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Die Kunst des Bittens

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Die amerikanische Indierock-Sängerin Amanda Palmer ist die Wanderheilige unserer Zeit der Krise.

Das Schwierige an importierten Befindlichkeiten ist normalerweise, dass sie auf Geschichten beruhen, die nicht die eigenen sind. Das können die Geschichten von Nationen genauso sein, wie die Geschichten von Generationen. Im Fall der amerikanischen Sängerin Amanda Palmer ist sogar beides der Fall. Man muss aber nicht wissen, dass sie neben ihrer Solo-Arbeit eine Hälfte des Punk-Cabaret-Duos Dresden Dolls ist, man muss auch ihre exaltierten Lieder nicht mögen, um zu verstehen, warum sie gerade zu einer der Schlüsselfiguren der Popkultur aufsteigt.



Amanda Palmer ist - wenn sie nicht gerade solo unterwegs ist - eine Hälfte der Dresden Dolls.

Amanda Palmers bisher größter Hit ist kein Song, sondern ein Vortrag mit dem Titel 'The Art of Asking' (Die Kunst des Bittens), den sie Ende Februar beim Ideenfestival Ted Conference in Long Beach hielt. Darin erzählt sie von ihrer Karriere, die sie als lebende Statue in Fußgängerzonen begann, und die sie nun ohne Hilfe von Platten- oder sonstigen Firmen vorantreibt. Dafür hat sie nach einem Streit mit ihrem Label ein Geschäftsmodell entwickelt, das vor allem darauf beruht, keine Geschäfte zu machen. Ihr letztes Album beispielsweise finanzierte sie mit einem kurzen Video, mit dem sie auf der Crowdfunding-Webseite Kickstarter ihre Fans um Geld bat.

1,2 Millionen Dollar bekam sie so zusammen. Auch ihre Tourneen lässt sie nicht mehr von etablierten Veranstaltern organisieren. Meist sind es Fans, die über soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook einen ihrer Auftritte möglich machen, weil sie Geld, Saal und Verstärker besorgen. Unterwegs steigt sie nicht in Hotels ab, sondern übernachtet bei meist unbekannten Anhängern. Dazu zeigte sie in Long Beach Bilder, auf denen sie vor selbstgekochten Buffets steht, auf Sofas und Matratzen schläft, sich von Fans bemalen lässt.

Wer die Diskussionen um das Urheberrecht und die digitale Kultur in den vergangenen Jahren verfolgt hat, wird da - je nach Lager - das Ideal oder das Horrorszenario der künftigen Kulturwirtschaft erkennen. Neigt man eher zum traditionellen Ansatz, dass Arbeit und Ware auch regulär bezahlt werden sollten, verspürte man während des Vortrages spätestens dann den Bauchknoten des Fremdschämens, als Amanda Palmer davon erzählte, wie sie bei einer Familie illegaler Einwanderer in Miami übernachtete. Als sie beschreibt, wie die Mutter sie am nächsten Morgen beiseite nimmt, und ihr sagt, wie wichtig Palmers Musik für ihre Tochter sei, stehen der Sängerin die Tränen in den Augen. Da gipfelt diese wohlformulierte Ballade von Selbstlosigkeit, Vertrauen und Rebellion gegen die Konsumgesellschaft in einer gewaltigen Ladung Pathos. Und doch haben über eineinhalb Millionen Menschen in den vergangenen drei Wochen das Video des Vortrages angesehen und zumeist begeistert kommentiert.

Mit einem Song wäre Amanda Palmer damit weit oben in den Charts. Als Mem beweist sie Instinkt für einen Zeitgeist, der weit mehr ist, als die Trotzhaltung, dass man für Musik nichts bezahlen will. Das Ideal des Teilens geht in den USA auf einen ganz spezifischen Moment der Geschichte zurück. Auf dem Höhepunkt der Depression der Zwanziger- und Dreißigerjahre gab es in ganz Amerika einen unvergleichlichen Geist der Solidarität. Während Europa und Russland diesen Geist von den Diktaturen aufgezwungen bekamen, formierte sich in den USA ein Gemeinschaftsgefühl, auf dem Präsident Franklin D. Roosevelt sein Reformpaket des New Deal aufbauen konnte. Oder verkürzt gesagt: In Amerika bekamen sie Bankenreformen und Rentenversicherungen, in Europa die Nazis und den Kommunismus.

In der Weltwirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts, ist dieses Solidaritätsgefühl in Amerika, aber eben auch in Europa weitgehend verschwunden. Wer von Schulden erdrückt wird (in den USA als Bürger, in Europa als Staat), ist selbst schuld - hätte er eben nicht über seine Verhältnisse gelebt. Deswegen ist Amanda Palmer kein rein amerikanisches Phänomen.

Für eine Generation, die nicht nur mit den Schulden ihrer Vorväter leben wird, sondern auch mit dem Ende eines Wachstums, das bisher die Verbesserung des Lebensstandards von Generation zu Generation über mehrere Jahrhunderte automatisierte, wird Amanda Palmer so zu einer Art Wanderheiligen. Die Sängerin verkörpert gleich mehrere Ideale: Sie lebt ohne die Zwänge der Konsumgesellschaft, sie vertritt ein ethisch einwandfreies Wertesystem, sie ist ein Rockstar und sie macht all das durch das identitätsstiftende Internet möglich. Das ist keine Pose, sondern ein Kraftakt. Genau deswegen funktioniert ja auch ihr Pathos.

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