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'Es ist noch einfacher: Helden gibt es nach einem deutschen Angriffskrieg sowieso nicht.'

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Zur Zeit ist Tom Schilling als Fischexperte in Leander Haußmanns Komödie 'Hai-Alarm am Müggelsee' zu sehen. Im SZ-Interview spricht er über das Vaterwerden, den Krieg und moderen Helden.

SZ: Schicker Anzug, Herr Schilling. Steht noch was Besonderes an?
Tom Schilling: Nö. Ich trage seit zehn Jahren gerne Anzug, auch mal einen Dreiteiler.

Ich vermute: Weil Sie schon immer gerne älter wirken wollten?
Ha, das wird gerne so interpretiert. Dem muss ich aber widersprechen. Ich ziehe mich wie meine musikalischen Vorbilder an: Nick Cave, Leonard Cohen, Bob Dylan. Haben Sie die schon mal in Jeans und Schlabber-T-Shirt gesehen? Ich bin auch der Meinung: Die äußere Form beeinflusst die Haltung.



Tom Schilling als Wilhelm Winter bei den Dreharbeiten für den Film ´Unsere Mütter, unsere Väter. Der Dreiteiler wird ab 17.03.2013 im ZDF gezeigt.

Ihr Trick beim Hemdenbügeln?
Ich bügele nie. Nass auf einen Bügel hängen, fertig. Der Trick ist, die Hemden nicht mit mehr als 400 Umdrehungen zu schleudern.

Sie sind ziemlich jung Vater geworden. Wie war das, als Sie davon hörten?
Ich war gerade in New York, da rief meine Freundin an und eröffnete mir, dass sie schwanger ist. Wir waren noch nicht lange zusammen, und ich war ziemlich geschockt.

Sie waren 24 Jahre alt, nicht?
Ja. Wir führten lange Telefonate, es war eine Art psychologisches Schachspiel. Ein Schritt vor, zwei zurück: Ja, ich kann mir das vorstellen. Nein, lieber doch nicht.

Und Ihre Freundin wusste, dass Sie das Kind behalten wollte?
Ja, aber sie wollte es nicht einfach für mich, sondern mit mir entscheiden. Sie kam dann sogar nach New York, und dann ging es weiter hin und her. Ich habe damals mit einem Fotografen, Sohn eines Pastors, in einer WG gewohnt, und der hat mich eines Abends davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung sei, das Kind zu bekommen. Und ja, seltsamerweise habe ich nach diesem Abend nie mehr daran gezweifelt.

War es denn dann einfacher, als Sie dachten?
Nein. Ich war einigermaßen überfordert. Es hat mich streckenweise an meine Grenzen gebracht. Und das, obwohl mir meine damalige Freundin viel abgenommen und Freiheiten eingeräumt hat. Ein Beispiel: Mein Sohn ist nur in München zur Welt gekommen, weil ich dort gerade den Film 'Pornorama' gedreht habe. Bernd Eichinger hatte meine Freundin angerufen und davon überzeugt, dass sie dort, in meiner Nähe, aber fern von ihrer Familie, unser Kind zur Welt bringt.

Haben Sie dann im Gegenzug Rollen angenommen, nur um die Familie zu ernähren?
Nee, dass war nicht das Problem. Ich bin ein recht sparsamer Mensch. Und ich wusste schon mit 20, nach 'Crazy' . .

. . . Ihrem filmischen Durchbruch . . .
. . . dass die Kunst nicht darin besteht, ein Shootingstar zu sein, sondern mit interessanten Filmen im Geschäft zu bleiben. Nein, es waren damals mehr die Erwartungen von allen Seiten, die mich gestresst haben. Ich war in dieser Situation ziemlich allein, keiner meiner Freunde war damals schon Vater, die bekommen jetzt erst Nachwuchs. Damals wurde ich oft zu Abendessen gar nicht mehr eingeladen, weil alle dachten, dass ich sowieso beschäftigt sei.

Also: Doch lieber später Vater werden?
Ach, junger Vater, alter Vater. Ich kann und will da keinen Rat geben. Es kommt, wie es kommt. Am Ende entscheiden es doch die Frauen, wann es passiert.

Sie haben die Waschmaschine korrekt eingestellt, keinen Schrott angenommen und sparsam gelebt - um sich dann ausgerechnet als Berliner Müßiggänger in alle Herzen zu spielen.
Sie meinen den Studienabbrecher Niko, den ich in 'Oh Boy' spiele. . .

. . . und der, als Papi das Geld streicht, keine Ahnung hat, wohin die Reise gehen soll. Der Film war der Überraschungserfolg des letzten Jahres. Ist so einer ein moderner Held?
Schon, irgendwie. Er kämpft gegen sich selber. Andererseits, diese Art von coolen Anti-Helden gab es auch schon in anderen Zeiten. Junge Männer, die sich verweigern und versuchen, genauer hinzuschauen und dabei etwas zu ordnen. Salinger hat ja bereits in den Fünfzigern mit Holden Caulfield in 'Der Fänger im Roggen' eine ähnliche Figur geschaffen.

In 'Oh Boy' fragt der Vater seinen Sohn, was er die letzten zwei Jahre gemacht habe statt zu studieren . . .
. . . und der Sohn sagt, er habe nachgedacht. Großartig. Raskolnikow, der Protagonist in 'Schuld und Sühne', sagt auch einfach: Ich denke. Das ist ja schon fast anarchistisch. Meine Generation ist im weitesten Sinne unpolitisch und mit dem eigenen Wohlergehen beschäftigt. Und ab einem bestimmten Alter, sagen wir mit Anfang dreißig, ist es für die Gesellschaft nicht mehr akzeptabel, dass man sich verweigert oder unsicher ist. Dann sollte man anfangen, Geld zu verdienen, eine Familie gründen.

Eben all die Dinge, die Sie schon viel früher erledigt haben. Hat es Sie deshalb so beflügelt, mal einen Hänger zu spielen?
Der Regisseur Jan Ole Gerster, ein alter Freund von mir, hatte mir das Drehbuch zum Lesen gegeben. Allerdings nicht, um mich zu besetzen, nur um meine Meinung zu hören. Ich habe gleich die Poesie zwischen den Zeilen gelesen, dabei stand da noch gar nichts von eleganter Schwarz-Weiß-Ästhetik und Jazzmusik drin. Ich wusste sofort, diesen Niko, so heißt der Student, finde ich interessant, den will ich spielen. Ich habe dem Regisseur also einen fünfseitigen Brief geschrieben, in dem ich ihm meine innere Annäherung an die Figur dargestellt habe.

Bei einem Bier hätte man das nicht besprechen können?
Nein, denn so sitzen wir ja ständig zusammen. Es brauchte eine andere Art von Dringlichkeit. Und da ist ein Brief mit schwarzer Tinte genau die richtige Maßnahme.

Niko wird bei der Medizinisch-Technischen Untersuchung von einem Psychologen gefragt: 'Trinken Sie so viel, weil Sie so klitze-, klitzeklein sind?' Fanden Sie das fies, zumal Sie eben wirklich nicht besonders groß sind?
Nö, ich hatte selbst die Idee, diesen Satz ins Drehbuch zu schreiben. In der Schulzeit war das mal ein Thema, da war ich immer der Kleinste. Ich finde mich übrigens gar nicht so klein, bin immerhin 1,70 Meter groß und trage auch keine Schuhe mit eingebautem Absatz wie Nicolas Sarkozy. Große Männer haben oft rein körperlich eine ganz andere Selbstverständlichkeit, auch im Umgang mit Frauen. Vielleicht ist es tatsächlich bei kleineren Männern so, dass sie deshalb früh lernen, sich interessant zu machen. Es gibt da ja gewisse Instrumente. . .

Bei Ihnen ist es offensichtlich Selbstironie?
Vielleicht auch mein Ehrgeiz? Ich bin sehr entschlossen und konsequent, wenn ich etwas will.

Ein aktuelles Beispiel?
Ein Foto von Nick Cave und mir. Mein persönlicher Held, seit vielen Jahren schon. Unlängst, auf der After-Show-Party nach seinem Berliner Konzert, habe ich ihn dann von der Seite angesprochen. Das hat mich ziemliche Überwindung gekostet.

Der wirkt ja auch immer sehr düster. Wie hat er reagiert?
Genervt. Vermutlich wäre es besser gewesen, ein gemeinsamer Bekannter hätte uns vorgestellt. Ich wollte aber die Schauspielerkarte nicht ziehen, sondern ihm als Fan gegenübergetreten. Egal, denn am Ende hatte ich, was ich wollte: das Foto.

Ihr nächstes großes Ding: der ZDF-Dreiteiler 'Unsere Mütter, unsere Väter'. Sie spielen den Feingeist Friedhelm, der in die Wehrmacht eingezogen wird.
Friedhelm zieht als Pazifist in den Krieg und hat eigentlich nicht vor zu töten.

An der Ostfront verrät er dann aber ziemlich schnell seine Ideale.
Da erlebt er die ersten Wehrmachtsverbrechen und beginnt, innerlich zu verrohen. Der Wille zu überleben, ist bei ihm da, aber es gibt Spielregeln, und irgendwann macht er die Tür zu seinem Gewissen einfach zu. Er hört auf zu denken, reagiert nur noch.

Er kann im Krieg nicht Mensch bleiben?
Vermutlich ist das die größte Herausforderung überhaupt. Aber wie soll ich, Jahrgang 1982, das beurteilen können? Die Frage möchte ich gerne mit Friedhelms Sätzen beantworten: 'Keiner bleibt so, wie er war.' Oder: 'Der Krieg bringt von jedem Menschen nur das Schlechteste zum Vorschein'. . .

Noch so ein Friedhelm-Satz, der im Gedächtnis bleibt: 'Heute sind wir Helden, morgen Schweine.'
Er sagt es zu Wilhelm, seinem Bruder und Leutnant, unter dem er an der Ostfront dient und der noch glaubt, dass der Krieg zu gewinnen ist. Dabei ist es noch einfacher: Helden gibt es nach einem deutschen Angriffskrieg sowieso nicht.

Haben Sie sich während der Dreharbeiten gefragt: Wie hätte ich gehandelt?
Nein. Das ist mir zu hypothetisch. Keiner kann von sich behaupten, er hätte sich so oder so verhalten. Die Generation, die den Krieg tatsächlich erlebt hat, die vielleicht noch zehn Jahre leben wird, ist genauso gut oder schlecht, wie wir es sind. Der einzige Unterschied: Sie sind in einer anderen Zeit groß geworden. Kurz: das Pech der Geburt. Ich lese gerade 'Die Wohlgesinnten' von Jonathan Littell, die fiktive Lebensbeichte eines SS-Mannes. Ein großartiges Buch, das einem auf andere Art wieder vor Augen führt, dass der Wahnsinn erst 70 Jahre hinter uns liegt. Übrigens, ich bin sehr glücklich über diese Mini-Serie. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe.

Ach ja, so gleich?
Viele Eventfilme missbrauchen den Krieg doch nur als melodramatische Kulisse, um eine Liebesgeschichte zu erzählen. In 'Unsere Mütter, unsere Väter' sind alle Figuren ambivalent gezeichnet. Jeder ist auf seine Art ein Held, aber jeder macht sich auch schuldig. Mir gefiel das Drehbuch von Stefan Kolditz sofort, und ich wollte die Rolle. Allerdings gab es Vorbehalte von der Redaktion, mich als Soldat zu besetzen.

Warum?
Vermutlich, weil man mich zu zart für einen Soldaten fand? Es gab noch ein zweites Casting zusammen mit Volker Bruch, der meinen Bruder spielt, bei dem ich offensichtlich überzeugte. Zur Vorbereitung auf die Rolle habe ich dann etwas getan, was ich sonst nie mache: Ich bin ins Fitnessstudio gegangen und habe Eiweißshakes getrunken.

Sie haben sich also gedrillt. Waren Sie bei der Bundeswehr?
Nein. Anfangs hatte ich es mit einem Anwalt probiert. Es gab in Berlin damals eine Koryphäe, die sich darauf spezialisiert hatte, jungen Männern den Wehrdienst zu ersparen. Das klappte in meinem Fall aber nicht, und ich war auf mich gestellt. Am Ende habe ich es durch Unterernährung geschafft. Es gibt einen vorgeschriebenen 'Body Mass Index', den erfüllte ich mit meinen damals knapp 50 Kilo nicht und wurde zurückgestellt. Zur Not hätte ich auf physisch labil gemacht. Kurz darauf kam die Bundeswehrreform. Ich hatte also Glück.

Wahnsinn. Warum haben Sie nicht einfach verweigert?
Tja, warum? Aus einem nicht sonderlich heldenhaften Grund: Weil ich lieber Filme drehen wollte.

In 'Unsere Mütter. . .' geht es in den Kriegsszenen sehr realistisch und ultrabrutal zu. Wie haben Sie das gelernt, dieses Kriegspielen?
Wir hatten vorher ein Trainingslager in Litauen, mit einem militärischen Berater aus Amerika. Der hat mit uns Manöver eingeübt. Wie man ein Gebäude einnimmt, sich im Schützengraben verhält, die Waffen richtig hält. Wir hatten echte Wehrmachtsgewehre, auf denen der Reichsadler oder ein Hakenkreuz eingestanzt war. Das Handwerkszeug war so real, und gleichzeitig war es so banal. Wir haben eben doch nur den Krieg gespielt. Nach den Übungen taten mir die Ohren weh, weil Platzpatronen sehr laut und wir Schauspieler dann doch Dilettanten sind, die Sicherheitsabstände nicht einhalten. Aufs Schießen sind einige Kollegen angesprungen, es wurde viel rumgeballert.

Und Sie?
Ich habe bei diesem Dreh gemerkt, dass Waffen tatsächlich keinerlei Reiz auf mich ausüben.

Sie überzeugen als Friedhelm, aber auch sonst, mit minimalen Gesten und reduzierter Mimik. Und das in Komödie und Drama gleichermaßen. Wie haben Sie Ihre Spielweise gelernt?
Gelernt? Ich bin ja Autodidakt und habe keine renommierte deutschsprachige Schauspielschule besucht. Klingt vielleicht kokett, aber wenn die Kamera läuft, purzelt es instinktiv aus mir raus.

Jetzt stapeln Sie aber tief. Immerhin haben Sie die Lee Strasberg Schule in New York besucht.
Aber nicht ganz freiwillig. Für meine Rolle in 'Napola' habe ich einen österreichischen Filmpreis gewonnen, der an ein dreimonatiges Stipendium für besagte Schule gekoppelt war.

Sie klingen etwas widerwillig? Schon Marlon Brando und Robert De Niro haben sich da das Method Acting beibringen lassen.
Wenn ich den Trip hätte absagen können, hätte ich es getan. Ich reise nicht gerne. Ich weiß noch, wie ich in New York angekommen bin, die Skyline gesehen habe und nicht wie alle anderen 'Wow' dachte, sondern: 'Oje'. Ich hatte Angst. Dass mich die Taxifahrer verarschen, ich mich in dieser coolen Stadt falsch bewege oder dass ich die Leute nicht verstehe. Alexander Beyer, ein Schauspielkollege, war zu der Zeit auch da und hat mich das erste Mal mit in die Schule geschleppt. Ohne ihn wäre ich vermutlich im Bett liegen geblieben.

Und dann? Haben Sie gezeigt bekommen, wie man einen Stein spielt?
Hehe, ich weiß, es gibt Vorbehalte gegen die Promi-Schule mit ihrem Method-Acting-Ansatz. In meiner Klasse war dann tatsächlich auch eine Prada-Tochter. Rückblickend habe ich da dann aber doch viel gelernt, weil ich gezwungen wurde, über mich und meine Art des Spiels nachzudenken. 'Sense Memory' beherrsche ich allerdings immer noch nicht.

Was ist das denn?
Eine legendäre Technik. Wenn es zum Beispiel in einer Szene um Verlust geht, dann versucht man, einen Bezug zu seinem Leben herzustellen. Zum Beispiel zu dem Teddy, den man als Kind verloren hat. Für den Zuschauer unsichtbar, befühlt man diesen Teddy, damit bestimmte Emotionen freigesetzt werden. Tja, da habe ich regelmäßig gelogen. Wurde aber nicht bemerkt.

Tom Schilling, geboren am 10.Februar 1982 in Ostberlin als Sohn zweier Kartografen, war Anfang der 90er-Jahre unter der Intendanz von Heiner Müller Theaterkind am Berliner Ensemble. Nach 'Crazy' (2000) folgten Oskar Roehlers 'Agnes und seine Brüder' und 'Napola', in dem Schilling den Sohn eines Gauleiters gibt. In 'Mein Kampf' (2011) spielte er den jungen Adolf Hitler. Der Dreiteiler 'Unsere Mütter, unsere Väter' läuft am 17., 18.und

20. März, jeweils um 20.15 Uhr im ZDF. Im Kino ist Schilling derzeit als Fischexperte in Leander Haußmanns aktueller Komödie 'Hai-Alarm am Müggelsee' zu sehen.

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