Während Berlin über die East Side Gallery streitet, steht für ein Grundstück etwas weiter westlich an der Spree der Plan schon fest: Club-Betreiber Christoph Klenzendorf will den wilden, alten Geist der Hauptstadt bewahren - mit einem eigenen urbanen Dorf
An der Holzmarktstraße soll bald ein neues Viertel entstehen. Eines, gegen das wohl ausnahmsweise keiner demonstrieren wird - weil es ein Gegenentwurf zu Luxuswohntürmen und gesichtsloser Bürobebauung ist. Das 'Holzmarkt'-Quartier soll hier entstehen, ein urbanes Dorf zum Wohnen, Arbeiten und Feiern, mit Gemüsebeeten und begehbaren Dächern. Eine Schweizer Stiftung hat das 18000 Quadratmeter große Gelände gekauft, eine Genossenschaft darf es nun bebauen. Christoph Klenzendorf, einer der Initiatoren des Projekts, erklärt, wie wichtig Erfahrungen aus dem Nachtleben sind und welche Zukunft er und seine Freunde sich für die Hauptstadt wünschen.
SZ: Was wollen Sie mit Ihrem Dorf in der Großstadt anders machen als andere Investoren, Herr Klenzendorf?
Christoph Klenzendorf: Auch uns geht es um Stadtentwicklung und Wirtschaftspolitik, aber auf eine andere Art. Die Pläne, die sich das Investorenprojekt Mediaspree vor 15 Jahren mal für das Gebiet ausgedacht hat, gingen davon aus, dass die Stadt bis 2010 sechs Millionen Einwohner, Wohlstand und eine gut laufende Wirtschaft haben würde. Das ist alles nicht eingetreten. Nun hat sich die Berliner Szene zusammengesetzt und überlegt, welche Zukunft die Stadt als Wirtschaftsstandort überhaupt haben könnte. Die Clubs, Bars, Hoteliers, aber auch die Start-ups machen einen Großteil dieses Standorts aus. Wir wollen am Holzmarkt kulturellen Mehrwert schaffen, und die Stadt so beleben, wie wir es für richtig halten. Kreative Menschen sollen einen Ort mit erschaffen und gestalten.
Für 25.000 Euro kann man Genosse werden. Viel Geld für junge Kreative.
Rund 50 Leute haben bereits gezeichnet. Es ist ein Weg der Verteilung: Diejenigen, die die Mittel haben, unterstützen die Szene und tragen ihren Teil dazu bei, dass sie funktioniert. Es ist nicht mehr so wie in den Neunzigern, wo sich die junge kreative Szene extrem breitmachen konnte, weil der Raum dafür da war. Wenn man die Kulturlandschaft in Berlin in dieser Form erhalten will, muss man sich darum kümmern. Man kann die Veränderung nicht aufhalten, das ist auch nicht das Ziel. Aber man sollte sie so weit lenken, dass auch weiterhin eine vielfältige und gut durchmischte Szene Platz finden kann, nicht nur Hochkultur wie Opernhäuser und Theater. Auch die junge Szene muss gefördert werden.
Über die East Side Gallery wird derzeit viel gestritten.
Zumindest hat die Stadt erkannt, dass sich mit der Szene gut werben lässt.
Total. Der Grund, warum das so gut funktioniert, ist auch ganz einfach: Berlin hat nicht so viel anderes. Wenn es hier eine wirtschaftsstarke Industrie gäbe, würde sich kein Mensch um kleine Kulturbetriebe kümmern. Das arme Berlin hatte und hat aber nach wie vor sehr viel Raum zu bieten, das hat das Ansiedeln einer kreativen Szene möglich gemacht. Eine einzigartige Situation hat sich hier entwickelt, warum sollte man das nicht weiter fördern? Die ganze Welt spricht von diesem Standort, weil er jung und dynamisch ist und weil die Dinge hier anders gemacht werden. Wir kriegen ja mit, welche Gäste zu uns in den Club kommen: von jungen Easyjet-Settern bis zu Kulturdelegationen aus Paris oder Peking, die sich die lebendige Stadt anschauen wollen.
Ist Berlin wirklich so einzigartig?
Orte wie die Bar25 oder auch das Berghain wären in keiner anderen Stadt möglich gewesen. Berlin ist immer noch sehr freizügig und liberal, eine Brutstätte für Kreative. In keiner anderen Stadt in Europa kann man rund um die Uhr so freizügig feiern.
Hat der Hype um die Stadt ihre Szene verändert?
Der Hype fällt uns jetzt ein bisschen auf die Füße. Es passieren Sachen, die ganz schnell falsch verstanden werden können. Da machen dann die Grünen in Kreuzberg mit einer Diskussion mit dem Titel 'Hilfe, die Touris kommen!' auf sich aufmerksam. Dabei ist es ein Zugewinn, dass Berlin so bunt ist. Wir haben im Kater Holzig viele Gäste, die den ganzen Sommer da sind und die Stadt mitbeleben. Musiker, die bei uns spielen, die mit Freunden in der Stadt produzieren. Dass ein großer Austausch an Ideen und Vorstellungen entsteht, macht die Stadt lebendig und vielfältig.
Also nichts Neues im Nachtleben?
Die Feierszene verändert sich schon. Das liegt aber weniger an den Touristen, sondern daran, dass die Leute alle älter werden. Während der letzten zwanzig Jahre war Feiern in Berlin eine Lebenseinstellung. Das geht mittlerweile ein bisschen zurück. Das war auch erst alles kein Business, die Leute haben einfach Bock gehabt, Party zu machen. Und daraus ist dann ein Business entstanden: Die Clubs, aber auch die ganzen Zuliefererfirmen haben sich alle aus dieser Szene entwickelt. Heute sehen die Leute Feiern nicht mehr als den einzigen Lebensinhalt, sondern halt doch nur als eine Party.
Klingt nach Erwachsenwerden.
Die Leute sind älter geworden und beschäftigen sich mit anderen Sachen. Die Ansprüche sind anders. Ich sehe das ja an mir selbst. Ich bin früher nächtelang in irgendwelchen Clubs rumgehangen, aber mittlerweile treffe ich mich gerne mit zwei, drei Freunden in einer guten Cocktailbar und führe intensive Gespräche. Und um sechs Uhr morgens ist der Abend dann auch vorbei. So geht es vielen, besonders wenn man Kinder bekommen hat.
Wie viel Feier-Geist steckt denn noch in Ihrem Dorfprojekt am Holzmarkt?
Das Gefühl dahinter ist das gleiche, es drückt sich nur in einer etwas erwachseneren Form aus. In den Erlebnissen aus dem Nachtleben findet man den Grund, warum wir die Dinge so tun, wie wir sie tun. Wir haben die Erfahrung gemacht, 36 Stunden auf einer Party zu verbringen und gemeinsam Spaß zu haben. Die ganze Szene in Berlin ist dadurch freier, auch von gesellschaftlichen Normen und Zwängen. Das hat bei denen, die dieses Leben mitgemacht haben, das Wertesystem umgekrempelt: Wie man sich in der Arbeitswelt verhält, wie man gemeinsam Sachen bearbeitet, wie man miteinander umgeht. Damals lag der Fokus auf dem Feiern. Jetzt sind wir ein bisschen älter geworden und merken, dass wir uns verändert haben. Alles, was wir aus dieser Zeit mitgenommen haben, wollen wir auf das nächste Level bringen und unser gemeinsames Dorf aufbauen.
Ein Club wird trotzdem dazugehören.
Der Partybetrieb wird den Herzschlag darstellen, aber er ist ein kleinerer Teil geworden. Wir wollen unterschiedliche Sachen bearbeiten: ein Gründerzentrum, ein Studentenwohnheim, ein Research Lab, das sich um Zukunftsfragen wie Ressourcenmanagement kümmert, dazu Ateliers, ein Start-up-Unternehmen, ein Restaurant.
Was passiert, wenn Sie am Ende nicht die geplanten vier Millionen Euro zusammenkriegen, um anzufangen?
Das wäre kein Drama. Dann fangen wir mit weniger an. Es ist kein klassisches Immobilienprojekt, bei dem man eine Planung hat, die man nur umsetzen kann, wenn alles finanziert ist. Wir wollen kleinteilig anfangen und nicht alles in einem Jahr aufbauen. Alles soll im Wandel bleiben und sich ständig neu erfinden. Unsere Hoffnung ist es, dass man in zehn Jahren sagen kann: Die Sache hat hingehauen, das Spreeufer ist mit Anrainern gespickt, die einen Mehrwert zum Quartier beitragen, man kann Kaffee trinken und am Ufer sitzen, aber auch Büros haben sich angesiedelt. Dieser Kiez ist bislang nicht existent. Aber wir haben die Möglichkeit, etwas Buntes und Vielfältiges zu machen.
An der Holzmarktstraße soll bald ein neues Viertel entstehen. Eines, gegen das wohl ausnahmsweise keiner demonstrieren wird - weil es ein Gegenentwurf zu Luxuswohntürmen und gesichtsloser Bürobebauung ist. Das 'Holzmarkt'-Quartier soll hier entstehen, ein urbanes Dorf zum Wohnen, Arbeiten und Feiern, mit Gemüsebeeten und begehbaren Dächern. Eine Schweizer Stiftung hat das 18000 Quadratmeter große Gelände gekauft, eine Genossenschaft darf es nun bebauen. Christoph Klenzendorf, einer der Initiatoren des Projekts, erklärt, wie wichtig Erfahrungen aus dem Nachtleben sind und welche Zukunft er und seine Freunde sich für die Hauptstadt wünschen.
SZ: Was wollen Sie mit Ihrem Dorf in der Großstadt anders machen als andere Investoren, Herr Klenzendorf?
Christoph Klenzendorf: Auch uns geht es um Stadtentwicklung und Wirtschaftspolitik, aber auf eine andere Art. Die Pläne, die sich das Investorenprojekt Mediaspree vor 15 Jahren mal für das Gebiet ausgedacht hat, gingen davon aus, dass die Stadt bis 2010 sechs Millionen Einwohner, Wohlstand und eine gut laufende Wirtschaft haben würde. Das ist alles nicht eingetreten. Nun hat sich die Berliner Szene zusammengesetzt und überlegt, welche Zukunft die Stadt als Wirtschaftsstandort überhaupt haben könnte. Die Clubs, Bars, Hoteliers, aber auch die Start-ups machen einen Großteil dieses Standorts aus. Wir wollen am Holzmarkt kulturellen Mehrwert schaffen, und die Stadt so beleben, wie wir es für richtig halten. Kreative Menschen sollen einen Ort mit erschaffen und gestalten.
Für 25.000 Euro kann man Genosse werden. Viel Geld für junge Kreative.
Rund 50 Leute haben bereits gezeichnet. Es ist ein Weg der Verteilung: Diejenigen, die die Mittel haben, unterstützen die Szene und tragen ihren Teil dazu bei, dass sie funktioniert. Es ist nicht mehr so wie in den Neunzigern, wo sich die junge kreative Szene extrem breitmachen konnte, weil der Raum dafür da war. Wenn man die Kulturlandschaft in Berlin in dieser Form erhalten will, muss man sich darum kümmern. Man kann die Veränderung nicht aufhalten, das ist auch nicht das Ziel. Aber man sollte sie so weit lenken, dass auch weiterhin eine vielfältige und gut durchmischte Szene Platz finden kann, nicht nur Hochkultur wie Opernhäuser und Theater. Auch die junge Szene muss gefördert werden.
Über die East Side Gallery wird derzeit viel gestritten.
Zumindest hat die Stadt erkannt, dass sich mit der Szene gut werben lässt.
Total. Der Grund, warum das so gut funktioniert, ist auch ganz einfach: Berlin hat nicht so viel anderes. Wenn es hier eine wirtschaftsstarke Industrie gäbe, würde sich kein Mensch um kleine Kulturbetriebe kümmern. Das arme Berlin hatte und hat aber nach wie vor sehr viel Raum zu bieten, das hat das Ansiedeln einer kreativen Szene möglich gemacht. Eine einzigartige Situation hat sich hier entwickelt, warum sollte man das nicht weiter fördern? Die ganze Welt spricht von diesem Standort, weil er jung und dynamisch ist und weil die Dinge hier anders gemacht werden. Wir kriegen ja mit, welche Gäste zu uns in den Club kommen: von jungen Easyjet-Settern bis zu Kulturdelegationen aus Paris oder Peking, die sich die lebendige Stadt anschauen wollen.
Ist Berlin wirklich so einzigartig?
Orte wie die Bar25 oder auch das Berghain wären in keiner anderen Stadt möglich gewesen. Berlin ist immer noch sehr freizügig und liberal, eine Brutstätte für Kreative. In keiner anderen Stadt in Europa kann man rund um die Uhr so freizügig feiern.
Hat der Hype um die Stadt ihre Szene verändert?
Der Hype fällt uns jetzt ein bisschen auf die Füße. Es passieren Sachen, die ganz schnell falsch verstanden werden können. Da machen dann die Grünen in Kreuzberg mit einer Diskussion mit dem Titel 'Hilfe, die Touris kommen!' auf sich aufmerksam. Dabei ist es ein Zugewinn, dass Berlin so bunt ist. Wir haben im Kater Holzig viele Gäste, die den ganzen Sommer da sind und die Stadt mitbeleben. Musiker, die bei uns spielen, die mit Freunden in der Stadt produzieren. Dass ein großer Austausch an Ideen und Vorstellungen entsteht, macht die Stadt lebendig und vielfältig.
Also nichts Neues im Nachtleben?
Die Feierszene verändert sich schon. Das liegt aber weniger an den Touristen, sondern daran, dass die Leute alle älter werden. Während der letzten zwanzig Jahre war Feiern in Berlin eine Lebenseinstellung. Das geht mittlerweile ein bisschen zurück. Das war auch erst alles kein Business, die Leute haben einfach Bock gehabt, Party zu machen. Und daraus ist dann ein Business entstanden: Die Clubs, aber auch die ganzen Zuliefererfirmen haben sich alle aus dieser Szene entwickelt. Heute sehen die Leute Feiern nicht mehr als den einzigen Lebensinhalt, sondern halt doch nur als eine Party.
Klingt nach Erwachsenwerden.
Die Leute sind älter geworden und beschäftigen sich mit anderen Sachen. Die Ansprüche sind anders. Ich sehe das ja an mir selbst. Ich bin früher nächtelang in irgendwelchen Clubs rumgehangen, aber mittlerweile treffe ich mich gerne mit zwei, drei Freunden in einer guten Cocktailbar und führe intensive Gespräche. Und um sechs Uhr morgens ist der Abend dann auch vorbei. So geht es vielen, besonders wenn man Kinder bekommen hat.
Wie viel Feier-Geist steckt denn noch in Ihrem Dorfprojekt am Holzmarkt?
Das Gefühl dahinter ist das gleiche, es drückt sich nur in einer etwas erwachseneren Form aus. In den Erlebnissen aus dem Nachtleben findet man den Grund, warum wir die Dinge so tun, wie wir sie tun. Wir haben die Erfahrung gemacht, 36 Stunden auf einer Party zu verbringen und gemeinsam Spaß zu haben. Die ganze Szene in Berlin ist dadurch freier, auch von gesellschaftlichen Normen und Zwängen. Das hat bei denen, die dieses Leben mitgemacht haben, das Wertesystem umgekrempelt: Wie man sich in der Arbeitswelt verhält, wie man gemeinsam Sachen bearbeitet, wie man miteinander umgeht. Damals lag der Fokus auf dem Feiern. Jetzt sind wir ein bisschen älter geworden und merken, dass wir uns verändert haben. Alles, was wir aus dieser Zeit mitgenommen haben, wollen wir auf das nächste Level bringen und unser gemeinsames Dorf aufbauen.
Ein Club wird trotzdem dazugehören.
Der Partybetrieb wird den Herzschlag darstellen, aber er ist ein kleinerer Teil geworden. Wir wollen unterschiedliche Sachen bearbeiten: ein Gründerzentrum, ein Studentenwohnheim, ein Research Lab, das sich um Zukunftsfragen wie Ressourcenmanagement kümmert, dazu Ateliers, ein Start-up-Unternehmen, ein Restaurant.
Was passiert, wenn Sie am Ende nicht die geplanten vier Millionen Euro zusammenkriegen, um anzufangen?
Das wäre kein Drama. Dann fangen wir mit weniger an. Es ist kein klassisches Immobilienprojekt, bei dem man eine Planung hat, die man nur umsetzen kann, wenn alles finanziert ist. Wir wollen kleinteilig anfangen und nicht alles in einem Jahr aufbauen. Alles soll im Wandel bleiben und sich ständig neu erfinden. Unsere Hoffnung ist es, dass man in zehn Jahren sagen kann: Die Sache hat hingehauen, das Spreeufer ist mit Anrainern gespickt, die einen Mehrwert zum Quartier beitragen, man kann Kaffee trinken und am Ufer sitzen, aber auch Büros haben sich angesiedelt. Dieser Kiez ist bislang nicht existent. Aber wir haben die Möglichkeit, etwas Buntes und Vielfältiges zu machen.