Seit Räder passend zur Lebenseinstellung ausgewählt werden, entdecken Designer die Fahrradmode. Von der Insel kommen jetzt gedeckte Farben und ein wiederentdeckter Stoff
Die "Belgische Mischung" versetzt einen in Staunen. Es ist schwer vorzustellen, dass die Radsportler einst nicht einfach aus ihren Sätteln gekippt und auf der Straße verendet sind. Denn diese "Pot Belge", die sie sich früher reingezogen haben, ist eine Teufelsmischung aus Amphetaminen, Heroin, Kokain, Betäubungsmitteln, Corticosteroiden und was der Medizinschrank und der Drogenmarkt sonst noch so hergaben. Mit dieser Art des Brachialdopings kurbelten Zweiradjunkies in den Zeiten vor Epo und Co über asphaltierte Leidenswege.
Die Zeiten sind vorangeschritten, die Dopingmethoden haben sich verfeinert - nur die Schmerzen sind geblieben. Zum Beispiel, wenn man den Katalog eines großen deutschen Fahrrad-Versenders durchblättert: Der Anblick gängiger Fahrradbekleidung löst Pein aus. Die aktuellen Kollektionen für Mountainbikefahrer sehen aus, als hätte man Schränke mit Skimode aus den achtziger Jahren gefleddert: Die Shirts sind weit geschnitten, die Muster knallen und die Farben sind neongrell. Es ist schwer bis unmöglich, diese Funktionswäsche mit Würde zu tragen.
Was super aussieht: Wie dieser Mensch über Stock und Stein heizt. Was nicht so super aussieht: Was er dabei anhat. Aber die Fahrradmode ändert sich gerade
Dabei geht es längst schon anders. Denn das Rad ist nicht mehr das Vehikel der armen Leute, die sich kein Automobil leisten können - und dementsprechend ist die Radmode mittlerweile auch von den verschiedensten Designern entdeckt worden. Das Rad-Outfit kostet dann gerne mal mehr als das Veloziped selbst. Das Rad ist Sinnbild der Lebenseinstellung des jeweiligen Fahrers geworden, denn wer möchte behaupten, es sei egal, ob man nun ein minimalistisches Singlespeed-Rad, ein voll ausgestattetes Mountainbike oder ein Elektrofahrrad fährt? So, wie die Räder in den vergangenen Jahren diversifiziert wurden, hat sich auch die Mode erweitert. Radkleidung war noch vor ein paar Jahren reine Sportkleidung - die immer gleiche Wurstpellenoptik mit Popo-Dämpfung. Die allerdings passt nicht zu einem lässigen Singlespeed-Rad, und ins Büro mag damit auch nicht jeder fahren.
Große Bekleidungsfirmen wie der Jeanshersteller Levi"s haben deshalb das Zweirad als Verkaufsvehikel entdeckt. Designer wie der Brite Paul Smith entwerfen Kleider, die zum stilechten Brooks-Ledersattel passen. Unternehmen wie der Berliner Laden Prêt-à-Vélo verkaufen Textilien im Retro-Chic und Modeschauen mit Zweirad werden in Berlin, München und anderswo auch längst organisiert. Das Pendel der Fahrradmode schwingt - weg von der Wurstpelle hin zum Zwirn. Wagen wir einen genaueren Blick.
Zum Beispiel auf das Boultbee Blackwell Cycling Jacket. Es wird aus wasserabweisendem Material gefertigt und soll den strampelnden Büromenschen auf dem Weg zur Arbeit in den Übergangszeiten vor Nässe schützen. Es sieht ein bisschen wie eine abgespeckte Version der klassischen Barbour-Jacke aus: dunkles, leicht angeschlammtes Grün, am Hals eine Art Gürtelschnalle und eine Tasche links neben dem Reißverschluss. Dass es sich um eine Jacke für Radler handelt, gibt lediglich der Schnitt preis: Am Rücken ragt halbrund ein Textillappen nach unten, der den Hintern vor Spritzwasser schützt. Denn in sportlicher Fahrhaltung rutscht die Rückenbedeckung ohne die runden Extralappen über den Hosenbund - und dann kann Regenwasser hineinlaufen. Bestimmt passt die Jacke ganz großartig zum ab Werk vorgealterten Brooks-Ledersattel aus Großbritannien - doch hier kommt der Haken: Das edle Stück kostet 549 Euro.
Für nur 150 Euro mehr erwirbt der solvente Moderadler dazu einen Blazer vom gleichen Hersteller. Das Boultbee-Elder- Street-Cycling-Jacket besteht aus wasserabweisendem Fox Brothers Tweed. Die Ärmel seien für den Radsport vorgeformt, heißt es, am Rücken befinde sich eine schräg angesetzte Sturmtasche, ganz wie bei einem herkömmlichen Trikot. Reflektierende Riemen sind ebenfalls aufgenäht und die Ellbogenpatches kann man an Münchner Ampeln sicher gut einsetzen.
Mit seinem Tweed-Rad-Jacket qualifiziert man sich für Fahrradmodeblogs - natürlich aber nur, wenn die anderen Zutaten des Zweiradgesamtkunstwerks die modische British- oder besser Scottishness bis ins Detail vervollkommnen. Schuhe, Sattel, Tasche, Hut - ach ja, und natürlich das Fahrrad. Mit einem Fox-Brothers-Tweed-Elder-Street-Cycling-Jacket lässt man sich nicht auf einem Kettler Alurad mit 21Gängen und schiefen Satteltaschen blicken. Da muss es schon etwas wie das Pashley Guv"nor sein - Doppelrahmen, handgefertigt in England, irre schick, aber man fragt sich doch, ob man damit auch fahren oder es nur dreckig machen kann. Denn dieses Rad wird in den gängigen Blogs verblüffend selten beim Gefahrenwerden abgebildet, sondern vor allem, wie es dekorativ an der Wand hängt oder vor Bücherregalen in minimalistisch eingerichteten Behausungen steht. Vielleicht ist das Fahrradmodependel da ein wenig in die Extremzone geschwungen.
Es geht aber auch zurückhaltender. Die Produkte des sperrig zu schreibenden japanischen Labels PEdALED sind etwas weniger geckenhaft, etwas dezenter und auch ein bisschen preiswerter als die Business-Radler-Kostüme aus Tweed. Die Jeans haben eine höher angelegte Naht über dem Gesäß, um die sensible Nierengegend zu schützen. Eine andere Hosenlinie verfügt über Seitentaschen, die sich wechseln lassen. Auch britischen Radl-Chic bietet das Label: Ein graues Allan Hacking Jackett aus russischem Leinen. Dezent, sehr schön - und doch bleibt die Frage, ob sich Sattel und Abendgarderobe vertragen. Kurze Hosen aus Leinen, so genannte Travelshorts, verkaufen die Japaner auch. Was daran spezifisch fürs Fahrrad entwickelt wurde, ist wiederum ein kleines Rätsel, denn sie weisen keine radspezifischen Verstärkungen oder Verlängerungen auf.
Anders die Hosen und Shorts aus dem Hause Levi"s, zumindest jenen aus seiner Pendlerserie. Die heißt natürlich nicht so, sondern wesentlich dynamischer: Commuter Series klingt eher nach Mad Men als nach Waldperlacher Alltagspendlern. Bei diesen recht schicken Modellen ist der Stoff im Schritt verstärkt. Am Gürtelbund gibt es Schlaufen, an denen sich während der Fahrt das Schloss befestigen lässt. Unter allen neuen Mode-Vorschlägen wohl die tragbarsten Alltags-Alternativen.
Modeaffine Radler und urbane Hipster mögen mit der Tweed-Radlmode auf dem Trottoir vor ihrer Tagesbar oder auf Laufstegen umherpedalieren - aber was ist nun mit dem Sportradler? Womöglich ist das Trikot "DeMarchi Merino Jerseys - Filotex 1975 Replica" eine Lösung. Das Retro-Teil in Blau sieht irre schick aus, hat einen Rundkragen, drei Taschen mit Perlmuttknöpfen (!!!) und ist aus Merinowolle gewebt. Dieses Trikot kann vielleicht optisch mit dem bunt geringelten Molteni-Hemd mithalten, das der Radsportheld Eddy Merckx in der düsteren Pot-Belge-Ära trug. Aber auf einem Rennrad, fies verschwitzt, mit Tunnelblick und einer frisch verschluckten Fliege im Rachen trägt wohl niemand so ein Hemd. Der Träger eines Filotex-Trikots im Stile der Siebziger lässt es wohl eher an der Bar im Club ruhig angehen - quälen können sich andere.
Textilien für den Zweiradfahrer bleiben also ein heikles Thema. Im Stadteinsatz wechselt der optisch orientierte Radler seine normalen Kleider gegen Tweed-Velo-Chic, ohne dass dies unbedingt nötig wäre. Im sportlichen Bereich wird weiter die Wurstpelle dominieren, praktisch zwar, aber optisch ohne Hipsterpotenzial. Gut aussehen oder gut radeln - diese Entscheidung bleibt bestehen. Gut ist allerdings, dass die belgische Mischung Geschichte ist. Da ist die britische Mischung doch wesentlich menschenfreundlicher.
Die "Belgische Mischung" versetzt einen in Staunen. Es ist schwer vorzustellen, dass die Radsportler einst nicht einfach aus ihren Sätteln gekippt und auf der Straße verendet sind. Denn diese "Pot Belge", die sie sich früher reingezogen haben, ist eine Teufelsmischung aus Amphetaminen, Heroin, Kokain, Betäubungsmitteln, Corticosteroiden und was der Medizinschrank und der Drogenmarkt sonst noch so hergaben. Mit dieser Art des Brachialdopings kurbelten Zweiradjunkies in den Zeiten vor Epo und Co über asphaltierte Leidenswege.
Die Zeiten sind vorangeschritten, die Dopingmethoden haben sich verfeinert - nur die Schmerzen sind geblieben. Zum Beispiel, wenn man den Katalog eines großen deutschen Fahrrad-Versenders durchblättert: Der Anblick gängiger Fahrradbekleidung löst Pein aus. Die aktuellen Kollektionen für Mountainbikefahrer sehen aus, als hätte man Schränke mit Skimode aus den achtziger Jahren gefleddert: Die Shirts sind weit geschnitten, die Muster knallen und die Farben sind neongrell. Es ist schwer bis unmöglich, diese Funktionswäsche mit Würde zu tragen.
Was super aussieht: Wie dieser Mensch über Stock und Stein heizt. Was nicht so super aussieht: Was er dabei anhat. Aber die Fahrradmode ändert sich gerade
Dabei geht es längst schon anders. Denn das Rad ist nicht mehr das Vehikel der armen Leute, die sich kein Automobil leisten können - und dementsprechend ist die Radmode mittlerweile auch von den verschiedensten Designern entdeckt worden. Das Rad-Outfit kostet dann gerne mal mehr als das Veloziped selbst. Das Rad ist Sinnbild der Lebenseinstellung des jeweiligen Fahrers geworden, denn wer möchte behaupten, es sei egal, ob man nun ein minimalistisches Singlespeed-Rad, ein voll ausgestattetes Mountainbike oder ein Elektrofahrrad fährt? So, wie die Räder in den vergangenen Jahren diversifiziert wurden, hat sich auch die Mode erweitert. Radkleidung war noch vor ein paar Jahren reine Sportkleidung - die immer gleiche Wurstpellenoptik mit Popo-Dämpfung. Die allerdings passt nicht zu einem lässigen Singlespeed-Rad, und ins Büro mag damit auch nicht jeder fahren.
Große Bekleidungsfirmen wie der Jeanshersteller Levi"s haben deshalb das Zweirad als Verkaufsvehikel entdeckt. Designer wie der Brite Paul Smith entwerfen Kleider, die zum stilechten Brooks-Ledersattel passen. Unternehmen wie der Berliner Laden Prêt-à-Vélo verkaufen Textilien im Retro-Chic und Modeschauen mit Zweirad werden in Berlin, München und anderswo auch längst organisiert. Das Pendel der Fahrradmode schwingt - weg von der Wurstpelle hin zum Zwirn. Wagen wir einen genaueren Blick.
Zum Beispiel auf das Boultbee Blackwell Cycling Jacket. Es wird aus wasserabweisendem Material gefertigt und soll den strampelnden Büromenschen auf dem Weg zur Arbeit in den Übergangszeiten vor Nässe schützen. Es sieht ein bisschen wie eine abgespeckte Version der klassischen Barbour-Jacke aus: dunkles, leicht angeschlammtes Grün, am Hals eine Art Gürtelschnalle und eine Tasche links neben dem Reißverschluss. Dass es sich um eine Jacke für Radler handelt, gibt lediglich der Schnitt preis: Am Rücken ragt halbrund ein Textillappen nach unten, der den Hintern vor Spritzwasser schützt. Denn in sportlicher Fahrhaltung rutscht die Rückenbedeckung ohne die runden Extralappen über den Hosenbund - und dann kann Regenwasser hineinlaufen. Bestimmt passt die Jacke ganz großartig zum ab Werk vorgealterten Brooks-Ledersattel aus Großbritannien - doch hier kommt der Haken: Das edle Stück kostet 549 Euro.
Für nur 150 Euro mehr erwirbt der solvente Moderadler dazu einen Blazer vom gleichen Hersteller. Das Boultbee-Elder- Street-Cycling-Jacket besteht aus wasserabweisendem Fox Brothers Tweed. Die Ärmel seien für den Radsport vorgeformt, heißt es, am Rücken befinde sich eine schräg angesetzte Sturmtasche, ganz wie bei einem herkömmlichen Trikot. Reflektierende Riemen sind ebenfalls aufgenäht und die Ellbogenpatches kann man an Münchner Ampeln sicher gut einsetzen.
Mit seinem Tweed-Rad-Jacket qualifiziert man sich für Fahrradmodeblogs - natürlich aber nur, wenn die anderen Zutaten des Zweiradgesamtkunstwerks die modische British- oder besser Scottishness bis ins Detail vervollkommnen. Schuhe, Sattel, Tasche, Hut - ach ja, und natürlich das Fahrrad. Mit einem Fox-Brothers-Tweed-Elder-Street-Cycling-Jacket lässt man sich nicht auf einem Kettler Alurad mit 21Gängen und schiefen Satteltaschen blicken. Da muss es schon etwas wie das Pashley Guv"nor sein - Doppelrahmen, handgefertigt in England, irre schick, aber man fragt sich doch, ob man damit auch fahren oder es nur dreckig machen kann. Denn dieses Rad wird in den gängigen Blogs verblüffend selten beim Gefahrenwerden abgebildet, sondern vor allem, wie es dekorativ an der Wand hängt oder vor Bücherregalen in minimalistisch eingerichteten Behausungen steht. Vielleicht ist das Fahrradmodependel da ein wenig in die Extremzone geschwungen.
Es geht aber auch zurückhaltender. Die Produkte des sperrig zu schreibenden japanischen Labels PEdALED sind etwas weniger geckenhaft, etwas dezenter und auch ein bisschen preiswerter als die Business-Radler-Kostüme aus Tweed. Die Jeans haben eine höher angelegte Naht über dem Gesäß, um die sensible Nierengegend zu schützen. Eine andere Hosenlinie verfügt über Seitentaschen, die sich wechseln lassen. Auch britischen Radl-Chic bietet das Label: Ein graues Allan Hacking Jackett aus russischem Leinen. Dezent, sehr schön - und doch bleibt die Frage, ob sich Sattel und Abendgarderobe vertragen. Kurze Hosen aus Leinen, so genannte Travelshorts, verkaufen die Japaner auch. Was daran spezifisch fürs Fahrrad entwickelt wurde, ist wiederum ein kleines Rätsel, denn sie weisen keine radspezifischen Verstärkungen oder Verlängerungen auf.
Anders die Hosen und Shorts aus dem Hause Levi"s, zumindest jenen aus seiner Pendlerserie. Die heißt natürlich nicht so, sondern wesentlich dynamischer: Commuter Series klingt eher nach Mad Men als nach Waldperlacher Alltagspendlern. Bei diesen recht schicken Modellen ist der Stoff im Schritt verstärkt. Am Gürtelbund gibt es Schlaufen, an denen sich während der Fahrt das Schloss befestigen lässt. Unter allen neuen Mode-Vorschlägen wohl die tragbarsten Alltags-Alternativen.
Modeaffine Radler und urbane Hipster mögen mit der Tweed-Radlmode auf dem Trottoir vor ihrer Tagesbar oder auf Laufstegen umherpedalieren - aber was ist nun mit dem Sportradler? Womöglich ist das Trikot "DeMarchi Merino Jerseys - Filotex 1975 Replica" eine Lösung. Das Retro-Teil in Blau sieht irre schick aus, hat einen Rundkragen, drei Taschen mit Perlmuttknöpfen (!!!) und ist aus Merinowolle gewebt. Dieses Trikot kann vielleicht optisch mit dem bunt geringelten Molteni-Hemd mithalten, das der Radsportheld Eddy Merckx in der düsteren Pot-Belge-Ära trug. Aber auf einem Rennrad, fies verschwitzt, mit Tunnelblick und einer frisch verschluckten Fliege im Rachen trägt wohl niemand so ein Hemd. Der Träger eines Filotex-Trikots im Stile der Siebziger lässt es wohl eher an der Bar im Club ruhig angehen - quälen können sich andere.
Textilien für den Zweiradfahrer bleiben also ein heikles Thema. Im Stadteinsatz wechselt der optisch orientierte Radler seine normalen Kleider gegen Tweed-Velo-Chic, ohne dass dies unbedingt nötig wäre. Im sportlichen Bereich wird weiter die Wurstpelle dominieren, praktisch zwar, aber optisch ohne Hipsterpotenzial. Gut aussehen oder gut radeln - diese Entscheidung bleibt bestehen. Gut ist allerdings, dass die belgische Mischung Geschichte ist. Da ist die britische Mischung doch wesentlich menschenfreundlicher.