Medikamente fehlen, Ersatzteile auch, und die Preise steigen gen Himmel - die Strafmaßnahmen des Westens machen vielen Menschen das Leben im Iran richtig schwer. Aber sei's drum. Sie richten sich ein.
Endlose Bänder von Blech, die sich durch die Stadt schieben. Den Berg hinauf, den Berg hinunter, hoch und quer. Im Abendgrau über Teheran schimmert der Schnee. Irgendwo unten, auf der Kreuzung im Smog, steht Ashgan. Er springt auf und ab in seinem roten Gewand zwischen den abbremsenden Autos, die Anstrengung faltet sein geschwärztes Gesicht, die Schminke verläuft schon, doch er tanzt und singt weiter: 'Warum lachst du denn nicht, du Ziegenbock?' Dann tritt der Harlekin ans Seitenfenster, hält die Hand fordernd auf, die Stimme schnellt nach oben: 'Heb Deinen Kopf! Warum lachst Du nicht, mein Herr?'
Ashgan verdient sein Geld als Harlekin
Weil es nichts zu lachen gibt. Weder für den Mann am Steuer noch für Ashgan, den singenden Harlekin, den Haji Feruz. Der vertreibt den Winter, kündigt das persische Neujahr Nowruz an. Aber an diesem Abend ist der Haji im Kopf längst auf der Heimfahrt. Eine Stunde mit der Metro bis nach Hause, in ein Viertel, dessen Besuch die meisten Teheraner meiden: Drogen, Kriminalität, Armut. Ashgan lebt in Shush im Süden der Hauptstadt, zusammen mit seinem Cousin Adel. Nicht da, wo die Superreichen und die Partygirls in den Villen und den Marmortürmen wohnen, sondern dort, wo die Junkies hausen und Heroinspritzen im Rinnstein liegen. In einem kleinen Haus mit vier Familien: Ashgan, Adel und zwei andere Jungs schlafen in einem fensterlosen Kellerraum, 15 Quadratmeter, nebeneinander aufgereiht auf dem schmuddeligen Teppich wie Sardinen in der Dose. Einige Monate im Jahr arbeiten Adel und Ashgan als Obstpflücker auf den Feldern vor der Stadt, Saisonarbeit. Dazu Gelegenheitsjobs - und der eine Monat vor Nowruz als Haji Feruz. Deshalb stehen sie in roten Kostümen und mit geschwärzten Gesichtern auf der Kreuzung, Ashgan tanzt, Adel trommelt, bis die Stadtverwaltung sie verjagt oder doch so viel zusammen gekommen ist, dass der Tag sich gerechnet hat.
Die Einnahmen dieses Abends sind bescheiden - 20000 Toman, etwa vier Euro. Das reicht gerade für Huhn, Reis, Tee, die Metro. Jobs sind rar für einen Analphabeten wie Adel, der Cousin hat die Schule nach der 5. Klasse abgebrochen, auch auf ihn wartet keiner. Heiraten, eine eigene Familie und eine eigene Wohnung stehen in weiter Ferne, Ashgans vorläufiges Lebensziel ist ein Mobiltelefon. Weitere Fragen erübrigen sich: 'Warum lachst du nicht, mein Herr?'
Der Mann am Steuer denkt beim Anblick des Haji Feruz an das Naheliegende: Er hofft, dass die rote Ampel endlich auf grün umspringt und fragt sich, ob wirklich Neujahr schon wieder vor der Tür steht. Die Preise steigen, das Kilo Pistazien kostet jetzt doppelt so viel wie im vergangenen Jahr. Obst, Nüsse und Fleisch werden auch immer teurer. Dreizehn Tage dauert das Fest, Verwandte, Nachbarn und Freunde kommen vorbei - ein iranischer Neujahrstisch ohne Pistazien ist wie Silvester ohne Feuerwerk. Glanzlos.
'Pistazien sind kein Luxus. Sie finden immer ihren Käufer.' Der Pistazienhändler hat etwas von einem Kosaken, der sein Pferd vor dem Haupttor des Basars angebunden hat, um ein paar Kebabs zu verschlingen, bevor er wieder in die Steppe reitet: Fellmütze, kaftanartiger Frack, Vollbart - alles tiefschwarz, fehlt nur der Patronengurt. Doch der schwarze Mann reitet nirgendwo hin. Mohamed sitzt in seinem Laden hinter dem Schreibtisch, breitbeinig - im Basar sitzen alle Chefs in ihren Läden breitbeinig hinter dem Schreibtisch -, und sortiert Pistazien. Er wählt die Exemplare nach Form und Qualität, lässt die beim Rösten aufgeplatzten Früchte durch die Finger rieseln, häuft sie auf. Wenn die Hand leer ist, schiebt sie die Pistazienberge zusammen, alles fängt von vorne an. So rieseln die Pistazien durch die Finger, klacken auf der Schreibtischplatte, kommen auf neuen Häufchen zur Ruhe, während Mohamed die Wirtschaftslage zusammenfasst: 'Die Leute meckern, aber sie haben noch immer Geld.'
Händler wie er, die Pistazienexporteure, was machen sie angesichts der Isolation Irans in der Bankenwelt? 'Schwierig.' Er zitiert ein Gedicht, es hat mit dem Thema nicht das Geringste zu tun. Dann fragt er: 'Was macht ein Mann, dem die Frau stirbt? Er sucht sich eine Amme, die säugt seine Kinder.' Mohamed ist klug. Er gibt wenig auf die Regierung. Aber irgendwie, und wenn es Sentimentalität ist, steht er seinem Land bei im Kampf gegen den Rest der Welt. 'Die Hufe der Pferde unseres Landes werden die Erde in Washington, DC eines Tages erbeben lassen', sagt er zum Abschied. Also doch ein wilder Reiter.
Dem 70-Millionen-Volk geht es ähnlich wie ihm: Es sucht nach Auswegen und gibt sich stark. Das ist nicht einfach: Die Inflation bewegt sich in Richtung 40 Prozent, die Währung verfällt, Ölindustrie und Handel werden von den internationalen Sanktionen erdrosselt. Iran verkauft nur noch halb so viel Rohöl wie früher auf dem Weltmarkt, lässt seine Lagerbestände auf Supertankern rund um den Globus schiffen, um sie außer Landes zu halten. Das Leben ist hart geworden. Die Geldinstitute sind abgeschnitten vom Geflecht der internationalen Bankenwelt. Ware nach Iran zu bringen oder Produkte zu exportieren wird immer schwieriger. Regierung und Firmen bezahlen ihre Rechnungen im Ausland inzwischen mit Gold, tauschen Güter - Kriegswirtschaft. So sehen es die iranischen Zeitungen, sie schreiben vom 'Wirtschafts-Dschihad' gegen die Islamische Republik.
Wirtschaftskrieg oder nicht - der Westen meint es ernst nach zehn Jahren Atomstreit. Er droht, weiter nachzulegen bei den Strafmaßnahmen, fordert politische Botmäßigkeit: kontrollierter Atomverzicht gegen volle Handelsfreiheit und Wirtschaftsaufschwung ist die vereinfachte Formel. Das seit zehn Jahren andauernde Geschacher der Diplomaten lähmt die Perser. Sie denken vor Neujahr an Pistazien und deren steigende Preise, nicht an neue Zentrifugen und die herausposaunten Erfolge bei der Urananreicherung. Sie behalten im Hinterkopf, dass sie bombardiert werden könnten von den Israelis oder den Amerikanern und dass sie an ihrem politischen Regime derzeit nichts ändern können.
Außerdem kommt erst einmal Neujahr. Die Teheraner werden zum Picknicken in die Berge fahren, die Familien sich besuchen. Nowruz ist der persische Blick in den Spiegel: Selbstversicherung. Das zoroastrische Neujahrsfest, bei dem der Winter vertrieben und der Frühling begrüßt wird, ist für sie Beweis, dass Iran mehr ist als die Diva auf der Achse des Bösen oder ein unterdrückerisches Regime, mit dem man zu leben gelernt hat und dessen Ayatollah-Revolution nun Teil der eigenen Geschichte geworden ist. Beim Thema Geschichte sind Iraner eigen. Nowruz belegt, dass die ihre älter als der Islam (1400 Jahre), älter als die USA (300 Jahre), älter auch als die Geschichte all der anderen Staaten des Westens ist. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Iraner sich so aufregen über 'Argo', wenn sie nicht gerade an die steigenden Preise denken: Der Hollywood-Thriller über die Besetzung der US-Botschaft während der Revolution zeichnet die Iraner als Mob auf Abruf.
Aber bei 40 Prozent Inflation verlieren selbst 5000 Jahre Kultur oder ein auf die US-Seele zielender Thriller an Bedeutung.
Eigentlich ist Iran ein modernes Land. Anders als in Ägypten oder dem Jemen ist die Armut überschaubar, wirkliche Analphabeten wie Adel gibt es nicht allzu viele, die Infrastruktur ist vergleichsweise modern. Die Iraner sind gut ausgebildet, viele haben in Kanada, England oder den USA studiert. Der Staat hat auch in der Islamischen Republik eine Struktur und Institutionen, die respektiert werden, wenn es nicht gerade um Steuern geht. Die Sozialversicherung funktioniert, das Gesundheits- und Schulsystem, die Universitäten arbeiten. All diese Errungenschaften drohen die Sanktionen der Vereinten Nationen, der EU und der USA nun zu zerstören: Staaten, die über Jahre derart eng abgestimmten Strafmaßnahmen unterliegen, enden als politische, wirtschaftliche und militärische Krüppel: wie der Irak unter Saddam Hussein.
Aber noch ist es nicht soweit. 'Die Reichen spüren die Sanktionen nicht und die Armen kommen zurecht. Wer leidet, ist der Mittelstand. Aber der muckt nicht auf.' Siad Zibakalam ist einer der wenigen unabhängigen Beobachter, die noch den Mund aufmachen in Teheran. Seine Exklusivität hat der Politologe seinem Hang zum klaren Wort zu verdanken und der Tatsache, dass die meisten anderen Regimekritiker das Land verlassen haben, im Gefängnis sitzen oder nach längerer Haft laut schweigen. Er weiß von den Verhaftungswellen: 'Ich beachte die roten Linien. Ich bin nicht wild darauf, ins Evin-Gefängnis zu kommen.' Zibakalam, der Gerissene, meint: Die Reichen in Iran haben immer noch mehr als genug, die Armen bekommen staatliche Subventionen und die Mittelklasse hat 2009 ihre Lektion gelernt.
Damals hatte das Regime klargemacht, was geht und was nicht geht in Iran. Die 'grüne Revolution' wurde brutal niedergeschlagen, hinter der demokratischen Reformbewegung hatten die Bürgerlichen gestanden. 'Wenn irgendwer im Westen gehofft haben sollte, dass die Iraner sich wegen des Sanktionsdrucks gegen ihre Führung erheben, hat er sich verkalkuliert.'
Arraije Abbasi wird sich sicher nicht erheben, obwohl er es eigentlich müsste. Er ist müde. Er sitzt auf einer Bank auf dem Grünstreifen, die Laptoptasche auf dem Schoß, die Hände schützend davor gefaltet. Er schaut ins Leere. Um ihn herum schieben sich endlose Autoschlangen über die Vali Asr, die Luft brennt in Augen und Lungen, der Preisanstieg beim Benzin hindert Teherans Autofahrer nicht am täglichen Amoklauf. Ali Abbasi wandert seit Tagen durch den Smog, fragt sich durch von einer Apotheke zur anderen, ruft am Eingang: 'Line Zolid?' Ausverkauft, sagt der Apotheker. Derzeit nicht aufzutreiben. Keine einzige Ampulle.
Abbasi braucht zehn Ampullen. Sein Sohn leidet an Blutarmut, ihm wurde Rückenmark transplantiert, es geht ihm schlecht nach der Operation. Infektionen sind häufig nach solchen Eingriffen. Ohne das Antibiotikum droht der Zwölfjährige zu sterben. Der Junge hat bereits Durchfall. Kein gutes Zeichen. Das Geld für die zehn Dosen 'Line Zolid' hat Abassi zusammengekratzt, rund 200 Euro. So, wie er auch das Geld für die Operation und die Kosten des Spenders aufgebracht hat - umgerechnet etwa 18000 Euro. Schulden hat er gemacht, ein paar Wertsachen verkauft. Und jetzt soll alles umsonst gewesen sein, wegen zehn Ampullen eines Antibiotikums, hergestellt von einer US-Firma mit Niederlassungen in Europa? Abbasi sagt: 'Die Sanktionen! Nichts kommt ins Land. Auch keine Medikamente.'
Ali Abbassi ist mit dem Sohn und seiner Frau aus Ilan angereist, tiefste Provinz. Sie haben in der Hauptstadt eine Wohnung gemietet, der Schwager stellt sich solange in den Lebensmittelladen in Ilan: Seine Frau verbringt den Tag in der Klinik beim Sohn. Abbasi ist ein höflicher, beherrschter Mann. Aber jetzt wird er deutlich: 'Die, die immer von den Menschenrechten sprechen, müssen sich jetzt doch einmal äußern! Medikamente sind ein Menschenrecht für den, der sie braucht!'
Leute wie die Abbassis leiden ganz direkt unter den Sanktionen. Aber es gibt auch andere. Besuch in einer Fabrik, Schwerindustrie. Ein Industriegelände am Rande von Teheran, aus der Schmelze in der Halle schlagen orangerote Flammen hoch. 'Luleh va Mashinsazi' stellt Wasserrohre her, seit 1957. Die Winde des Krans ächzt, ein Block mit Industrieschrott versinkt im Schmelztiegel, Material für neue Rohre. Irgendwo hinten in der Halle kommen die Endprodukte heraus, sie rollen dann über Schienen, schlagen dumpf wie Glocken an: Zwei Meter hat so ein Rohr im Durchmesser, tonnenschwer. 1000 Arbeiter in zwei Werken beschäftigt 'Mashinsazi', der größte Teil der Produktion geht in den Export, weil der Staat nichts bestellt. Wegen der angespannten Haushaltslage hat die Regierung ihre Infrastrukturprogramme eingefroren. Privatunternehmen können froh sein, wenn die Führung ihre Altschulden bezahlt.
'Wir setzen auf Export', sagt Direktor Alireza Maghsoudi. Im Büro riecht es nach kaltem Pfeifentabak, der Direktor ist ein Mann, der sich Zeit nimmt. Maghsoudi macht den Job seit 30 Jahren, er pflegt Kontakte nach Katar und Irak. Dort wird gebaut. Dort brauchen sie Rohre. Dort ist Geld. Der Ingenieur weiß, dass seine Anlagen alt sind, die Lager und Getriebe ausgeschlagen, einige Maschinen tragen das Logo deutscher Hersteller, angeschafft noch zu Zeiten des Firmengründers, er wurde nach der Revolution enteignet. 'Ja, wir tun uns schwer, mit den Rohstoffen, Geräten, Ersatzteilen', sagt Maghsoudi. 'Aber wir haben gelernt, Teile selbst zu produzieren. Wir haben das Know-how.' Und wo das Know-how nicht reicht - in Iran mit seinem hohen Bildungsstandard geht es weniger um theoretisches Wissen als darum, die praktischen Probleme zu umschiffen -, bleiben China und Indien: billiger Preis, schlechte Qualität. 'Den Rest importieren wir über Dritte. Dubai und so.' Die Botschaft ist eindeutig: Es gibt tausend Wege, die Sanktionen zu umgehen. Dem Direktor ist klar, dass deutsche Firmen und Behörden sich denken können, wer die Spezialteile bestellt - Wasserrohre sind kein Massenprodukt, ihre Hersteller weltweit bekannt. Aber Maghsoudi weiß, wie man die Bezahlung abwickeln kann, trotz des Bankenembargos: 'Das Geld findet seinen Weg.'
Der verschlungene Weg führt über Kontaktmänner mit Koffern, über Drittstaaten, über islamische Finanznetzwerke, durch Wechselstuben zurück nach Iran. Das dauert. Aber da die Rohre von ihren Käufern in Hartwährung bezahlt werden, steigen Dank des absurd hohen Wechselkurses in Iran die Gewinne für Maghsoudi. So ist am Ende mehr als genug Geld da, Löhne und Kosten in Rial zu bezahlen. Die iranische Währung ist im Vergleich zum US-Dollar nur noch die Hälfte wert, aber die Löhne steigen nicht so hemmungslos wie der Wechselkurs: 'Sicher zerstören die Sanktionen auf die Dauer die industrielle Infrastruktur meines Landes' sagt der Direktor. 'Aber für uns sind die Sanktionen wegen des Devisenkurses von Vorteil.'
Ein Land wurstelt sich durch: Das Wirtschaftsembargo tut ihm weh. Aber das Sanktionsregime kann in den Augen von Zwangsoptimisten wie Maghsoudi sogar den Standard der eigenen Industrie heben. Die Konzentration auf den Export erzwingt bessere Qualität bei der heimischen Produktion. 'Innovation und Unabhängigkeit sind doch wichtig', sagt der Direktor. 'Gerade in der Wirtschaft.'
Endlose Bänder von Blech, die sich durch die Stadt schieben. Den Berg hinauf, den Berg hinunter, hoch und quer. Im Abendgrau über Teheran schimmert der Schnee. Irgendwo unten, auf der Kreuzung im Smog, steht Ashgan. Er springt auf und ab in seinem roten Gewand zwischen den abbremsenden Autos, die Anstrengung faltet sein geschwärztes Gesicht, die Schminke verläuft schon, doch er tanzt und singt weiter: 'Warum lachst du denn nicht, du Ziegenbock?' Dann tritt der Harlekin ans Seitenfenster, hält die Hand fordernd auf, die Stimme schnellt nach oben: 'Heb Deinen Kopf! Warum lachst Du nicht, mein Herr?'
Ashgan verdient sein Geld als Harlekin
Weil es nichts zu lachen gibt. Weder für den Mann am Steuer noch für Ashgan, den singenden Harlekin, den Haji Feruz. Der vertreibt den Winter, kündigt das persische Neujahr Nowruz an. Aber an diesem Abend ist der Haji im Kopf längst auf der Heimfahrt. Eine Stunde mit der Metro bis nach Hause, in ein Viertel, dessen Besuch die meisten Teheraner meiden: Drogen, Kriminalität, Armut. Ashgan lebt in Shush im Süden der Hauptstadt, zusammen mit seinem Cousin Adel. Nicht da, wo die Superreichen und die Partygirls in den Villen und den Marmortürmen wohnen, sondern dort, wo die Junkies hausen und Heroinspritzen im Rinnstein liegen. In einem kleinen Haus mit vier Familien: Ashgan, Adel und zwei andere Jungs schlafen in einem fensterlosen Kellerraum, 15 Quadratmeter, nebeneinander aufgereiht auf dem schmuddeligen Teppich wie Sardinen in der Dose. Einige Monate im Jahr arbeiten Adel und Ashgan als Obstpflücker auf den Feldern vor der Stadt, Saisonarbeit. Dazu Gelegenheitsjobs - und der eine Monat vor Nowruz als Haji Feruz. Deshalb stehen sie in roten Kostümen und mit geschwärzten Gesichtern auf der Kreuzung, Ashgan tanzt, Adel trommelt, bis die Stadtverwaltung sie verjagt oder doch so viel zusammen gekommen ist, dass der Tag sich gerechnet hat.
Die Einnahmen dieses Abends sind bescheiden - 20000 Toman, etwa vier Euro. Das reicht gerade für Huhn, Reis, Tee, die Metro. Jobs sind rar für einen Analphabeten wie Adel, der Cousin hat die Schule nach der 5. Klasse abgebrochen, auch auf ihn wartet keiner. Heiraten, eine eigene Familie und eine eigene Wohnung stehen in weiter Ferne, Ashgans vorläufiges Lebensziel ist ein Mobiltelefon. Weitere Fragen erübrigen sich: 'Warum lachst du nicht, mein Herr?'
Der Mann am Steuer denkt beim Anblick des Haji Feruz an das Naheliegende: Er hofft, dass die rote Ampel endlich auf grün umspringt und fragt sich, ob wirklich Neujahr schon wieder vor der Tür steht. Die Preise steigen, das Kilo Pistazien kostet jetzt doppelt so viel wie im vergangenen Jahr. Obst, Nüsse und Fleisch werden auch immer teurer. Dreizehn Tage dauert das Fest, Verwandte, Nachbarn und Freunde kommen vorbei - ein iranischer Neujahrstisch ohne Pistazien ist wie Silvester ohne Feuerwerk. Glanzlos.
'Pistazien sind kein Luxus. Sie finden immer ihren Käufer.' Der Pistazienhändler hat etwas von einem Kosaken, der sein Pferd vor dem Haupttor des Basars angebunden hat, um ein paar Kebabs zu verschlingen, bevor er wieder in die Steppe reitet: Fellmütze, kaftanartiger Frack, Vollbart - alles tiefschwarz, fehlt nur der Patronengurt. Doch der schwarze Mann reitet nirgendwo hin. Mohamed sitzt in seinem Laden hinter dem Schreibtisch, breitbeinig - im Basar sitzen alle Chefs in ihren Läden breitbeinig hinter dem Schreibtisch -, und sortiert Pistazien. Er wählt die Exemplare nach Form und Qualität, lässt die beim Rösten aufgeplatzten Früchte durch die Finger rieseln, häuft sie auf. Wenn die Hand leer ist, schiebt sie die Pistazienberge zusammen, alles fängt von vorne an. So rieseln die Pistazien durch die Finger, klacken auf der Schreibtischplatte, kommen auf neuen Häufchen zur Ruhe, während Mohamed die Wirtschaftslage zusammenfasst: 'Die Leute meckern, aber sie haben noch immer Geld.'
Händler wie er, die Pistazienexporteure, was machen sie angesichts der Isolation Irans in der Bankenwelt? 'Schwierig.' Er zitiert ein Gedicht, es hat mit dem Thema nicht das Geringste zu tun. Dann fragt er: 'Was macht ein Mann, dem die Frau stirbt? Er sucht sich eine Amme, die säugt seine Kinder.' Mohamed ist klug. Er gibt wenig auf die Regierung. Aber irgendwie, und wenn es Sentimentalität ist, steht er seinem Land bei im Kampf gegen den Rest der Welt. 'Die Hufe der Pferde unseres Landes werden die Erde in Washington, DC eines Tages erbeben lassen', sagt er zum Abschied. Also doch ein wilder Reiter.
Dem 70-Millionen-Volk geht es ähnlich wie ihm: Es sucht nach Auswegen und gibt sich stark. Das ist nicht einfach: Die Inflation bewegt sich in Richtung 40 Prozent, die Währung verfällt, Ölindustrie und Handel werden von den internationalen Sanktionen erdrosselt. Iran verkauft nur noch halb so viel Rohöl wie früher auf dem Weltmarkt, lässt seine Lagerbestände auf Supertankern rund um den Globus schiffen, um sie außer Landes zu halten. Das Leben ist hart geworden. Die Geldinstitute sind abgeschnitten vom Geflecht der internationalen Bankenwelt. Ware nach Iran zu bringen oder Produkte zu exportieren wird immer schwieriger. Regierung und Firmen bezahlen ihre Rechnungen im Ausland inzwischen mit Gold, tauschen Güter - Kriegswirtschaft. So sehen es die iranischen Zeitungen, sie schreiben vom 'Wirtschafts-Dschihad' gegen die Islamische Republik.
Wirtschaftskrieg oder nicht - der Westen meint es ernst nach zehn Jahren Atomstreit. Er droht, weiter nachzulegen bei den Strafmaßnahmen, fordert politische Botmäßigkeit: kontrollierter Atomverzicht gegen volle Handelsfreiheit und Wirtschaftsaufschwung ist die vereinfachte Formel. Das seit zehn Jahren andauernde Geschacher der Diplomaten lähmt die Perser. Sie denken vor Neujahr an Pistazien und deren steigende Preise, nicht an neue Zentrifugen und die herausposaunten Erfolge bei der Urananreicherung. Sie behalten im Hinterkopf, dass sie bombardiert werden könnten von den Israelis oder den Amerikanern und dass sie an ihrem politischen Regime derzeit nichts ändern können.
Außerdem kommt erst einmal Neujahr. Die Teheraner werden zum Picknicken in die Berge fahren, die Familien sich besuchen. Nowruz ist der persische Blick in den Spiegel: Selbstversicherung. Das zoroastrische Neujahrsfest, bei dem der Winter vertrieben und der Frühling begrüßt wird, ist für sie Beweis, dass Iran mehr ist als die Diva auf der Achse des Bösen oder ein unterdrückerisches Regime, mit dem man zu leben gelernt hat und dessen Ayatollah-Revolution nun Teil der eigenen Geschichte geworden ist. Beim Thema Geschichte sind Iraner eigen. Nowruz belegt, dass die ihre älter als der Islam (1400 Jahre), älter als die USA (300 Jahre), älter auch als die Geschichte all der anderen Staaten des Westens ist. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Iraner sich so aufregen über 'Argo', wenn sie nicht gerade an die steigenden Preise denken: Der Hollywood-Thriller über die Besetzung der US-Botschaft während der Revolution zeichnet die Iraner als Mob auf Abruf.
Aber bei 40 Prozent Inflation verlieren selbst 5000 Jahre Kultur oder ein auf die US-Seele zielender Thriller an Bedeutung.
Eigentlich ist Iran ein modernes Land. Anders als in Ägypten oder dem Jemen ist die Armut überschaubar, wirkliche Analphabeten wie Adel gibt es nicht allzu viele, die Infrastruktur ist vergleichsweise modern. Die Iraner sind gut ausgebildet, viele haben in Kanada, England oder den USA studiert. Der Staat hat auch in der Islamischen Republik eine Struktur und Institutionen, die respektiert werden, wenn es nicht gerade um Steuern geht. Die Sozialversicherung funktioniert, das Gesundheits- und Schulsystem, die Universitäten arbeiten. All diese Errungenschaften drohen die Sanktionen der Vereinten Nationen, der EU und der USA nun zu zerstören: Staaten, die über Jahre derart eng abgestimmten Strafmaßnahmen unterliegen, enden als politische, wirtschaftliche und militärische Krüppel: wie der Irak unter Saddam Hussein.
Aber noch ist es nicht soweit. 'Die Reichen spüren die Sanktionen nicht und die Armen kommen zurecht. Wer leidet, ist der Mittelstand. Aber der muckt nicht auf.' Siad Zibakalam ist einer der wenigen unabhängigen Beobachter, die noch den Mund aufmachen in Teheran. Seine Exklusivität hat der Politologe seinem Hang zum klaren Wort zu verdanken und der Tatsache, dass die meisten anderen Regimekritiker das Land verlassen haben, im Gefängnis sitzen oder nach längerer Haft laut schweigen. Er weiß von den Verhaftungswellen: 'Ich beachte die roten Linien. Ich bin nicht wild darauf, ins Evin-Gefängnis zu kommen.' Zibakalam, der Gerissene, meint: Die Reichen in Iran haben immer noch mehr als genug, die Armen bekommen staatliche Subventionen und die Mittelklasse hat 2009 ihre Lektion gelernt.
Damals hatte das Regime klargemacht, was geht und was nicht geht in Iran. Die 'grüne Revolution' wurde brutal niedergeschlagen, hinter der demokratischen Reformbewegung hatten die Bürgerlichen gestanden. 'Wenn irgendwer im Westen gehofft haben sollte, dass die Iraner sich wegen des Sanktionsdrucks gegen ihre Führung erheben, hat er sich verkalkuliert.'
Arraije Abbasi wird sich sicher nicht erheben, obwohl er es eigentlich müsste. Er ist müde. Er sitzt auf einer Bank auf dem Grünstreifen, die Laptoptasche auf dem Schoß, die Hände schützend davor gefaltet. Er schaut ins Leere. Um ihn herum schieben sich endlose Autoschlangen über die Vali Asr, die Luft brennt in Augen und Lungen, der Preisanstieg beim Benzin hindert Teherans Autofahrer nicht am täglichen Amoklauf. Ali Abbasi wandert seit Tagen durch den Smog, fragt sich durch von einer Apotheke zur anderen, ruft am Eingang: 'Line Zolid?' Ausverkauft, sagt der Apotheker. Derzeit nicht aufzutreiben. Keine einzige Ampulle.
Abbasi braucht zehn Ampullen. Sein Sohn leidet an Blutarmut, ihm wurde Rückenmark transplantiert, es geht ihm schlecht nach der Operation. Infektionen sind häufig nach solchen Eingriffen. Ohne das Antibiotikum droht der Zwölfjährige zu sterben. Der Junge hat bereits Durchfall. Kein gutes Zeichen. Das Geld für die zehn Dosen 'Line Zolid' hat Abassi zusammengekratzt, rund 200 Euro. So, wie er auch das Geld für die Operation und die Kosten des Spenders aufgebracht hat - umgerechnet etwa 18000 Euro. Schulden hat er gemacht, ein paar Wertsachen verkauft. Und jetzt soll alles umsonst gewesen sein, wegen zehn Ampullen eines Antibiotikums, hergestellt von einer US-Firma mit Niederlassungen in Europa? Abbasi sagt: 'Die Sanktionen! Nichts kommt ins Land. Auch keine Medikamente.'
Ali Abbassi ist mit dem Sohn und seiner Frau aus Ilan angereist, tiefste Provinz. Sie haben in der Hauptstadt eine Wohnung gemietet, der Schwager stellt sich solange in den Lebensmittelladen in Ilan: Seine Frau verbringt den Tag in der Klinik beim Sohn. Abbasi ist ein höflicher, beherrschter Mann. Aber jetzt wird er deutlich: 'Die, die immer von den Menschenrechten sprechen, müssen sich jetzt doch einmal äußern! Medikamente sind ein Menschenrecht für den, der sie braucht!'
Leute wie die Abbassis leiden ganz direkt unter den Sanktionen. Aber es gibt auch andere. Besuch in einer Fabrik, Schwerindustrie. Ein Industriegelände am Rande von Teheran, aus der Schmelze in der Halle schlagen orangerote Flammen hoch. 'Luleh va Mashinsazi' stellt Wasserrohre her, seit 1957. Die Winde des Krans ächzt, ein Block mit Industrieschrott versinkt im Schmelztiegel, Material für neue Rohre. Irgendwo hinten in der Halle kommen die Endprodukte heraus, sie rollen dann über Schienen, schlagen dumpf wie Glocken an: Zwei Meter hat so ein Rohr im Durchmesser, tonnenschwer. 1000 Arbeiter in zwei Werken beschäftigt 'Mashinsazi', der größte Teil der Produktion geht in den Export, weil der Staat nichts bestellt. Wegen der angespannten Haushaltslage hat die Regierung ihre Infrastrukturprogramme eingefroren. Privatunternehmen können froh sein, wenn die Führung ihre Altschulden bezahlt.
'Wir setzen auf Export', sagt Direktor Alireza Maghsoudi. Im Büro riecht es nach kaltem Pfeifentabak, der Direktor ist ein Mann, der sich Zeit nimmt. Maghsoudi macht den Job seit 30 Jahren, er pflegt Kontakte nach Katar und Irak. Dort wird gebaut. Dort brauchen sie Rohre. Dort ist Geld. Der Ingenieur weiß, dass seine Anlagen alt sind, die Lager und Getriebe ausgeschlagen, einige Maschinen tragen das Logo deutscher Hersteller, angeschafft noch zu Zeiten des Firmengründers, er wurde nach der Revolution enteignet. 'Ja, wir tun uns schwer, mit den Rohstoffen, Geräten, Ersatzteilen', sagt Maghsoudi. 'Aber wir haben gelernt, Teile selbst zu produzieren. Wir haben das Know-how.' Und wo das Know-how nicht reicht - in Iran mit seinem hohen Bildungsstandard geht es weniger um theoretisches Wissen als darum, die praktischen Probleme zu umschiffen -, bleiben China und Indien: billiger Preis, schlechte Qualität. 'Den Rest importieren wir über Dritte. Dubai und so.' Die Botschaft ist eindeutig: Es gibt tausend Wege, die Sanktionen zu umgehen. Dem Direktor ist klar, dass deutsche Firmen und Behörden sich denken können, wer die Spezialteile bestellt - Wasserrohre sind kein Massenprodukt, ihre Hersteller weltweit bekannt. Aber Maghsoudi weiß, wie man die Bezahlung abwickeln kann, trotz des Bankenembargos: 'Das Geld findet seinen Weg.'
Der verschlungene Weg führt über Kontaktmänner mit Koffern, über Drittstaaten, über islamische Finanznetzwerke, durch Wechselstuben zurück nach Iran. Das dauert. Aber da die Rohre von ihren Käufern in Hartwährung bezahlt werden, steigen Dank des absurd hohen Wechselkurses in Iran die Gewinne für Maghsoudi. So ist am Ende mehr als genug Geld da, Löhne und Kosten in Rial zu bezahlen. Die iranische Währung ist im Vergleich zum US-Dollar nur noch die Hälfte wert, aber die Löhne steigen nicht so hemmungslos wie der Wechselkurs: 'Sicher zerstören die Sanktionen auf die Dauer die industrielle Infrastruktur meines Landes' sagt der Direktor. 'Aber für uns sind die Sanktionen wegen des Devisenkurses von Vorteil.'
Ein Land wurstelt sich durch: Das Wirtschaftsembargo tut ihm weh. Aber das Sanktionsregime kann in den Augen von Zwangsoptimisten wie Maghsoudi sogar den Standard der eigenen Industrie heben. Die Konzentration auf den Export erzwingt bessere Qualität bei der heimischen Produktion. 'Innovation und Unabhängigkeit sind doch wichtig', sagt der Direktor. 'Gerade in der Wirtschaft.'