorzeichen - Oswald, der Orpheus der einsamen Eurydike des Embankment. Ein Drei-Worte-Glück, zärtlich und fragil. Die letzte starke Londoner U-Bahn-Liebesszene war sehr viel robuster gewesen, als Javier Bardem dem Verfolger Daniel Craig einen tonnenschweren Waggon vor die Füße jagte in dem James-Bond-Film 'Skyfall'.
Doch die Technik sabotierte das Bahnsteig-Glück. Im vorigen November war Oswald plötzlich weg. Ein Horror, sagte Margaret, das neue digitale Kommunikationssystem konnte mit ihrem Oswald "69 nichts mehr anfangen. Seine Stimme wurde durch eine andere ersetzt. Margaret protestierte. Jetzt hat die U-Bahn-Leitung Abhilfe versprochen und ihr eine CD mit Oswalds Stimme geschenkt. Demnächst soll Oswald auch wieder im Embankment zu hören sein. Die drei Worte werden also im öffentlichen Raum bleiben, gesprochen mit jener hamletischen Versonnenheit, die britischen Akteuren angeboren scheint: 'Mind the gap!' Oswald bremst nach dem ersten Wort, er macht die Lücke hörbar. Ein kleiner Moment des Zögerns, eine Unze Innehalten, die sich auch auf der Waagschale unseres Lebens im öffentlichen Personennahverkehr ganz gut machen würde.
In Londons Tube herrschen andere Töne als im kontinentalen Underground. Die berühmte U-Bahn ist, anders als unsere Nahverkehrssysteme auf dem Festland mit ihrem Dreiklang von Verspätung, Verstopfung, Verstörung, nachgerade ein Hort der Meditation, der Intimität, ja, der Poesie. Vor ein paar Jahren gab man den Fahrern der Piccadilly Line ein Büchlein in die Hand. Darin standen kluge Sätze, die sie in ihre Durchsagen einbauen sollten, zur Erbauung der Fahrgäste. Sätze von Shakespeare natürlich, aber auch von Goethe oder von Friedrich Engels: 'Ein Gramm Handeln ersetzt eine ganze Tonne Theorie.' Ein wohlklingender Versuch, das Poetische mit dem Praktischen zu verbinden.
U-Bahn-Fahren kann auch romantisch sein!
Ein weiteres Beispiel für diese Praxis macht nun in den britischen Blättern die Runde: die bewegende Romanze von Margaret und Oswald, eine kleine Parabel vom Ausstieg, wörtlich genommen. Margaret McCollum ist tatsächlich ausgestiegen, viele Jahre lang, und zwar an der Londoner U-Bahn-Station Embankment. Sie setzte sich am Bahnsteig hin, wartete auf den nächsten Zug und träumte. Der Zug kam und die Passagiere wurden freundlich, aber entschieden gewarnt, sie sollten Obacht geben beim Einsteigen. Der Spalt zwischen Bahnsteig und Waggon: Mind the gap! Es war Oswald Laurence, der die Passagiere seit 1969 über Lautsprecher darauf hinwies, und die wartende Margaret ganz besonders. Oswald war nämlich Margarets Ehemann. Er war 2007 gestorben, aber seine Stimme lebte fort, lange auf der Northern Line nordwärts, schließlich nur noch an der Station Embankment. Die Tube überlistet den Tod, eine alte Geschichte, neu erzählt, mit vertauschten Vorzeichen - Oswald, der Orpheus der einsamen Eurydike des Embankment. Ein Drei-Worte-Glück, zärtlich und fragil. Die letzte starke Londoner U-Bahn-Liebesszene war sehr viel robuster gewesen, als Javier Bardem dem Verfolger Daniel Craig einen tonnenschweren Waggon vor die Füße jagte in dem James-Bond-Film 'Skyfall'.
Doch die Technik sabotierte das Bahnsteig-Glück. Im vorigen November war Oswald plötzlich weg. Ein Horror, sagte Margaret, das neue digitale Kommunikationssystem konnte mit ihrem Oswald "69 nichts mehr anfangen. Seine Stimme wurde durch eine andere ersetzt. Margaret protestierte. Jetzt hat die U-Bahn-Leitung Abhilfe versprochen und ihr eine CD mit Oswalds Stimme geschenkt. Demnächst soll Oswald auch wieder im Embankment zu hören sein. Die drei Worte werden also im öffentlichen Raum bleiben, gesprochen mit jener hamletischen Versonnenheit, die britischen Akteuren angeboren scheint: 'Mind the gap!' Oswald bremst nach dem ersten Wort, er macht die Lücke hörbar. Ein kleiner Moment des Zögerns, eine Unze Innehalten, die sich auch auf der Waagschale unseres Lebens im öffentlichen Personennahverkehr ganz gut machen würde.