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Das böse Märchen

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Mit dem zweiten Irak-Krieg vor zehn Jahren verriet Amerika die Werte, die es dort angeblich verteidigte. Eine Bilanz.

Der 19. März 2003 ist ein schwüler Frühlingstag in Florida. Die Sonne steht am leicht verhangenen Himmel, und unser Sohn planscht im Motelpool mit seinem neuen Schwimmreifen. Ein knallgelber Bomber ist es, mit amerikanischem Hoheitsabzeichen auf der Heckflosse und dem Aufdruck 'B-2'. Der einzige Schwimmreif, den es in dem kleinen Supermarkt, ein paar Blocks die Straße hinauf, gab.

Die echten B-2-Stealth-Bomber von der Whiteman Air Base in Missouri dürften zu dieser Stunde längst in der Luft gewesen sein: Kurs Bagdad.



Die Werte Amerikas - vor zehn Jahren verraten.

Für den Abend kündigt das Weiße Haus kurzfristig eine Fernsehrede des Präsidenten an. Monate schon hatte George W. Bush die Kriegstrommel geschlagen, und so ist wenig überraschend, was er spätabends, nach 22 Uhr, verkündet: den Beginn der lange angedrohten Invasion des Iraks. 'Meine Mitbürger', sagt der Mann im Motelfernseher, und selbst in diesem Moment, da er der Nation den neuen, den zweiten Krieg seiner noch so kurzen Amtszeit ankündigte, ist es, als husche für einen flüchtigen Augenblick ein Grinsen über sein Gesicht, wie er es oft zeigt in Situationen der Unsicherheit. 'Zu dieser Stunde befinden sich amerikanische und Koalitionstruppen in den Anfangsstadien von Militäroperationen mit dem Ziel, den Irak zu entwaffnen, sein Volk zu befreien und die Welt vor einer ernsten Gefahr zu retten. Wir werden kein Ergebnis hinnehmen außer den Sieg.'

Mit diesen Worten hatte der zweite Golfkrieg, die zweite Kampagne der USA gegen den orientalischen Despoten Saddam Hussein, offiziell begonnen. Heute, zehn Jahre später, kann man sagen: Dieser Abend war der Anfang eines vielleicht vorübergehenden, aber bis heute deutlich spürbaren Niedergangs der Weltmacht USA.

Ganze vier Minuten spricht Bush. Mehr, so scheint es, hält er nicht für nötig, um den Amerikanern und der Welt zu erklären, warum die USA nicht einmal anderthalb Jahre nach dem Einmarsch in Afghanistan in ein weiteres islamisches Land einfallen. In den Wochen zuvor hatte er immer wieder davon gesprochen, dass Saddam, dieser blutrünstige Diktator, der nicht davor zurückscheute, seine eigenen Landsleute mit Giftgas umzubringen, Massenvernichtungswaffen horten würde. Und noch dazu Verbindungen zu Amerikas Todfeinden geknüpft habe, dem Terrornetzwerk al-Qaida, den Mördern von 9/11. Alles Behauptungen, die sich bald als haltlos erweisen sollten, schlimmer noch, von denen die US-Regierung schon damals wissen musste, dass sie nicht stimmen konnten. Die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen war ein Popanz, zusammengeflickt aus ein paar unzuverlässigen Geheimdienstberichten. Und von geradezu tragischer Ironie war es, dass erst die Invasion der Amerikaner den Finstermännern von al-Qaida die Gelegenheit verschaffte, im Irak Fuß zu fassen.

Am 19. März 2003 aber weiß Bush seine Landsleute auf seiner Seite: Deutlich mehr als zwei Drittel aller Amerikaner sind für diesen Krieg. Nie, so scheint es an diesem Frühjahrstag, war Amerika stärker. Nichts scheint sich diesem Land und seiner furchteinflößenden Militärmaschine in den Weg stellen zu können. Charles Krauthammer, einer der Bannerträger der intellektuellen Rechten, spricht jubilierend von der 'Dominanz einer einzigen Macht, wie es sie noch nie gegeben hat'.

In Amerika ist in jenen Tagen jedenfalls kaum etwas zu spüren von den Bedenken, die auf der anderen Seite des Atlantiks die Öffentlichkeit beherrschen: Dass die USA sich um Weltmeinung und Völkerrecht nicht einen Deut scheren. Dass der Moment gekommen sei, da die Vereinigten Staaten - nicht ungleich dem Römischen Imperium oder dem britischen Empire - sich überdehnt hätten und nun der Niedergang einsetzen würde. 'Amerikas Macht wird gebrochen', fasst damals der französische Historiker Emmanuel Todd das Ressentiment der Europäer zusammen.

Bedenkenträger im eigenen Land wie Arthur Schlesinger, der Historiker und Berater von John F. Kennedy, stoßen auf taube Ohren. Schon in den ersten Tagen nach der Invasion sagt er über Präsident Bush: 'Er hat einen fatalen Fehler gemacht.' Bushs Parteigänger machen derlei Äußerungen als unpatriotisch nieder, genauso wie noch zwei Jahre später die Kritik des damaligen Senators (und heutigen Verteidigungsministers) Chuck Hagel, der die Invasion als eine der 'größten Dummheiten' in der US-Geschichte bezeichnet.

Am Morgen nach Bushs Rede jedenfalls zuckt Amerika die Schultern: business als usual. CNN und die anderen Stationen senden zwar rund um die Uhr Bilder vom Krieg, aber es sind Aufnahmen meist jenseits der Front, Bilder eines fernen Kriegs. Geradezu unwirklich. Am Airport von Miami und den anderen großen Flughäfen des Landes haben sie die Sicherheitsstufe auf Code Orange erhöht - die mittlere Gefahrenlage. Aber es gebe keinerlei Pläne, sie weiter zu erhöhen, versichert der Sprecher des Heimatschutzministeriums. Und auf dem Palmetto Expressway durch Miami staut sich am Nachmittag der Verkehr wie eh und je, als sei es völlig selbstverständlich, dass dieses Land es sich leisten kann, zwei Kriege gleichzeitig zu führen - und keiner merkt es.

Zu dieser Zeit haben die ersten Panzerverbände die Wüstengrenze von Kuwait in den Irak überschritten und stoßen in zwei Kolonnen im weiten Bogen westlich und östlich des Euphrat nach Norden, Richtung Bagdad vor. Gleichzeitig besetzen Luftlandetruppen und Kommandoeinheiten Ölfelder und Hafenanlagen im Süden des Iraks, um der Zerstörung der Infrastruktur durch Saddams Republikanische Garden zuvorzukommen. Ein gewaltiges Invasionsheer ist im Einsatz: 248000 US-Soldaten, 45000 Briten, 2000 Australier und 194Kommandosoldaten aus Polen. Und sie machen, wie Präsident Bush in seiner Fernsehansprache angekündigt hatte, keine 'halben Sachen'. Ihr Vormarsch wird nur durch einen Sandsturm aufgehalten. Irakische Truppen sind kein Hindernis.

Am 9. April erobern die Amerikaner Bagdad. Nach 24 Jahren ist Saddams Terrorherrschaft Geschichte. Vom Tyrannen allerdings fehlt jede Spur. Erst Monate später finden ihn US-Soldaten in einem Erdloch versteckt. Statt seiner wird unter dem Jubel der Bevölkerung eine große Statue Saddams mitten in Bagdad gestürzt. Die Amerikaner sorgen dafür, dass dieser symbolträchtige Akt vor den Kamera-Augen der Weltöffentlichkeit geschieht. Das US-Militär hat, so sieht es aus, Bushs Auftrag ausgeführt - mit einer, gemessen an den gewaltigen Dimensionen des Truppeneinsatzes, überschaubaren Zahl von Opfern: 9200 getötete irakische Soldaten, 7300 tote Zivilisten, 172 gefallene Amerikaner und Briten.

Am 1. Mai landet Präsident Bush in Pilotenuniform auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln westlich von San Diego. Vor einem Banner mit der später berüchtigt gewordenen Parole 'Mission Accomplished' tritt er als Triumphator auf: 'Die größeren Kampfhandlungen im Irak sind zu Ende', ruft er. 'Im Kampf um den Irak haben die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten den Sieg davongetragen.' Nichts sollte eine größere Fehleinschätzung sein, wie Bush später selbst zerknirscht einräumt.

Nur Wochen nach der Siegesansprache registrieren die amerikanischen Besatzungstruppen im sogenannten Sunnitischen Dreieck erstmals einen merklichen Anstieg der Gewalt: Guerilla-Attacken mit Scharfschützenangriffen, Autobomben und den bald gefürchteten IEDs, meist am Straßenrand vergrabenen Sprengladungen, denen die US-Soldaten zunächst nahezu ungeschützt ausgesetzt sind. Fast genau ein Jahr nach Beginn der Invasion belagern US-Marines Fallujah, eine Hochburg des Widerstands. In vier Wochen gelingt es ihnen nicht, die Stadt zu nehmen. Bushs Versuch, dem irakischen Volk die Freiheit zu bringen, ist gescheitert.

Wie kam er überhaupt dazu, im Irak zu intervenieren? Hatten seine Truppen nicht genug zu tun mit der Jagd auf Osama bin Laden und seine Gefolgsleute in Afghanistan? Das US-Magazin Time hatte bereits damals nachgezeichnet, wie Amerika auf die schiefe Bahn nach Bagdad geraten konnte. Es war, um es neutral auszudrücken, ein ungewöhnlicher Krieg: Bis dahin hatte Amerika stets auf Angriffe reagiert oder dann, wenn es seine Interessen empfindlich beeinträchtigt sah. Jetzt war es ein Krieg einfach auf Grundlage der Hypothese, dass Amerika einmal bedroht werden könnte - Bushs Doktrin der präemptiven, der vorbeugenden Kriegsführung.

Dass Irak als größte dieser möglichen Bedrohungen auserkoren wurde - und nicht etwa Iran oder Nordkorea, deren Atombomben-Ambitionen bereits bekannt waren -, dürfte sehr viel mit einem Mann zu tun haben: Paul Wolfowitz, damals die Nummer zwei im Verteidigungsministerium. Er hatte 1998 mit 18 anderen einen Brief an den damaligen Präsidenten Bill Clinton unterzeichnet und die US-Regierung zum Sturz Saddam Husseins aufgefordert. Diese Idee ließ Neokonservative wie ihn nicht mehr los, erst recht nicht nach 9/11. Acht der 18 Unterzeichner des Briefs von 1998 arbeiteten jetzt in führenden Positionen in der Regierung Bush. Gemeinsam mit ihnen überzeugte Wolfowitz Präsident Bush, dass der Sturz Saddams der Schlüssel für eine bessere Zukunft des Nahen Ostens sei.

Die Entscheidung für den Irak-Krieg beruhte auf einer Mischung aus Oberflächlichkeit, Fehlkalkulationen und geradezu frivoler Überheblichkeit. Bush unterschätzte sträflich die Grenzen des zweifellos gigantischen US-Militärapparats. Eine Operation über ein paar Monate war geplant. Für die jahrelange Doppelbelastung in Afghanistan und im Irak war selbst die Weltmacht nicht gerüstet. Arroganz der Macht sprach aus der hochfahrenden (neokonservativen) Annahme, dass es nun Amerikas Aufgabe sei, die Welt neu zu ordnen. Zumindest die arabische Welt. Eine der Hauptursachen für den islamistischen Extremismus, so die Argumentation, war die fehlende demokratische Kultur im Nahen Osten. Dahinter stand die vielleicht noch naivere Vorstellung, der arabischen Welt die Freiheit mit Waffengewalt bringen zu können.

Ohne viel Federlesens weitete Bush die Doktrin der präemptiven Kriegsführung vom Krieg gegen al-Qaida (wo sie zu rechtfertigen war) auf Krieg gegen vermeintliche US-Feinde aus, womit sich 'Amerika zum selbsternannten Weltrichter und Scharfrichter in einem' machte, wie Bush-Kritiker Schlesinger feststellte. Aus derselben Arroganz war auch die Verachtung für internationale Organisationen und Normen gespeist. Unter Bush verabschiedeten sich die USA von ihren eigenen moralischen Maßstäben. Nichts war weiter entfernt vom 'ehrenhaften und anständigen Geist des amerikanischen Militärs', den Bush in seiner Rede zu Beginn der Invasion beschworen hatte, als die Perversionen im Foltergefängnis Abu Ghraib, die 2004 bekannt wurden.

Die Folgen waren in der Tat fatal für Amerika - und die Welt - vor allem die menschlichen: Am 18. Dezember 2011, fast neun Jahre nach der Invasion, verließ der letzte US-Besatzungssoldat den Irak. Bis dahin waren 4486 seiner Kameraden gefallen, Zehntausende sind für den Rest ihres Lebens gezeichnet, als Amputierte oder schwerst Traumatisierte. Das Iraq Body Count Project, die wohl zuverlässigste Schätzung für die irakischen Opfer während der US-Besatzungszeit, kommt auf mehr als 170000 Tote in dem Land, dem Bush die Freiheit bringen wollte.

Finanziell hat der Krieg die USA ausgelaugt und kräftig zur großen Schuldenkrise beigetragen. Auf mehr als eine Billion Dollar schätzt Präsident Barack Obama die Kosten, der linke Ökonom Joseph Stiglitz kommt auf mehr als drei Billionen. Strategisch war der Krieg ein einziger Irrtum. Jede Chance, in Afghanistan das Blatt zu wenden, wurde verspielt, weil Bush den Krieg dort vernachlässigte. Iran aber wurde gestärkt und erst im Lauf der letzten Dekade zum regionalen Schwergewicht.

Auf einen Schlag war zudem all die Sympathie verspielt, die Amerika weltweit nach 9/11 entgegenschlug. Die innere Spaltung des Landes vertiefte sich noch. Und in die Welt exportierten die USA statt Hoffnung und Zuversicht und das Grundvertrauen in die demokratischen Werte Amerikas nur noch, wie Richard Armitage, unter Bush stellvertretender Außenminister, selbstkritisch feststellte, 'Furcht und Wut'. Das vor allem hat Amerika schwer geschadet seit dem Tag, als die B-2-Bomber starteten.

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