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Kunst fürs Archiv

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Beim federleichten 9:2 über den HSV brilliert der FC Bayern in der Offensive - trotz des nahenden Termins mit Juventus Turin. Die Münchner wissen allerdings nur zu genau: Gegen Italiens Tabellenführer entscheidet die Defensive


München - Neun Tore in einem Spiel, eines schöner als das andere, doch was zählen die als Massenware erstellten Kunstwerke nur kurze Zeit später? Wenig bis nichts, das ist die traurige Nachricht an alle Liebhaber des Augenblicks - nach dem sagenhaften, federleichten, aberwitzigen und in jedem Fall denkwürdigen 9:2 (5:0) des FC Bayern München gegen einen sogenannten Hamburger Sportverein.



Da ist ja nicht nur der ewig grummelnde Sportvorstand Matthias Sammer gewesen, der am Samstagabend in der Münchner Arena jedem, der es womöglich wissen mochte, ausführlich mitteilte, er sei gar 'kein Mahner' und 'gehe auch nicht zum Lachen in den Keller' - um umgehend anzumahnen und ohne ein Lächeln festzustellen, dass das mit den zwei Gegentoren gar nicht gehe. Auch Jupp Heynckes überging das Preisschießen gegen den HSV bereits am Ostermontag kühl wie ein Profi, und sein Blick verfinsterte sich sogar, als auch er auf die beiden Hamburger Tore angesprochen wurde. 'Ich hab" mich nicht ganz so freuen können, weil mich das ärgert', berichtete der Trainer, 'und das habe ich der Mannschaft auch gesagt.'

So ist das wohl im Fußball, speziell in München: Genießen ist nicht erwünscht. Juventus Turin tritt ja schon diesen Dienstag an zum ersten Duell um den Einzug ins Halbfinale der Champions League, und so wird ein Neunzwei in Windeseile archiviert. Als würde eine Enttäuschung gegen Juve die Münchner Bundesliga-Saison aus den Rekordbüchern tilgen.

Man muss das allerdings nicht mitmachen, schon gar nicht, wenn man am Samstag im Stadion saß und den Bayern zusah, wie sie mit Spielfreude den HSV überrannten, ungeachtet des nahenden Termins in der Champions League. Manch einer sah sich sogar entschädigt für viele Stunden mit breiigem Münchner Pragmatismus, mit nervtötendem Kräfte-sparen-Fußball. Nicht anzusehen war das früher häufig in der Liga, wenn der Gegner bald darauf Real oder Inter hieß. Der Mathematiker Ottmar Hitzfeld ist ein Großmeister solcher zäher Übergangsspiele gewesen.

Aber diese Mannschaft ist anders, ihr macht es auch nichts aus, wenn sie am Nachmittag von den Dortmundern ein vielleicht letztes Mal gekitzelt wird, durch deren 2:1 in Stuttgart, mit dem die vorzeitige Feier zum Gewinn der 23. Meisterschaft noch mal verschoben war. Die Mannschaft habe 'halt ihre eigene Party gefeiert', freute sich Vorstand Karl-Heinz Rummenigge nach der Torflut durch Shaqiri, Schweinsteiger, Robben (2), Ribéry und den herausragenden Pizarro (4/siehe Seite30). Dabei handelte sie im Auftrag ihres Trainers, der zwar neben den leicht angeschlagenen Alaba und Gomez (beide gegen Juventus verfügbar) in Müller, Mandzukic, van Buyten und Ribéry weitere mutmaßliche Startelf-Spieler für Dienstag schonte.

Doch als es nach einer Stunde schon 7:0 stand und der HSV in Ermangelung an Organisation und Passion nicht mal die weiße Fahne zu hissen in der Lage war - da schickte Heynckes trotzdem nicht das Geburtstagskind Anatoli Timoschtschuk, 34, in das halbstündige Schaulaufen, sondern die nun gegen Turin geforderte Edelware: Ribéry und Müller. So ein 9:2 werde 'sicher einen Schub geben', lobte Bastian Schweinsteiger den Tatendrang. Von der vorzeitigen Verbuchung des Titels sprach bei den Bayern längst niemand mehr.

Aber nun wird es eben doch so kommen, wie es kommen muss: Dienstag, 20 Uhr 45, wenn der Anpfiff gegen Juventus erklingt, spätestens dann sind all die schönen Bilder des 9:2 passé; die Treffer, der Kombinationseifer und die ziemlich abgedrehten Bewegungen des Präsidenten Uli Hoeneß, der auf dem Oberrang nach jedem Tor mit Tänzchen und Urschrei auf das Herrlichste den Fluch vom Mai 2012 zu vertreiben schien - als er das verlorene Finale gegen Chelsea wohl nur dank der tröstenden Umarmung seiner Gattin Susi überlebte.

Womit die Bayern beim Thema angelangt wären, das sie am Osterwochenende selbst im Torrausch umtrieb. Schon gegen Chelsea segelte ja ein echter Stimmungskiller in Form eines Eckballs von rechts herein, den ein gewisser Didier Drogba zum späten 1:1 verwertete (und damit das Drama aus Verlängerung und Elfmeterschießens erst ermöglichte). Neulich, beim glücklichen 2:1 in Leverkusen, kassierten die Bayern ebenfalls ein Tor nach einer Ecke, wie auch beim um ein Haar als Peinlichkeit beendeten Kick gegen Arsenal (0:2). Und nun eben auch gegen den taumelnden HSV, der ansonsten mit seinen vagen Torannäherungen und Sicherheitsabständen heiteres Gelächter hervorrief. Dante (beim 1:8 von Bruma) und Boateng (2:9 durch Westermann) ließen zwei Kopfbälle ins Netz zu. 'Da müssen wir mehr konzentriert bleiben', räumte Dante ein.

'Wir wissen selbst, dass wir in der Vergangenheit zu viele Gegentore bei Standards kassiert haben', sagte Thomas Müller vor dem Abschlusstraining, in dem 'explizit' die unsauberen Zuordnungen und Laufwege angesprochen werden sollten. Toni Kroos bestätigte ganz allgemein, dass die Partie gegen Juve und das italienische 3-5-2-System eher in der Defensive entschieden werde: 'Da wird es auffallen, wenn einer einen Schritt weniger macht.'

Gegen den HSV fiel das vor allem Sammer auf. Müller und Kroos sind am Montag auf ihn angesprochen worden, auf sein Verdienst an der bisherigen Saison, und wie beide reagierten (Müller: 'Entscheidend ist auf dem Platz'), haben sie einerseits zwar die Eindrücke eines anstrengenden Chefmahners bestätigt. Andererseits hat Sammer aber überhaupt kein Problem damit: 'Ich würde gerne eine andere Rolle spielen', sagte er, 'nur wir haben alle Rollen zu besetzen!' Seine ist es, sauer zu sein über Gegentore, 'die uns wachrütteln sollten'. Damit auch er eines fernen Tages den schönsten Augenblick genießen kann.

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