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Wie man auf Glas skatet

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Scott McCloud und Chris Ware kamen zum 'Comic-Gipfel' in Berlin und sprachen über ihre umstrittenen und gefeierten Ansichten über die Kunst des Comiczeichnens.

Der wichtigste Comic-Theoretiker der Gegenwart heißt wie ein Raumschiffkapitän: Scott McCloud. Bei seinen Vorträgen trägt er stets diese explizit unerotisch konnotierte Kombination aus Baumwoll-T-Shirt, Kurzarmhemd und alten Beulenjeans. Ein weltreisender Workaholic mit dem Kleiderschrank eines saarländischen Piraten-Abgeordneten. Man könnte sagen, Scott McCloud sieht aus wie die Comic-Version eines Comic-Fans.



Comics aus den Augen des Kunstkritikers - Scott McCloud ist der wichtigste Comic-Theoretiker der Gegenwart

Am Freitag war er in Berlin, um beim ausverkauften 'Comic-Gipfel', den das Berliner Literaturfestival außer der Reihe im Martin-Gropius-Bau veranstaltet hat, die Kernthesen seiner drei Bücher vorzustellen. McCloud ist dadurch bekannt geworden, dass er die Gattung Comic mit den Methoden der modernen Kunstkritik erklärt. Er hat sich in der Comic-Welt damit nicht nur Freunde gemacht. Viele lesen ja gerade deswegen Comics, weil sie so weit von dem entfernt sind, was im MoMa zu sehen ist. Als er dann noch im Jahr 2008 den Google-Browser Chrome mit einem Auftragscomic illustriert hat, war er für viele vollends auf die böse Seite gewechselt.

McCloud stellt sich das Verhältnis zwischen dem Leser und dem Comic im Grunde aristotelisch vor: Es gibt in diesem Modell nicht nur zwei Teilnehmer, die Geschichte und den Leser, sondern noch eine dritte Größe, das Konzept. Dieses Konzept ist ein kollektiver Bewusstseinsinhalt, der vom Comic in jedem Lesemoment abgerufen wird und zwar nicht nur sprachlich, sondern eben in erster Linie grafisch. Jede Kopfhaltung eines Charakters, jede Augenbraue, jede Schattierung rufen beim Leser gewisse Stimmungen und vertraute Erzählmuster ab. Selbst wenn die Grafik auf ein Minimum reduziert wird, funktioniert es immer noch: Man braucht lediglich zwei Punkte und einen Strich, schon sieht das menschliche Auge ein Gesicht.

Man kennt diesen Drang zur Reduktion aus der Malerei, allerdings hat die Gattung Comic den Vorteil, dass sie sequenziell arbeitet. Von der amerikanischen Performance-Künstlerin Laurie Anderson stammt die Beobachtung, dass Laufen im Grunde kontrolliertes Fallen sei. So stellt sich Scott McCloud gelungenes Comic-Erzählen vor: Als moderiertes Fallen von Bild zu Bild, Geschichten 'mit einem gewissen Ungleichgewicht'. Die besten Comics sind für McCloud deshalb jene, die sich nicht darauf beschränken, in Sprechblasen dialogisch eine Geschichte zu skizzieren, in der das Böse bekämpft und das Schutzbedürftige gerettet wird. Alles Wichtige spielt sich woanders ab: Die Bewegung entsteht zwischen den Bildern, die Bedeutung im Kopf des Lesers. Comics illustrieren keine Seiten, sondern Bewusstseinsinhalte.

In der Geschichte der Menschheit zirkulierten noch nie so viele Bilder wie derzeit, vielleicht werden die Regeln der ikonischen Bildsprache auch deshalb immer wichtiger. Christoph Niemann, einer der wichtigsten Illustratoren der Gegenwart, sagte in Berlin, es gehe beim grafischen Erzählen immer darum, die Geschichte zu finden, die der Zeichner mit dem Betrachter teile. Das globale Medienpublikum sei heute grafisch bestens vorgebildet, seine visuelle Kompetenz habe sich im vergangenen Jahrzehnt vervielfacht: 'Die Leute verstehen heute mit einem Blick wahnwitzige Infografiken. Man kann in Mainstream-Medien Witze über Kuchengrafiken machen.'

Diese Blüte der Visualisierung hängt damit zusammen, dass all die Daten zugänglich gemacht werden müssen, die das Internet ständig verarbeitet, allerdings birgt das Netz auch Nachteile: Niemann beobachtet die Angleichung der Arbeiten heutiger Grafikstudenten. Gebe man einer Klasse die Aufgabe, ein Paar zu malen, sehe die Hälfte der Bilder dem ersten Treffer für den Suchbegriff 'Paar' in der Google-Bildersuche relativ ähnlich. Es hat noch nie so viele Bilder gegeben wie heute - und noch nie so viele, die einander gleichen.

Chris Ware wird in diesen Strudel sicher nicht geraten. Seit der Veröffentlichung seiner Graphic Novel 'Jimmy Corrigan' im Jahr 2000 firmiert Ware als Genie. Er gilt als extrem schüchtern, was sich in Berlin vor allem in nervösen Null-Aussagen äußerte: Er habe immer etwas machen wollen, das sich echt anfühle, emotional, vielleicht sogar, wenn er dieses große Wort benutzen dürfe, literarisch. Als Schriftsteller wäre er möglicherweise schneller international bekannt geworden, erst jetzt, 13 Jahre nach dem Original, ist 'Jimmy Corrigan' auf Deutsch erschienen (SZ vom 12. März). Aber die Literatur ist Chris Ware nicht ganz geheuer. 'Schreiben fühlt sich an, als würde ich auf öligem Glas skaten. Ich brauche etwas, wo ich mich einhaken kann und das sind die Bilder.' Den jungen Grafikstudenten geht es möglicherweise ähnlich. Allerdings macht Chris Ware seine Bilder selbst.

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