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Der große Graben

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Beim 'Spiegel' eskaliert der Streit: Die Zusammenarbeit zwischen der Online-Redaktion und der gedruckten Ausgabe kommt nicht voran. Nicht nur deshalb stehen die Chefredakteure vor der Ablösung

Ganz oben sitzen die Internetleute. Im 13. Stockwerk des neuen, etwas zu bombastisch ausgefallenen Spiegel-Gebäudes an der Hamburger Ericusspitze hat Online-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron sein Büro. Eine Etage darunter residiert Georg Mascolo, der die gedruckte Version des Spiegel verantwortet. Jeder sitzt bei seinen Leuten, und die Onliner eben da, wo der meiste Platz ist für ein Großraumbüro, erklärt Geschäftsführer Ove Saffe gerne. Das habe allein praktische Gründe. Natürlich.

Früher saßen die Chefredakteure nebeneinander, was nicht gut funktioniert haben soll. Die Chemie stimmte offenbar von Anfang an nicht, seit sie 2008 die Nachfolge von Stefan Aust antraten. Vor zwei Jahren gab es erste Konsequenzen, die Verantwortung wurde getrennt: Seitdem ist Mascolo für das Heft und Müller von Blumencron für Spiegel-Online zuständig - jeder auf seiner Etage. Die Stimmung wurde aber nicht besser, sondern schlechter, und spätestens seit der Trennung, heißt es in der Redaktion, fahre jeder seinen eigenen Kurs.

Der scheint beendet zu sein: Beide Chefredakteure stehen offenbar vor der Ablösung, wie die SZ aus Gesellschafterkreisen erfahren hat. Eine Verlagssprecherin sagte: 'Gerüchte und Spekulationen kommentieren wir nicht.' Ein Dementi ist das nicht.

Die Aufregung ist groß im Glaspalast mit Hafenblick, seit das Hamburger Abendblatt über den bevorstehenden Führungswechsel berichtete. In der Redaktion platzten die auch intern unbestätigten Neuigkeiten in die heiße Phase der Produktion am Freitagabend. Große Hektik hätten sie ausgelöst, heißt es. Etliche seien aber erleichtert, reden von einem 'Befreiungsschlag'. Manche bedauern die Nachrichten.

Die Stimmung ist denkbar schlecht bei Deutschlands wichtigstem Nachrichtenmagazin. Print- und Online-Redaktion liegen seit Langem über Kreuz, Müller von Blumencron und Mascolo bereden nur das Nötigste miteinander. Dazu kommt: Die Geschäfte der Spiegel-Gruppe sind rückläufig, Geschäftsführer Saffe dringt auf einen Sparkurs. Die Lage ist ernst, der Umsatz sank im vergangenen Jahr um sechs Prozent auf 307 Millionen Euro, das ist nur noch das Niveau von 2003. Werbe- und Vertriebserlöse gehen weiter zurück, der Gewinn schmilzt dahin. 'Wir müssen handeln und gegensteuern', forderte Saffe im vergangenen November und kündigte einen strikten Sparkurs an. Spiegel und Spiegel-Online würden 'ab sofort deutlich enger' zusammenarbeiten, betonte er. Eine gemeinsame Strategie sollte her.

Entschieden ist bis heute nichts. Mascolo will Teile der Spiegel-Inhalte im Internet kostenpflichtig machen, Müller von Blumencron wehrt sich vehement dagegen, weil er fürchtet, dass dann die Attraktivität von Spiegel-Online massiv leiden würde. Arbeitsgruppen, die das Problem lösen sollten, machten konkrete Vorschläge. Weil sich die beiden Redaktionen nicht einig wurden, landete am Ende alles beim Geschäftsführer und den Gesellschaftern, die beide nichts entschieden. Auch die Mitarbeiter-KG hat sich nicht klar geäußert.

Stattdessen zeigte sich Geschäftsführer Saffe schwer genervt vom Hin und Her - andere wiederum von ihm ebenso wie von den Gesellschaftern. Mascolo und Müller von Blumencron böten reichlich Anlass für Kritik, heißt es bei manchen in Hamburg, aber schlussendlich sei es die Aufgabe der Verlagsspitze einzugreifen, wenn sich zwei Chefredakteure nicht einigen könnten. Geredet wurde mit den beiden offenbar bis zum späten Freitagabend nicht, von ihrer angeblichen Entlassung sollen sie aus dem Hamburger Abendblatt erfahren haben. Der Sogkraft der Nachrichten können sie sich gleichwohl nicht entziehen, und es gibt Spekulationen darüber, dass die Personalien aus dem Spiegel-Verlag gezielt lanciert wurden, um Fakten zu schaffen. In Hamburg wäre das nicht der erste Fall. Auch Bernd Buchholz, der Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, soll seinen Posten infolge einer Indiskretion aus dem eigenen Verlag verloren haben.

Spiegel-Online ist profitabel und eines der erfolgreichsten deutschen Nachrichtenangebote im Internet. Nicht so gut läuft es dagegen bei der gedruckten Version. Die Spiegel-Auflage sinkt, das Volumen der Anzeigen auch, 2012 gingen netto knapp zehn Prozent der Anzeigenerlöse verloren. Hinter dem Schreibtisch von Geschäftsführer Saffe hängen die Spiegel-Titelbilder des ganzen Jahres in Miniaturform: je höher, desto besser hat sich das Heft verkauft. Mit einem Lineal werden die Bildchen jede Woche akkurat aufgehängt. Doch Ausreißer nach oben gibt es kaum noch. Damit liegt der Spiegel im Trend der Branche, allerorten verlieren Magazine und Zeitungen an Auflage. Dennoch wird es Mascolo angekreidet. Spiegel-Titel wie 'Hitlers Uhr' oder 'Die Mutigen' über die Zivilcourage einiger Bürger sind nicht nur intern umstritten, sondern verkaufen sich auch schlecht. Im vierten Quartal 2012 rutschte die Auflage erstmals seit 1986 sogar unter 900000. Im ersten Quartal 2008 waren es laut IVW noch 1,05 Millionen.

Die politische Schlagkraft - lange das wichtigste Merkmale des Spiegel - sei verloren gegangen, wird moniert. Investigative Geschichten hätte Mascolo zwar wieder befördert, aber sie hätten nicht immer den richtigen Platz gekriegt. Dadurch sei die DNA des Nachrichtenmagazins in Gefahr. Zudem gibt es Kritik an Mascolos Führungsstil, der als robust gilt. Auch lege er zu spät fest, was auf den Titel komme, da er zögerlich in seinen Entscheidungen sei.

Nun will Geschäftsführer Saffe, selbst wegen der schlechten Zahlen unter Druck, offenbar die Konsequenzen ziehen und einen Neuanfang - auch, um sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Die Gesellschafter müssen dem zustimmen: Das ist vor allem die mächtige Mitarbeiter-KG, die 50,5 Prozent der Anteile hält, daneben das Zeitschriftenhaus Gruner + Jahr (25,5 Prozent) und die Augstein-Erben (24 Prozent). Erst vor einigen Wochen gab es einen Wechsel bei der Mitarbeiter-KG. Wirtschaftsressortleiter Armin Mahler wurde von Reporter Gunther Latsch abgelöst. Dadurch, so berichten Insider, sei das Machtgefüge durcheinandergeraten, Mascolo habe an Rückhalt verloren. Mahler galt zwar stets als Mascolo-Kritiker, doch es habe eine 'stillschweigende Vereinbarung' gegeben, dass man an einem Strang ziehe.

Wie eine Nachfolge in der Chefredaktion aussehen könnte, ist offen. Eine Doppelspitze soll es nicht mehr geben. Einige befürchten bereits eine Hängepartie wie beim letzten Mal, als sich die Nachfolgesuche für Stefan Aust quälend lang dahinzog. Nach Monaten des Vakuums starteten Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo als Kompromisskandidaten.

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