Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht immer ernst: Mit "The Angels' Share" hat Ken Loach, der Arbeiterführer des britischen Films, seinen bisher leichtesten und vergnüglichsten Film über vier junge Verlierer des Kapitalismus gedreht.
Misfits, das sind Leute, für die es eigentlich keinen passenden Platz gibt auf der Welt. In der Europäischen Union sind derzeit 5,5 Millionen Menschen unter 25 Jahren arbeitslos - und es dürfte ziemlich schwer sein, sich ohne Perspektive seinen Platz zu erkämpfen in der Gesellschaft. Im Kino kommen arbeitslose Jugendliche nur als Zuschauer vor: Zu deprimierend. Und wenn einer wie Ken Loach, der große Arbeiterführer des britischen Kitchen-Sink-Films, sich des Themas annimmt, könnte man natürlich befürchten, dass ein larmoyanter Lehrfilm draus wird, der am Ende nur Ausweglosigkeit illustriert. Loachs Film "The Angels' Share" ist alles andere als das - es ist der leichteste, vergnüglichste, hoffnungsvollste Film, den Ken Loach je gemacht hat. Und das, obwohl seine Protagonisten Robbie, Albert, Rhino und Mo ziemlich authentische Verlierer des Kapitalismus sind: um die zwanzig, keiner von ihnen hatte je einen richtigen Job noch eine Ausbildung, ein richtiges Zuhause haben sie auch nicht.
Regisseur Ken Loach freut sich über den Jurypreis in Cannes, den er im Mai für "The Angels' Share" gewonnen hat
Die vier, die sich Ken Loach und Paul Laverty, seit vielen Jahren sein Stamm-Drehbuchautor, ausgedacht haben, lernen sich in Glasgow vor Gericht kennen. Vier waschechte Vollidioten: Albert wird dort wegen besoffenen Torkelns auf Gleisen angeklagt, Rhino hat ein Problem mit Statuen, und Mo, die überhaupt alles klaut, was sie in die Finger kriegt, hat einen Papagei eingesteckt und ist ob des Gefieders überführt worden, das aus ihrer Tasche herausschaute. Der Einzige, dessen Vergehen nicht zum Schreien komisch ist, ist Robbie - der gerät immer wieder in tätliche Auseinandersetzungen. Vier junge Schotten, die allesamt vorher noch nie vor der Kamera gestanden haben, hat Loach in diesen Rollen besetzt, echte Natur-Talente, im Original mit einer frechen Klappe und einem schottischen Akzent, der für sich genommen schon lustig klingt.
Alle werden zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert, ein echter Glücksfall, denn betreut werden sie nun von Harry (John Henshaw) einem Sozialarbeiter, der seinen Job richtig ernst meint. Loach war ursprünglich mal Jurist, und vor allem der Schotte Laverty war Anwalt, bevor er mit dem Schreiben anfing: Vielleicht deswegen sind die vier Kids nicht zu Klischees geraten. Robbie, Rhino, Albert und Mo hatten es nie leicht, aber sie sind auch komplett unfähig, sich selbst zu helfen. Sie handeln sich immer nur ein bisschen mehr Ärger ein, als nötig gewesen wäre.
Wie ungelenk sie sich in der Welt bewegen, das hat viel komisches Potenzial - es verleiht dem Film einen Tonfall, der leicht und authentisch ist und vor allem dafür sorgt, dass man nie vergisst, dass man nur Menschen helfen kann, die sich helfen lassen. "The Angels' Share" ist eine Komödie, aber eben eine sehr kluge, wie man sie von Loach erwarten würde: Einem wie Robbie hat keiner je eine Chance gegeben, selbst der Vater von Robbies schwangerer Freundin will ihm, als er mit Prügelattacken nicht weiterkommt, lieber Geld geben, damit er verschwindet, als ihn in die Familie aufzunehmen. Aber Robbie muss sich auch selbst stellen - dem, was er anderen angetan hat, und dem, was er selbst aus sich machen könnte, wenn er es wirklich versuchte.
Es wäre wahrscheinlich keine besonders gute Idee, die vier aus dem schlechten Teil von Glasgow in eine Gemäldegalerie zu schleppen in der Hoffnung, dass sie dort ein anderes Leben kennenlernen. Der Sozialarbeiter Harry folgt stattdessen seiner eigenen Leidenschaft und nimmt sie mit zu einer Whisky-Verkostung. Damit weckt er Interesse bei den Kids, am Abschmecken und Einordnen der edelsten Sorten. Und plötzlich ergibt sich sogar eine Gelegenheit, wie die vier sich das nötige Kleingeld für einen Neustart verschaffen können: Aus Whiskyfässern, besonders aus den alten, kostbaren, verdunstet immer ein wenig, schwer zu sagen wie viel - der 'Angels" Share', der Schluck, den sich die Engel genehmigen. Und die vier kleinen Teufel wollen davon etwas abhaben.
Ken Loach hat sich, mit 76 Jahren und nach mehr als vierzig Filmen, noch einmal neu erfunden mit 'The Angels" Share' - er hat seine Verbissenheit abgelegt. Vielleicht kämpft er nicht mehr für eine bessere Welt, vielleicht malt er sie sich lieber einfach aus. Was dabei herausgekommen ist, ist ein klassisches Heist Movie mit sozialem Touch, und vor allem eines, wo nichts geraubt wird, was irgendjemand je vermissen könnte. 'Enjoy responsibly' stand auf den Plakaten zum Start in Großbritannien: "Angels' Share" ist Spaß ohne Reue, auf dieselbe Art wie Steven Soderberghs letzter "Ocean's"-Film - der hatte auch alle Zutaten, die man im Kino schätzt, wenn eine Truppe einen ausgeklügelten Raub durchzieht, aber es war ein Verbrechen ohne echte Opfer, und unterwegs wurde in Mexiko noch fix eine Revolution gegen Missstände am Arbeitsplatz angezettelt.
Natürlich ist "The Angels' Share" ein Märchenfilm - aber er spinnt sich eine wunderschöne Geschichte zusammen, so zeitgemäß, wie das Kino nur sein kann. Märchen sind zum Trösten da, und 'The Angels" Share' zaubert nicht nur all die Dinge weg, vor denen wir uns wirklich im Dunkeln fürchten sollten. Vier jungen Schotten eröffnet er außerdem die Möglichkeit, einmal wenigstens das System zu überlisten und damit davonzukommen. Loach gibt ihnen die Macht über ihr eigenes Schicksal zurück.
The Angels' Share, Großbritannien 2012 - Regie: Ken Loach. Drehbuch: Paul Laverty. Kamera: Robbie Ryan. Mit: Paul Brannigan, John Henshaw, Gary Maitland, Jasmine Riggins, William Ruane, Roger Allam. Prokino, 101 Minuten.
Misfits, das sind Leute, für die es eigentlich keinen passenden Platz gibt auf der Welt. In der Europäischen Union sind derzeit 5,5 Millionen Menschen unter 25 Jahren arbeitslos - und es dürfte ziemlich schwer sein, sich ohne Perspektive seinen Platz zu erkämpfen in der Gesellschaft. Im Kino kommen arbeitslose Jugendliche nur als Zuschauer vor: Zu deprimierend. Und wenn einer wie Ken Loach, der große Arbeiterführer des britischen Kitchen-Sink-Films, sich des Themas annimmt, könnte man natürlich befürchten, dass ein larmoyanter Lehrfilm draus wird, der am Ende nur Ausweglosigkeit illustriert. Loachs Film "The Angels' Share" ist alles andere als das - es ist der leichteste, vergnüglichste, hoffnungsvollste Film, den Ken Loach je gemacht hat. Und das, obwohl seine Protagonisten Robbie, Albert, Rhino und Mo ziemlich authentische Verlierer des Kapitalismus sind: um die zwanzig, keiner von ihnen hatte je einen richtigen Job noch eine Ausbildung, ein richtiges Zuhause haben sie auch nicht.
Regisseur Ken Loach freut sich über den Jurypreis in Cannes, den er im Mai für "The Angels' Share" gewonnen hat
Die vier, die sich Ken Loach und Paul Laverty, seit vielen Jahren sein Stamm-Drehbuchautor, ausgedacht haben, lernen sich in Glasgow vor Gericht kennen. Vier waschechte Vollidioten: Albert wird dort wegen besoffenen Torkelns auf Gleisen angeklagt, Rhino hat ein Problem mit Statuen, und Mo, die überhaupt alles klaut, was sie in die Finger kriegt, hat einen Papagei eingesteckt und ist ob des Gefieders überführt worden, das aus ihrer Tasche herausschaute. Der Einzige, dessen Vergehen nicht zum Schreien komisch ist, ist Robbie - der gerät immer wieder in tätliche Auseinandersetzungen. Vier junge Schotten, die allesamt vorher noch nie vor der Kamera gestanden haben, hat Loach in diesen Rollen besetzt, echte Natur-Talente, im Original mit einer frechen Klappe und einem schottischen Akzent, der für sich genommen schon lustig klingt.
Alle werden zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert, ein echter Glücksfall, denn betreut werden sie nun von Harry (John Henshaw) einem Sozialarbeiter, der seinen Job richtig ernst meint. Loach war ursprünglich mal Jurist, und vor allem der Schotte Laverty war Anwalt, bevor er mit dem Schreiben anfing: Vielleicht deswegen sind die vier Kids nicht zu Klischees geraten. Robbie, Rhino, Albert und Mo hatten es nie leicht, aber sie sind auch komplett unfähig, sich selbst zu helfen. Sie handeln sich immer nur ein bisschen mehr Ärger ein, als nötig gewesen wäre.
Wie ungelenk sie sich in der Welt bewegen, das hat viel komisches Potenzial - es verleiht dem Film einen Tonfall, der leicht und authentisch ist und vor allem dafür sorgt, dass man nie vergisst, dass man nur Menschen helfen kann, die sich helfen lassen. "The Angels' Share" ist eine Komödie, aber eben eine sehr kluge, wie man sie von Loach erwarten würde: Einem wie Robbie hat keiner je eine Chance gegeben, selbst der Vater von Robbies schwangerer Freundin will ihm, als er mit Prügelattacken nicht weiterkommt, lieber Geld geben, damit er verschwindet, als ihn in die Familie aufzunehmen. Aber Robbie muss sich auch selbst stellen - dem, was er anderen angetan hat, und dem, was er selbst aus sich machen könnte, wenn er es wirklich versuchte.
Es wäre wahrscheinlich keine besonders gute Idee, die vier aus dem schlechten Teil von Glasgow in eine Gemäldegalerie zu schleppen in der Hoffnung, dass sie dort ein anderes Leben kennenlernen. Der Sozialarbeiter Harry folgt stattdessen seiner eigenen Leidenschaft und nimmt sie mit zu einer Whisky-Verkostung. Damit weckt er Interesse bei den Kids, am Abschmecken und Einordnen der edelsten Sorten. Und plötzlich ergibt sich sogar eine Gelegenheit, wie die vier sich das nötige Kleingeld für einen Neustart verschaffen können: Aus Whiskyfässern, besonders aus den alten, kostbaren, verdunstet immer ein wenig, schwer zu sagen wie viel - der 'Angels" Share', der Schluck, den sich die Engel genehmigen. Und die vier kleinen Teufel wollen davon etwas abhaben.
Ken Loach hat sich, mit 76 Jahren und nach mehr als vierzig Filmen, noch einmal neu erfunden mit 'The Angels" Share' - er hat seine Verbissenheit abgelegt. Vielleicht kämpft er nicht mehr für eine bessere Welt, vielleicht malt er sie sich lieber einfach aus. Was dabei herausgekommen ist, ist ein klassisches Heist Movie mit sozialem Touch, und vor allem eines, wo nichts geraubt wird, was irgendjemand je vermissen könnte. 'Enjoy responsibly' stand auf den Plakaten zum Start in Großbritannien: "Angels' Share" ist Spaß ohne Reue, auf dieselbe Art wie Steven Soderberghs letzter "Ocean's"-Film - der hatte auch alle Zutaten, die man im Kino schätzt, wenn eine Truppe einen ausgeklügelten Raub durchzieht, aber es war ein Verbrechen ohne echte Opfer, und unterwegs wurde in Mexiko noch fix eine Revolution gegen Missstände am Arbeitsplatz angezettelt.
Natürlich ist "The Angels' Share" ein Märchenfilm - aber er spinnt sich eine wunderschöne Geschichte zusammen, so zeitgemäß, wie das Kino nur sein kann. Märchen sind zum Trösten da, und 'The Angels" Share' zaubert nicht nur all die Dinge weg, vor denen wir uns wirklich im Dunkeln fürchten sollten. Vier jungen Schotten eröffnet er außerdem die Möglichkeit, einmal wenigstens das System zu überlisten und damit davonzukommen. Loach gibt ihnen die Macht über ihr eigenes Schicksal zurück.
The Angels' Share, Großbritannien 2012 - Regie: Ken Loach. Drehbuch: Paul Laverty. Kamera: Robbie Ryan. Mit: Paul Brannigan, John Henshaw, Gary Maitland, Jasmine Riggins, William Ruane, Roger Allam. Prokino, 101 Minuten.