Der öffentliche Sender eines kleinen nordeuropäischen Landes produziert Serien, die so gut sind wie die großen Vorbilder aus Amerika. Und die dem deutschen Fernsehen nicht gelingen. Warum ist das so? Eine Suche nach Antworten in Kopenhagen
Das Wunder von Dänemark steckt in Pappkartons. Der Flur im Sendergebäude von Kopenhagen ist verlassen, alle Büros sind leer geräumt. An den Wänden hängen noch die Fotos von Borgen, der Serie über die Premierministerin Birgitte und die Journalistin Katrine. Auf den weißen Tafeln im Autorenzimmer, auf denen das Leben von Birgitte und Katrine entworfen wurde, wird mit blauem Filzstift eine neue Serie geschrieben. Das Team der alten gibt es nicht mehr, alle sind ausgezogen. Vor drei Wochen ist die letzte Folge von Borgen, dem kleinen dänischen Wunder, bei DR 1 ausgestrahlt worden.
Borgen ist eine Fernsehserie des dänischen öffentlich-rechtlichen Senders DR, benannt nach dem Sitz des Parlaments, dem Palast Christiansborg in Kopenhagen. Borgen erzählt in 30 Episoden von der ersten Premierministerin des Landes, davon wie Politik gemacht wird, und was Politik mit Menschen macht. Und vom oft bizarren Zusammenspiel mit den Journalisten, die über sie berichten. Borgen ist hervorragendes Fernsehen auf dem Niveau der großen amerikanischen Serien, preisgekrönt (Prix Italia, British Academy Television Awards), in mehr als 60 Länder verkauft. In Deutschland zeigt nach Arte nun auch die ARD von 5. April an die erste Staffel.
Birgitte Nyborg, Hauptperson der Serie "Borgen"
Borgen ist alles, was im deutschen Fernsehen fehlt. Und es kommt aus einem Land mit einer Einwohnerzahl in der Größenordnung des Ruhrgebiets.
Da muss man schon mal nachfragen, und am besten beginnt man damit in jenem Sendergebäude im Kopenhagener Stadtteil Orestad. Auch Camilla Hammerich hat ihre Kisten gepackt, aber sie sitzt noch in ihrem Büro auf jenem Flur, auf dem sie die vergangenen Jahre mit Borgen verbracht hat. Camilla Hammerich ist eine schmale dunkelhaarige Frau, sie sieht ziemlich müde aus, und sie ist es wohl auch. Bei DR war Hammerich die Produzentin von Borgen, sie hat die Serie betreut, sechs Jahre lang. Jetzt hat sie frei und will ein Buch schreiben über ihre Serie und darüber, was die Produktionen von DR so erfolgreich macht. Sie sagt: 'Ich glaube, es gibt drei Geheimnisse der dänischen Fernsehserie.' Aber dazu später.
Denn zunächst sollte man Adam Price kennenlernen, und ihn trifft man in einer Küche, was aber mehr mit seinem zweiten Leben zu tun hat. Adam Price ist der Erfinder und Autor von Borgen und er ist Fernsehkoch in Dänemark, ein ziemlich berühmter. Price betreibt mit seinem Bruder ein Restaurant in Kopenhagen, eines von denen mit offener Küche, sodass man den Köchen beim Kochen zusehen kann.
Adam Price ist ein großer, breiter, sehr blonder Mann, der in seiner Set-Jacke mit dem Schriftzug von Borgen in sein Restaurant kommt. Corporate Design sozusagen. Price hatte für DR schon bei mehreren Serien mitgeschrieben, im Team. Sein erstes eigenes Projekt sollte kein Krimi sein, das Erfolgsgenre von DR - Kommissarin Lund etwa war damals gerade angelaufen, die Serie gewann einen International Emmy, den britischen Bafta und bekam ein US-Remake. Ein Riesending für DR. Price wollte etwas anderes: eine Serie, die seiner Generation, der immer vorgeworfen würde, unpolitisch zu sein, Politik näherbringt.
Adam Price hat sich also die Geschichte von Birgitte Nyborg ausgedacht, der ersten dänischen Premierministerin, im wahren Leben wurde nur bald darauf tatsächlich eine gewählt - Helle Thorning-Schmidt. Und er hat sich eine zweite Ebene ausgedacht, double story nennen sie das bei DR: Jede Geschichte, die wir erzählen, muss auch etwas über die moderne Gesellschaft verraten. Und: Jede Geschichte muss sich in einem möglichst klaren Satz zusammenfassen lassen. Es ist die DNA einer Serie, und die von Borgen ist für Adam Price diese hier: 'Kann man Macht erhalten und sich trotzdem treu blieben?' Birgitte, die Premierministerin, kann es zunächst nicht. Am Ende der ersten Staffel ist sie eine berechnende Machtpolitikerin geworden, und ihr Mann ist ihr auch davongelaufen. Die Garantie eines Happy End gehört nicht zur dänischen Serien-DNA.
In Deutschland handeln Fernsehserien am Abend meist von Mordfällen aller Art, gemischt mit hilfsbereiten Nonnen im ewigen Clinch mit einem Bürgermeister. Am frühen Abend gibt es auch viele Mordfälle, mit dem Unterschied, dass man über die irgendwie lachen soll. Ausnahmen wie Weissensee und Im Angesicht des Verbrechens sind eben genau das: Ausnahmen. Der Serienalltag sind Figuren, die gleich bleiben über Jahre, keine Brüche haben. Adam Price sagt, dass die Deutschen da im Grunde ein anderes Genre bedienen als die Dänen: Wo die Guten immer gut bleiben und die Bösen immer böse, das sei die Seifenoper. So richtig verwunderlich ist es wohl nicht, dass die deutsche Emmy-Quote seit einem Comedy-Preis für Berlin, Berlin 2004 sehr überschaubar geblieben ist.
Die Dänen haben währenddessen Preise gesammelt. Die Geschichte des dänischen Serienwunders beginnt vor etwa 20 Jahren, und - so klein ist Dänemark - sie beginnt in der Familie von Camilla Hammerich, der müden Produzentin. Mitte der 90er-Jahre wurde ihr Bruder Rumle Chef der Spielfilmabteilung beim Sender DR, und Spielfilm hatte dort bislang geheißen, dass man, wirklich, Theaterstücke abfilmte. Sonst gibt es im dänischen Fernsehen hauptsächlich das, was man wohl Infotainment nennen würde: Talks und sonstige Shows, auch Adam Price Kochsendung gehört dazu. Rumle Hammerich jedenfalls wollte etwas Neues probieren, er kam aus der Filmindustrie, engagierte Regisseure von dort fürs Fernsehen. Taxa, eine Serie aus einer Taxizentrale, wurde einer der ersten Straßenfeger immer sonntagabends um acht. 'Und dann', sagt Camilla Hammerich, 'kam Ingolf, der große alte Mann der dänischen Dramaserie.'
Ingolf Gabold meldet sich am Telefon ziemlich aufgekratzt, er ist bei DR im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen, aber von dem, was er bei diesem kleinen Sender geleistet hat, erzählt er ziemlich gerne. Gabolds engster Mitarbeiter flog in die USA und sah sich an, wie die Amerikaner die Krimiserie NYPD Blue machten: mit einem Showrunner, einem Drehbuchautor, der alle Fäden in der Hand hält. Einem hervorragenden Skriptschreiber, der Regisseuren und Autoren sagt, wie die ganze Serie aussehen muss. Das wollten sie in Dänemark auch. Seitdem bilden sie sich diese Autoren aus. Und das ist das erste Geheimnis.
Das zweite Geheimnis versteht man, wenn man sich die Entstehung von Borgen erzählen lässt. Adam Price wollte mit Camilla Hammerich eine Serie entwickeln. Er schlug also Ingolf Gabold Borgen vor, dann mussten die Senderchefs zustimmen. Die zögerten erst, dann gaben sie grünes Licht. Von DR war außer Hammerich und Gabold dann niemand mehr involviert. Keiner quatschte mit. Man kann sich das kaum vorstellen in Deutschland, wo Scharen von Redakteuren und sonst wie Verantwortlichen an Projekten sitzen. Und alle Angst haben, etwas falsch zu machen.
Adam Price sagt, dass DR seinen Künstlern eben vertraue. 'Sie kaufen ein Konzept, das sie überzeugt hat. Dann ist es an dir, es auch umzusetzen. Wenn es nicht gut wird, dann machst du danach eben keine Serie mehr für DR. Auf dem Weg dahin aber hast du alle Freiheiten.'
Alle Freiheiten? Man tritt hierzulande wohl niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass das im deutschen Redaktionsfernsehen auf die wenigsten Formate zutreffen dürfte.
Die schlanken Strukturen bei Borgen haben viel mit Ingolf Gabolds Verständnis vom Fernsehmachen zu tun, wahr ist aber auch, dass der ganze Sender eine schlanke Struktur ist. Zwar zahlen die Dänen, wenn sie einen Fernseher haben, mit 320Euro im Jahr einen höheren Rundfunkbeitrag als die Deutschen. Aber es zahlen natürlich weniger Dänen Gebühren, weshalb DR 470 Millionen Euro im Jahr bekommt, für diverse TV- und Radiosender. Die Deutschen bekommen 7,4 Milliarden, gut das 15-fache. Das dritte Geheimnis ist, dass Ingolf Gabold daraus eine Tugend gemacht hat.
Im deutschen Fernsehen laufen in einer guten Woche fünf, sechs neue Fernsehfilme, Tatort und 'Herzkino' am Sonntag, der ZDF-Fernsehfilm am Montag und einer in der ARD am Mittwoch, freitags Weltflucht aus dem Hause Degeto, samstags Krimis. In Dänemark gibt es zwei Serien pro Jahr, zehn Folgen im Frühjahr, zehn im Herbst. Sonst nichts. Keine Fernsehfilme, weil Ingolf Gabold glaubte, dass man mit Serien das Publikum bei der Stange hält. Und weil man für das wenige Geld, das Gabold oft mithilfe von Ko-Produzenten (auch aus Deutschland) zusammensuchte, mehr kriegt als bei zehn einzelnen Filmen.
Das soll jetzt nicht heißen, dass auch ARD und ZDF nur noch an 20 Sonntagen im Jahr neue Filme zeigen sollten. Ein paar Gedanken über Qualität und Quantität kann man sich aber schon machen, wenn man mit Ingolf Gabold spricht. Dass man in Deutschland jede Woche dreimal dieselben Schauspieler sieht, hat natürlich auch mit der schieren Masse der Produktionen zu tun - und damit, dass junge Gute oft nicht zum Zug kommen. Eine deutsche Fernsehwoche ist viel Déjà-vu.
Auch in Dänemark ist das Schauspielerpersonal überschaubar, ein paar Darsteller aus Borgen kennt man schon aus Kommissarin Lund, aber wer es als Schauspieler in eine DR-Serie schafft, der hat es nicht nur in Dänemark geschafft. Birgitte Hjort Sørensen, eine wunderschöne Blondine, die mit dem Fahrrad durch die eisige Kälte zum Gespräch ins Sendergebäude radelt, spielt Katrine Fønsmark, die junge anstrengende Journalistin. Es war ihre erste große Fernsehrolle, davor spielte sie Theater, sang im Musical Chicago die Roxie Hart.
Sie sagt: 'Für einen dänischen Schauspieler ist eine Rolle bei DR eines der ganz großen Ziele.' In Deutschland ist es für einen Schauspieler vor allem dann ein Durchbruch, wenn er es vom Fernsehen ins Kino schafft. In Dänemark macht einen das Fernsehen zum Star. Birgitte Hjort Sørensen dreht gerade einen Miss-Marple-Film für den britischen Sender ITV. Sie sagt, Borgen habe ihr viele Türen geöffnet. Für Adam Price gilt das natürlich auch: Er arbeitet an neuen Serien, eine für DR, über ein britisches Projekt verrät er nicht mehr. Die Geschichte von Borgen ist für sie vorbei. Jetzt muss die nächste kommen.
Im letzten Büro auf dem leeren Flur mit den Bildern der Premierministerin sitzt Jeppe Gjervig Gram, ein Autor aus dem Borgen-Team. Sein Tisch ist nicht geräumt. Jeppe Gjervig Gram schreibt an einer neuen Serie, seiner ersten eigenen. 2015 soll sie zu sehen sein. Follow the money handelt von der Finanzwelt. Nach der Politik hält die jetzt die Fäden in der Hand.
Das Wunder von Dänemark steckt in Pappkartons. Der Flur im Sendergebäude von Kopenhagen ist verlassen, alle Büros sind leer geräumt. An den Wänden hängen noch die Fotos von Borgen, der Serie über die Premierministerin Birgitte und die Journalistin Katrine. Auf den weißen Tafeln im Autorenzimmer, auf denen das Leben von Birgitte und Katrine entworfen wurde, wird mit blauem Filzstift eine neue Serie geschrieben. Das Team der alten gibt es nicht mehr, alle sind ausgezogen. Vor drei Wochen ist die letzte Folge von Borgen, dem kleinen dänischen Wunder, bei DR 1 ausgestrahlt worden.
Borgen ist eine Fernsehserie des dänischen öffentlich-rechtlichen Senders DR, benannt nach dem Sitz des Parlaments, dem Palast Christiansborg in Kopenhagen. Borgen erzählt in 30 Episoden von der ersten Premierministerin des Landes, davon wie Politik gemacht wird, und was Politik mit Menschen macht. Und vom oft bizarren Zusammenspiel mit den Journalisten, die über sie berichten. Borgen ist hervorragendes Fernsehen auf dem Niveau der großen amerikanischen Serien, preisgekrönt (Prix Italia, British Academy Television Awards), in mehr als 60 Länder verkauft. In Deutschland zeigt nach Arte nun auch die ARD von 5. April an die erste Staffel.
Birgitte Nyborg, Hauptperson der Serie "Borgen"
Borgen ist alles, was im deutschen Fernsehen fehlt. Und es kommt aus einem Land mit einer Einwohnerzahl in der Größenordnung des Ruhrgebiets.
Da muss man schon mal nachfragen, und am besten beginnt man damit in jenem Sendergebäude im Kopenhagener Stadtteil Orestad. Auch Camilla Hammerich hat ihre Kisten gepackt, aber sie sitzt noch in ihrem Büro auf jenem Flur, auf dem sie die vergangenen Jahre mit Borgen verbracht hat. Camilla Hammerich ist eine schmale dunkelhaarige Frau, sie sieht ziemlich müde aus, und sie ist es wohl auch. Bei DR war Hammerich die Produzentin von Borgen, sie hat die Serie betreut, sechs Jahre lang. Jetzt hat sie frei und will ein Buch schreiben über ihre Serie und darüber, was die Produktionen von DR so erfolgreich macht. Sie sagt: 'Ich glaube, es gibt drei Geheimnisse der dänischen Fernsehserie.' Aber dazu später.
Denn zunächst sollte man Adam Price kennenlernen, und ihn trifft man in einer Küche, was aber mehr mit seinem zweiten Leben zu tun hat. Adam Price ist der Erfinder und Autor von Borgen und er ist Fernsehkoch in Dänemark, ein ziemlich berühmter. Price betreibt mit seinem Bruder ein Restaurant in Kopenhagen, eines von denen mit offener Küche, sodass man den Köchen beim Kochen zusehen kann.
Adam Price ist ein großer, breiter, sehr blonder Mann, der in seiner Set-Jacke mit dem Schriftzug von Borgen in sein Restaurant kommt. Corporate Design sozusagen. Price hatte für DR schon bei mehreren Serien mitgeschrieben, im Team. Sein erstes eigenes Projekt sollte kein Krimi sein, das Erfolgsgenre von DR - Kommissarin Lund etwa war damals gerade angelaufen, die Serie gewann einen International Emmy, den britischen Bafta und bekam ein US-Remake. Ein Riesending für DR. Price wollte etwas anderes: eine Serie, die seiner Generation, der immer vorgeworfen würde, unpolitisch zu sein, Politik näherbringt.
Adam Price hat sich also die Geschichte von Birgitte Nyborg ausgedacht, der ersten dänischen Premierministerin, im wahren Leben wurde nur bald darauf tatsächlich eine gewählt - Helle Thorning-Schmidt. Und er hat sich eine zweite Ebene ausgedacht, double story nennen sie das bei DR: Jede Geschichte, die wir erzählen, muss auch etwas über die moderne Gesellschaft verraten. Und: Jede Geschichte muss sich in einem möglichst klaren Satz zusammenfassen lassen. Es ist die DNA einer Serie, und die von Borgen ist für Adam Price diese hier: 'Kann man Macht erhalten und sich trotzdem treu blieben?' Birgitte, die Premierministerin, kann es zunächst nicht. Am Ende der ersten Staffel ist sie eine berechnende Machtpolitikerin geworden, und ihr Mann ist ihr auch davongelaufen. Die Garantie eines Happy End gehört nicht zur dänischen Serien-DNA.
In Deutschland handeln Fernsehserien am Abend meist von Mordfällen aller Art, gemischt mit hilfsbereiten Nonnen im ewigen Clinch mit einem Bürgermeister. Am frühen Abend gibt es auch viele Mordfälle, mit dem Unterschied, dass man über die irgendwie lachen soll. Ausnahmen wie Weissensee und Im Angesicht des Verbrechens sind eben genau das: Ausnahmen. Der Serienalltag sind Figuren, die gleich bleiben über Jahre, keine Brüche haben. Adam Price sagt, dass die Deutschen da im Grunde ein anderes Genre bedienen als die Dänen: Wo die Guten immer gut bleiben und die Bösen immer böse, das sei die Seifenoper. So richtig verwunderlich ist es wohl nicht, dass die deutsche Emmy-Quote seit einem Comedy-Preis für Berlin, Berlin 2004 sehr überschaubar geblieben ist.
Die Dänen haben währenddessen Preise gesammelt. Die Geschichte des dänischen Serienwunders beginnt vor etwa 20 Jahren, und - so klein ist Dänemark - sie beginnt in der Familie von Camilla Hammerich, der müden Produzentin. Mitte der 90er-Jahre wurde ihr Bruder Rumle Chef der Spielfilmabteilung beim Sender DR, und Spielfilm hatte dort bislang geheißen, dass man, wirklich, Theaterstücke abfilmte. Sonst gibt es im dänischen Fernsehen hauptsächlich das, was man wohl Infotainment nennen würde: Talks und sonstige Shows, auch Adam Price Kochsendung gehört dazu. Rumle Hammerich jedenfalls wollte etwas Neues probieren, er kam aus der Filmindustrie, engagierte Regisseure von dort fürs Fernsehen. Taxa, eine Serie aus einer Taxizentrale, wurde einer der ersten Straßenfeger immer sonntagabends um acht. 'Und dann', sagt Camilla Hammerich, 'kam Ingolf, der große alte Mann der dänischen Dramaserie.'
Ingolf Gabold meldet sich am Telefon ziemlich aufgekratzt, er ist bei DR im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen, aber von dem, was er bei diesem kleinen Sender geleistet hat, erzählt er ziemlich gerne. Gabolds engster Mitarbeiter flog in die USA und sah sich an, wie die Amerikaner die Krimiserie NYPD Blue machten: mit einem Showrunner, einem Drehbuchautor, der alle Fäden in der Hand hält. Einem hervorragenden Skriptschreiber, der Regisseuren und Autoren sagt, wie die ganze Serie aussehen muss. Das wollten sie in Dänemark auch. Seitdem bilden sie sich diese Autoren aus. Und das ist das erste Geheimnis.
Das zweite Geheimnis versteht man, wenn man sich die Entstehung von Borgen erzählen lässt. Adam Price wollte mit Camilla Hammerich eine Serie entwickeln. Er schlug also Ingolf Gabold Borgen vor, dann mussten die Senderchefs zustimmen. Die zögerten erst, dann gaben sie grünes Licht. Von DR war außer Hammerich und Gabold dann niemand mehr involviert. Keiner quatschte mit. Man kann sich das kaum vorstellen in Deutschland, wo Scharen von Redakteuren und sonst wie Verantwortlichen an Projekten sitzen. Und alle Angst haben, etwas falsch zu machen.
Adam Price sagt, dass DR seinen Künstlern eben vertraue. 'Sie kaufen ein Konzept, das sie überzeugt hat. Dann ist es an dir, es auch umzusetzen. Wenn es nicht gut wird, dann machst du danach eben keine Serie mehr für DR. Auf dem Weg dahin aber hast du alle Freiheiten.'
Alle Freiheiten? Man tritt hierzulande wohl niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass das im deutschen Redaktionsfernsehen auf die wenigsten Formate zutreffen dürfte.
Die schlanken Strukturen bei Borgen haben viel mit Ingolf Gabolds Verständnis vom Fernsehmachen zu tun, wahr ist aber auch, dass der ganze Sender eine schlanke Struktur ist. Zwar zahlen die Dänen, wenn sie einen Fernseher haben, mit 320Euro im Jahr einen höheren Rundfunkbeitrag als die Deutschen. Aber es zahlen natürlich weniger Dänen Gebühren, weshalb DR 470 Millionen Euro im Jahr bekommt, für diverse TV- und Radiosender. Die Deutschen bekommen 7,4 Milliarden, gut das 15-fache. Das dritte Geheimnis ist, dass Ingolf Gabold daraus eine Tugend gemacht hat.
Im deutschen Fernsehen laufen in einer guten Woche fünf, sechs neue Fernsehfilme, Tatort und 'Herzkino' am Sonntag, der ZDF-Fernsehfilm am Montag und einer in der ARD am Mittwoch, freitags Weltflucht aus dem Hause Degeto, samstags Krimis. In Dänemark gibt es zwei Serien pro Jahr, zehn Folgen im Frühjahr, zehn im Herbst. Sonst nichts. Keine Fernsehfilme, weil Ingolf Gabold glaubte, dass man mit Serien das Publikum bei der Stange hält. Und weil man für das wenige Geld, das Gabold oft mithilfe von Ko-Produzenten (auch aus Deutschland) zusammensuchte, mehr kriegt als bei zehn einzelnen Filmen.
Das soll jetzt nicht heißen, dass auch ARD und ZDF nur noch an 20 Sonntagen im Jahr neue Filme zeigen sollten. Ein paar Gedanken über Qualität und Quantität kann man sich aber schon machen, wenn man mit Ingolf Gabold spricht. Dass man in Deutschland jede Woche dreimal dieselben Schauspieler sieht, hat natürlich auch mit der schieren Masse der Produktionen zu tun - und damit, dass junge Gute oft nicht zum Zug kommen. Eine deutsche Fernsehwoche ist viel Déjà-vu.
Auch in Dänemark ist das Schauspielerpersonal überschaubar, ein paar Darsteller aus Borgen kennt man schon aus Kommissarin Lund, aber wer es als Schauspieler in eine DR-Serie schafft, der hat es nicht nur in Dänemark geschafft. Birgitte Hjort Sørensen, eine wunderschöne Blondine, die mit dem Fahrrad durch die eisige Kälte zum Gespräch ins Sendergebäude radelt, spielt Katrine Fønsmark, die junge anstrengende Journalistin. Es war ihre erste große Fernsehrolle, davor spielte sie Theater, sang im Musical Chicago die Roxie Hart.
Sie sagt: 'Für einen dänischen Schauspieler ist eine Rolle bei DR eines der ganz großen Ziele.' In Deutschland ist es für einen Schauspieler vor allem dann ein Durchbruch, wenn er es vom Fernsehen ins Kino schafft. In Dänemark macht einen das Fernsehen zum Star. Birgitte Hjort Sørensen dreht gerade einen Miss-Marple-Film für den britischen Sender ITV. Sie sagt, Borgen habe ihr viele Türen geöffnet. Für Adam Price gilt das natürlich auch: Er arbeitet an neuen Serien, eine für DR, über ein britisches Projekt verrät er nicht mehr. Die Geschichte von Borgen ist für sie vorbei. Jetzt muss die nächste kommen.
Im letzten Büro auf dem leeren Flur mit den Bildern der Premierministerin sitzt Jeppe Gjervig Gram, ein Autor aus dem Borgen-Team. Sein Tisch ist nicht geräumt. Jeppe Gjervig Gram schreibt an einer neuen Serie, seiner ersten eigenen. 2015 soll sie zu sehen sein. Follow the money handelt von der Finanzwelt. Nach der Politik hält die jetzt die Fäden in der Hand.