Es darf geschwoft werden: Elektronische Tanzmusik entdeckt Zärtlichkeit und liefert damit den perfekten Soundtrack zur Clubkultur der Gegenwart.
Es gibt diese Momente im Club, da ist die Musik plötzlich mit einem Ausrufezeichen versehen. Gemeinhin merkt man das daran, dass ein Ruck durch die Menge der Tanzenden geht, dem dann in die Luft erhobene Hände und entzückte Jubelrufe folgen: das Prinzip Szenen-Applaus, übertragen in den Club. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Selbstverortung der Tanzenden in einer Ausnahmesituation auszulösen. Die einfachste ist sicher, einen akzeptierten Hit zu spielen. Aber auch genau anders herum funktioniert es: auch das Neue, Unerwartete wird in der innovationsversessenen Tanzmusikszene gerne mit Jubel und Verbrüderung begrüßt. Wie dieses Neue geschaffen sein konnte, dafür gab es in den letzten Jahren einige Regeln. Was immer ging, waren die klassischen Steigerungsgeschichten: noch mehr Genres und lokale Musikszenen, die vermischt wurden, noch wobbeligere Basslines, noch vertracktere Beats. Seit über zehn Jahren auch sehr beliebt und irgendwie nicht totzukriegen, sind Retro-Innovationen: jeder noch so absurde Stil der letzten Dekaden feierte in den Clubs seine Renaissance.
Elektronische Musik entdeckt Zärtlichkeit - mit neuen, ungewöhnlichen Klängen.
Das alles muss vorausgeschickt werden, um zu erklären, wieso die neuesten Ausrufezeichen-Songs, so ungewöhnlich sind. Etwa das Stück 'It"s Only'. Das stammt ursprünglich von dem britischen 'Intellektuellen-House'-Produzenten Matthew Herbert und hat schon über zehn Jahre auf dem Buckel. Der Matthew Herbert-Song ist ein etwas aus der Zeit gefallenes jazziges House-Stück, das jedoch durch die unglaublichen Vocals der Sängerin Dani Siciliano besticht, die mit sehr warmer und zugleich gebrochener Stimme eine Ode an ihren abwesenden Geliebten singt: '...you carefully stealing pieces of me...' Dieser eigentlich längst vergessene Song wurde Ende letzen Jahres vom Hamburger Musiker DJ Koze geremixt. Und was er daraus machte, lässt die Clubs gerade erschauern, im wahrsten Sinn des Wortes. DJ Koze baut seinen komplett neu komponierten Remix um die Fragilität des Gesangs herum auf, er unterstreicht diese: gerade in Schwung gekommen, bricht das Song quasi ab, was bleibt, ist eine weniger hör- als spürbare Bassfläche, über der eine dünne, wackelige Keyboard-Melodie pfeift. Das in Verbindung mit dem Gesang Dani Sicilianos evoziert eine derart authentische (weil brüchige) Intimität, wie sie auch in 'intimitätsaffinen' Pop-Segmenten wie R"n"B nur selten zu spüren - und in der Dance Music vollkommen ungewöhnlich ist. Ungewöhnlich auch deshalb, weil auf einmal die Tänzer zu einem Song jubeln, zu dem geschwenkte Feuerzeuge vielleicht der adäquatere Ausdruck wären.
Also ein neuer Trend namens 'Kuscheltechno' oder 'Schmusehouse'? Dazu muss man wissen, dass es klar definierte, größere Trends im Augenblick im Bereich der Dancemusic (die damit einmal wieder als Brennpunkt von Pop im Allgemeinen erweist) nicht gibt. So sehr wie noch nie ist die Devise ein Anything goes: es gibt Neuauflagen von Detroit Techno und Oldschool House, ein nicht enden wollendes Disco-Revival, Dubstep- und Breakbeat-informierte Tanzmusik, jazziges Geklimper genau so wie düsteres Synthesizer-Geraune und dazu noch eine Sammelschublade namens 'Outsider-Dance' (in der alles steckt, was gar nicht mehr labelbar ist). Was jedoch bei aller Unübersichtlichkeit auffällt, ist eine Häufung von dezidiert emotionalen Stücken.
Zum Beispiel das unglaubliche 'Howling' von Ry Cuming und Frank Wiedemann: Cuming, ein in Berlin lebender Australier mit Vollbart (wie könnte es anders sein?) singt mit sehr zärtlicher Falsett-Stimme von nächtlichen, amourösen Angelegenheiten - und vom Heulen. Darum baut sich - im Remix des Berliner Duos Âme, der schnell zum Hauptsong wurde - ein derart schwebendes, warmes, melancholisches House-Stück auf, dass man aus Holz sein muss, um davon nicht ergriffen zu werden. Auch die meisten Stücke auf dem dieser Tage erschienen Album 'Amygdala' von DJ Koze, etwa das sehr ätherische 'Nices Wölkchen', sind in ihrer Harmonie und 'Tenderness' (interessanter Weise verwendete DJ Koze selbst den Begriff 'tender', um eines seiner Stücke, 'La Ducquesa', im Internet zu beschreiben) erstaunlich. Kronprinz dieses Mini-Trends ist jedoch der Ire Mano Le Tough, der natürlich auch in Berlin lebt und dort regelmäßig in der Panorama-Bar auflegt. Der veröffentlichte im letzten Monat auf dem Münchner Label Permanent Vacation sein Album 'Changing Days'. Auch er singt mit Falsett-Stimme über tiefsinnig-melancholischen Technosongs, die allesamt eine etwas unheimliche, irgendwie desperate Stimmung verströmen. Es wären noch viele andere Stücke zu nennen, etwa aus dem Umfeld des Berliner 'Innervisions' oder des Kölner 'Kompakt'-Labels, aber auch von alten Hasen wie dem Frankfurter Act Isolée oder der Berlin-Pariser Band Terranova. Bei aller Unterschiedlichkeit dieser Musik lässt sie sich doch auf einen gemeinsamen Nenner bringen: emotional, mehrdeutig, unkitschig.
All das kommt natürlich nicht aus dem Nichts. Die beschriebene Musik ist nichts als eine weitere Erscheinungsform des musikalischen Chamäleons House, genauer gesagt: Deep House. Wenn man böse wäre, könnte man den neuen Kuschelsound auch als 'Verweißbrotung' (also des Takeovers durch weiße Männer) der ursprünglich schwarzen Housemusic beschreiben. Die hatte und hat ihre ganz eigene Form von Emotionalität. Textzeilen wie 'Move your body' oder 'Baby wants to ride', die über einem monoton stampfenden Beat gestöhnt werden, sind eben alles andere als authentischer Ausdruck des 'Je ne sais Quoi' der Liebe - sie sind, und das ist so großartig daran - Emphase des Augenblicks. Die neue Art von House Music hingegen ist stark beeinfluss von dem Barden-Boom der letzten Jahre, von den neuen, bärtigen (und weißen) Singer-Songwriters wie Bon Iver, Scott Matthew oder William Fitzsimmons. Die besingen das Leben in all seiner Brüchigkeit und werden dafür gerne mit dem unschönen, weil machistischen Beinahmen 'Schmerzensmänner' belegt.
Bei der Übertragung dieses sentimentalen Konzepts in den Club findet jedoch eine entscheidende (und damit typisch popistische) Umcodierung statt. Was an den Barden ja bisweilen nervt, ist die Tatsache, dass ihr Leiden und Lieben oft etwas Narzisstisches hat. Im Kontext Club jedoch hat Narzissmus nichts verloren. Auf dem Dancefloor geht es nicht um den Rückzug ins Ich, es geht um den Kontakt. Das Bemerkenswerte am 'tender techno' ist, das er einem ganz speziellen Gefühl ein musikalisches Denkmal setzt. Ein Gefühl, das auf interessante Weise quer steht zu den Vorstellungen, die sich eine breite Öffentlichkeit über das Treiben in Clubs, vor allem im Berliner 'Berghain', macht. Alle die, die noch nicht drinnen waren, raunen ehrfürchtig-schaudernd von den 'unknown pleasures' in den Darkrooms und sind froh, dass es einen Ort gibt, an dem Exzessivität kaserniert ist.
All das gibt es, natürlich. Wesentlich verbreiteter aber als das, nämlich auf jedem guten Dancefloor zu fortgeschrittener Stunde, zur Afterhour, zu finden, ist die spezielle Intimsituation, die die Heterotopie Club und nur diese erschafft: diese Mischung aus abschwellendem Rausch und körperlicher Erschöpfung, die allgemein spürbare Gravitationskraft, die dazu führt, dass die Körper sich anziehen, das tänzerische Sich-Umkreisen. Natürlich gibt es auch das schon lange. Neu hingegen ist die Verbreitung des Afterhours-Feierns im Club: dass dieses Angebot eben nicht mehr nur von 'Technoheads' oder sonstigen Eingeweihten angenommen wird, sondern heute popkulturelles Allgemeingut ist. Allein schon deshalb braucht man sich - was dennoch so oft geschieht - über den Zustand von Pop in der Gegenwart keine Sorgen zu machen.
Es gibt diese Momente im Club, da ist die Musik plötzlich mit einem Ausrufezeichen versehen. Gemeinhin merkt man das daran, dass ein Ruck durch die Menge der Tanzenden geht, dem dann in die Luft erhobene Hände und entzückte Jubelrufe folgen: das Prinzip Szenen-Applaus, übertragen in den Club. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Selbstverortung der Tanzenden in einer Ausnahmesituation auszulösen. Die einfachste ist sicher, einen akzeptierten Hit zu spielen. Aber auch genau anders herum funktioniert es: auch das Neue, Unerwartete wird in der innovationsversessenen Tanzmusikszene gerne mit Jubel und Verbrüderung begrüßt. Wie dieses Neue geschaffen sein konnte, dafür gab es in den letzten Jahren einige Regeln. Was immer ging, waren die klassischen Steigerungsgeschichten: noch mehr Genres und lokale Musikszenen, die vermischt wurden, noch wobbeligere Basslines, noch vertracktere Beats. Seit über zehn Jahren auch sehr beliebt und irgendwie nicht totzukriegen, sind Retro-Innovationen: jeder noch so absurde Stil der letzten Dekaden feierte in den Clubs seine Renaissance.
Elektronische Musik entdeckt Zärtlichkeit - mit neuen, ungewöhnlichen Klängen.
Das alles muss vorausgeschickt werden, um zu erklären, wieso die neuesten Ausrufezeichen-Songs, so ungewöhnlich sind. Etwa das Stück 'It"s Only'. Das stammt ursprünglich von dem britischen 'Intellektuellen-House'-Produzenten Matthew Herbert und hat schon über zehn Jahre auf dem Buckel. Der Matthew Herbert-Song ist ein etwas aus der Zeit gefallenes jazziges House-Stück, das jedoch durch die unglaublichen Vocals der Sängerin Dani Siciliano besticht, die mit sehr warmer und zugleich gebrochener Stimme eine Ode an ihren abwesenden Geliebten singt: '...you carefully stealing pieces of me...' Dieser eigentlich längst vergessene Song wurde Ende letzen Jahres vom Hamburger Musiker DJ Koze geremixt. Und was er daraus machte, lässt die Clubs gerade erschauern, im wahrsten Sinn des Wortes. DJ Koze baut seinen komplett neu komponierten Remix um die Fragilität des Gesangs herum auf, er unterstreicht diese: gerade in Schwung gekommen, bricht das Song quasi ab, was bleibt, ist eine weniger hör- als spürbare Bassfläche, über der eine dünne, wackelige Keyboard-Melodie pfeift. Das in Verbindung mit dem Gesang Dani Sicilianos evoziert eine derart authentische (weil brüchige) Intimität, wie sie auch in 'intimitätsaffinen' Pop-Segmenten wie R"n"B nur selten zu spüren - und in der Dance Music vollkommen ungewöhnlich ist. Ungewöhnlich auch deshalb, weil auf einmal die Tänzer zu einem Song jubeln, zu dem geschwenkte Feuerzeuge vielleicht der adäquatere Ausdruck wären.
Also ein neuer Trend namens 'Kuscheltechno' oder 'Schmusehouse'? Dazu muss man wissen, dass es klar definierte, größere Trends im Augenblick im Bereich der Dancemusic (die damit einmal wieder als Brennpunkt von Pop im Allgemeinen erweist) nicht gibt. So sehr wie noch nie ist die Devise ein Anything goes: es gibt Neuauflagen von Detroit Techno und Oldschool House, ein nicht enden wollendes Disco-Revival, Dubstep- und Breakbeat-informierte Tanzmusik, jazziges Geklimper genau so wie düsteres Synthesizer-Geraune und dazu noch eine Sammelschublade namens 'Outsider-Dance' (in der alles steckt, was gar nicht mehr labelbar ist). Was jedoch bei aller Unübersichtlichkeit auffällt, ist eine Häufung von dezidiert emotionalen Stücken.
Zum Beispiel das unglaubliche 'Howling' von Ry Cuming und Frank Wiedemann: Cuming, ein in Berlin lebender Australier mit Vollbart (wie könnte es anders sein?) singt mit sehr zärtlicher Falsett-Stimme von nächtlichen, amourösen Angelegenheiten - und vom Heulen. Darum baut sich - im Remix des Berliner Duos Âme, der schnell zum Hauptsong wurde - ein derart schwebendes, warmes, melancholisches House-Stück auf, dass man aus Holz sein muss, um davon nicht ergriffen zu werden. Auch die meisten Stücke auf dem dieser Tage erschienen Album 'Amygdala' von DJ Koze, etwa das sehr ätherische 'Nices Wölkchen', sind in ihrer Harmonie und 'Tenderness' (interessanter Weise verwendete DJ Koze selbst den Begriff 'tender', um eines seiner Stücke, 'La Ducquesa', im Internet zu beschreiben) erstaunlich. Kronprinz dieses Mini-Trends ist jedoch der Ire Mano Le Tough, der natürlich auch in Berlin lebt und dort regelmäßig in der Panorama-Bar auflegt. Der veröffentlichte im letzten Monat auf dem Münchner Label Permanent Vacation sein Album 'Changing Days'. Auch er singt mit Falsett-Stimme über tiefsinnig-melancholischen Technosongs, die allesamt eine etwas unheimliche, irgendwie desperate Stimmung verströmen. Es wären noch viele andere Stücke zu nennen, etwa aus dem Umfeld des Berliner 'Innervisions' oder des Kölner 'Kompakt'-Labels, aber auch von alten Hasen wie dem Frankfurter Act Isolée oder der Berlin-Pariser Band Terranova. Bei aller Unterschiedlichkeit dieser Musik lässt sie sich doch auf einen gemeinsamen Nenner bringen: emotional, mehrdeutig, unkitschig.
All das kommt natürlich nicht aus dem Nichts. Die beschriebene Musik ist nichts als eine weitere Erscheinungsform des musikalischen Chamäleons House, genauer gesagt: Deep House. Wenn man böse wäre, könnte man den neuen Kuschelsound auch als 'Verweißbrotung' (also des Takeovers durch weiße Männer) der ursprünglich schwarzen Housemusic beschreiben. Die hatte und hat ihre ganz eigene Form von Emotionalität. Textzeilen wie 'Move your body' oder 'Baby wants to ride', die über einem monoton stampfenden Beat gestöhnt werden, sind eben alles andere als authentischer Ausdruck des 'Je ne sais Quoi' der Liebe - sie sind, und das ist so großartig daran - Emphase des Augenblicks. Die neue Art von House Music hingegen ist stark beeinfluss von dem Barden-Boom der letzten Jahre, von den neuen, bärtigen (und weißen) Singer-Songwriters wie Bon Iver, Scott Matthew oder William Fitzsimmons. Die besingen das Leben in all seiner Brüchigkeit und werden dafür gerne mit dem unschönen, weil machistischen Beinahmen 'Schmerzensmänner' belegt.
Bei der Übertragung dieses sentimentalen Konzepts in den Club findet jedoch eine entscheidende (und damit typisch popistische) Umcodierung statt. Was an den Barden ja bisweilen nervt, ist die Tatsache, dass ihr Leiden und Lieben oft etwas Narzisstisches hat. Im Kontext Club jedoch hat Narzissmus nichts verloren. Auf dem Dancefloor geht es nicht um den Rückzug ins Ich, es geht um den Kontakt. Das Bemerkenswerte am 'tender techno' ist, das er einem ganz speziellen Gefühl ein musikalisches Denkmal setzt. Ein Gefühl, das auf interessante Weise quer steht zu den Vorstellungen, die sich eine breite Öffentlichkeit über das Treiben in Clubs, vor allem im Berliner 'Berghain', macht. Alle die, die noch nicht drinnen waren, raunen ehrfürchtig-schaudernd von den 'unknown pleasures' in den Darkrooms und sind froh, dass es einen Ort gibt, an dem Exzessivität kaserniert ist.
All das gibt es, natürlich. Wesentlich verbreiteter aber als das, nämlich auf jedem guten Dancefloor zu fortgeschrittener Stunde, zur Afterhour, zu finden, ist die spezielle Intimsituation, die die Heterotopie Club und nur diese erschafft: diese Mischung aus abschwellendem Rausch und körperlicher Erschöpfung, die allgemein spürbare Gravitationskraft, die dazu führt, dass die Körper sich anziehen, das tänzerische Sich-Umkreisen. Natürlich gibt es auch das schon lange. Neu hingegen ist die Verbreitung des Afterhours-Feierns im Club: dass dieses Angebot eben nicht mehr nur von 'Technoheads' oder sonstigen Eingeweihten angenommen wird, sondern heute popkulturelles Allgemeingut ist. Allein schon deshalb braucht man sich - was dennoch so oft geschieht - über den Zustand von Pop in der Gegenwart keine Sorgen zu machen.