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Schlimmer als Krieg

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Kuppler, Schlepper und Schläger bedrohen syrische Flüchtlinge in Ägypten. Ihre Töchter werden zu Freiwild erklärt. Manche würden trotz der Bomben am liebsten nach Hause zurückkehren.

Sie dachte, es könnte nicht schlimmer kommen als in Syrien, die Bomben, der Krieg, aber jetzt will sie nur noch zurück: 'In Ägypten werden wir verkauft', sagt sie. Das Mädchen ist heute 18 Jahre alt, damals war sie 17, als sie ihren Hilferuf auf Video aufnahm. Sie drückt sich an die Wand eines kahlen Zimmers. Sie ist Syrerin, Flüchtling, und damit in den Augen vieler Männer: billig zu haben. Seit sie in Ägypten angekommen sei, drehe sich jedes Gespräch nur um Heirat. 'Wir bekommen nichts mehr zu essen, meinem Vater haben sie Geld angeboten.' Er werde wohl darauf eingehen: 'Unsere Lage ist entsetzlich.'


In Syrien wird mit jungen Mädchen gehandelt

Aufgenommen wurde das Video von einer Menschenrechtsaktivistin in einer der Trabantenwüstenstädte bei Kairo. Hier leben besonders viele Syrer, hier treiben sich Kuppler und Schlepper und ihre Schläger herum, auch Pseudo-Scheichs, die die Familien warnen, die Jungfräulichkeit ihrer minderjährigen Töchter sei unmöglich zu schützen, man müsse sie verheiraten. 'Die Familien werden schon am Flughafen abgefangen', sagt der syrische Bürgerrechtler Ghassim Atassa in Kairo: 'Die Kriminellen geben ihnen anfangs eine mietfreie Wohnung, Essen, Kleidung. Aber wenn die Familie ihre Töchter nicht hergibt, entziehen sie ihnen das Essen, drohen mit Rausschmiss.'

Atassa weiß in Ägypten von mindestens 500 Beschwerden über Zwangsheiraten, 200, so schätzt er, betreffen Minderjährige. Wie nah diese Zahl an der Wirklichkeit ist, ist schwer zu sagen: Viele Familien leben isoliert, die kriminellen Netzwerke sind gewaltbereit. Angebot und Nachfrage werden über informelle Makler geregelt, über Internetseiten, Anzeigen.

Der Ägypter Aschraf el-Masri, Mitte 40, höherer Angestellter einer Ölfirma in Kairo, sucht eine neue Frau über eine Webseite. Die Ehe mit seiner ersten Frau ist nach 20 Jahren und vier Kindern gescheitert. Nun braucht er etwas Neues. Und Flüchtlinge sind billig. Wie viel genau El-Masri für eine syrische Braut zahlen würde, sagt er nicht, aber Atassa, der Bürgerrechtler, spricht von umgerechnet 600 Euro Vermittlungsgebühren pro Heirat. In einem Land, in dem junge Männer bis weit jenseits der Dreißig nicht heiraten, weil sie ihrer Braut keine Wohnung bieten können, sind das Schnäppchenpreise: 'Die Syrerinnen sind geschwächt durch die Umstände. Ihre Flügel sind gebrochen. Sie sind bescheidener', sagt el- Masri. Immerhin: Er sucht keine Kinderbraut und kein Kurzzeitvergnügen, sondern eine Frau fürs Leben. Die neue Wohnung hat er schon eingerichtet. 'Ich helfe den syrischen Frauen und mir selbst', sagt er großzügig.

Arrangierte Ehen sind keine Seltenheit in der arabischen Welt, auch nicht in Ägypten. Aber oft hat die Brautschau unter den Flüchtlingen weniger mit Zukunftsplanung zu tun als mit Menschenhandel. Oder mit Prostitution. In Ägypten etwa dauert die Prozedur einer Eheschließung zwischen einem Ägypter und einer Ausländerin Monate - unter Einbeziehung der Botschaften und zahlreicher Dokumente. Von den geschätzten 250000 syrischen Flüchtlingen in Ägypten sind aber nur 15000 registriert, die Ehen werden meist als Urfi-Ehen geschlossen, mit einem formlosen Vertrag nach islamischem Recht, der leicht wieder geschieden werden kann, manchmal schon nach Tagen. Und Ägypten ist nicht der einzige Markt. In Jordanien, in Libanon, im Irak werden Syrerinnen und ihre Familien unter Druck gesetzt. In jordanischen Flüchtlingslagern traten einige der Kuppler offenbar als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen auf.

Oft leben die Auftraggeber weit weg: Saudi-Arabien gilt als eines der wichtigsten Zielländer, auch Scheichs aus Frankreich sollen Interesse an der Vermittlung bekundet haben, heißt es. Natürlich aus rein humanitären Motiven.

Bereits vor Monaten warnten die Vereinten Nationen, dass die meisten Syrerinnen nicht freiwillig heirateten. Inzwischen leben mehr als eine Million Syrer im Ausland. Weder Präsident Baschar al-Assad noch die Aufständischen können den Krieg gewinnen, weite Teile des Landes sind kaum noch bewohnbar. Schlimmstenfalls dauert der Konflikt noch Jahre, mit mehr Zerstörung - und mehr Flüchtlingen. Mehr Flüchtlinge aber dürften neue Begehrlichkeiten wecken. Die junge Syrerin aus dem Video hat sich entschieden: 'Ich kehre lieber in mein Land zurück, als meine Ehre in den Dreck ziehen zu lassen.'

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