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"Es geht um den gläsernen Staat"

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Egal, ob von Waffenexporten der Bundesregierung, Open-Data-Portalen oder Informationsfreiheit die Rede ist - die Forderung nach Transparenz prägt die politische Debatte. Doch was nützt die Offenheit tatsächlich? Ein Gespräch mit Gregor Hackmack.

Die Idee von abgeordnetenwatch.de ist denkbar simpel: Bürger stellen Fragen, Abgeordnete antworten - via Internet. 2004 zu den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft eingeführt, ist dies inzwischen für mehrere Landesparlamente, den Bundestag und das EU-Parlament möglich.

SZ: Transparenz ist zur Zeit das Mantra der politischen Debatte. Können Sie erklären, warum?
Gregor Hackmack: Informationen sind durch das Internet viel zugänglicher geworden. Dabei geht es nicht nur um neue Daten, sondern auch um alte. Die können nun mit relativ geringem Aufwand öffentlich gemacht werden. Gleichzeitig sind die politischen Prozesse wesentlich komplexer geworden, ein gutes Beispiel ist die Euro-Rettung. Dadurch wächst das Misstrauen und das Bedürfnis der Menschen, besser informiert zu werden.

Die Produktionsbedingungen verändern also das politische Selbstverständnis?
Natürlich sollte die Politik dem Bürger schon immer offen gegenübertreten. Transparenz ist die Grundlage der Demokratie. Aber die war in früheren Zeiten eingeschränkt, ganz praktisch. Weil es für einen Wähler sehr aufwendig oder gar unmöglich war, an bestimmte Unterlagen oder Daten zu kommen.

Sie selbst haben das Hamburger Transparenzgesetz maßgeblich vorangetrieben. Es ist im Oktober in Kraft getreten. Hat es schon etwas gebracht?
Die Verträge zum umstrittenen Bau der Elbphilharmonie wurden im Dezember komplett veröffentlicht, die waren vorher Verschlusssache. Das ist ein Teilerfolg. Außerdem richtet die Verwaltung gerade ein Informationsregister ein. Dort werden die Angaben, die nun veröffentlichungspflichtig geworden sind, im Internet zugänglich gemacht: Baugenehmigungen, Senatsbeschlüsse, Bio-Daten, Studien, Gutachten oder Verträge, die von der Stadt geschlossen wurden. Die müssen sogar 30 Tage öffentlich gemacht werden, bevor sie wirksam werden.





Aber was soll ein Bürger mit 4500 Seiten Verträgen zum Bau der Elbphilharmonie anfangen?
Die Logik geht eher andersherum: Die ursprünglichen Verträge ließen den Architekten viele Freiheiten, das gesamte Projekt war nicht klar definiert, die Verantwortlichkeiten waren nicht richtig verteilt. Jetzt wird der weitere Bau nachverhandelt, die Beteiligten wissen, dass diese Abmachungen öffentlich gemacht werden. Die Beteiligten werden nun sorgfältiger arbeiten.

Sollten alle Daten der Verwaltung offengelegt werden?
Es geht um den gläsernen Staat, nicht um den gläsernen Bürger. Deshalb sind personenbezogene Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auch vom Transparenzgesetz geschützt. Aber wo genau die Grenze liegt, das ist immer eine Abwägung. Wir hatten gerade den Fall, da forderte eine Bloggerin Angabe über Probebohrungen vom Ölkonzern Exxon. Sie hat die mit der Stadt geschlossenen Verträge auch bekommen, doch weite Teile waren geschwärzt. Das hat die Verwaltung durchgehen lassen, das müssen wir jetzt nachbessern lassen. Im Zweifelsfall klagen wir auch vor dem Verwaltungsgericht.

Sie betreiben seit acht Jahren das Blog abgeordnetenwatch.de. Dort können Bürger Abgeordneten in Landesparlamenten und Bundestag Fragen stellen. Sie sagen, dies sei ein Beitrag zur politischen Transparenz. Inwiefern?
Die Fragen werden ja öffentlich gestellt. So stehen die Parlamentarier auch unter größerem Druck zu antworten. Dadurch schaffen wir Einblick in den politischen Betrieb. Außerdem funktioniert unser Blog auch als Langzeitgedächtnis des Wählers. Das ist inzwischen ein Schatz von 135000 Fragen und 120000 Antworten. So kann man auch Jahre später nachvollziehen, inwieweit sich Politiker an ihre Versprechen gehalten haben.

Die Fragen der Bürger sind vermutlich auch ein guter Seismograf der politischen Stimmung. Wie würden Sie die zur Zeit beschreiben?
Es herrscht ein starkes Gefühl der Ohnmacht. Und zwar auf beiden Seiten: bei den Parlamentariern und bei den Wählern. Der Eindruck, dass die politischen Ereignisse kaum noch zu beeinflussen sind.

Woran machen Sie das fest?
Bei den rund 15 000 Fragen im vergangenen Jahr ging es viel um die Großprojekte in der Republik: den Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie, Stuttgart 21. Die zeigen symbolisch, wie sehr sich die Politik von den Bürgern entfernt hat.

Die Folge der Ohnmacht ist Politikverdruss - kein neues Phänomen.
Ja, aber es herrschte ein Gefühl des Aufbruchs: Die Proteste gegen Stuttgart 21 waren ein Riesenerfolg, in Baden-Württemberg kamen die Grünen nach 60 Jahren CDU an die Macht, die Piraten bekamen in Berlin aus dem Stand fast neun Prozent der Stimmen. Jetzt herrscht das Gefühl der Erstarrung.

Aber war der Eindruck nicht schlicht trügerisch? Stuttgart 21 wird gebaut, das Desaster beim Flughafen Berlin findet kein Ende, die Piraten spielen kaum noch eine Rolle.
Ich glaube wir müssen etwas dafür tun, dass der Wille der Bevölkerung mehr im Parlament berücksichtigt wird. In wichtigen Fragen wird der oft nicht im Parlament abgebildet. Das liegt am deutschen Wahlrecht: Wird jemand in seinem Wahlkreis abgewählt, heißt das noch lange nicht, dass er nicht wieder ins Parlament kommt - über die Landesliste der Parteien. Das beste Beispiel ist Norbert Lammert, den ich schätze. Er ist immerhin Präsident des Bundestages, aber er hat noch nie ein Direktmandat gewonnen. Lammert wird jedes Mal über Listenplatz 1 der CDU in Nordrhein-Westfalen abgesichert.

Was wäre die Alternative?
Wir haben in Hamburg auch maßgeblich an einem neuen Wahlgesetz mitgewirkt, das das Problem der Landeslisten verringert. Bei der letzten Bürgerschaftswahl konnten die Wähler so ihre Abgeordneten selbst bestimmen. Nun haben wir beispielsweise das Landesparlament mit dem höchsten Frauenanteil - mehr als 40 Prozent. Obwohl nur ein Drittel der Kandidaten Frauen waren. Da haben Frauen offenbar eher für Frauen gestimmt.

Angestoßen von den Piraten ging es in letzter Zeit auch um einen anderen Aspekt der Mitbestimmung: die direkte Beteiligung der Bürger am politischen Prozess über das Internet. Ist diese Idee nun gescheitert?
Ich glaube, sie birgt noch immer viel Potenzial. Der Ansatz der Piraten war nur zu kleinteilig, nicht jeder will über alles entscheiden. Aber mit ziemlicher Sicherheit lassen sich über das Internet politische Prozesse transparenter und bürgernäher organisieren. Da muss nur noch viel herumprobiert werden, um die richtige Form zu finden.

Vielleicht wird das Internet als Instrument zur politischen Gestaltung einfach überschätzt.
Da spricht unsere eigene Erfahrung dagegen. Seit unserer Gründung vor acht Jahren haben wir über 265000 Fragen und Antworten von Bürgern an Politiker moderiert. Und das waren nicht nur junge Internetfreaks. Gerade einmal ein Drittel unserer Nutzer sind unter 30, die anderen verteilen sich sehr gleichmäßig über alle Altersklassen. In den vergangenen zwei Jahren haben uns vor allem mehr Menschen über 60 besucht. Und es sind auch nicht nur Bildungsbürger, die auf unsere Seiten kommen. Wir haben viele fast verzweifelte Anfragen: Probleme im Jobcenter, Hartz-IV-Sätze, die nicht ausreichen, Schwierigkeiten beim Sorgerecht.

Gibt es eine Bürgerfrage, die Sie besonders beeindruckt hat?
Eher eine Situation: Jemand hatte Schwierigkeiten, seinen Hartz-IV-Antrag auszufüllen. Über abgeordnetenwatch.de hat er die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles um Hilfe gebeten. Sie hat den Mann zu sich eingeladen, um ihm zu helfen. Natürlich war Frau Nahles klar, dass sie das öffentlichkeitswirksam tut. Aber im Kern hat es dazu geführt, dass ein digitaler Kontakt zwischen Bürger und Politiker zu einem sehr realen geworden ist.

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