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An allen Fronten

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Syrien gilt derzeit als das gefährlichste Land für Journalisten. Jetzt ist der ARD-Reporter Jörg Armbruster angeschossen worden - und es stellt sich die Frage, was Medien in diesem Konflikt noch leisten können


Jörg Armbruster hatte sich auf Syrien gefreut, so seltsam das klingt. Die Reportage über die Kämpfer gegen Präsident Baschar al-Assad sollte Teil einer großen Dokumentation über den 'Neuen Nahen Osten' werden, gründlicher, tiefer als das tägliche Berichterstattungskarussell mit Aufsagern und Nachrichtenschnipseln. So ein Projekt ist ein Privileg, das die ARD ihren prominentesten Ruheständlern einräumt. Für Armbruster war es eine Rückkehr nach kurzer Abwesenheit.



Erst im Dezember hatte er Kairo verlassen. Acht Jahre lang hatte er - mit Unterbrechungen - das ARD-Studio dort geleitet. Er trennte sich nicht leicht. Am Freitag wurde Jörg Armbruster in Aleppo schwer verletzt. Er sei in einem Schusswechsel von Unbekannten angeschossen worden, erklärte der SWR, sein Heimatsender. Die Bild-Zeitung berichtete ohne Quellenangaben, ein Scharfschütze habe von einem Militärstützpunkt das Auto des Teams in der Nähe des Bab al-Hadid, eines Tors in die Altstadt, beschossen. Armbruster wurde von mehreren Schüssen getroffen. Sein ARD-Hörfunkkollege Martin Durm blieb unverletzt, ebenso der Fahrer. Armbruster wurde in Syrien notoperiert, dann - wie so viele schwerverletzte Syrer - in die Türkei gebracht, in Gaziantep weiterbehandelt. Am Montag wurde er dann nach Deutschland ausgeflogen. Sein Zustand sei stabil genug, so der SWR auf Anfrage.

Armbruster war kein Kamikaze-Journalist, kein Abenteurer. Umso mehr stellt sich eine Frage, die so alt ist, wie dieser bewaffnete Konflikt: Wie berichten aus Syrien? Die Organisation Reporter ohne Grenzen erklärte Syrien im vergangenen Jahr zum gefährlichsten Land für Journalisten. 23 Reporter seien seit Beginn des Aufstandes gegen Präsident Assad gestorben, darunter der preisgekrönte New-York-Times-Journalist Anthony Shadid und die Amerikanerin Marie Colvin. Man muss den Superlativ nicht zu wörtlich nehmen: Andere Länder bergen ähnliche Risiken für Reporter, Pakistan oder Somalia etwa, oder Mexiko und Brasilien mit ihren Drogenkriegen. Aber wenige Konfliktgebiete erhalten dieselbe Aufmerksamkeit.

Umso sinnvoller ist eine Diskussion über die Berichterstattung aus einem Land, in dem es immer mehr Fronten, aber kaum noch Klarheit gibt. In Aleppo, wo Armbruster angeschossen wurde, hatten sich aufständische Kämpfer und Regime-Truppen eingegraben, die Offensive der Assad-Gegner war zum Stehen gekommen, die Stadt geteilt. Am Freitag aber sind schwere Kämpfe ausgebrochen und Hunderte Familien geflohen, neue Hinterhalte entstanden, die Übersichtlichkeit war vorbei. Wie so oft. Ein Dorf, das gestern noch als sichere Zuflucht galt, kann am nächsten Tag beschossen werden, eine Straße wird innerhalb von Stunden zur Todeszone. Es ist sehr leicht, am falschen Platz zur falschen Zeit zu sein in Syrien.

70000 Menschen sind gestorben, die einst idealistischen Aufständischen oft paranoid, verroht, von Dschihadisten unterwandert. In Scheich Maksud, einem Ort bei Aleppo, sollen islamistische Kämpfer einen regimetreuen Scheich enthauptet und seinen Kopf auf dem Minarett seiner Moschee aufgehängt haben.

Wer aus Syrien berichtet, trifft überall auf Lügen: über die Anzahl der ausländischen Kämpfer unter den Assad-Gegnern, über Misshandlungen von Regime-Anhängern, über das Ausmaß des konfessionellen Hasses. Die Aufständischen, oft Bauern ohne militärische Ausbildung, misstrauen Reportern und deren Satelliten-Empfängern, die das Regime auf die Spur der Kämpfer bringen können, so glauben sie. Es gehört zum Erbe des Überwachungsstaates, dass viele Syrer in jedem Journalisten einen möglichen Spion sehen.

Die syrische Regierung wiederum vergibt nur selten Visa an ausländische Journalisten, um dann nur einen sehr begrenzten Einblick in ihre Welt zu erlauben. Diejenigen, die inoffiziell über die Grenze aus der Türkei, dem Irak oder Libanon einreisen, sind Damaskus mindestens so verhasst wie die Aufständischen selbst. Fahim Sakr, ein Assad-treuer syrischer Geschäftsmann in Kuwait, hat soeben ein Kopfgeld von umgerechnet 110000 Euro für die Ergreifung von Reportern des arabischen Senders al-Dschasira und des saudischen Kanals al-Arabiya ausgesetzt. Manchmal sind westliche Reporter, darunter der Amerikaner Austin Tice, seit Monaten in den Händen des Regimes.

Aber auch regimetreue Berichterstatter sind Ziele, einige starben bei Anschlägen in Damaskus. Unabhängige Journalisten arbeiten zwischen allen Fronten.

Wie also berichten aus einem Konflikt, in dem selbst der Augenschein immer nur einen winzigen Ausschnitt gibt, aber ohne Augenschein nur die oft zweifelhaften Selbstauskünfte aus Amateurvideos oder Staatspropaganda bleiben? Finanzstarke Sender aus Amerika oder Großbritannien beauftragen inzwischen private Sicherheitsfirmen, die ihre Reporter beraten und begleiten. Aber diese Dienste kosten Tausende Dollar am Tag. Und es ist sehr die Frage, ob ein halbes Dutzend Bewaffneter bei der Begegnung mit überreizten syrischen Kämpfern mehr Sicherheit schafft oder die Eskalationsgefahr eher steigert.

Andere Medien, auch öffentlich-rechtliche Sender, gehen manchmal den umgekehrten Weg, und wenn es schlecht läuft, kann der Angriff auf Jörg Armbruster dafür auch noch ein Argument sein. Sie schützen ihre eigenen Leute und kaufen Beiträge von freien Journalisten, die auf eigenes Risiko nach Syrien reisen, oft ohne Mindestausrüstung wie Schutzweste und Helm, ohne Sprachkenntnis, ohne landeskundige Mitarbeiter, ohne Versicherung und manchmal ohne Erfahrung in Krisengebieten. Kriege sind Karrierebeschleuniger, gerade für Journalisten und Fotografen. Und das Outsourcing des Risikos ermuntert Einsteiger zu längeren Aufenthalten und waghalsigeren Einsätzen.

Die britische Sunday Times, die Zeitung der 2011 in Homs getöteten Reporterin Marie Colvin, entschied sich zu einem radikalen Schritt: Die Zeitung vergibt keine Aufträge mehr an freie Journalisten in Syrien. Es sei keine finanzielle Entscheidung, sondern eine moralische, erklärte das Blatt. 'Wir wollen kein weiteres Blutvergießen.' Andere Medien, auch die SZ, halten es ähnlich: Sie schicken eigene Redakteure, die Gefahr und Ertrag abwägen. Ein Risiko, das zeigt der Fall Armbruster, bleibt.

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