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Anstiftung zur Angst

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Vorauseilende Strafverfolgung ist in den USA gängige Praxis. Doch ist sie rechtens?


Wieder einmal, so scheint es, ist Amerika nur haarscharf einem islamistischen Terroranschlag entgangen. In New York nahm das FBI einen jungen Mann just in dem Moment fest, als er per Handy einen mit Sprengstoff vollgeladenen Lieferwagen in die Luft jagen wollte, symbolträchtig vor der Niederlassung der amerikanischen Bundesbank in Manhattan. Die Sache ist nur: Der Zünder hätte nie funktioniert, der angebliche Sprengstoff war harmlos. Alles (inklusive Lieferwagen) hatte das FBI dem jungen Bangladescher besorgt, der sich mit seiner Tat im Terrornetzwerk al-Qaida einen Namen machen wollte - zu dem er nie Kontakt hatte. Seit Monaten allerdings hatte ihn das FBI überwacht und ihn bei der Ausführung seiner vermeintlichen Bluttat unterstützt.




Festnahme in New York

Das hat es in den USA schon öfters gegeben. Islamisten wollten die Kerosintanks auf New Yorks Kennedy-Flughafen abfackeln und den Sears Tower in Chicago sprengen. Sie planten Anschläge auf die U-Bahnen von New York und Washington, wollten US-Militärflieger vom Himmel holen. In allen Fällen war das FBI nicht nur im Bilde. Es hatte vielmehr die Möchtegern-Terroristen erst mit dem Material versorgt, die sie für ihre geplante Tat brauchten. Fast drei Viertel der gut 20 islamistischen Attentatsversuche größeren Stils in den USA im vergangenen Jahrzehnt sind so zustande gekommen. Ohne die Hilfe des FBI wäre es bei großen Worten geblieben.

Preemptive Prosecution heißt diese FBI-Praxis, vorauseilende Strafverfolgung. Sie wurde seit den Anschlägen von 9/11 enorm verstärkt. Sie ist rechtens in den USA. Aber ist sie auch richtig? Darf der Staat wirklich Menschen in ihr Verderben locken? Der in New York festgenommene Bangladescher, ein junger Bursche ohne terroristischen Hintergrund, wäre ohne das FBI nie und nimmer in der Lage gewesen, sich das Bombenmaterial zu beschaffen. Noch dazu hätte er den Anschlagsversuch, der ihn nun ein Leben lang hinter Gitter bringen dürfte, nicht einmal unternommen, hätte ihn das FBI nicht dazu verleitet. Er träumte zwar vom Märtyrer-Tod, wollte aber vorher erst mal lieber nach Hause zurück. Ein FBI-Informant überredete ihn, die Bombe per Fernbedienung doch gleich zu zünden. Hinter der Methode steckt Angst - und eine verquere Logik. Angst, weil die US-Ermittler es sich nicht noch einmal sagen lassen wollen, dass sie die Anzeichen für einen Terroranschlag übersehen hätten. Und verdreht ist das Kalkül, weil es nicht um die Beseitigung einer konkreten Gefahr geht. Die gab es nie in den Fällen, wo das FBI den Tätern erst Nachhilfe geben musste. Die Bedrohung wurde da erst geschaffen, um sie spektakulär zu beseitigen - nicht zuletzt, das sei zugestanden, um so potenzielle Attentäter abzuschrecken, die wirklich das Zeug zu einem Anschlag hätten. Die Tatsachen scheinen der Methode auf den ersten Blick recht zu geben: Seit 9/11 hat es in den USA keinen islamistischen Anschlag größeren Stils gegeben (wenn man vom Amoklauf eines Einzeltäters in Fort Hood absieht).

Doch der Preis dafür ist hoch: Die Bekämpfung von Verbrechen, die es noch gar nicht gibt, die aber sein könnten - das hat orwellsche Qualitäten. Die Anstiftung zu Straftaten durch die Behörden, die sie verhindern sollen, wäre vor 9/11 kaum denkbar gewesen. Preemptive Prosecution zeigt nur, wie tief die Furcht vor islamistischem Terror das Land verändert hat.

Noch dazu versperrt sie die Sicht auf sehr viel realere Gefahren: Zwischen 2009 und 2011 wurden 26 verhinderte Attentäter mit islamistischem Hintergrund festgenommen. Im selben Zeitraum kamen 55 Rechtsextremisten wegen geplanter Terroranschläge hinter Gitter. Die konnten alle rechtzeitig vereitelt werden. Aber nicht einer war Gegenstand der Preemptive Prosecution gewesen.

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