Der Unfall von Mayflower hat die Diskussion um die Energieversorgung in Amerika neu entfacht. Es geht nicht nur um die Sicherheit der Transportwege. Präsident Obama muss über den Bau einer neuen Pipeline entscheiden
Der schimmernde Schlamm quillt aus einem Waldstück in die Vorgärten, von dort aus weiter auf die Straßen. Plätschern und Blubbern ist auf den Amateurvideos zu hören, die die Anwohner gedreht haben - vor einer Woche, als das Öl nach Mayflower, Arkansas, kam. Hinter den Häusern war eine Pipeline des Energiekonzerns Exxon Mobil gebrochen, Pegasus heißt sie, benannt nach dem geflügelten Pferd aus den griechischen Sagen mit seinen weißen Schwingen. Ein Symbol der Reinheit, bewusst gewählt von den PR-Strategen.
Nun aber ist es zu spät, um die Wahrheit zu beschönen. Der geflügelte Schimmel bringt pechschwarzen Schlick und bedroht einen nahegelegenen See. Das Schlimmste aber können die Kameralinsen gar nicht einfangen. 'Abscheulich' nennen die Anwohner den Gestank. Kaum hatten sie die Gase eingeatmet, klagten sie über Kopfschmerzen und Übelkeit. 22 Familien mussten ihre Häuser verlassen und können noch immer nicht zurück, obwohl inzwischen kein neues Öl mehr aus der Pipeline tritt.
Ein Säuberungsteam bei der Arbeit
Dennoch: Die schwarze Flut von Mayflower wird nur als Fußnote in die Geschichte der Ölkatastrophen eingehen. Schlimmstenfalls sollen 10 000 Fässer Rohöl, etwa 1,6 Millionen Liter, ausgelaufen sein. Ein Rinnsal verglichen etwa mit dem Schwall, der im Sommer 2010 aus einem Bohrloch im Golf von Mexiko sprudelte und monatelang nicht gestoppt werden konnte. Und doch ist die Bedeutung der Geschehnisse von Mayflower immens, kommen sie doch zu einer Zeit, in der Präsident Barack Obama die wohl wichtigste energiepolitische Entscheidung seiner zweiten Amtszeit fällen muss.
Der Energiekonzern Transcanada plant eine Pipeline der Superlative, Keystone XL wird sie genannt. Sie soll Pegasus entlasten und Öl aus den Teersandgebieten in der kanadischen Einöde direkt zu den Raffinieren am Golf von Mexiko leiten. Die künftige Hauptschlagader der amerikanischen Energiewirtschaft ist ein Großprojekt, 2735 Kilometer lang und sieben Milliarden Dollar schwer. Es verspricht zigtausende Jobs und hohe Gewinne. Doch Umweltschützer stemmen sich gegen den Bau mit aller Macht, und das Unglück von Mayflower verleiht ihren Warnungen neues Gewicht.
Obama steht vor einem Dilemma. Er allein muss letztlich die Entscheidung fällen. Schon 2011 bedrängte ihn die Öllobby, doch der Präsident spielte auf Zeit, wollte den Streit um die Pipeline aus dem Wahlkampf heraushalten. Jetzt ist der Aufschub abgelaufen, eine Entscheidung muss her. Wird Keystone XL gebaut oder nicht? Es gibt keinen Mittelweg für Sowohl-Als-Auch-Politiker Obama. Entweder er empört die Öllobby, die seine politischen Gegner mit Milliardensummen aufpäppeln kann, oder er verprellt die Umweltschützer, die bisher zu seinen treuesten Unterstützern zählen. Am Mittwoch zogen mehr als 1000 Demonstranten in San Francisco auf die Straße, um den Präsidenten, der für ein Spendendinner in der Stadt war, an sein ökologisches Gewissen zu erinnern. Es war ein Vorgeschmack auf die Proteste, die drohen, wenn Obama die neue Pipeline genehmigt.
Gegen das Projekt sprechen zunächst sicherheitstechnische Bedenken. Das Vorhaben ist äußerst anspruchsvoll, quer durch den nordamerikanischen Kontinent soll die Leitung laufen und dabei ökologisch sensible Gebiete passieren, vor allem im Bundesstaat Nebraska. Zudem ist das Öl, das aus Teersanden gewonnen wird, ungewöhnlich zäh (Infokasten). Es muss erhitzt und bei besonders hohen Druck gepumpt werden, damit es in Bewegung kommt. Nur sind Pipelines, die unter hohem Druck erhitztes Öl transportieren, nach Einschätzungen von Umweltschützern wie dem Natural Resources Defense Council deutlich havarieanfälliger als Leitungen, durch die normal temperiertes Öl strömt. Zudem lässt sich dickflüssiges Öl im Falle eines Unglücks sehr viel schwerer absaugen als konventionelles Öl. Vor allem, wenn es in Gewässer gelangt.
Was dem See bei Mayflower droht, ist im Kalamazoo River in Michigan schon geschehen. Auch dort ist kanadisches Rohöl ausgelaufen. Doch statt sich an der Wasseroberfläche zu sammeln, sackten Teile der schwarzen Masse ab und wälzen sich seither auf dem Flussbett stromabwärts. Schwimmbarrieren, mit denen ausgetretenes Öl normalerweise aufgestaut wird, erwiesen sich als weitgehend nutzlos. Die für die Ölpest verantwortliche Energiefirma Enbridge bezifferte die Kosten der Aufräumarbeiten ursprünglich auf gerade einmal fünf Millionen Dollar. Inzwischen rechnet sie mit einer Belastung von 700 Millionen Dollar. Von einer technisch völlig neuen Herausforderung spricht die Umweltbehörde EPA.
Doch den Pipeline-Gegnern geht es um mehr als nur Sicherheitsbedenken. Es geht ihnen auch um Grundsätzliches, um die Frage nämlich, ob in Zeiten des Klimawandels überhaupt eine Ressource vermarktet werden soll, die eine so katastrophale CO2-Bilanz vorzuweisen hat wie Teersande. Bisher hat Kanada mit einem Flaschenhalsproblem zu kämpfen. Öl kann im Überfluss gefördert werden, doch es mangelt an Transportmöglichkeiten. Wenn das bestehende Pipeline-Netz erweitert würde, stünde der Ausbeutung der kanadischen Bodenschätze nichts mehr im Weg, so die Befürchtung der Umweltschützer. Sollte es so weit kommen, wäre ein kritischer Punkt erreicht, warnt der NASA-Klimaforscher James Hansen. 'Game over' für den Kampf gegen den Klimawandel, hieße es dann.
Transcanada und die Öllobby halten solche Szenerien wahlweise für weltfremd oder maßlos übertrieben. Erstens werde sich Kanada nicht davon abbringen lassen, seine Bodenschätze zu fördern. Zweitens zeige eine Studie des US-Kongresses, dass die Keystone-Pipeline, den jährlichen Treibhausgas-Ausstoß der USA um maximal 0,3 Prozent erhöhen würde. Der daraus resultierende globale Temperaturanstieg beträgt 0,00001 Grad Celsius. Mit anderen Worten: Er ist kaum messbar und kein Grund zur Sorge. Auch bei den Sicherheitsbedenken versuchen die Unternehmen zu beschwichtigen. Die ursprünglichen Pläne seien überarbeitet worden, inzwischen sei eine neue Strecke gefunden, die einen Bogen um Naturschutzgebiete schlägt. Zudem seien Pipelines das sicherste Transportmittel für Rohöl. Unfälle mit Tanklastern und Güterzügen seien um ein Vielfaches häufiger.
Nebraskas Gouverneur, in dessen Bundesstaat der Widerstand gegen die Pipeline besonders groß ist, hat dem Projekt inzwischen zugestimmt. Auch 53 Senatoren, darunter neun Parteifreunde Obamas, dringen auf eine rasche Genehmigung. Zudem sprechen sich Gewerkschaften, ebenfalls wichtige Alliierte des Präsidenten, für die Pipeline aus. Und Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Amerikaner den Bau unterstützen. Beobachter in Washington erwarten daher, dass Obama im Sommer sein Okay gibt. Die Folgen des Mayflower-Unglücks dürften kaum so gravierend sein, als dass sie im letzten Moment ein Umdenken erzwingen könnten. Doch sie genügen, um die Protestbereitschaft der Pipeline-Gegner zu verstärken. Obama steht ein heißer Sommer bevor.
Der schimmernde Schlamm quillt aus einem Waldstück in die Vorgärten, von dort aus weiter auf die Straßen. Plätschern und Blubbern ist auf den Amateurvideos zu hören, die die Anwohner gedreht haben - vor einer Woche, als das Öl nach Mayflower, Arkansas, kam. Hinter den Häusern war eine Pipeline des Energiekonzerns Exxon Mobil gebrochen, Pegasus heißt sie, benannt nach dem geflügelten Pferd aus den griechischen Sagen mit seinen weißen Schwingen. Ein Symbol der Reinheit, bewusst gewählt von den PR-Strategen.
Nun aber ist es zu spät, um die Wahrheit zu beschönen. Der geflügelte Schimmel bringt pechschwarzen Schlick und bedroht einen nahegelegenen See. Das Schlimmste aber können die Kameralinsen gar nicht einfangen. 'Abscheulich' nennen die Anwohner den Gestank. Kaum hatten sie die Gase eingeatmet, klagten sie über Kopfschmerzen und Übelkeit. 22 Familien mussten ihre Häuser verlassen und können noch immer nicht zurück, obwohl inzwischen kein neues Öl mehr aus der Pipeline tritt.
Ein Säuberungsteam bei der Arbeit
Dennoch: Die schwarze Flut von Mayflower wird nur als Fußnote in die Geschichte der Ölkatastrophen eingehen. Schlimmstenfalls sollen 10 000 Fässer Rohöl, etwa 1,6 Millionen Liter, ausgelaufen sein. Ein Rinnsal verglichen etwa mit dem Schwall, der im Sommer 2010 aus einem Bohrloch im Golf von Mexiko sprudelte und monatelang nicht gestoppt werden konnte. Und doch ist die Bedeutung der Geschehnisse von Mayflower immens, kommen sie doch zu einer Zeit, in der Präsident Barack Obama die wohl wichtigste energiepolitische Entscheidung seiner zweiten Amtszeit fällen muss.
Der Energiekonzern Transcanada plant eine Pipeline der Superlative, Keystone XL wird sie genannt. Sie soll Pegasus entlasten und Öl aus den Teersandgebieten in der kanadischen Einöde direkt zu den Raffinieren am Golf von Mexiko leiten. Die künftige Hauptschlagader der amerikanischen Energiewirtschaft ist ein Großprojekt, 2735 Kilometer lang und sieben Milliarden Dollar schwer. Es verspricht zigtausende Jobs und hohe Gewinne. Doch Umweltschützer stemmen sich gegen den Bau mit aller Macht, und das Unglück von Mayflower verleiht ihren Warnungen neues Gewicht.
Obama steht vor einem Dilemma. Er allein muss letztlich die Entscheidung fällen. Schon 2011 bedrängte ihn die Öllobby, doch der Präsident spielte auf Zeit, wollte den Streit um die Pipeline aus dem Wahlkampf heraushalten. Jetzt ist der Aufschub abgelaufen, eine Entscheidung muss her. Wird Keystone XL gebaut oder nicht? Es gibt keinen Mittelweg für Sowohl-Als-Auch-Politiker Obama. Entweder er empört die Öllobby, die seine politischen Gegner mit Milliardensummen aufpäppeln kann, oder er verprellt die Umweltschützer, die bisher zu seinen treuesten Unterstützern zählen. Am Mittwoch zogen mehr als 1000 Demonstranten in San Francisco auf die Straße, um den Präsidenten, der für ein Spendendinner in der Stadt war, an sein ökologisches Gewissen zu erinnern. Es war ein Vorgeschmack auf die Proteste, die drohen, wenn Obama die neue Pipeline genehmigt.
Gegen das Projekt sprechen zunächst sicherheitstechnische Bedenken. Das Vorhaben ist äußerst anspruchsvoll, quer durch den nordamerikanischen Kontinent soll die Leitung laufen und dabei ökologisch sensible Gebiete passieren, vor allem im Bundesstaat Nebraska. Zudem ist das Öl, das aus Teersanden gewonnen wird, ungewöhnlich zäh (Infokasten). Es muss erhitzt und bei besonders hohen Druck gepumpt werden, damit es in Bewegung kommt. Nur sind Pipelines, die unter hohem Druck erhitztes Öl transportieren, nach Einschätzungen von Umweltschützern wie dem Natural Resources Defense Council deutlich havarieanfälliger als Leitungen, durch die normal temperiertes Öl strömt. Zudem lässt sich dickflüssiges Öl im Falle eines Unglücks sehr viel schwerer absaugen als konventionelles Öl. Vor allem, wenn es in Gewässer gelangt.
Was dem See bei Mayflower droht, ist im Kalamazoo River in Michigan schon geschehen. Auch dort ist kanadisches Rohöl ausgelaufen. Doch statt sich an der Wasseroberfläche zu sammeln, sackten Teile der schwarzen Masse ab und wälzen sich seither auf dem Flussbett stromabwärts. Schwimmbarrieren, mit denen ausgetretenes Öl normalerweise aufgestaut wird, erwiesen sich als weitgehend nutzlos. Die für die Ölpest verantwortliche Energiefirma Enbridge bezifferte die Kosten der Aufräumarbeiten ursprünglich auf gerade einmal fünf Millionen Dollar. Inzwischen rechnet sie mit einer Belastung von 700 Millionen Dollar. Von einer technisch völlig neuen Herausforderung spricht die Umweltbehörde EPA.
Doch den Pipeline-Gegnern geht es um mehr als nur Sicherheitsbedenken. Es geht ihnen auch um Grundsätzliches, um die Frage nämlich, ob in Zeiten des Klimawandels überhaupt eine Ressource vermarktet werden soll, die eine so katastrophale CO2-Bilanz vorzuweisen hat wie Teersande. Bisher hat Kanada mit einem Flaschenhalsproblem zu kämpfen. Öl kann im Überfluss gefördert werden, doch es mangelt an Transportmöglichkeiten. Wenn das bestehende Pipeline-Netz erweitert würde, stünde der Ausbeutung der kanadischen Bodenschätze nichts mehr im Weg, so die Befürchtung der Umweltschützer. Sollte es so weit kommen, wäre ein kritischer Punkt erreicht, warnt der NASA-Klimaforscher James Hansen. 'Game over' für den Kampf gegen den Klimawandel, hieße es dann.
Transcanada und die Öllobby halten solche Szenerien wahlweise für weltfremd oder maßlos übertrieben. Erstens werde sich Kanada nicht davon abbringen lassen, seine Bodenschätze zu fördern. Zweitens zeige eine Studie des US-Kongresses, dass die Keystone-Pipeline, den jährlichen Treibhausgas-Ausstoß der USA um maximal 0,3 Prozent erhöhen würde. Der daraus resultierende globale Temperaturanstieg beträgt 0,00001 Grad Celsius. Mit anderen Worten: Er ist kaum messbar und kein Grund zur Sorge. Auch bei den Sicherheitsbedenken versuchen die Unternehmen zu beschwichtigen. Die ursprünglichen Pläne seien überarbeitet worden, inzwischen sei eine neue Strecke gefunden, die einen Bogen um Naturschutzgebiete schlägt. Zudem seien Pipelines das sicherste Transportmittel für Rohöl. Unfälle mit Tanklastern und Güterzügen seien um ein Vielfaches häufiger.
Nebraskas Gouverneur, in dessen Bundesstaat der Widerstand gegen die Pipeline besonders groß ist, hat dem Projekt inzwischen zugestimmt. Auch 53 Senatoren, darunter neun Parteifreunde Obamas, dringen auf eine rasche Genehmigung. Zudem sprechen sich Gewerkschaften, ebenfalls wichtige Alliierte des Präsidenten, für die Pipeline aus. Und Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Amerikaner den Bau unterstützen. Beobachter in Washington erwarten daher, dass Obama im Sommer sein Okay gibt. Die Folgen des Mayflower-Unglücks dürften kaum so gravierend sein, als dass sie im letzten Moment ein Umdenken erzwingen könnten. Doch sie genügen, um die Protestbereitschaft der Pipeline-Gegner zu verstärken. Obama steht ein heißer Sommer bevor.